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25 000 Polizisten beim Gipfel mit "niedriger Einschreitschwelle"

Behörden kündigen hartes Vorgehen gegen renitente Demonstranten an - Bundeskriminalamt will mit Hilfe der Geheimdienste im Vorfeld 10 000 Menschen überprüfen

Von Fabian Lambeck *

Gipfel auf Bayerisch: Die Polizeiführung gibt sich dialogbereit, betont aber gleichzeitig, gegen Störer präventiv vorgehen zu wollen. Eine ähnliche Strategie sorgte in Heiligendamm 2007 für massive Kritik.

Die deutschen Sicherheitsbehörden bauen im Vorfeld des G7-Gipfels am 7. und 8. Juni ein Bedrohungsszenario auf, das vermuten lassen könnte, im Schloss Elmau kommen die sieben schlimmsten Despoten der Welt zusammen. Rund um den Tagungsort der Chefs der ehemals wichtigsten Industrienationen sollen rund 25 000 Polizisten im Einsatz sein. Selbst wenn, wie von den Behörden erwartet, rund 10 000 Gipfelgegner ins Alpenvorland kommen, bleibt das Zahlenverhältnis ein totalitäres. Auf einen Demonstranten kommen mehr als zwei Beamte in Uniform. Zustände wie in Usbekistan, möchte man meinen. Die politisch Verantwortlichen verweisen auf die teilweise gewalttätigen Proteste gegen die Eröffnung der neuen Frankfurter EZB-Zentrale im März. Die bayerische Polizei erwartet angeblich Hunderte Gefährder.

Der zuständige Polizei-Einsatzleiter Robert Heimberger kündigte am Freitag an, die Polizei werde gegen gewaltbereite Protestler »konsequent und mit niedriger Einschreitschwelle« vorgehen. Diese Formulierung wirft Fragen auf. Wenn Polizisten mit »niedriger Einschreitschwelle« vorgehen, heißt das, sie werden aktiv, bevor es zu Gewalttaten kommt? Auch beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 wurden Hunderte friedlicher Globalisierungskritiker quasi vorsorglich in Gewahrsam genommen und in große Käfige gesperrt.

Auf überraschende Ingewahrsamnahmen müssen sich wohl auch die Teilnehmer des Sternmarsches Richtung Schloss Elmau einstellen. Das Landratsamt Garmisch-Partenkirchen genehmigte inzwischen den Protestmarsch. Allerdings dürften die Demonstranten bei dem Marsch am 7. Juni von Klais und Mittenwald Richtung Tagungsort nicht bis an das Schloss heran, sagte Landrat Anton Speer. Zuvor hatte das Landratsamt eine Demonstration mit bis zu 10 000 Menschen am 6. Juni und kleinere Kundgebungen erlaubt.

Polizeipräsident Heimberger betonte gegenüber dem »Focus«, die Polizei setze beim Treffen der Staats- und Regierungschefs auf den Dialog mit friedlichen Demonstranten. Dafür kämen 150 besonders geschulte Kommunikationsbeamte zum Einsatz. »Einen offensichtlichen Missbrauch der Versammlungsfreiheit wird die Polizei jedoch nicht dulden und lageorientiert einschreiten«, unterstrich Heimberger. Er zog auch gleich rote Linien: Sollte das Bündnis von »Stop G7 Elmau« am Montag ohne Genehmigung mit dem Aufbau eines Protestcamps beginnen, werde die Polizei das verhindern. Die Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen hatte das geplante Protestcamp untersagt, weil das Gelände angeblich hochwassergefährdet ist. Heimberger fügte hinzu, dass die Polizei auch eine Blockade der Hauptstraße B2 nicht dulden werde.

