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Vorsicht, alpiner Erdrutsch!

Vor dem G-7-Gipfel: Russlands Präsident darf nicht nach Elmau, und die Kanzlerin wird zerlegt

Von Willy Wimmer *

Was soll es mit dem Treffen der Reststaatschefs zum Hochsicherheitsgipfel im bayerischen Elmau überhaupt auf sich haben? Nicht nur, dass Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Anfall von politischem Schwachsinn ausgeladen worden ist. In einem Europa, das um den letzten Funken für seinen Frieden ringt, wäre seine Teilnahme nötiger denn je gewesen. Wer nicht mehr miteinander reden will, der versucht, demnächst aufeinander zu schießen. Das wurde bei den Feierlichkeiten zum Kriegsende vor 70 Jahren am 8. und 9. Mai überdeutlich. Die einen veranstalten Paraden und wollen eigentlich eine vernünftige Perspektive für ihr Land. Die anderen führen seit 1999 ununterbrochen Krieg, legen die Nachbarregion für die Russische Föderation und damit für uns Europäer in Schutt und Asche und organisieren über gewaltige Migrationswellen den Umbau unserer Gesellschaften. Das ist »Kriegsrat«, der auf Schloss Elmau in wenigen Wochen abgehalten wird, und nur die Teilnahme von Präsident Putin könnte dem Treffen einen darüber hinausgehenden Sinn verleihen.

Putin fehlt, und die Gastgeberin mitsamt ihren Führungsleuten wird derzeit zerlegt. Rache für »Minsk II« und die bisherige Rettung Deutschlands vor den Wirkungen des Finanz-Tsunamis nach dem Zusammenbruch von Lehman-Brothers im Jahre 2008? Die gebetsmühlenartig vorgenommenen Bereicherungsempfehlungen durch den Finanzmagnaten George Soros, dem Kapitalgeber für Veränderungen jeder Art auf dem europäischen Kontinent, und die erklärte Unzufriedenheit der US-amerikanischen Administration mit der haushaltspolitischen Solidität der von Angela Merkel geführten Bundesregierung haben das seit Jahr und Tag deutlich gemacht.

»Minsk II« und die gemeinsame Aktion von Frankreichs Präsident François Hollande und Kanzlerin Angela Merkel haben fürs erste einen Schießkrieg zwischen Ost und West in Europa aus Anlass des Kiewer Putsches verhindert. Der Cowboypolitik im Stile eines Senators John McCain wurde ein erster und vielleicht haltbarer Riegel vorgeschoben. Dauerhaft? Wer die amerikanischen Bemühungen seit langem beobachtet und den Griff nach der Globalkontrolle sieht, der wird daran zumindest zweifeln. Der Widerstand gegen den nächsten Krieg, der sich in Minsk gezeigt hat, dürfte doch noch aus dem Weg zu räumen sein.

Wer die Lage nüchtern beurteilt, staunt seit Jahr und Tag darüber, dass namhafte deutsche Presseorgane den Eindruck einer objektiven Berichterstattung dadurch zu erwecken versuchen, indem sie auf »Netzwerke investigativer Journalisten« mit Hauptquartieren in Washington zu verweisen versuchen. Eigentlich ein Grund, über so viel Unverfrorenheit zu schmunzeln. Wer heute den Namen der amerikanischen Hauptstadt Washington im Munde führt, der muss zwangsläufig an die NSA und mehr als 20 weitere amerikanische Geheimdienste, bis hin ins Außenministerium denken. Dann wundert es auch nicht mehr, wie man an Aufklärung kommt oder kommen könnte. Instrumentalisierung, wohin man blickt oder blicken muss.

Rechtzeitig vor dem Treffen in Elmau wird über Pressekampagnen, die den Kolonialstatus Deutschlands decouvrieren, der zentrale Aspekt für das Ansehen der Bundeskanzlerin und ihre Umfragerekorde in schwierigster Zeit zerlegt: die persönliche Glaubwürdigkeit. Eigentlich müssten alle öffentlichen Erklärungen aus dem Bundeskanzleramt seit Jahren zu dem gnadenlosen Ausspähen Deutschlands durch »die Freunde« geschreddert werden, weil sie der Wirklichkeit nicht mehr standhalten. Ohnmacht ist die Folge und die Frage im Volke, in was uns diese Regierung unter Führung von Frau Dr. Merkel sonst noch hineingeritten hat. Es trifft die Kanzlerin aber nicht alleine. Mit der Wucht einer Schrapnelladung werden ihre Kabinettsstützen von Thomas de Maiziere bis Ursula von der Leyen derzeit zerlegt und damit die Frage gleichzeitig beantwortet, ob es einen Ersatz aus den eigenen Merkel-Reihen geben kann, wenn die Kanzlerin politisch Schloss Elmau und den Sommer nicht überstehen sollte. Unser Land will gewiss nicht so regiert werden, wie Ministerin von der Leyen ihr Ministerium führt.

