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Die Haftbefehl-Posse

Der Chefankläger des Internationalen Gerichtshofs will Sudans Präsidenten Al-Baschir verhaften lassen. Westliches Verwirrspiel um die Krisenprovinz Darfur

Von Stefan Kröpelin *

Es war vorhersehbar, daß rechtzeitig zur Olympiade in China abwegige Thesen wie die der »Völkermordspiele« der Schauspielerin Mia Farrow hochgespielt werden würden. Ebenso termingerecht – genauer: am 14. Juli 2008 – erfolgte der seit fünf Jahren angekündigte und immer wieder aufgeschobene Antrag auf Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar Al-Baschir durch den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC).

Zunächst fragen sich kritische Zeitgenossen nicht nur in der arabischen Welt, warum der jetzt so eifrige argentinische Staatsanwalt Luis Moreno-Ocampo nicht zuvor Anklage gegen die US-Regierungsmitglieder Bush, Cheney, Rumsfeld und Wolfowitz wegen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen den Irak mit seiner Million Todesopfern und noch mehr Verletzten und Flüchtlingen erhoben hat; die Beweislage für eine Verurteilung dürfte nicht schwierig sein. Vielleicht fürchtet er aber das 2002 vom US-Kongreß verabschiedete Gesetz, das die Regierung Bush ermächtigte, militärische Mittel zur Befreiung US-amerikanischer Staatsangehöriger aus der Obhut des ICC anzuwenden.

Statt dessen stellt der Justizvertreter aus Den Haag zum ersten Mal in der Geschichte des ICC einen Antrag auf Festnahme eines amtierenden Regierungschefs. Wie gesagt: einen Antrag, selbst wenn in den meisten Leitartikeln und Kommentaren der Eindruck entsteht, der ach so ehrenvollen Anklage sei bereits oder so gut wie entsprochen, den alten Rechtsgrundsatz der Unschuldsannahme bis zum Richterspruch negierend.

Fehlende Beweise

In einem ausführlichen Interview, das Moreno-Ocampo am Vortag der Anklageerhebung dem Senior-CNN-Reporter Nic Robertson gegeben hat, kann sich jeder von seiner widersprüchlichen und wenig überzeugenden Anklageführung ein Bild machen [1]. Auf hartnäckiges Nachhaken räumt er dort ein, keine »smoking gun« (Synonym für »Eindeutige Beweise«) gegen Baschir zu haben. Man darf sich vergegenwärtigen: Der Chefankläger des ICC erhebt nach fünfjährigen Recherchen seines umfangreichen Stabes Anklage wegen Völkermords gegen den gewählten Präsidenten des größten afrikanischen Landes ohne einen stichhaltigen Beweis. In jeder kleinstädtischen Gerichtsbarkeit müßte er mit einer derart wackligen Anklageerhebung wohl den Hut nehmen.

Höchst verwunderlich in einem Fall dieses Ausmaßes ist es, daß der Chefankläger und seine Mitarbeiter keinerlei Untersuchungen in Darfur, am Ort der behaupteten Verbrechen, durchgeführt haben. So basiert ihre Argumentation hauptsächlich auf Interviews und Zeugenaussagen, die in der weit entfernten Hauptstadt Khartum gesammelt wurden (was sicher bequemer war), auf UN-Dokumenten und allgemein zugänglichen Quellen. In dem CNN-Interview bekennt der Chefankläger, daß er auch keinerlei Informationen von Geheimdiensten und Mitarbeitern von UN und Nichtregierungsorganisationen erhalten oder berücksichtigt hat. Man fragt sich natürlich: Gibt es gar keine, oder falls doch, warum nennt er sie nicht?

So rekurriert der seinem Hauptanklagepunkt Völkermord offenbar selbst nicht trauende Staatsanwalt nun auf Vergewaltigungen, ein besonders sensibles und emotional besetztes Thema, vermutlich auch bei den drei Richterinnen aus Ghana, Brasilien und Litauen, die allein über die Zulassung des Haftbefehls zu entscheiden haben. Es ist eine traurige Tatsache, daß Vergewaltigungen weltweit geschehen und seit Beginn des Konflikts anscheinend auch in zunehmendem Maße in Darfur. Doch der Chefankläger läßt sich nicht auf irgendwelche gesicherten Zahlen festlegen, versteigt sich schließlich aber doch in die ungeheure Behauptung, Baschir hätte in einer direkten Befehlskette die Vergewaltigung von Mädchen und Frauen angeordnet.

Das entlarvende Interview beendet Moreno-Ocampo mit ebenso diffusen wie unhaltbaren Anspielungen, Baschir wolle die Fur, Massalit und Zaghawa (ethnische Gruppen in Darfur) zerstören. Dieser Vorwurf ist so abwegig, daß er eigentlich keiner Richtigstellung bedürfte. Die Zaghawa, zum Beispiel, sind eine der einflußreichsten Ethnien im Vielvölkerstaat und aus sudanesischer Politik, Gesellschafts- und Geschäftsleben überhaupt nicht wegzudenken. Wie schon die UNO seit 2005 spricht inzwischen nicht einmal mehr die Bush-Regierung von Völkermord, weil sie weiß, daß der unaufhörlich geäußerte Vorwurf nicht haltbar ist.

Keine Glaubwürdigkeit

So dürfte eine Zulassung der Anklage höchst unwahrscheinlich sein, es sei denn, der ICC übernähme vom Gastgeberland und Hauptfinanzier der UNO auch dessen Verfahrensregeln von Guantánamo. Möglicherweise wird dann statt eines Freispruchs mangels Beweisen die pragmatische Argumentation vorgeschoben werden, daß eine Anklageerhebung negative Folgen für die UN-Missionen und die Arbeit der Hilfsorganisationen haben könnte, so daß der Makel erhalten bleibt.

