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"Durchbruch" in Bali – Arme müssen weiter hungern

WTO-Konferenz verabschiedet erstes multilaterales Handelsabkommen *

Mit Tränen in den Augen verkündete der brasilianische WTO-Chef Roberto Azevêdo am Wochenende den Konsens über das »Bali-Paket«. Es ist das erste multilaterale Handelsabkommen, auf das sich die Welthandelsorganisation seit ihrer Gründung im Jahr 1994 einigen konnte. Seit Dienstag hatten die zur Konferenz angereisten Delegationen aus den 159 Mitgliedstaaten Tag und Nacht verhandelt, nach einer Verlängerung bis Samstagmittag war es endlich soweit.

Der Durchbruch auf der »Insel der Götter« wurde in Wirtschaftskreisen einhellig begrüßt. Hunderte Milliarden Euro werde der Wegfall bürokratischer Schranken beim grenzüberschreitenden Warenverkehr jährlich einsparen, prophezeien Unternehmensverbände. Zudem ist damit die WTO gerettet, die mangels Konsensfindung bisher kaum Fortschritte in Sachen Freihandelsverträgen brachte. Stattdessen setzen immer mehr Staaten auf bi- und plurinationale Abkommen, bei denen viele Länder außen vor bleiben, die dafür aber oft noch unternehmensfreundlichere Richtlinien enthalten.

Für den Süden ist das Ergebnis der 9. Ministerkonferenz kein Grund zum Feiern. Zwar werden mehr Entwicklungshilfe versprochen und finanzielle Zuwendungen, um die aufwendige Umsetzung der Handelserleichterungen im Zollwesen umzusetzen. Doch beim wichtigsten Streitpunkt, der Ernährungssicherheit, bleibt alles beim alten. Nur Indien konnte für sich eine Ausnahmeregelung erhandeln. Für alle anderen Ländern, die Anti-Hunger-Programme planen, bleibt es beim WTO-Subventionsverbot. Sie dürfen keine Lebensmittelreserven zu staatlich festgelegten Preisen bilden.

Auch Indien muss sich an enge Grenzen halten: Es darf sein Programm nicht auf andere Produkte ausweiten und wird scharfen WTO-Kontrollen unterworfen. Für die Kleinbauern ist das eine schlechte Nachricht.

* Aus: neues deutschland, Montag, 9. Dezember 2013


Weiter Business as usual

Warum die als Erfolg gefeierte WTO-Konferenz kaum wirkliche Verbesserungen bringt

Von Andreas Behn, Bali **


Die WTO ist in Bali einen kleinen Schritt in Richtung eines multilateralen Freihandels gerückt. Die bei der Konferenz beschlossene Ausnahmeregel für Indien ist indes kein Erfolg für die Länder des Südens.

Es war nicht einmal ein Kompromiss. Zwar konnte Indien eine dauerhafte Ausnahmeregel für sein Anti-Hunger-Programm durchsetzen. Davon abgesehen war der von allen Seiten gefeierte Abschluss des ersten größeren Freihandelsabkommens im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) business as usual: Handelsvorteile für den Norden und wohlklingende Versprechen an den Süden.

Indien, allseits als Blockierer der 9. Ministerkonferenz der WTO im indonesischen Bali gebrandmarkt, war kein Vorkämpfer für die Interessen der armen Länder. Aus nationalen Gründen – bald stehen Wahlen an – beharrte es auf seinem Programm zur Ernährungssicherheit, das aufgrund des Kaufs und Verkaufs von Lebensmitteln zu staatlich festgelegten Preisen die WTO-Subventionsregeln verletzt. Das nach China bevölkerungsreichste Land darf nun weiter billige Grundnahrungsmittel vertreiben, bis sich die WTO – einstimmig – auf eine allgemeine Lösung der Frage einigt.

Die Ausnahme im sogenannten Bali-Paket gilt aber nur für die Inder: Anderen Entwicklungsländer bleibt es auch in Zukunft verboten, die engen Grenzen für Agrarsubventionen zu überschreiten. Zudem darf Indien sein Programm nicht einmal auf weitere Lebensmittel ausweiten, und muss sich strengen WTO-Kontrollen unterwerfen, um zu verhindern, dass subventionierter Reis auf Umwegen andere Märkte oder die Interessen großer Agrarexporteure beeinträchtigt.

