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Kompromiss bei WTO-Konferenz

Indien und die USA einigten sich auf Kompromissformel. NGO-Vertreter sehen diese kritisch

Von Andreas Behn, Nusa Dua *

Die Frage der Ernährungssouveränität war bei den WTO-Freihandelsgesprächen am umstrittensten. Der gefundene Kompromiss ist vor allem für arme Staaten ungünstig.

Nach vier langen Verhandlungstagen zeichnete sich am Freitagabend ein Durchbruch bei der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) auf der indonesischen Insel Bali ab. Indien und die USA hätten sich auf einen Kompromiss in der Frage der Ernährungssicherheit geeinigt, verlautete aus Delegationskreisen. Lediglich Pakistan habe noch Vorbehalte.

Diese Frage galt als umstrittenster Punkt des sogenannten Bali-Pakets. Dieses umfasst drei Teilaspekte der 2001 in Doha gestarteten Verhandlungsrunde: Handelserleichterungen durch vereinfachte Zollrichtlinien, Veränderung der Subventionsrichtlinien im Agrarbereich und Ausnahmeregelungen für die ärmsten Staaten. Die Doha-Runde wurde vor allem wegen Differenzen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bisher nicht abgeschlossen.

Bis Redaktionsschluss konnten sich die Delegationen aus den rund 160 Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation allerdings noch nicht offiziell auf einen gemeinsamen Text einigen. Es gebe immer noch Streitpunkte in zwei von den insgesamt zehn beratenen Texten, sagte WTO-Sprecher Keith Rockwell. Die Verhandlungen würden wohl erst am Samstagmorgen beendet sein.

Indien beharrte in Bali darauf, dass sein Programm zur Ernährungssicherheit mit staatlich festgelegten Preisen für Käufe und Verkäufe nicht unter das bisher gültige Subventionsverbot der WTO fallen dürfe. Industriestaaten, aber auch einige Schwellenländer sehen darin marktverzerrende Subventionen, die ihre Exporte beeinträchtigen und auch den inländischen Markt beeinflussen könnten. Der Kompromiss vom Freitag bezieht sich offenbar auf die Formulierung der sogenannten Friedensklausel – demnach würden Indiens Subventionen für Grundnahrungsmittel während der nächsten vier Jahre keine Sanktionen nach sich ziehen.

Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, die als Beobachter vor Ort sind, werten die Einigung als nur sehr begrenztes Entgegenkommen gegenüber der indischen Forderung. Die Ausnahmeregelung, die Subventionen für Agrarprodukte erlaubt, betrifft lediglich schon laufende Programme zur Ernährungssicherung. Damit wären ähnliche Initiativen anderer Staaten ausgeschlossen. Zudem würde das indische Programm strengen WTO-Kontrollen unterworfen, um zu verhindern, dass subventionierte Produkte in Nachbarstaaten zu Billigpreisen verkauft werden.

Bezüglich der vierjährigen Friedensklausel, die Indien zuvor als zu kurzen Zeitrahmen abgelehnt hatte, wird hinzugefügt, dass bis 2017 eine definitive Lösung gefunden werden müsse. Sollte dies nicht gelingen, hänge es von der jeweiligen Interpretation ab, ob die Interimslösung weiterhin gilt oder ein Verbot der Subventionen greift.

Mit dem Kompromiss zur Nahrungsmittelsubventionen wurde auch der letzte von zehn Texten des Bali-Pakets den Delegierten zur Abstimmung vorgelegt. Die einzelnen Bestimmungen treten erst nach der Zustimmung zu allen Einzelthemen in Kraft. Trotz der optimistischen Stimmung und breiter Unterstützung für die Verhandlungsführung des brasilianischen WTO-Chefs Roberto Azevedo war ein Scheitern der Konferenz immer noch möglich.

Tobias Reichert von der Entwicklungs- und Umweltorganisation Germanwatch hält den Kompromiss für unzureichend: »Die WTO musste zwar das Recht auf Ernährungssicherung anerkennen. Doch die Einschränkung auf schon bestehende Programme bedeutet einen herben Rückschlag für die Länder, die in Zukunft mit staatlichen Mitteln gegen Hunger und Unterernährung vorgehen wollen«, so Reichert.

Mitglieder von sozialen Bewegungen demonstrierten am Freitag im Konferenzzentrum gegen die Freihandelspolitik der Welthandelsorganisation. Mit Plakaten und Sprechchören unterstützen sie die Haltung Indiens, das insbesondere von EU und USA für die tagelang stockenden Verhandlungen verantwortlich gemacht wurde. Mit Verweis auf den verstorbenen Nelson Mandela forderten sie Gerechtigkeit auch im globalen Handel. Die Wachstumsinteressen der Industriestaaten dürften nicht auf Kosten der armen Staaten durchgesetzt werden und deren Entwicklungschancen beeinträchtigen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 7. Dezember 2013


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