"Für unsere gemeinsame Zukunft - Nein zum Krieg! - Für die Streichung der Schulden"
Abschlusserklärung des Weltsozialforums 2003 in Porto Alegre, Brasilien
Wir sind in Porto Alegre zusammengekommen im Schatten einer globalen Krise. Die kriegerischen Absichten der Regierung der Vereinigten Staaten in ihrer Entschlossenheit, einen Krieg gegen Irak vom Zaun zu brechen, sind eine schwere Bedrohung für uns alle und eine dramatische Demonstration der Verbindungen, die zwischen Militarismus und ökonomischer Beherrschung existieren.
Zur gleichen Zeit befindet sich die neoliberale Globalisierung in der Krise: die Gefahr einer globalen Rezession dauert an; die Korruptionsskandale in den großen Konzernen sind Alltagsnachricht und zeigen uns die Wirklichkeit des Kapitalismus. Die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten wachsen an, und bedrohen die Struktur unserer Gesellschaften, unsere Kulturen, unsere Rechte, und unsere Leben.
Die biologische Vielfalt, die Luft, das Wasser, die Wälder, der Boden und das Meer werden als Waren benutzt und stehen zum Verkauf. All dies bedroht unsere Zukunft. Und deshalb widersetzen wir uns!
Für unsere gemeinsame Zukunft
Wir sind es als die sozialen Bewegungen, die in der ganzen Welt gegen die neoliberale Globalisierung, den Krieg, den Rassismus, die Kasten, die Armut, das Patriarchat und jede Form der Diskriminierung und Ausgrenzung kämpfen: ökonomisch, ethnisch, sozial, politisch, sexuell oder geschlechtsspezifisch. Wir kämpfen auf der ganzen Welt für die soziale Gerechtigkeit, für die Bürgerrechte, die partizipative Demokratie, die universellen Rechte und das Recht der Völker, über ihre eigene Zukunft zu entscheiden.
Wir sind Parteigänger des Friedens, der internationalen Zusammenarbeit und einer nachhaltigen Gesellschaft, die den Bedürfnissen der Völker entspricht, auf dem Gebiet der Ernährung, der Wohnung, der Gesundheit, der Bildung, Information, Wasser, Energie, öffentlicher Verkehr und der Menschenrechte. Wir sind mit den Frauen solidarisch in ihrem Kampf gegen die soziale und patriarchale Gewalt. Wir unterstützen den Kampf der Bauern, Arbeiter, städtischen Basisbewegungen und von all denen, die vom Verlust ihrer Häuser, Arbeit, ihres Landes und ihrer Rechte bedroht sind.
Wir sind Millionen, die auf den Straßen demonstriert haben, um zu zeigen, dass eine andere Welt möglich ist. Niemals war das wahrer und dringlicher.
Nein zum Krieg!
Wir als soziale Bewegungen sind gegen die Militarisierung, die Zunahme der Militärbasen und die staatliche Unterdrückung, die Massen von Flüchtlingen hervorbringt, und die sozialen Bewegungen und die Armen kriminalisiert.
Wir sind gegen den Krieg im Irak, die Angriffe gegen das palästinensische, tschetschenische und kurdische Volk, die Kriege in Afghanistan, in Kolumbien, in Afrika, und die wachsende Kriegsdrohung in Korea. Wir wenden uns gegen die ökonomische und politische Aggression, unter der Venezuela leidet, und die politische und ökonomische Blockade, der Kuba von Seiten der Regierung der Vereinigten Staaten ausgesetzt ist. Wir sind gegen jede Art von militärischen und ökonomischen Aktionen, die das neoliberale Modell aufzwingen und die Souveränität und den Frieden der Völker der Welt untergraben sollen.
Der Krieg hat sich in einen strukturellen und permanenten Teil der globalen Vorherrschaft verwandelt, die militärische Gewalt wird benutzt, um die Völker und die strategischen Ressourcen wie das Öl zu kontrollieren. Die Regierung der Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten sind dabei, den Krieg als die immer üblichere Form durchzusetzen, Konflikte zu lösen. Ebenso prangern wir den absichtlichen Versuch des Imperialismus an, religiöse, ethnische, rassische, Stammes-Konflikte zu verstärken, damit die Spannungen und Zusammenstöße überall auf der Welt zu vermehren, um ihren egoistischen Interessen zu nützen.
Die weltweite öffentliche Meinung wendet sich in ihrer Mehrheit gegen den nächsten Krieg im Irak. Wir rufen alle sozialen Bewegungen und fortschrittlichen Kräfte auf, am nächsten 15. Februar in der ganzen Welt Proteste gegen diesen Krieg zu unterstützen, daran teilzunehmen, und zu organisieren. Diese Proteste werden von Kriegsgegnern in 30 der größten Städte der Welt geplant und koordiniert.