Heinz Fuchs vom christlichen Hilfswerk »Brot für die Welt« hält die Logik der WTO für fragwürdig. »Zu mehr als 70 Prozent tragen Kleinbauern weltweit zur Ernährungssicherung bei. Ihre Förderung durch Aufkauf von Nahrungsmitteln zu festgelegten Preisen wird aber von der WTO als Wettbewerbsverzerrung verboten«, kritisiert Fuchs.

Auch in anderen Punkten gibt es aus Sicht des Südens keine guten Nachrichten. Die Schwellenländer-Gruppe G20 konnte sich zum Beispiel nicht mit ihrem Vorschlag durchsetzen, die Senkung der Exportsubventionen im Agrarbereich verbindlich festzuschreiben. Obwohl die EU derzeit keine solchen Subventionen mehr anwendet, kritisiert Tobias Reichert von der Nichtregierungsorganisation »Germanwatch«, dass »die Industrieländer sich weiterhin die Möglichkeit vorbehalten, Exportsubventionen für ihre Landwirtschaft jederzeit wieder einzuführen«.

Auch das Maßnahmenbündel, mit dem die Wirtschaften in den ärmsten Ländern (LDC) gestärkt werden sollen, ist mager. Zwar können die LDC-Staaten mit mehr Unterstützung und finanziellen Hilfen rechnen, doch ihr Umfang entspricht nicht dem Ausmaß der Armutsprobleme, kritisiert Alexis Passadakis von Attac-Deutschland. »Im Gegensatz zu anderen Passagen des Bali-Pakets ist das LDC-Abommen nicht verbindlich.« Es sei zu befürchten, dass vieles davon wie in der Vergangenheit nur schöne Absichtserklärungen bleiben, so Passadakis.

Der entscheidende Aspekt des Bali-Pakets ist, dass nun bürokratische Handelshemmnisse im grenzüberschreitenden Warenverkehr verbindlich abgebaut und vereinheitlicht werden. Exportorientierte Industrie- und Schwellenländer versprechen sich davon Einsparungen in Höhe von hunderten Milliarden Euro jährlich. Ein großer Erfolg für die reicheren Länder, der aber bestimmt einen Entwicklungsschub in den ärmeren Ländern auslösen wird. Damit bleibt die Frage aktuell, warum die 2001 eingeläutete Doha-Verhandlungsrunde, deren erstes konkretes Ergebnis das Bali-Paket ist, immer noch »Entwicklungsrunde« genannt wird.

Der brasilianische WTO-Chef Roberto Azevêdo betonte, dass der Bali-Konsens erst der Anfang sei. In den kommenden Jahren werde die Organisation alles dafür tun, die verbleibenden Themen der Doha-Runde in multilateralen Abkommen zu fixieren. Dabei geht es unter anderem um Zollsenkungen für Industrie- und Agrarprodukte sowie den Handel mit Dienstleistungen. Angesichts dieser Agenda sei das Bali-Paket nur ein kleiner Schritt hin zu multilateralem Freihandel, erklärte Tobias Reichert von Germanwatch. »Aus finanzieller Sicht umfassen die hier vereinbarten drei Teilaspekte weniger als fünf Prozent der Summen, die in der Doha-Runde zur Debatte stehen.«

** Aus: neues deutschland, Montag, 9. Dezember 2013


Nur ein Punktsieg

WTO-Kompromiß auf Bali

Von Wolfgang Pomrehn ***


Nun wurde also doch ein Abschluß erreicht. Mit 14 Jahren Verzögerung haben sich die 159 Mitglieder der Welthandelsorganisation WTO auf ein neues Freihandelsabkommen geeinigt. 14 Jahre lang konnten soziale Bewegungen und der zähe Widerstand vieler Entwicklungs- und Schwellenländer eine weitere Welle der Liberalisierung des Welthandels verhindern. Gewaltige Demonstrationen und hartnäckige Lobbyarbeit sozialer Bewegungen aus vielen sogenannten Entwicklungsländern bei ihren jeweiligen Regierungen hatten 1999 im US-amerikanischen Seattle den Ausschlag gegeben. Die hochtrabenden Ambitionen der westlichen Industriestaaten, nicht zuletzt Deutschlands, zerstoben. Seattle wurde zu einem der Geburtsorte der globalisierungskritischen Bewegung und das vorläufige Scheitern der WTO-Verhandlungen zu einem ihrer ersten Siege.

