Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Sieg des Rechts" oder "neuer Kolonialismus"?

Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs löst unterschiedliche Reaktionen aus

Der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs löst höchst unterschiedliche Reaktionen aus. In einer ersten Stellungnahme aus der SPD-Bundestagsfraktion wurde die Entscheidung des Gerichts überschwänglich gefeiert, obwohl durch aus die politischen Risiken eingestanden werden. Der Betroffene, der sudanesische Staatspräsident al-Baschir, mobilisiert inzwischen seine Anhänger in Khartum und kann auf Zustimmung im arabischen und afrikanischen Raum rechnen.
Wir dokumentieren im Folgenden weitere Bericht und Kommentare.



Hier finden Sie wichtige Dokumente

  • Press Release of the International Criminal Court (Presseerklärung des Gerichts vom 4. März 2009; englisch);
  • SUMMARY OF THE DECISION OF PRE-TRIAL CHAMBER I ON THE PROSECUTION’S APPLICATION FOR A WARRANT OF ARREST FOR OMAR HASSAN AHMAD AL BASHIR (Kurzfassung der Entscheidung des Gerichts; englisch);
  • Decision on the Prosecution's Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad Al Bashir (Entscheidung des Gerichts zur Erteilung des Haftbefehls gegen den sudanischen Präsidenten Al Bashir; 146 Seiten; externer Link)


Proteste aus Khartum

Rückendeckung für Sudan aus Iran und Türkei *

Nach dem Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) setzt der sudanesische Präsident Omar al-Baschir auf die Solidarität der arabischen und afrikanischen Staaten. Baschir sagte am Donnerstag in einer Rede vor dem Kabinett in Khartum: »Es gibt einige Staaten, die versuchen, sich die Besitztümer des Kontinents unter den Nagel zu reißen.« Die Entscheidung des Haager Gerichts sei »nicht nur gegen Sudan gerichtet, sondern gegen alle Staaten, die nicht gehorchen wollen«, erklärte Baschir in der im Fernsehen übertragenen Rede weiter. Er schloss sich Tausenden von Anhängern an, die sich in der Hauptstadt Khartum zu einer Protestkundgebung gegen den Gerichtsentscheid versammelt hatten.

Baschir tanzte mit den Demonstranten und lachte. Der Gerichtshof hatte am Vortag (4. März) den Staatschefs für Morde, Vergewaltigungen, Folter und Angriffe auf Zivilisten in der Konfliktregion Darfur verantwortlich gemacht und einen Haftbefehl gegen ihn erlassen.

Baschir verteidigte seine im Zusammenhang mit dem Haftbefehl getroffene Entscheidung, zehn internationalen Hilfsorganisationen die Erlaubnis für ihren humanitären Einsatz im Norden des Landes zu entziehen. Diese Organisationen seien »Werkzeuge des Kolonialismus«, erklärte er. Er fragte außerdem, weshalb er nun angeklagt werde, wohingegen »Israel ungestraft Gaza attackieren durfte«. Vizepräsident Ali Osman Taha erklärte, die sudanesische Führung werde besonnen handeln und sich um »Geschlossenheit im Inneren« bemühen.

Die Türkei will sich für eine einjährige Aussetzung des Haftbefehls einsetzen. Das berichtete der türkische Fernsehsender NTV am Donnerstag. Ankara werde die Aussetzung bei einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats beantragen, hieß es weiter. Die Initiative würde nach Ansicht von Beobachtern höchstwahrscheinlich an einem Veto durch die ständigen Mitglieder USA, Frankreich oder Großbritannien scheitern. Die Türkei ist nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat.

Auch die Führung in Teheran hat den internationalen Haftbefehl gegen Baschir am Donnerstag (5. März) kritisiert. »Der Haftbefehl ist unfair«, sagte der iranische Außenamtssprecher Hassan Ghaschghawi nach Angaben der Nachrichtenagentur ISNA. Er spiegele das politische Ressentiment der »imperialistischen Weltmächte«. Zu einer Zeit, da der IStGH die unmenschlichen Kriegsverbrechen in Afghanistan, Libanon und Palästina ignoriere, sei ein solcher Haftbefehl ein klare Diskriminierung bei der Umsetzung des Rechts und daher inakzeptabel.

