Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Harter Gipfelkurs gegen Russland

USA-Präsident Obama sichert Ukraine vor G7-Treffen langfristige Hilfe zu

Von Olaf Standke *

Während Washington der Ukraine am Mittwoch dauerhafte Unterstützung garantierte, warnte man Moskau massiv vor möglichen Angriffen gegen NATO-Verbündete.

Auf dem diesjährigen Treffen der »mächtigsten Industriestaaten«, das am Mittwochabend in Brüssel begann, fehlt Wladimir Putin. Dabei sollte er doch Gastgeber für den turnusmäßigen G8-Gipfel sein. Doch nach Eingliederung der ukrainischen Halbinsel Krim in die Russische Föderation wurde die in Sotschi geplante Tagung des exklusiven Clubs abgesagt und Russland ausgeschlossen. Trotzdem wird das Thema Ukraine auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs aus den USA, Kanada, Japan, Großbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland ganz oben auf der Tagesordnung stehen. Ob es sinnvoll ist, dabei ausführlich über, aber nicht mit Russland zu reden, darf aber bezweifelt werden. In Moskau zeigte man sich gelassen; über die Rückkehr in das G8-Format denke der Kreml derzeit nicht nach, ließ Putin-Sprecher Dmitri Peskow wissen, schließlich nehme man weiter an der Arbeit der G20 mit den wichtigsten Schwellenländern teil. So werde der Präsident im November auch zum Gipfel nach Australien reisen.

Besonders aufmerksam dürfte man in Moskau jedoch das gestrige Treffen zwischen Barack Obama und Petro Poroschenko in Warschau verfolgt haben. Der USA-Präsident sicherte seinem Kiewer Amtskollegen umfangreiche Unterstützung bei der Modernisierung der Ukraine zu – nicht nur kurzfristig, »sondern in den kommenden Jahren«. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit und vor allem die Kooperation im Energiebereich hätten bei den Gesprächen im Mittelpunkt gestanden, so Poroschenko. Wie Kommissionspräsident José Manuel Barroso ankündigte, sei auch die EU unter bestimmten Bedingungen bereit, vor Ende des Jahres eine internationale Geberkonferenz für die fast bankrotte Ukraine zu organisieren.

Zugleich sparte Obama vor seiner Abreise zum G7-Gipfel nicht mit neuen scharfen Vorwürfen gegen Moskau und sprach von »dunklen Taktiken« und »Aggression«: »Wir werden die russische Okkupation der Krim und die Verletzung der ukrainische Souveränität niemals akzeptieren.« Und wer einen Verbündeten angreife, greife alle an, sagte er mit Bezug auf die Bündnissolidarität in Artikel 5 des NATO-Vertrages. Länder wie Polen, Lettland, Estland oder Rumänien würden einer Bedrohung niemals allein gegenüberstehen. Seine neue Initiative bedeute aber auch »verstärkte Unterstützung für Freunde wie die Ukraine, Georgien, Moldawien bei der Gewährleistung ihrer Sicherheit.«

Scheinheilig nannte Putin das gegenüber dem französischen Sender TF1 und kritisierte den Versuch der Obama-Regierung, Russland zu isolieren. Während man selbst »fast keine Soldaten im Ausland« habe, gebe es »überall in der Welt US-Militärstützpunkte und amerikanische Soldaten Tausende Kilometer entfernt von den eigenen Grenzen«. Immer wieder mischten sich die USA in die inneren Angelegenheiten anderer Länder ein. Unzufrieden zeigte sich Putin auch über Obamas Zögern, ihn am Rande des Weltkriegsgedenkens in Frankreich zu treffen.

Durch seine geplanten Einzelgespräche mit dem französischen Staatspräsidenten François Hollande, Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem britischen Premier David Cameron findet dort allerdings schon jetzt eine Art »Mini-G8« statt. Eine Begegnung mit Poroschenko während der D-Day-Feierlichkeiten in der Normandie ist bisher jedoch nicht vorgesehen.