Vereiteln wir die Pläne der WTO
Die Welthandelsorganisation (WTO), das Abkommen über Freihandel in den Amerikas (ALCA) und die Verbreitung von regionalen und bilateralen Abkommen wie das Abkommen für Wachstum und Handel in Afrika und die für Zentralamerika vorgeschlagenen Freihandels- Abkommen werden von den transnationalen Konzernen benutzt, ihre Interessen voranzutreiben, unsere Ökonomien zu beherrschen, und ein Entwicklungsmodell zu erzwingen, das unsere Gesellschaften verarmt.
Im Namen der Liberalisierung des Marktes sieht sich die Bevölkerung ihrer elementaren Rechte beraubt, und jeden Bereich des Lebens und der Natur verkäuflich. Die agroindustriellen Multinationalen wollen die OGM (?) in der ganzen Welt aufzwingen; den Menschen, die an AIDS und anderen Pandemien in Afrika und anderen Gebieten leiden, wird der Zugang zu billigen Generika-Medikamenten verweigert. Außerdem sind die Länder des Südens im unendlichen Zirkel der Verschuldung gefangen, der sie zur Öffnung ihrer Märkte und dem Export ihrer Reichtümer zwingt.
In diesem Jahr werden unsere Kampagnen gegen die WTO, gegen ALCA und die Freihandelsabkommen an Größe und Durchschlagskraft zunehmen.
Wir werden eine Kampagne machen, um die Liberalisierung der Landwirtschaft, des Wassers, der Energie , der öffentlichen Dienste und der Investitionen aufzuhalten und rückgängig zu machen, und den Völkern zu erlauben, die Souveränität über ihre Länder, ihre Ressourcen, ihre Kulturen ihr Wissen und ihre Ökonomie zurückzugewinnen.
Wir solidarisieren uns mit den mexikanischen Bauern, die sagen "das Land erträgt nicht mehr", und mit dem Geist ihrer Kämpfe, und wir mobilisieren uns lokal, national und international, um die Pläne von WTO und Alca zu vereiteln. Wir unterstützen die Bewegung, die in der ganzen Welt für die Ernährungs-Souveränität kämpft und gegen die neoliberalen Modelle in der Landwirtschaft, ebenso wie in der Produktion und Verteilung der Lebensmittel. Konkret werden wir in der ganzen Welt massive Proteste während des 5. Ministertreffens der WTO organisieren, das in Cancun, Mexiko, im September 2003 stattfinden wird, ebenso wie während des Minister-Treffens des ALCA in Miami, USA, im Oktober des gleichen Jahres.
Für die Streichung der Schulden
Die komplette und bedingungslose Streichung der Schulden der dritten Welt ist eine Vorbedingung, um die volle Einlösung der elementarsten Menschenrechte zu erreichen. Wir werden jedes Schuldnerland unterstützen, das die Bezahlung seiner Auslandschulden einstellen will, und die sich der Anwendung der Struktur-Anpassungsprogramme des Weltwährungsfonds verweigern.
Jahrhunderte der Ausbeutung der Völker der dritten Welt, ihrer Ressourcen und ihrer Umwelt gibt ihnen das Recht auf eine Reparation, und läßt uns fragen "wer schuldet wem?" Über diese Achsen werden die Kampagnen und bedeutenden Mobilisierungen organisiert werden, die im Jahre 2003 stattfinden werden: G 8 (Evian, Juni), WTO (Cancun, September), und während des Jahrestreffens von WWF und Weltbank (Washington, September).
Wir widersetzen uns der G 8
Wir rufen alle sozialen Bewegungen und fortschrittlichen Kräfte auf, an dieser Mobilisierung teilzunehmen, um die Illegitimität anzuprangern und die Politiken zurückzuweisen, die die G 8 vorhat in Evian (Frankreich), zwischen dem 1. und 3. Juni 2003 zu diskutieren. Diese Mobilisierung wird weltweit stattfinden, einschließlich eines internationalen Treffens in Evian: ein Gegengipfel, ein alternatives (Zelt-)Lager, und eine internationale Groß-Demonstration.
Frauen: die Gleichheit voranbringen
Wir beteiligen uns an den Aktionen, die die Frauenbewegungen am 8.März durchführen, dem internationalen Tag des Kampfs gegen die Gewalt, das Patriarchat und für ihre soziale und politische Gleichheit.
In Solidarität
Wir rufen die fortschrittlichen Kräfte, die Bewegungen und Organisationen in der ganzen Welt auf, Solidarität mit dem palästinensischen, dem venezolanischen, bolivianischen und anderen Völkern zu demonstrieren, die zur Zeit unter schweren Krisen leiden.