Inzwischen hat es Moreno-Ocampo jedenfalls zur meistgehaßten Person der sudanesischen Bevölkerung geschafft, dem Ansehen seiner Behörde in Afrika und der arabischen Welt den Rest an Glaubwürdigkeit genommen, eine Welle der Solidarisierung ausgelöst und sogar dafür gesorgt, daß sich sogar ärgste Kritiker wie der von Baschir selbst gestürzte ehemalige Präsident Sadiq el Mahdi jetzt hinter ihn gestellt haben.

Seit Beginn des Konflikts Anfang 2003 haben sich die westlichen Medien schwerer Pflichtversäumnisse schuldig gemacht. Sorgfaltspflicht in der Berichterstattung und deren Trennung von der Kommentierung scheint für den Sudan nicht zu gelten; investigativer Journalismus und Vermittlung von Hintergrundwissen ist eine Rarität, zu teuer oder in den von Absatz- und Anzeigenmärkten bestimmten Medienkonzernen nicht mehr erwünscht zu sein; Zivilcourage ein karriereschädigendes Relikt aus den 1960ern.

Sonderbare Berichterstattung

Was nun nach der Anklageerhebung des Chefanklägers des Internationalen Gerichtshof zu lesen war, muß jedem unvoreingenommenen Landeskenner den Rest an Gelassenheit rauben; es sei denn, man ist wie so viele, die sich lange in Afrika aufgehalten haben, angesichts derlei opportunistischer Ignoranz längst in Zynismus oder Resignation verfallen.

Kaum ein Vorwurf, egal wie unbedarft und realitätsfern, der nicht den Weg in die Medien fände. Oft in der gleichen Zeitungsausgabe gleich dreimal wie zum Beispiel in der Süddeutschen Zeitung (12./13.7.08). Während auf der Titelseite unter der Überschrift »Im Visier des Weltgerichts« mit suggestiven Fotos operiert wird, ist im Kommentar auf Seite 4 von einem Regime die Rede, »das mit Hilfe von Reitermilizen Hunderttausende Menschen des eigenen Volkes ermorden ließ«, konkret wird im Nachrichtenteil auf Seite 8 unter der Überschrift »Haftbefehl gegen einen Schlächter« lediglich berichtet, daß zwei Fahrer von Hilfskonvois getötet wurden. Letzteres übrigens freilich auch nur, weil die UN Schutz durch Regierungssoldaten weiterhin ablehnen, und weil die Versorgungskonvois Rebellen und Banditen magisch anziehen. Dieses Mißverhältnis scheint dem Verfasser aller drei Beiträge nicht zu denken gegeben zu haben.

Selbst in den Sportteilen zahlreicher Zeitungen erfuhr man mit Staunen, daß der (gerade noch rechtzeitig eingebürgerte) Bannerträger sudanesischer Herkunft, der die US-Mannschaft bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking anführte, das Laufen auf der Flucht vor den »Dschandschawid« (arabische Reitermilizen) gelernt hätte. Dabei wird nicht hinterfragt, daß es diese vor 17 Jahren nach gängiger Lesart noch gar nicht gegeben hat und erst recht nicht im Südsudan. Im Sudan lebende Familien amüsieren sich übrigens schon lange über den Sinneswandel, der ihre auswandernden Angehörigen in kürzester Zeit ereilt, sofern sie im Ausland bleiben wollen, und sie zu allseits hofierten Propagandisten gegen ihre eigene Heimat macht.

Warum werden nach wie vor Opferzahlen von Hunderttausenden Ermordeten wiederholt, aber kaum ein Journalist oder Moderator fragt sich, warum noch kein Foto eines Massakers oder Massengrabs bekannt geworden ist – es wäre mit Sicherheit um die Welt gegangen. Dies in einer Zeit, wo allgemein zugängliche Satellitenaufnahmen jede einzelne Leiche und Spionagesatelliten inzwischen wohl eine Münze aus dem All erkennen lassen. Wer glaubte, daß sich irrige Behauptungen (wie die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen) in den europäischen Medien nicht lange halten würden, sieht sich eines Besseren belehrt.

Die US-amerikanische Öffentlichkeit und leider auch die europäische brauchen anscheinend simple Feindbilder – oder haben sich an diese gewöhnt – statt einer wirklichkeitsgetreuen Differenzierung. Diese werden von den Medien offensichtlich gern bedient, Realität hin, Realität her.

Anmerkung
  1. 1 Nic Robertson. CNN exclusive: ICC prosecutor on Darfur charges. edition.cnn.com/2008/WORLD/africa/07/14/icc.transcript/index.html. July 14, 2008
* Dr. Stefan Kröpelin ist Geograph und Geoarchäologe an der Universität zu Köln. Er ist Leiter von Forschungsprojekten im Sudan und im Tschad, hat über das West- und Nord-Darfur querende Wadi Howar (trocken gefallener Nebenarm des Nil) promoviert und forscht seit über 25 Jahren in der heutigen Krisenregion zur Klima- und Besiedlungsgeschichte der östlichen Sahara. Sein letzter Aufenthalt in Khartum und El Fasher war im März 2008.

Aus: junge Welt, 13. September 2008



Von Stefan Kröpelin ist zuletzt auf unseren Seiten erschienen:
S u d a n / D a r f u r : Der inszenierte Konflikt




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