Harter Gipfelkurs gegen Russland
USA-Präsident Obama sichert Ukraine vor G7-Treffen langfristige Hilfe zu
Von Olaf Standke *
Während Washington der Ukraine
am Mittwoch dauerhafte Unterstützung
garantierte, warnte man
Moskau massiv vor möglichen Angriffen
gegen NATO-Verbündete.
Auf dem diesjährigen Treffen der
»mächtigsten Industriestaaten«, das
am Mittwochabend in Brüssel begann,
fehlt Wladimir Putin. Dabei
sollte er doch Gastgeber für den turnusmäßigen
G8-Gipfel sein. Doch
nach Eingliederung der ukrainischen
Halbinsel Krim in die Russische Föderation
wurde die in Sotschi geplante
Tagung des exklusiven Clubs
abgesagt und Russland ausgeschlossen.
Trotzdem wird das Thema Ukraine
auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs
aus den USA, Kanada,
Japan, Großbritannien, Frankreich,
Italien und Deutschland ganz oben auf
der Tagesordnung stehen. Ob es sinnvoll
ist, dabei ausführlich über, aber
nicht mit Russland zu reden, darf aber
bezweifelt werden. In Moskau zeigte
man sich gelassen; über die Rückkehr
in das G8-Format denke der Kreml
derzeit nicht nach, ließ Putin-Sprecher
Dmitri Peskow wissen, schließlich
nehme man weiter an der Arbeit
der G20 mit den wichtigsten Schwellenländern
teil. So werde der Präsident
im November auch zum Gipfel
nach Australien reisen.
Besonders aufmerksam dürfte man
in Moskau jedoch das gestrige Treffen
zwischen Barack Obama und Petro
Poroschenko in Warschau verfolgt
haben. Der USA-Präsident sicherte
seinem Kiewer Amtskollegen umfangreiche
Unterstützung bei der Modernisierung
der Ukraine zu – nicht
nur kurzfristig, »sondern in den kommenden
Jahren«. Die wirtschaftliche
Zusammenarbeit und vor allem die
Kooperation im Energiebereich hätten
bei den Gesprächen im Mittelpunkt
gestanden, so Poroschenko. Wie
Kommissionspräsident José Manuel
Barroso ankündigte, sei auch die EU
unter bestimmten Bedingungen bereit,
vor Ende des Jahres eine internationale
Geberkonferenz für die fast
bankrotte Ukraine zu organisieren.
Zugleich sparte Obama vor seiner
Abreise zum G7-Gipfel nicht mit neuen
scharfen Vorwürfen gegen Moskau
und sprach von »dunklen Taktiken«
und »Aggression«: »Wir werden die
russische Okkupation der Krim und
die Verletzung der ukrainische Souveränität
niemals akzeptieren.« Und
wer einen Verbündeten angreife, greife
alle an, sagte er mit Bezug auf die
Bündnissolidarität in Artikel 5 des
NATO-Vertrages. Länder wie Polen,
Lettland, Estland oder Rumänien
würden einer Bedrohung niemals allein
gegenüberstehen. Seine neue Initiative
bedeute aber auch »verstärkte
Unterstützung für Freunde wie die
Ukraine, Georgien, Moldawien bei der
Gewährleistung ihrer Sicherheit.«
Scheinheilig nannte Putin das gegenüber
dem französischen Sender
TF1 und kritisierte den Versuch der
Obama-Regierung, Russland zu isolieren.
Während man selbst »fast keine
Soldaten im Ausland« habe, gebe
es »überall in der Welt US-Militärstützpunkte
und amerikanische Soldaten
Tausende Kilometer entfernt
von den eigenen Grenzen«. Immer
wieder mischten sich die USA in die
inneren Angelegenheiten anderer
Länder ein. Unzufrieden zeigte sich
Putin auch über Obamas Zögern, ihn
am Rande des Weltkriegsgedenkens
in Frankreich zu treffen.
Durch seine geplanten Einzelgespräche
mit dem französischen
Staatspräsidenten François Hollande,
Bundeskanzlerin Angela Merkel
und dem britischen Premier David
Cameron findet dort allerdings schon
jetzt eine Art »Mini-G8« statt. Eine
Begegnung mit Poroschenko während
der D-Day-Feierlichkeiten in der
Normandie ist bisher jedoch nicht
vorgesehen.
Brennende Themen gäbe es ja genug.
Dazu gehört aus Moskauer Sicht
auch die geplante Stationierung weiterer
NATO-Truppen in Osteuropa.
Diese Verstärkung destabilisiere die
Lage und verschlechtere die Beziehungen
zwischen Russland und
NATO weiter, sagte der Leiter der
Kreml-Verwaltung, Sergej Iwanow.
Dabei registriert man jedoch, dass
sich viele NATO-Staaten schwer tun
mit der Washingtoner Forderung
nach stärkerer Aufrüstung. Pentagon-
Chef Chuck Hagel hat die europäischen
Partner nach der Pakt-Tagung
am Mittwoch noch einmal
nachdrücklich aufgefordert, sich sehr
rasch zu höheren Militärausgaben zu
verpflichten.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. Juni 2014
Merkel droht Russland weitere Sanktionen an
Poroschenko prüft Verhängung von Kriegszustand für Ost-Ukraine
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat
von Russland stärkere Anstrengungen zur
Stabilisierung der Lage in der Ukraine gefordert.
»Was wir aktuell sehen, ist allenfalls ein
gemischtes Bild«, sagte sie am Mittwoch in einer
Regierungserklärung im Bundestag vor
Beginn des Gipfels der führenden westlichen
Industriestaaten (G7) in Brüssel. Zwar gebe
es von Moskau ermutigende Zeichen, etwa die
Präsidentenwahl in der Ukraine zu respektieren.
Präsident Wladimir Putin müsse aber
endlich seinen Einfluss in der Ostukraine geltend
machen, um der Gewalt durch Separatisten
Einhalt zu gebieten.
Die G7-Staaten treffen sich am Mittwoch
und Donnerstag in Brüssel erstmals seit 16
Jahren ohne Russland und damit nicht im Format
der G8. »Die G8 sind eben nicht nur eine
ökonomische Gemeinschaft, sondern sie sind
auch eine Gemeinschaft, die Werte teilt«,
meinte die Kanzlerin. Dazu gehöre die Achtung
des Völkerrechts. Merkel bekräftigte,
dass die westliche Politik einem »Dreiklang«
folge. Es gehe um Unterstützung der Ukraine
sowie um einen Dialog mit Russland, um eine
diplomatische Lösung zu finden. Sollten
Tendenzen der Einschüchterung in der Ukraine
nicht aufhören, sei die EU auch bereit,
weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen.
Die anschließende Debatte endete in
einem Eklat, als Abgeordnete der Grünen und
der LINKEN gegenseitig schwere Vorwürfe erhoben.
Den gewählten Präsidenten Petro Poroschenko
will Merkel am Donnerstag zu einem
Abendessen in Berlin empfangen.
Poroschenko kündigte gegenüber US-Präsident
Obama in Warschau für die Zeit nach
Amtsantritt eine Friedenslösung an. Zugleich
werde eine Verhängung des Kriegszustandes
über die östlichen Regionen Donezk und Lugansk
geprüft. Dort hielten die bewaffneten
Kämpfe an.
(neues deutschland, Donnerstag, 5. Juni 2014)
Russland ist nicht in der Rolle eines Domestiken
Moskauer Medien reagieren spöttisch bis verständnislos auf Vorhaltungen der G7-Staaten
Von Irina Wolkowa, Moskau **
Die westlichen Staaten spielen
Oberlehrer bei der »Menschenrechts-
Prüfung« für Russland. Das
ist der Tenor russischer Medien.
Anmaßend und noch dazu konfliktscheu.
So etwa lautet das Fazit russischer
Zeitungen zum G7-Gipfel.
»Unser Land und dessen Beziehungen
zur Ukraine zum Hauptthema«,
lästerte »Nowyje Iswestija«, »aber
ausgerechnet mit uns redet man dort
nicht«. Russland lasse mit sich nicht
umspringen wie mit Domestiken, die
man nach Belieben fortschicken und
dann wieder rufen könne, ätzte sogar
der kritische Radiosender Echo
Moskwy. Gemeint war der Beschluss,
wonach man Russlands G7-Mitgliedschaft
nur auf Zeit aussetzen
könne. Es gibt Alternativen, hämte
der Sender und meinte die G20-
Gruppe, wo zudem auf Moskau kein
Oberlehrer wartet, der die Reifeprüfung
für Menschenrechte abnimmt.
