Durchbruch bei den Verhandlungen der sog. "Doha-Runde" der Welthandelsorganisation (WTO) nicht zu erwarten
Streitpunkte: Agrarsubventioinen des Nordens, Exportsubventionen, Senkung der Industriegüterzölle
Ein Interview mit Pia Eberhardt
Pia Eberhardt ist Politologin und in der Arbeitsgruppe Welthandel & WTO des globalisierungskritschen Netzwerks Attac aktiv. Außerdem ist sie freie Mitarbeiterin der Nichtregierungsorganisation WEED (Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung). Über den Stand der laufenden WTO-Runde sprach mit ihr Martin Ling vom "Neuen Deutschland".
ND: Ab heute trifft sich der Allgemeine Rat der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf zum letzten Mal vor der Sommerpause. Von Fortschritten in der seit 2001 laufenden Doha-Runde war zuletzt nichts zu hören. Wie ist der aktuelle Stand?
Eberhardt: Nach dem im Juli 2004 abgeschlossenen Rahmenabkommen sind die Verhandlungen derzeit in technischen Details verfangen. Deswegen ist in der Öffentlichkeit nicht viel zu hören, verhandelt wird aber durchaus. Und selbstverständlich sind die Konflikte in zentralen Verhandlungsbereichen zwischen den einzelnen WTO-Mitgliedsländern und WTO-Gruppen weiterhin groß.
Welches sind die zentralen Streitpunkte?
Nach wie vor die Landwirtschaft, wo der Süden den verbindlichen Abbau der Agrarsuventionen des Nordens fordert, aber auch die Regelung des Marktzugangs für nichtagrarische Güter (NAMA), wovon sich der Norden einen besseren Zugang zu den Märkten der Schwellen- und Entwicklungsländer verspricht.
Ist in dieser Woche ein Durchbruch zu erwarten, schließlich wird die Zeit bis zum Ministertreffen im Dezember immer knapper?
Die Wahrscheinlichkeit wird gering eingeschätzt – noch geringer als vor einem Jahr, in dem es dann wenigstens zu einem Rahmenabkommen kam. Bisher haben sich erst wenige Minister für Genf angekündigt, was darauf schließen lässt, dass es nicht viel Positives zu verkünden gibt. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass sich wie letzten Juli eine Verhandlungsdynamik entwickelt. Der Druck auf die Verhandlungsparteien ist gewachsen, das Gerede von der Krise der WTO wird ihn weiter verstärken.
Ein Streitpunkt seit Jahren sind die Agrarsubventionen. Mehrfach wurde die Bereitschaft verkündet, sie auslaufen zu lassen, zuletzt beim G8-Gipfel in Gleneagles, aber auch im Rahmen der EU-Agrarreform. Ist in Genf ein konkreter Zeitplan zu erwarten?
Sicher nicht. Die so genannte Gruppe der G20, in der Schwellenländer wie Brasilien. Indien, Südafrika und China die Wortführer sind, fordert, dass das innerhalb von fünf Jahren passiert. Aber in den nächsten Tagen wird auf keinen Fall eine konkrete Zeitangabe rauskommen.
Wie schätzen Sie die EU-Agrarreform denn prinzipiell ein? Sie sieht unter anderem Senkungen der Garantiepreise und ein Auslaufen der Exportsubventionen vor. Bedeutet das größere Möglichkeiten für den Süden im Agrarhandel?
Die Abschaffung der Exportsubventionen ist ein ganz wichtiger Punkt. Exportsubventionen richten nur Schaden an und zerstören Märkte im Süden. Sie abzuschaffen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber das allein wird die Situation auf den Weltmärkten recht wenig ändern. Durch die EU-Agrarreform sollen die Preise gesenkt werden. Das hat den Effekt, dass viele EU-Agrarprodukte auch nach Ende der Exportsuventionen noch unterhalb des Weltmarktpreises auf den Weltmarkt gelangen und die Märkte im Süden mit billigen Produkten überschwemmt werden, mit denen die heimischen Bauern und Bäuerinnen nicht konkurrieren können. Insofern geht die EU-Agrarreform auf jeden Fall nicht weit genug.
Die ärmsten Entwicklungsländer sind in der G33 organisiert und fordern einen besonderen Schutz für lokale Grundnahrungsmittel, um die Ernährungssicherheit zu verbessern. Wie ist da im Moment der Stand?
Die G33 ist leider im Verhandlungsprozess marginalisiert. Bei den laufenden Verhandlungen von rund 20 Ländern sitzen meist nur Vertreter der Industriestaaten und der G20 am Tisch. Das macht es natürlich schwer, für diese Vorschläge eine starke Lobby zu bekommen. Außerdem haben EU und die USA schon signalisiert, dass diese Vorschläge, wenn überhaupt, dann nur stark verwässert in einem späteren Agrarabkommen auftauchen werden. Mit dem Ziel der Ernährungssicherheit oder gar der Ernährungssouveränität, also dem Recht auf eine autonome Agrarpolitik, wird das gar nichts mehr zu tun haben.
Ein Rückdrehen der Liberalisierung des Agrarhandels ist nicht abzusehen?