Hilfe erhält der oberbayerische Polizeipräsident dabei aus Österreich. Die südlichen Nachbarn stellen für den Gipfel mehr als 2000 Polizisten ab, darunter auch 24 Spezialisten der Anti-Terror-Eliteeinheit »Cobra«. Nach Angaben der österreichischen Polizeiführung sollen die Kräfte im grenznahen Mittenwald konzentriert werden. Danach geht es für die Polizisten weiter nach Tirol, wo sie vom 10. bis zum 14. Juni die Bilderberg-Konferenz schützen müssen. Das streng geheime Treffen der globalen Eliten findet in diesem Jahr im Tiroler Telfs statt.

Die Österreicher verstärken somit die ohnehin schon eindrucksvolle deutsche Polizeipräsenz. Rund um Elmau sind 17 000 Beamte aus Bayern und anderen Bundesländern im Einsatz. Außerdem vor Ort sind bis zu 5000 Beamte der Bundespolizei sowie Hunderte Beamte des Bundeskriminalamts. Von diesem Samstag an wird ein Sicherheitsgürtel von 16 Kilometern Länge um das Schloss abgeriegelt. Das Gebiet ist dann für die Öffentlichkeit gesperrt. Seit Dienstag gibt es Grenzkontrollen; die Bundespolizei hielt dabei vor allem Flüchtlinge auf, bisher wurden rund 450 »unerlaubt Eingereiste« gezählt.

Wer in die Nähe des Tagungsortes will, muss sich durchleuchten lassen. Das Bundeskriminalamt will im Vorfeld rund 10 000 Menschen überprüfen. Betroffen sind alle Dienstleister, Organisatoren und Medienvertreter, die sich für den Zutritt zu einem der Sicherheitsbereiche rund um den Gipfel akkreditiert haben. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Dieter Janecek hervor. Es sei mit einem »Aufkommen von etwa 10 000 zu überprüfenden Personen zu rechnen«, heißt es in dem Schreiben. In die Auswertung sollen auch das Bundesamt für Verfassungsschutz und das bayerische Landeskriminalamt einbezogen werden. »Zum Abgleich in dortigen Dateien«, wie es heißt. Ausländische Behörden oder Geheimdienste sollen laut Bundesregierung keinen Zugriff auf die Daten erhalten. Im Lichte des NSA-Skandals ist das natürlich eine mutige Behauptung.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 30. Mai 2015


Gefährliche Proteste

Markus Drescher über einen Vorgeschmack auf den Polizeistaat G8 **

Wer sich in der nächsten Woche aufmacht nach Bayern, um dort gegen die Politik der G7-Staaten zu protestieren, beweist Mut. Und das ist bedenklich. Denn die Entscheidung, auf die Straße zu gehen, darf nicht davon abhängen, dass man bereit ist, sich tausenden martialisch ausgerüsteten Polizisten und schon im Vorfeld absehbarer Repression auszusetzen. Und daran, dass es ziemlich ungemütlich werden könnte für die G7-Gegner, lassen die zuständigen Politiker und Behörden in Bayern seit Wochen keine Zweifel: Rhetorisch, materiell und personell wird gegen »Gewaltbereite« mobil gemacht. Diese Strategie - nicht nur jetzt beim G7-Gipfel, hier aber besonders deutlich - ist nichts anderes als die Einschränkung der Versammlungsfreiheit über die Schaffung eines Klimas der Angst.

Und damit die in Zukunft noch größer wird, basteln auf den Vorstoß Hessens hin Innenpolitiker der Union an einer Verschärfung der Strafen für »tätliche Angriffe« auf Polizisten. Sechs Monate Freiheitsstrafe könnte es dafür in Zukunft mindestens (!) geben - kommen die Law-and-Order-Fetischisten mit ihren Vorstellungen durch. Dass es aber auf Demos nicht viel braucht (oft sogar überhaupt nichts), bis man sich plötzlich mit Festnahme, Gewahrsam und Anzeige konfrontiert sieht, ließe mit Sicherheit nicht wenige Menschen mehr als zweimal darüber nachdenken, ob nun womöglich riskanter Protest oder sicheres Zuhausebleiben ansteht. Sicher ist damit auch das Ende des Demonstrationsrechts.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 30. Mai 2015 (Kommentar)


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