Brennende Themen gäbe es ja genug. Dazu gehört aus Moskauer Sicht auch die geplante Stationierung weiterer NATO-Truppen in Osteuropa. Diese Verstärkung destabilisiere die Lage und verschlechtere die Beziehungen zwischen Russland und NATO weiter, sagte der Leiter der Kreml-Verwaltung, Sergej Iwanow. Dabei registriert man jedoch, dass sich viele NATO-Staaten schwer tun mit der Washingtoner Forderung nach stärkerer Aufrüstung. Pentagon- Chef Chuck Hagel hat die europäischen Partner nach der Pakt-Tagung am Mittwoch noch einmal nachdrücklich aufgefordert, sich sehr rasch zu höheren Militärausgaben zu verpflichten.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. Juni 2014

Merkel droht Russland weitere Sanktionen an

Poroschenko prüft Verhängung von Kriegszustand für Ost-Ukraine

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat von Russland stärkere Anstrengungen zur Stabilisierung der Lage in der Ukraine gefordert. »Was wir aktuell sehen, ist allenfalls ein gemischtes Bild«, sagte sie am Mittwoch in einer Regierungserklärung im Bundestag vor Beginn des Gipfels der führenden westlichen Industriestaaten (G7) in Brüssel. Zwar gebe es von Moskau ermutigende Zeichen, etwa die Präsidentenwahl in der Ukraine zu respektieren. Präsident Wladimir Putin müsse aber endlich seinen Einfluss in der Ostukraine geltend machen, um der Gewalt durch Separatisten Einhalt zu gebieten.

Die G7-Staaten treffen sich am Mittwoch und Donnerstag in Brüssel erstmals seit 16 Jahren ohne Russland und damit nicht im Format der G8. »Die G8 sind eben nicht nur eine ökonomische Gemeinschaft, sondern sie sind auch eine Gemeinschaft, die Werte teilt«, meinte die Kanzlerin. Dazu gehöre die Achtung des Völkerrechts. Merkel bekräftigte, dass die westliche Politik einem »Dreiklang« folge. Es gehe um Unterstützung der Ukraine sowie um einen Dialog mit Russland, um eine diplomatische Lösung zu finden. Sollten Tendenzen der Einschüchterung in der Ukraine nicht aufhören, sei die EU auch bereit, weitere Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Die anschließende Debatte endete in einem Eklat, als Abgeordnete der Grünen und der LINKEN gegenseitig schwere Vorwürfe erhoben. Den gewählten Präsidenten Petro Poroschenko will Merkel am Donnerstag zu einem Abendessen in Berlin empfangen.

Poroschenko kündigte gegenüber US-Präsident Obama in Warschau für die Zeit nach Amtsantritt eine Friedenslösung an. Zugleich werde eine Verhängung des Kriegszustandes über die östlichen Regionen Donezk und Lugansk geprüft. Dort hielten die bewaffneten Kämpfe an.

(neues deutschland, Donnerstag, 5. Juni 2014)



Russland ist nicht in der Rolle eines Domestiken

Moskauer Medien reagieren spöttisch bis verständnislos auf Vorhaltungen der G7-Staaten

Von Irina Wolkowa, Moskau **


Die westlichen Staaten spielen Oberlehrer bei der »Menschenrechts- Prüfung« für Russland. Das ist der Tenor russischer Medien.

Anmaßend und noch dazu konfliktscheu. So etwa lautet das Fazit russischer Zeitungen zum G7-Gipfel. »Unser Land und dessen Beziehungen zur Ukraine zum Hauptthema«, lästerte »Nowyje Iswestija«, »aber ausgerechnet mit uns redet man dort nicht«. Russland lasse mit sich nicht umspringen wie mit Domestiken, die man nach Belieben fortschicken und dann wieder rufen könne, ätzte sogar der kritische Radiosender Echo Moskwy. Gemeint war der Beschluss, wonach man Russlands G7-Mitgliedschaft nur auf Zeit aussetzen könne. Es gibt Alternativen, hämte der Sender und meinte die G20- Gruppe, wo zudem auf Moskau kein Oberlehrer wartet, der die Reifeprüfung für Menschenrechte abnimmt.