Die SPD agiert jetzt schon »à fonds perdu« bezogen auf das Schicksal dieser Regierung. Das macht sie in der Gewissheit, rechnerisch die Dinge in den Griff bekommen zu können. Hier greifen die Räder ineinander, und die Räder werden nicht in Berlin geschmiert.

Der CDU-Politiker Willy Wimmer gehörte 33 Jahre dem Bundestag an. Zwischen 1985 und 1992 war er verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU und dann Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung. Von 1994 bis 2000 war er Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. Mai 2015


Seelsorger und Straßensperren

Vorbereitungen für G-7-Gipfel auf Schloss Elmau in vollem Gang. Protestbündnis soll sich präventiv von Gewalt distanzieren

Von Claudia Wangerin **


Polizeiseelsorger aus dem gesamten Bundesgebiet sollen sich während des G-7-Gipfels in Elmau um das geistige Wohl der eingesetzten Beamten kümmern. Dies meldete am Dienstag der Bayerische Rundfunk unter Berufung auf den Evangelischen Pressedienst. »Diese Seelsorger sollen deutlich sichtbar präsent sein und sich auch immer wieder zu den Beamten in die Absperrketten stellen«, wurde Oberkirchenrat Detlev Bierbaum zitiert. Rund 30 religiöse Betreuer sind demnach für eine fünfstellige Anzahl Schäfchen abgestellt, denen nicht nur von seiten »linker Chaoten« Missmut entgegenschlägt. Auch konservative Anwohner der oberbayerischen Touristenregion werden in ihrem Alltag beeinträchtigt, wenn sich die sieben Staatsoberhäupter aus den USA, Kanada, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und Japan am 7. und 8. Juni im Schlosshotel Elmau treffen.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte Anfang Mai im Landtag von »nur« bis zu 17.000 Polizisten gesprochen, die den G-7-Gipfel schützen sollen – die Einsatzkräfte der Bundespolizei und des Bundeskriminalamts hatte er zwar erwähnt, allerdings noch nicht mitgezählt. Insgesamt sollen es deutlich mehr als 20.000 Beamte sein. Bereits jetzt steht an jeder Ecke Polizei, Gullideckel wurden verschweißt und Feldwege gesperrt. Bereits ab dem 30. Mai soll ein Betretungsverbot für die Sicherheitszone um Schloss Elmau gelten, das bei Klais am Eingang des Elmauer Hochtals liegt. Vom Gipfelstress betroffen ist aber ein wesentlich größeres Gebiet. Die Bundesstraße 2 von Garmisch-Partenkirchen nach Mittenwald wird vom 6. bis zum 8. Juni für Normalsterbliche nicht befahrbar sein, die Durchfahrt ist nur mit »triftigem Grund« erlaubt. Der überregionale Verkehr soll in diesem Bereich komplett umgeleitet werden. Anwohner sollen sich laut Polizeichef Wilhelm Schmidbauer am besten frühzeitig bei den Bürgerbüros informieren, wenn sie an den Tagen die Strecke befahren müssen. Auch die Bahnstrecke Garmisch-Mittenwald wird während des Gipfels gesperrt.

Die bevorstehenden Einschränkungen waren gegenüber den Anwohnern lange heruntergespielt worden. So stieß Benjamin Ruß vom Aktionsbündnis »Stop G7 Elmau« bei einer Podiumsdiskussion mit den betroffenen Gemeindebürgermeistern Sigrid Meierhofer (SPD) aus Garmisch-Partenkirchen und Thomas Schwarzenberger (CSU) aus der im Landkreis gelegenen Gemeinde Krün vergangene Woche beim Publikum keineswegs nur auf staatstragende Ablehnung. Die Bevölkerung der Region sei in großen Teilen wertkonservativ, lasse sich aber nicht gern für dumm verkaufen, betonte Ruß am Dienstag gegenüber junge Welt. Dem Bündnis sei es wichtig, möglichst vielen zu vermitteln, warum die G-7-Staatschefs nicht für die ganze Welt sprechen können.