* Aus: Neues Deutschland, 6. März 2009


"Neuer Kolonialismus" droht

Sudans Präsident weist Haftbefehl gegen sich zurück. China fordert Rücknahme. Sorge um Friedensprozeß in der Krisenprovinz Darfur wächst **

Der sudanesische Präsident Omar Al-Baschir hat den am Mittwoch gegen ihn verfügten Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) als Verschwörung und Versuch einer neuen Kolonialisierung seines Landes zurückgewiesen. Vor Zehntausenden Demonstranten in der Hauptstadt Khartum warnte Al-Baschir am Donnerstag vor Versuchen, dem ICC bei seiner Festnahme zu helfen. Das Haager Gericht wie auch manche im Sudan tätige internationale Organisationen seien »Instrumente eines neuen Kolonialismus«. Dieser ziele darauf, den Sudan zu schwächen und seine Bodenschätze unter Kontrolle zu bringen.

»Wir sind bereit, uns dem Kolonialismus zu widersetzen«, erklärte Al-Baschir unter Beifall. Die führenden Politiker der USA und Europas seien die »wahren Kriminellen« und würden versuchen, die Souveränität des nordostafrikanischen Landes einzuschränken. »Sie denken, daß wir vor ihnen niederknien«, meinte der sudanesische Präsident. Das werde nicht geschehen. Im Land tätigen Nichtregierungsorganisationen (NGO) warf er vor, Friedensbemühungen in Darfur unterlaufen zu wollen. Seine Regierung habe nunmehr zehn von ihnen aus der Region ausgewiesen, weil sie gegen das Gesetz verstoßen hätten.

China forderte den ICC am Donnerstag auf, den Haftbefehl wieder zurückzunehmen. Dieser helfe nicht bei der Stabilisierung der westsudanesischen Krisenregion Darfur, hieß es in Peking. China sei besorgt. Wichtigste Aufgabe der internationalen Gemeinschaft sei es, für Stabilität in Darfur zu sorgen und den politischen Prozeß sowie die Stationierung der gemeinsamen Truppe von UNO und Afrikanischer Union (AU) voranzubringen.

Die AU und die Arabische Liga hatten bereits in den vergangenen Wochen versucht, im UN-Sicherheitsrat eine Verschiebung des Haftbefehls zu erreichen, um so weiter an einer Friedenslösung arbeiten zu können. Die USA, Großbritannien und Frankreich waren dagegen, China und Rußland dafür. Der sudanesische UN-Botschafter Abdalmahmood Abdalhaleem Mohamed warf den drei westlichen Vetomächten im Sicherheitsrat vor, sie versuchten, sein Land zu destabilisieren. Er verurteilte den Haftbefehl als ein »Rezept für Unglück und Anarchie«.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach unterdessen von einem schweren Rückschlag für lebensrettende Einsätze in Darfur. Vertreter der Vereinten Nationen bemühten sich, die sudanesische Regierung noch zum Einlenken zu bewegen und die NGOs nicht aus Darfur auszuweisen. Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Fraktion von Die Linke, meinte, die Sorge, der Friedensprozeß in Darfur könne durch den Haftbefehl ins Stocken geraten, sei »nicht ganz unbegründet«. Paech bezeichnete den Haftbefehl trotzdem als »konsequent und richtig«. Allerdings sei das Vorgehen des ICC »nur dann glaubwürdig, wenn der Strafanspruch auch gegenüber jenen Tätern verfolgt wird, die sich – ob in Afghanistan, im Irak oder in Gaza – ganz offensichtlich schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben«.