Derb langten auch der Kremlchef und andere Politiker von Rang hin. Nicht Russland, so Wladimir Putin, der französischen Medien vor seinem Abflug zur Teilnahme an den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie ein Interview gab, habe die Ukraine- Krise heraufbeschworen, sondern die EU und USA mit ihrer Unterstützung für einen »Staatsstreich«. Gemeint war der gewaltsame Machtwechsel in Kiew Ende Februar. Der frisch gewählte ukrainische Präsident Pjotr Poroschenko habe die einmalige Chance, den Frieden wiederherzustellen. Seine Hände seien bisher nicht mit Blut befleckt. Moskau, so Putin weiter, habe »nicht die Absicht, sich durch Annexion fremder Territorien zu entwickeln und das Imperium wiederherzustellen «. Statt Russland bewaffnete Einmischung in die Entwicklungen in der Ukraine vorzuwerfen, sollten Europa und die USA reale Beweise dafür vorlegen.

Der Westen, so auch Außenminister Sergej Lawrow, gefalle sich in der Rolle des Russland-Anklägers. Moskau trage jedoch keineswegs »geopolitische Rivalitäten in die internationalen Beziehungen«, sondern sei »aktiver Wortführer eines unabhängigen Standpunktes in der modernen Welt, der eine unabhängige Politik als sein natürliches Recht betrachtet«. Die NATO hingegen habe darauf hingearbeitet, »den vom Westen kontrollierten geopolitischen Raum bis an die russischen Grenzen auszudehnen «. Das aber, warnte der Chef des Präsidentenamtes, Sergej Iwanow, stehe in keinem Zusammenhang mit realen Sicherheitsproblemen in der Region. Diese lägen außerhalb Europas und würden Russland wie den Westen beunruhigen.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 6. Juni 2014


Zurück in den Kalten Krieg

Olaf Standke über Obamas Bemühen, außenpolitische Stärke zu zeigen ***

Es sind Barack Obamas Tage der starken Worte. Am Mittwoch nun warf der USA-Präsident seinem Moskauer Amtskollegen Wladimir Putin »Aggression« und »dunkle Taktiken« vor, nachdem er schon zuvor die Entsendung zusätzlicher Soldaten in die östlichen NATO-Staaten und damit bis nah an die russische Grenze verkündet hatte. »Schulter an Schulter« würden die Vereinigten Staaten mit den Bündnispartnern stehen, so, als wolle man in einen neuen Krieg ziehen.

Obama, der von den Republikanern an der Heimatfront immer wieder wegen seiner angeblich viel zu laschen Außenpolitik angegriffen wird, versucht sich mit inszenierter Entschlossenheit sichtbar als »starker Mann« auf der Weltbühne zu profilieren – auch mit Blick auf den zur G7 geschrumpften Gipfel wichtiger Industriestaaten. Der globale Führungsanspruch der USA, den er soeben in einer außenpolitischen Grundsatzrede bekräftigt hat, soll auch mit einer Einschüchterungsstrategie gegenüber Russland durchgesetzt werden. Dieses Zurück in den Kalten Krieg geht einher mit der Nötigung der NATO-Partner zu deutlich höheren Militärausgaben, wie die parallele Pakt- Tagung in Brüssel zeigt. Es ist genau jene gefährliche Politik neuer Blockbildung in Europa, vor der deutsche Konfliktforschungsinstitute in ihrem Friedensgutachten 2014 gerade so nachdrücklich gewarnt haben.

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 5. Juni 2014 (Kommentar)


Zurück zur Globalisierungs-Seite

Zur Globalisierungs-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur USA-Seite

Zur USA-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Seite "Neue Weltordnung"

Zur Seite "Neue Weltordnung" (Beiträge vor 2014)

Zur Russland-Seite

Zur Russland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage