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Hoffnung in Dakar

Weltsozialforum 2011: Koloniales Erbe und globale Dominanz der Industriestaaten haben Senegal ökonomisch verwüstet. Jetzt blicken viele dort nach Nordafrika

Von Dieter Schubert *

In Dakar ist es nicht leicht, mehrere zehntausend Menschen zusammenzuführen, wie das zur Eröffnung des 11. Weltsozialforums am Sonntag geschah. Senegals Hauptstadt leidet unter den gleichen Problemen, die für fast alle Metropolen Afrikas immer noch typisch sind: Schlechte Straßen, ein öffentliches Verkehrssystem, das den Namen nicht verdient, kurz, eine desolate Infrastruktur. Das hat mit der Armut des Landes zu tun, das wohlhabender sein könnte. Die politische und wirtschaftliche Macht lag im Senegal wie in fast allen früheren Kolonien jedoch stets in der Hand von Leuten, denen allgemeines Wohlergehen wenig bedeutete: Einheimische Potentaten, global agierende Konzerne und deren Ursprungsstaaten hatten schlicht kein Interesse daran, daß aus »Entwicklungsländern« »sich entwickelnde Staaten« wurden. Auch dies war einer der Gründe, das Weltsozialforum 2011 in Dakar durchzuführen.

Das Treffen, das heute zu Ende geht, war einst als Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum in Davos gedacht. Es steht auch heute noch für vieles, was die Teilnehmer des dortigen Luxusgipfels kaum tangiert: Solidarität, soziale Gerechtigkeit, Eigenverantwortung der Völker und nicht zuletzt die Hoffnung auf ein besseres Leben für alle. Die hat neue Nahrung gefunden: Sowohl bei der Auftaktdemonstration als auch bei nahezu allen Veranstaltungen waren die Volksaufstände in Nordafrika in aller Munde. Dabei gehe es nicht nur um die Vertreibung blutrünstiger Diktatoren mit Selbstbedienungsmentalität, so der Tenor der Debatten. Die Revolten werden vor allem als Zeichen für die Krise des globalisierten Kapitalismus gesehen.

Frankreichs Oppositionsführerin Martine Aubry, die an dem Protestmarsch in Dakar teilnahm, zeigte sich zuversichtlich, daß die Menschen im Maghreb nun ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen würden. Die Chefin der Sozialistischen Partei dürfte da recht unangenehme Zusammenhänge im Hinterkopf gehabt haben. War es doch die Exkolonialmacht, die zahlreiche Diktatoren in Nord- und Westafrika als Statthalter ihrer Interessen gestützt hatte und weiterhin stützt. Das war unter der Ägide sozialistischer Präsidenten nicht anders, als unter konservativen. Und die Interessen sind vor allem wirtschaftlicher Natur.

Afrika interessiert Paris und die EU hauptsächlich als Rohstofflager und als Absatzmarkt ihrer Überproduk­tion. Obwohl Zehntausende Flüchtlinge jedes Jahr vor Westeuropas Toren stehen und Einlaß begehren, reagieren die Verantwortlichen dort mit dem Bau von Drahtverhauen, Mauern und mit Seepatrouillen. Zu Entwicklungshilfe im Sinne des Wortes ist man in Brüssel, Paris, London oder Berlin weder fähig noch bereit, sie zu leisten.

Das liegt am herrschenden Wirtschaftssystem. Im Kapitalismus zählt der privat realisierte Profit, alles andere ist Beiwerk. Das machte auch die Debatte in Dakar nicht einfacher. Wenn dort über Alternativen beraten wurde und sich die Aktivisten für eine gerechtere Verteilung der Ressourcen der Erde einsetzten, fehlte nicht selten eine überzeugende Antwort darauf, wie das geschehen soll.

Die Aufstände in Tunesien und Ägypten sind auch im Senegal ein heiß diskutiertes Thema. Bei allen Unterschieden hoffen viele auf eine Sogwirkung. In der Bevölkerung gärt es, die Menschen sind offenbar nicht mehr bereit, alles hinzunehmen. »Afrika ist ein Beispiel für die größten Fehler von drei Jahrzehnten neoliberaler Politik«, hieß es von den Veranstaltern.

Laut UN-Statistik rangiert Senegal mit einem kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von knapp 1800 Dollar im Jahr 2009 auf Rang 148 von 182 Staaten. Von den konkreten Sorgen der Menschen im Gastgeberland berichtete die Schweizer Delegation auf dem Portal woz.ch. Zitiert wurden die Aktivistin Mariam Sow von der NGO Enda Pronat und der linke Oppositionspolitiker Ibrahmine Sène. Die berichteten von dauernden Unterbrechungen der Stromversorgung, von der Wut der Menschen in der Region Dakar darüber und von den Straßenblockaden und Barrikaden, mit denen sie gegen das Versagen des Staates protestierten. Viele Einwohner könnten nur dank Hilfsjobs mehr schlecht als recht überleben. Fast zwei Drittel der Bevölkerung gelten als unterbeschäftigt.

Stichwort bäuerliche Landwirtschaft: Laut Aussagen von Sow und Sène ist die durch diverse »Modernisierungsprogramme« zugrunde gerichtet, die die Weltbank, der Internationale Währungsfonds IWF und andere internationale Organisationen vorangetrieben haben. Diese Agrarwirtschaft könne die Bevölkerung schon lange nicht mehr ernähren. Über die Hälfte der Nahrungsmittel müsse importiert werden, fast ein Drittel der Bevölkerung gelte als unterernährt.

Die Regierenden indes bieten riesige Ländereien saudischen Investoren an. Die wollen im fruchtbaren Gebiet des Senegalflusses auf 200000 Hektaren Reis anbauen lassen. Siebzig Prozent der Ernte sollen nach Saudi-Arabien exportiert werden, die heutigen Bauern und Bäuerinnen finden sich bestenfalls als Lohnabhängige wieder. Eine »Win-win-Situation« nennt das die Weltbank.

Zu Grunde gerichtet ist auch die Fischereiwirtschaft. Fischfang ist für viele Senegalesen lebenswichtig: Ein Sechstel der arbeitsfähigen Bevölkerung findet hier nach Angaben der Interessensvereinigung Fenagie ein Auskommen und Nahrung. Doch die einst reichen Ressourcen sind vernichtet. Auf Druck der kleinen Fischer hat sich die Regierung zwar geweigert, ein Abkommen mit der EU zu erneuern, das dieser einst gegen ein bescheidenes Entgelt Fangrechte übertrug. Doch Senegal, so Fenagie-Generalsekretär Samba Gueye gegenüber woz.ch, sei nicht in der Lage, die Gewässer zu kontrollieren.

* Aus: junge Welt, 11. Februar 2011


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