Nein. Es gibt kaum Länder, die sich kritisch gegenüber einer Liberalisierung im Agrarbereich äußern, da ist die G33 die einzige lobenswerte Ausnahme. Alle anderen Länder, also sowohl die Industrieländer EU und USA als auch die Schwellenländer Brasilien und Indien drängen auf eine ganz radikale Liberalisierung des Agrarhandels.
Die Kampagne der Nichtregierungsorganisationen läuft unter dem Motto »WTO stoppen«. Bremst die WTO sich nicht selber aus?
Das glaube ich nicht. Sicher gibt es eine Krise, aber die Verhandlungen in der WTO und ihrem Vorläufer GATT dauerten immer lange. Allerdings gab es schließlich immer ein Deal und das war immer Liberalisierung um jeden Preis. Die lehnen wir ab. Deshalb ist unsere Position: lieber kein Deal als ein schlechter Deal. Und das bei der Doha-Runde ein schlechter Deal rauskommen wird, gilt bei NRO und sozialen Bewegungen als sicher. Wir befürchten, dass es nicht nur zu Lasten von Kleinbauern, sondern auch von Beschäftigten weltweit, von marginalisierten Gruppen wie Frauen oder auch Landlosen geht. Deshalb diese klar ablehnende Haltung: WTO stoppen oder auch Hongkong platzen lassen.
Aus: Neues Deutschland, 27. Juli 2005
Attac: Gerechter Handel statt Marktliberalisierung muss auf die WTO-Agenda
"Doha-Runde" mehr für Konzerne als für Entwicklung?
Eine Presseerklärung von attac Österreich
Die angestrebte Marktliberalisierung in der Landwirtschaft, bei den
Industriegütern (NAMA) und den Dienstleistungen (GATS) macht weltweit
ArbeitnehmerInnen, BäuerInnen und KonsumentInnen zu VerliererInnen.
Gewinner des weltweiten Abbaus von Schutzmassnahmen sind die Multis. Sie
profitieren von der globalen Konkurrenz die Lohn-, Produktionskosten und
Umweltstandards senkt. "Marktzugang ist angesichts der Kontrolle vieler
Produktionsbereiche durch eine Handvoll Konzerne vor allem in deren
Interesse", erklärt Alexandra Strickner von Attac Österreich im Vorfeld
des Gipfels.
Von 27. bis 29. Juli findet in Genf das Treffen des Allgemeinen Rates
der WTO statt. Bereits fünf Monate vor der nächsten Ministerkonferenz
wollen die WTO-Verhandler Festlegungen in wichtigen Verhandlungspunkten
erreichen. Das Ministerkonferenz-Treffen in Hongkong soll bloß mehr der
Berichtslegung dienen. "Der Verhandlungsprozess wird zunehmend
informeller und die wichtigen Handelspartner versuchen, insbesondere im
Bereich Landwirtschaft - in kleinen Schritten Übereinkommen zu
erarbeiten, ohne dafür im Anschluss einen breiten Zustimmungsprozess
organisieren zu müssen", so Strickner.
Parallel zum Generalrat treffen sich rund 300 AktivistInnen aus der
ganzen Welt, um die aktuellen Verhandlungen zu verfolgen und Druck auf
die Verhandler auszuüben. Sie werden im Generalrat der Völker, der von
einer Koalition des Attac-Netzwerks, entwicklungspolitischen NGOs und
Bauernvereinigungen getragen wird, die aktuellen Vorschläge und
Alternativen für einen gerechten Welthandel diskutieren. Mit Aktionen,
Diskussionen und einem Kulturfestival soll das Thema stärker in der
Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Das Treffen steht unter dem
Motto: "Stoppen wir die Konzernherrschaft in der WTO".
Während die Verhandlungen in der Landwirtschaft stagnieren, versuchen
die Industrieländer Druck auf die Entwicklungsländer auszuüben, um
Marktöffnungszugeständnisse im Bereich Industriegüter- und
Dienstleistungsmärkte zu erreichen. Die geforderte massive Senkung der
Industriegüterzölle hätte zerstörerische Folgen auf die Industrien der
Entwicklungsländer, da nicht alle ausreichend konkurrenzfähig sind.
Geschichtlich gesehen haben die nun wirtschaftlich erfolgreichen
Industrieländer ihre Industrien unter Nutzung zum Teil hoher Zölle
aufgebaut. Diese Möglichkeit wollen sie jetzt Entwicklungsländern mit
dem Freihandelsargument vorenthalten. Attac fordert deshalb einen
vorläufigen Stopp der Industriegüter- und Dienstleistungsverhandlungen.
Im Agrarbereich unterstützt Attac die Forderung auf Basis des
Menschenrechts auf Nahrung, dass jedes Land die Möglichkeit haben muss,
seine eigene Landwirtschaft im Sinne der Ernährungssicherheit vor
Billigimporten zu schützen. "Handel muss gerecht sein und sich an den
Menschenrechten, dem Recht auf Nahrung, Bildung, Gesundheit orientieren.
Mit dem in der WTO propagierten Freihandel können keine
Entwicklungsziele erreicht werden", meint Strickner abschließend.
Rückfragen:
Attac Österreich Presse, Beatrix Beneder
Tel. +43 (0) 1 544 00 10
mobil +43 (0) 676 537 98 95
presse@attac.at
Quelle: Homepage von attac Österreich: www.attac.at
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