Stärken wir das weltweite Netz der sozialen Bewegungen
Im vergangenen Jahr verabschiedeten wir beim Weltsozialforum eine Erklärung, die unsere Ziele, unsere Kämpfe, und die Form, wie wir unsere Allianzen aufbauen, definierte. Der Geist dieses Dokuments ist lebendig, und wird unsere nächsten Mobilisierungen inspirieren.
Seit damals hat die Welt sich sehr rasch verändert, und wir empfinden die Notwendigkeit, einen Schritt weiter zu gehen in unserem Entscheidungsprozess, in unserer Koordinierung und in unseren Bündnissen, um eine breite, kämpferische, demokratische, plurale, internationalistische, feministische, nicht diskriminierende und anti-imperialistische Agenda zu formulieren und zu entwickeln.
Wir wollen nun einen Referenzpunkt schaffen, der unsere Analyse und unsere Verpflichtungen mit unseren Mobilisierungen verbindet. Das erfordert die aktive Teilhabe aller Bewegungen, immer daran erinnernd, dass die sozialen Bewegungen unabhängig von den Regierungen und von den politischen Parteien sind (entsprechend der Charta von Prinzipien des Weltsozialforums), und eingedenk der Respektierung der Autonomie der verschiedenen Organisationen. Dieser Referenzpunkt wird sich durch den Beitrag der verschiedenen sozialen Akteure und die gemeinsamen Erfahrungen und soziale Praxis verstärken. Außerdem muß er mit den verschiedenen Formen des politischen Ausdrucks und der Organisierung der sozialen Bewegungen in Einklang sein, und die Verschiedenheit der Ideologien und Kulturen respektieren.
Wir empfinden die Notwendigkeit, ein Netz der Bewegungen aufzubauen, das Anforderungen erfüllt, das flexibel und nachhaltig und zur gleichen Zeit breit und transparent ist, und dessen Aufgabe es ist, diesen Prozess zu bereichern, zu nähren, seine Vielfalt zu fördern, und die notwendige Koordination zu sichern. Die Ziele des Netzes wären es, die Bewegungen aller Kontinente anzuspornen, sich in eine vertiefte politische Debatte einzubringen, gemeinsame Aktionen zu ermöglichen, und die Initiative von konkreten Akteuren zu stärken, die für ihre sozialen Interessen kämpfen. Seine Arbeit müßte gleichzeitig horizontal orientiert als auch effektiv sein.
Um diese Ziele zu erreichen, schlagen wir die Bildung einer Kontaktgruppe vor, die als Ressource und Instrument für unsere internationalen Mobilisierungen einschließlich der Vorbereitung von Treffen, der Förderung der Debatte und der Demokratie durch eine website und e-mail-Verteiler dienen soll. Diese Kontaktgruppe wird sich für ein Periode von 6-12 Monaten bilden, und wird sich auf die Erfahrung der Teilnehmer des Netz von sozialen und Basis-Bewegungen stützen, das in Brasilien existiert. Diese Verabredung ist vorübergehend, und soll die Kontinuität sichern. Die hauptsächliche Aufgabe dieser provisorischen Gruppe ist es, die Debatte zu ermöglichen, damit die sozialen Bewegungen der ganzen Welt konkrete Verfahren der gemeinsamen Arbeit definieren können. Es handelt sich um einen laufenden Prozess. Die erste Evaluation dieser neuen Kontaktgruppe wird während des Treffens stattfinden, welches das Netz der sozialen Bewegungen im September 2003 gegen die WTO in Cancun durchführen wird. Die Versammlung der sozialen Bewegungen wird eine zweite Evaluation während des WSF durchführen, das voraussichtlich in Indien 2004 stattfinden wird.
Unter anderem wird die Evaluation die Effizienz der erreichten Koordinierung erörtern, und neue Formen suchen, sie zu stärken. Außerdem wird sie erörtern, wie der Prozess von einem Jahr auf das andere fortgesetzt werden kann, und wie in das Netz nationale, regionale Bewegungen und thematische Kampagnen integriert werden können. Im übrigen ist es notwendig, im Rahmen der Organisationen, Kampagnen und Netze eine breite Debatte zu entfalten, um Vorschläge zu formulieren, und auf diese Weise eine repräsentativere und kontinuierlichere Struktur zu erreichen.
In den nächsten Monaten haben wir viele Gelegenheiten, Erfahrungen zu machen, und dieses Vorgehen aufzubauen, durch die Kampagnen und Mobilisierungen, die unsere gemeinsame Agenda ausmachen.
Wir rufen alle Netze, alle Basis- und sozialen Bewegungen auf, diese Erklärung innerhalb von 2 Monaten zu unterschreiben.
Porto Alegre, Brasilien, Januar 2003
Übersetzung aus dem Spanischen: Matthias Jochheim
Zurück zur Seite "Globalisierung"
Zur Seite "Stimmen gegen den Irak-Krieg"
Zurück zur Homepage