** Aus: junge Welt, 6. März 2009


Die Wahrheit der Macht

Von Olaf Standke **

Für die USA-Regierung ist klar: Die Verantwortlichen für die Gräueltaten in Sudan müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Allerdings vermied es das Außenministerium nach dem Haftbefehl gegen Präsident Omar al-Baschir, auf den Fall direkt einzugehen. Bislang boykottierte Washington den Internationalen Strafgerichtshof. In der Amtszeit von Bill Clinton wurde sein Gründungsstatut zwar noch signiert, ratifiziert hat es die Supermacht jedoch nie. Präsident Bush lehnte das Tribunal offen ab. Kein Wunder, dass nicht nur in Afrika kritisiert wird, dieses Gericht urteile allein über Entwicklungsländer, während sich die Mächtigen der Welt Immunität verordnet hätten. Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen wären vielerorts zu verfolgen, von Afghanistan über Irak bis Guantanamo. Immerhin fragen nun auch Politiker in den USA nach der eigenen Verantwortung. Patrick Leahy, der Vorsitzende des Justizausschusses im Senat, regte jetzt die Einrichtung einer »Wahrheitskommission« an, um Bushs Machtmissbrauch zu untersuchen und Vorwürfe über Folter und Misshandlung von Gefangenen im Zuge des »Anti-Terrorkrieges« zu prüfen. Viel Unterstützung hat dieser Vorschlag in Washington aber nicht. So wenig wie die von Präsident Barack Obama im Wahlkampf versprochene Zusammenarbeit mit dem Strafgerichtshof. Ein Beitritt der USA brauchte im Senat eine Zweidrittelmehrheit, und die ist nach Einschätzung von Kongress-Auguren derzeit nicht vorhanden.

* Aus: Neues Deutschland, 6. März 2009 (Kommentar)


Pressemitteilung
04. Maerz 2009 - 185

AG Menschenrechte und humanitaere Hilfe

Haftbefehl gegen Al-Bashir ist ein Sieg des Rechts

Zum Haftbefehl gegen den sudanesischen Praesidenten Omar al-Bashir durch den Internationalen Strafgerichtshof erklaert der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Christoph Straesser:

Die SPD-Bundestagsfraktion begruesst die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs. Mit dem Haftbefehl gegen den sudanesischen Praesidenten Omar al-Bashir haben die Richter eine unmissverstaendliche Botschaft in die Welt geschickt: Immunitaet und staatliche Souveraenitaet schuetzen auch amtierende Staatsoberhaeupter nicht, wenn sie im Verdacht stehen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen begangen zu haben. Genau dies ist der Vorwurf des Chefanklaegers des Internationalen Strafgerichtshofs. Er macht Al-Bashir fuer Verbrechen in Darfur verantwortlich, bei denen 300.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Der Haftbefehl bezieht sich jedoch nicht auf Voelkermord.

So richtig die Entscheidung des Gerichts ist, so unwaegbar sind die politischen Folgen: Die Afrikanische Union unter dem dem Vorsitz Libyens hat sich vehement gegen einen Haftbefehl ausgesprochen und die Abkehr von 37 Staaten vom Roemischen Statut angedroht. Auch koennten die Waffenstillstandsverhandlungen der sudanesischen Regierung mit der Rebellengruppe JEM abgebrochen werden und einen fragilen Friedensprozess gefaehrden. Ersten Meldungen zufolge wurden bereits die Mitarbeiter der Hilfsorganisation "Aerzte ohne Grenzen" ausgewiesen. Die Zukunft der Friedensmissionen ist ungewiss.

Angesichts dieser schwierigen Lage warnen wir Menschenrechtspolitikerinnen und -politiker der SPD-Bundestagsfraktion vor einer Diskussion, in der Recht und Frieden im Sudan gegeneinander ausgespielt werden. Ziel muss sein, beides zu vereinbaren. Die sudanesische Regierung waere gut beraten, Al-Bashir nach Den Haag auszuliefern und neue politische Wege zu beschreiten. Da diese Loesung eher unwahrscheinlich ist, sollte der UN-Sicherheitsrat, der die Ermittlungen des IStGH in Auftrag gegeben hatte, konsequent im Sinne der Opfer und der notleidenden Menschen in Darfur handeln. Hier sind die neue US-Administration und die VR China die wichtigsten Akteure. Eine Unterbrechung der Ermittlungen, wie sie der UN-Sicherheitsrat nach Artikel 16 des Roemischen Statuts verlangen kann, sollte nur im Notfall als Drohkulisse im Gegenzug fuer die lange vermisste politische Kooperation der sudanesischen Regierung erwogen werden.

Quelle: Newsletter der SPD-Bundestagsfraktion, 4. März 2009




Zurück zur Seite "Internationaler Strafgerichtshof"

Zur Sudan-Seite

Zurück zur Homepage