14 Jahre später ist dieses Abkommen doch noch zustande gekommen. Aber ist damit der Kampf nun endgültig vorbei? Sicherlich nicht. Allerdings ist es einer der großen Siege der Exporteure in Westeuropa, den USA und einiger weiterer Länder, daß nun erstmals auch der Agrarsektor im Rahmen der WTO Liberalisierungsvorgaben unterworfen wird. Und zwar auf eine höchst einseitige Art und Weise. Für die großen agrarindustriellen Exporteure weltweit wird der Marktzugang erleichtert und die den Außenhandel verzerrenden Baumwollsubventionen der USA und Agrarsubventionen in der EU bleiben unangetastet. Staatliche Zuschüsse für Nahrungsmittel wollen die USA hingegen unterbinden. Damit scheiterten sie jedoch, weil diese Pläne in Indien für einen Aufschrei sorgten. Nun gibt es eine Übergangslösung, und der Streit um Freihandel oder Sicherung der Ernährung wird weitergehen.

Alles in allem war Bali also ein Punktsieg für den Freihandel, für jene Politik, die die Weltwirtschaft mittels internationaler Verträge ganz den Bedürfnissen der großen Konzerne anpassen will. Andererseits zeigt das Beispiel der sozialen Bewegungen Indiens erneut, daß dieses Vorhaben bei den meisten Menschen erstens ziemlich unpopulär ist und zweitens mit starken Protesten auch aufgehalten werden kann. Und für die gibt es immer wieder Anlässe. Unter anderem müssen die in Bali vereinbarten Verträge ja noch in 159 Staaten sowie in der EU ratifiziert werden, bevor sie in Kraft treten können. Und auch die Verhandlungen über ein bilaterales Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU, die seit Juli hinter verschlossenen Türen laufen, werden sicherlich nicht ohne starken Widerstand der Bevölkerung über die Bühne gehen. Ein Vorläufer dieses geplanten Abkommens, das sogenannte MAI (Multilateral Agreement on Investment), scheiterte in den späten 1990er Jahren vor allem an starken Protesten in Kanada und Frankreich. Nichts spricht dafür, daß es für die Regierungen diesmal einfacher werden wird.

*** Aus: junge welt, Montag, 9. Dezember 2013


UNO statt WTO

Andreas Behn über den Abschluss der WTO-Konferenz in Bali ****

Die Welthandelsorganisation hat erneut deutlich gemacht, dass für sie Nahrungsmittelsicherheit vor allem ein Handelshemmnis ist. Lebensmittel zu staatlich festgesetzten Preisen zu kaufen und sie Not leidenden Menschen oder in Krisenzeiten günstig zur Verfügung zu stellen, ist nach Freihandelsregeln nach wie vor verboten.

Dieses Ergebnis der WTO-Ministerkonferenz von Bali geht schnell unter, wenn namenlose Experten von 21 Millionen neuen Jobs oder bis zu einer Billion US-Dollar Handelseinsparungen reden. Zweifelslos wird das am Samstag verabschiedete »Bali-Paket« bürokratische Handelshemmnisse abbauen und Kosten einsparen. Interessiert daran sind aber vor allem exportorientierte Industrie- und Schwellenländer. Für die ärmeren Staaten hat das erste multilaterale Freihandelsabkommen dagegen wenig zu bieten.

Dass es nur Indien in Bali gelang, für sein subventioniertes Programm zur Ernährungssicherheit eine zeitliche Ausnahmeregelung durchzusetzen, ist völlig unzureichend. Andere Länder, die solche Maßnahmen gegen Hunger ergreifen wollen, bleiben außen vor, obwohl die Vereinten Nationen das Recht auf Nahrung anerkennen.

WTO-Kritiker aus sozialen Bewegungen haben recht, wenn sie fordern, dass die Landwirtschaft generell aus Freihandelsverhandlungen ausgenommen werden sollte. Ernährungssicherheit sollte nicht auf WTO-Ebene verhandelt werden, sondern im Rahmen der UNO, wo neben Handelsinteressen auch Menschenrechte ein Kriterium sind.

**** Aus: neues deutschland, Montag, 9. Dezember 2013 (Kommentar)


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