»Schon interessant, dass mir erst mal eine Frage zur Gewalt gestellt wird und die anderen über ihre positiven Eindrücke reden dürfen«, hatte sich Ruß bei der Podiumsdiskussion gegen die Stimmungsmache gewehrt, er solle sich doch erst mal präventiv von unfriedlichen Aktionsformen distanzieren. »Zwar werden wir ein Zusammentreffen mit der Polizei nicht ausschließen können, aber von uns wird dabei keine Eskalation ausgehen, das sagen wir seit Wochen und Monaten«, so Ruß bei der Veranstaltung im Garmischer »Gasthof Schatten«. Anders als in einem Bericht des Münchner Merkur suggeriert, zeigt ein Videomitschnitt der Podiumsdiskussion, dass Ruß für seine Beiträge Applaus bekam.

Für ein Protestcamp im Norden Garmisch-Partenkirchens konnte das Aktionsbündnis ein 7.000 Quadratmeter großes Gelände anmieten, obwohl Behördenvertreter empfohlen hatten, keine Grundstücke zu verpachten und sogar Bauern animiert wurden, die Äcker durch das Ausbringen von Gülle als Zeltplatz unbrauchbar zu machen. Der Besitzer der Campfläche in Garmisch habe nun Besuch von Polizeibeamten bekommen, die ihm mitgeteilt hätten, dass Drohungen gegen ihn vorlägen, sagt Ruß.

Das Bündnis ruft zu Aktionen des zivilen Ungehorsams in Form von Blockaden auf, nicht aber zur Gewalt. Zugunsten des nordrhein-westfälischen »Stop G7«-Bündnisses hat das Düsseldorfer Verwaltungsgericht entschieden, dass solche Aufrufe zulässig sind: Am Freitag nahm die zuständige Polizeibehörde deshalb das Verbot eines Blockadetrainings zurück.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. Mai 2015

Elmau: Gefährlicher Rentner

Es ist vielleicht nachvollziehbar, dass sich die G-7 in Schloss Elmau vor zudringlichen Journalisten abschotten wollen. Dass sie vor wahlweise linken, islamistischen, naturschützenden, globalisierungskritischen oder anderen »Terroristen« beschützt werden sollen, gerade auch noch. Aber welche Gefahr geht von einem 83jährigen aus, der seit 50 Jahren in einem kleinen Häuschen direkt neben der Nobelherberge lebt?

Wie die Süddeutsche Zeitung vor einigen Tagen berichtete, genießt Gerhard H. lebenslanges Wohnrecht auf dem Hotelgrundstück. Der Senior hatte über Jahrzehnte als Elektriker in Schloss Elmau gearbeitet, seine inzwischen verstorbene Frau war die Sekretärin des Direktors. Als sie in Ruhestand gingen, gewährten ihnen die Hoteleigentümer das Wohnrecht in dem kleinen Häuschen, das direkt am Fußweg zwischen den beiden Gebäuden des Hotels liegt. Versorgt wird er gewöhnlich aus der Hotelküche.

Doch das BKA hat das gesamte Grundstück und das umliegende Gebiet zur Hochsicherheitszone erklärt und wittert in dem alten Herrn eine Gefahr für Barack Obama, Angela Merkel und Konsorten. Deshalb soll H. in ein Altersheim umziehen. Der kann den Aufwand nicht verstehen und fürchtet zudem, dass er anschließend nicht wieder nach Hause darf.

Wer auf dem Auszug des alten Herrn besteht, ist unklar – Polizei, Geheimdienst, Protokoll? »Vielleicht fürchtet jemand, dass ich wen blöd anrede«, vermutete H. im Gespräch mit der SZ. Er selbst spreche aber nie die Gäste an, das komme höchstens umgekehrt vor: »Manche sind froh, dass sie mit jemand ganz Normalem reden können.« Das bleibt den »Großen Sieben« ja nun zum Glück erspart. (scha)




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