Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wie sollen wir in der offensichtlich immer unsicherer werdenden Welt sicher leben?

Buchbesprechung von: Worldwatch Institute (Hrsg.), Zur Lage der Welt 2005

Worldwatch Institute (Hrsg.): Zur Lage der Welt 2005. Globale Sicherheit neu denken. Verlag Westfälisches Dampfboot (Münster) 2005. 350 Seiten. ISBN 3-89691-614-9. 19,90 EUR, CH: 34,90 SFr.
Mit einem Vorwort von Michail Gorbatschow. in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und GERMANWATCH


Die seit 1984 jährlich vom unabhängigen, weltweit agierenden, interdisziplinären Washingtoner Forschungsinstitut Worldwatch herausgegebenen Bestandsaufnahmen und Fingerzeige zur Lage der Welt haben sich mittlerweile für Wissenschaft, Forschung, Lehre und politische Meinungsbildung als unverzichtbare Analysen zu den Wirklichkeiten in unserer verletzlichen Welt entwickelt. Die Handhabe für ein breites Spektrum der Nutzer der Informationen ist deshalb auch zu empfehlen, weil die gut aufbereiteten Daten weder als apokalyptische Reiter, noch als Fanfaren, sondern als seriöse Einschätzungen daher kommen. Die jeweiligen Berichte zur Lage der Welt stehen unter einer Schwerpunktthematik. So stellte der Bericht 2004 die Welt des Konsums in den Mittelpunkt der globalen Betrachtung (vgl. dazu auch die Rezension). Der diesjährige Bericht nimmt sich der Frage nach der globalen Sicherheit an. Kennzeichnend für die Analysen sind im wesentlichen drei Herausforderungen, denen sich die Welt Hier und Heute gegenüber sieht, wie Michail S. Gorbatschow in seinem Vorwort zum Ausdruck bringt: Sicherheit, einschließlich der Bedrohungen durch Massenvernichtungswaffen und Terrorismus, Armut und Unterentwicklung, sowie neue Sicht- und Handlungsweisen beim Umgang mit der Natur und Umwelt: "Wir sind Gäste, nicht die Herren der Natur und müssen ein neues Paradigma für Entwicklung und Konfliktlösung entwickeln, das auf Kosten und Nutzen aller Völker basiert und eher durch die Grenzen der Natur bestimmt ist als durch die Grenzen der Technologie und des Konsumismus". Herausgeber

Die bewährte Zusammenarbeit des Worldwatch Institute (WwI) mit der Heinrich-Böll-Stiftung und von Germanwatch ermöglicht die Herausgabe der amerikanischen Originalausgabe "State of the World" in deutscher Sprache. Eigene Akzente setzen die Kooperanten durch zwei Beiträge mit asiatischen und europäischen Perspektiven zur Thematik.