Derb langten auch der Kremlchef
und andere Politiker von Rang hin.
Nicht Russland, so Wladimir Putin,
der französischen Medien vor seinem
Abflug zur Teilnahme an den Feierlichkeiten
zum 70. Jahrestag der Landung
der Alliierten in der Normandie
ein Interview gab, habe die Ukraine-
Krise heraufbeschworen, sondern die
EU und USA mit ihrer Unterstützung
für einen »Staatsstreich«. Gemeint
war der gewaltsame Machtwechsel in
Kiew Ende Februar. Der frisch gewählte
ukrainische Präsident Pjotr
Poroschenko habe die einmalige
Chance, den Frieden wiederherzustellen.
Seine Hände seien bisher
nicht mit Blut befleckt.
Moskau, so Putin weiter, habe
»nicht die Absicht, sich durch Annexion
fremder Territorien zu entwickeln
und das Imperium wiederherzustellen
«. Statt Russland bewaffnete
Einmischung in die Entwicklungen in
der Ukraine vorzuwerfen, sollten Europa
und die USA reale Beweise dafür
vorlegen.
Der Westen, so auch Außenminister
Sergej Lawrow, gefalle sich in der
Rolle des Russland-Anklägers. Moskau
trage jedoch keineswegs »geopolitische
Rivalitäten in die internationalen
Beziehungen«, sondern sei
»aktiver Wortführer eines unabhängigen
Standpunktes in der modernen
Welt, der eine unabhängige Politik als
sein natürliches Recht betrachtet«.
Die NATO hingegen habe darauf hingearbeitet,
»den vom Westen kontrollierten
geopolitischen Raum bis an
die russischen Grenzen auszudehnen
«. Das aber, warnte der Chef des
Präsidentenamtes, Sergej Iwanow,
stehe in keinem Zusammenhang mit
realen Sicherheitsproblemen in der
Region. Diese lägen außerhalb Europas
und würden Russland wie den
Westen beunruhigen.
** Aus: neues deutschland, Freitag, 6. Juni 2014
Zurück in den Kalten Krieg
Olaf Standke über Obamas Bemühen, außenpolitische Stärke zu zeigen ***
Es sind Barack Obamas Tage der starken Worte. Am Mittwoch nun warf der
USA-Präsident seinem Moskauer Amtskollegen Wladimir Putin »Aggression«
und »dunkle Taktiken« vor, nachdem er schon zuvor die Entsendung zusätzlicher
Soldaten in die östlichen NATO-Staaten und damit bis nah an die russische
Grenze verkündet hatte. »Schulter an Schulter« würden die Vereinigten
Staaten mit den Bündnispartnern stehen, so, als wolle man in einen neuen
Krieg ziehen.
Obama, der von den Republikanern an der Heimatfront immer wieder
wegen seiner angeblich viel zu laschen Außenpolitik angegriffen wird, versucht
sich mit inszenierter Entschlossenheit sichtbar als »starker Mann« auf
der Weltbühne zu profilieren – auch mit Blick auf den zur G7 geschrumpften
Gipfel wichtiger Industriestaaten. Der globale Führungsanspruch der USA,
den er soeben in einer außenpolitischen Grundsatzrede bekräftigt hat, soll
auch mit einer Einschüchterungsstrategie gegenüber Russland durchgesetzt
werden. Dieses Zurück in den Kalten Krieg geht einher mit der Nötigung der
NATO-Partner zu deutlich höheren Militärausgaben, wie die parallele Pakt-
Tagung in Brüssel zeigt. Es ist genau jene gefährliche Politik neuer Blockbildung
in Europa, vor der deutsche Konfliktforschungsinstitute in ihrem Friedensgutachten
2014 gerade so nachdrücklich gewarnt haben.
*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. Juni 2014 (Kommentar)
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