Inhalt
  • Als Grundtenor der globalen Einschätzung zur Lage der Welt gilt, was der Präsident des Worldwatch Intitute, Christoper Flavin, als die "tieferen Wurzeln der Unsicherheit" bezeichnet: In der Destabilisierung menschlicher Gesellschaften und der natürlichen Umwelt auf der Erde - und den "konkurrierenden Interessen" der Völker.
  • Es geht, wie der Mitarbeiter des WwI, Michael Renner im ersten Kapitel zum Ausdruck bringt, um "eine Neudefinition von Sicherheit". Wo Staaten und Gesellschaften zerfallen und aufgrund von inneren und äußeren, selbst gemachten und ihnen von anderen auferlegten Bedingungen ("failed state"), müssen "Leitlinien für eine sicherere Welt" entwickelt werden, die für alle gelten und an die sich alle halten müssen: Den ehrlichen und neuen Blick auf die Bedeutung und Umsetzung der Menschenrechte überall in der Welt zu richten; gemeinsame Konfliktprävention zu betreiben; und dies sektorenübergreifend und integrativ zu tun. Es geht also um nicht mehr und nicht weniger als nach Alternativen zu militärischen Interventionen, zu Hegemonie oder zur Untätigkeit zu suchen, nämlich die eigentliche Dynamik und strukturellen Ursachen der Unsicherheit in der Welt zu erkennen.
  • In Kapitel 2 setzen sich die beiden Wissenschaftler Lisa Mastny und Richard P. Cincotta mit dem "Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung und Konflikten" auseinander. Sie machen vier Faktoren von "demographischen Risikofaktoren" fest: Ein hoher Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung, die HIV/AIDS-Krise, rapide Urbanisierung und Verknappung landwirtschaftlicher Nutzflächen und die schwindenden Süßwasservorräte. Dennis Pirages ruft im dritten Kapitel zum "Kampf gegen die Infektionskrankheiten" auf. Er verweist bei den vielfältigen Auswirkungen der Problematik darauf, "dass Infektionskrankheiten in einer zunehmend vernetzten Welt eine ernsthafte Gefahr darstellen".
  • Danielle Nierenberg und Brian Halweil zeigen im 4. Kapitel die Situation zur "Nahrungsmittel(un)sicherheit" in der Welt auf. Sie machen deutlich, dass die im Zusammenhang damit stehenden strukturellen und individuellen Grundlagen für eine nachhaltige Versorgung mit gesunden Nahrungsmitteln eine Sache ist, die alle Menschen angeht.
  • Ein internationales Forscherteam (Aaron T. Wolf / Annika Kramer / Alexander Carius, Geoffrey D. Dabelko) macht auf einen Konflikt aufmerksam, der in immer stärkerem Maße die Lebensbedingungen der Menschen auf der Erde beeinflusst und beeinträchtigt: Wasserverteilung, -qualität, -verfügbarkeit. Sie fordern ein "kooperatives (globales und regionales) Wassermanagement", das Konflikte verhindert und Kooperationen fördert.
  • Thomas Prugh, Christopher Flavin und Janet L. Sawin rufen auf , die "Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern", weil für die globale ökonomische, nationale und individuelle Sicherheit, die Stabilität des Klimasystems der Erde ein Ende unserer Abhängigkeit vom Erdöl unumgänglich sei. Dass diese von vielen Menschen zurzeit als unmöglich eingeschätzte Aufforderung möglich ist, zeigen sie in zahlreichen Alternativen auf.
  • In Kapitel 7 weist erneut Michael Renner auf die Notwendigkeit hin, zur "Entmilitarisierung der Nachkriegsgesellschaften" beizutragen.
  • "Frieden schaffen durch Umweltkooperation", das ist die Anforderung, die im achten Kapitel gestellt wird (Ken Conca, Alexander Carius, Geoffrey D. Dabeko). Es geht um die Entwicklung von ökologischen Friedensstrategien.
  • Die Quintessenz aus den einzelnen Analysen zur (Un)Sicherheit in der Welt wird von Hilary French, Gary Gardner und Erik Assadourian mit der (Gretchen)Frage angesprochen: "Wie man die Grundlagen für den Frieden schafft". Zuallererst muss die Erkenntnis in die Köpfe der Menschen gebracht werden, dass die Bedrohung der Sicherheit der Menschen und Güter auf der Erde nicht durch mehr Waffen, Rüstung, Aggression und hegemoniale Gewalt geschaffen werden kann, sondern durch die Errichtung einer globalen Ordnungspolitik, die alle Bereiche des menschlichen Lebens überall auf der Erde umfasst. Dazu ist es notwendig, die Zivilgesellschaft in diesen Veränderungsprozess einzubeziehen.
Fazit

Bildung, Aufklärung und Vernetzung sind die Werkzeuge für diese Vision, die alleine die Existenz und humane Weiterentwicklung der Menschen in unserer Einen Welt ermöglicht. Wie heißt es in der Präambel der Verfassung der UNESCO, der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur", vom 16. November 1945: Da Kriege im Geiste der Menschen entstehen, müssen auch die Bollwerke des Friedens im Geiste der Menschen errichtet werden. Dem werden die Autoren des Worldwatch Institute sicherlich ohne Einschränkung zustimmen. Damit aber aus Absichtserklärungen Wirklichkeiten werden, bedarf es Analysen und Bestandsaufnahmen, wie sie vom WwI im jährlichen Abstand vorgelegt werden. Es gilt, diese wahr zu nehmen und als Grundlagen für das individuelle und gesellschaftliche Denken und Handeln, lokal und global, zu verwenden.

Eine Vision für den Rezensenten bleibt: Hoffentlich werden in den Berichten zur Lage der Welt 2006, 2007, 2008... mehr positive Entwicklungen und weniger negative, mehr Vollzugsberichte und weniger Defizitnachweise zu lesen sein als bisher.

Jos Schnurer*

* Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim

Quelle: socialnet; im Internet: www.socialnet.de

Beachten Sie bitte auch die Homepage des Nord-Sued-Partnerschaftsvereins Initiativen Partnerschaft Eine Welt e.V. (IP1): www.initiativen-partnerschaft.de


Zurück zur Seite "Globalisierung"

Zur Seite "Neue Weltordnung"

Zurück zur Homepage