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Der Süden begehrt auf

Nach Haftbefehl gegen Al-Baschir: Legitimität und Glaubwürdigkeit des Haager Strafgerichtshofs angezweifelt. Zwei Drittel der UN-Mitglieder geben Contra

Von Thalif Deen (IPS), New York *

Der vom Internationalen Strafgerichtshof (ICC) erlassene Haftbefehl gegen den sudanesischen Staatschef Omar Hassan Al-Baschir hat eine heftige Auseinandersetzung um das »Weltgericht« losgetreten. Kritiker werfen dem ICC Parteilichkeit vor und bezweifeln seine Legitimität. Die Frontlinie verläuft vor allem zwischen den Ländern des Nordens und Südens.

ICC droht Massenaustritt

Auf der Seite des Sudan, der den Haftbefehl vom Monatsanfang zurückweist und mit der Ausweisung von Diplomaten und weiteren Menschenrechtsorganisationen droht, formieren sich die afrikanischen Staaten, die Arabische Liga, die Islamische Konferenzorganisation (OIC) und die Blockfreienbewegung (NAM). Zusammen verfügen sie über zwei Drittel der Stimmen in der Vollversammlung der Vereinten Nationen.

Es gilt als höchst unwahrscheinlich, daß einer der Staaten aus diesem Verband den sudanesischen Präsidenten, den ersten amtierenden Staatschef, den der ICC zur Fahndung ausgeschrieben hat, festsetzt und an das Gericht in Den Haag überstellt. Immer wahrscheinlicher allerdings wird, daß sich die 30 afrikanischen Staaten, die bisher das Romstatut zur Gründung des ICC ratifiziert haben, wieder zurückziehen. Der ICC geriete so in eine massive Glaubwürdigkeitskrise.

Mit Einschränkungen und ohne Billigung der Menschenrechtsverletzungen im Sudan teilen zudem viele Verfassungsexperten die Position der ICC-Gegner. So unterstreicht Michael Ratner, der Präsident des 'Centre für Constitutional Rights' (CCR) in New York, selbstverständlich sei der ICC entscheidend für die Wahrung der Menschenrechte. Dennoch müßten Fragen erlaubt sein. Nach Ratners Auffassung sind für die eigentliche Legitimitätskrise des ICC die westlichen Mächte und allen voran die USA verantwortlich.

Haftbefehl gegen Al Bashir richtige Entscheidung

"Der Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Al Bashir ist konsequent und richtig", beurteilt Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs, Al Bashir wegen Kriegsverbrechen anzuklagen. Paech weiter:

"Die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs gut 50 Jahre nach den Nürnberger Tribunalen soll die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ohne Ansehen der Person und ohne Rücksicht auf Funktion und Stellung der Täter ermöglichen. Insoweit erfüllt der Gerichtshof nur seine gesetzliche Aufgabe, wenn er jetzt den sudanesischen Präsidenten Al Bashir unter Anklage stellt. Alle Erwägungen der politischen Zweckmäßigkeit müssen hinter dem Strafanspruch des Römischen Statuts von 1998 zurückstehen.

Dies ist jedoch nur dann glaubwürdig, wenn der Strafanspruch auch gegenüber jenen Tätern verfolgt wird, die sich - ob in Afghanistan, im Irak oder in Gaza - ganz offensichtlich schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben. Bleiben diese Verbrechen ohne strafrechtliche Untersuchung und Konsequenzen, bricht die Idee des unabhängigen Internationalen Strafgerichtshofs in sich zusammen und die Anklage gegen Al Bashir könnte in den Augen vieler als neokoloniale Sonderbehandlung erscheinen.

Die Sorge der Afrikanischen Union und Chinas, der Friedensprozess in Darfur könne durch den Haftbefehl ins Stocken geraten, ist zwar nicht ganz unbegründet. Gleichzeitig bietet sich hier aber die Chance auf einen Politikwechsel im Sudan. Umso wichtiger ist es, dass sich die Staaten geschlossen hinter den Internationalen Strafgerichtshof stellen und gleichzeitig ihre diplomatischen Anstrengungen gegenüber der Regierung in Khartum vertiefen."

Quelle: Website von Norman Paech; www.norman-paech.de



Washingtons Weigerung, sich dem Gericht anzuschließen, und bislang ausgebliebene Schritte des ICC gegen Menschenrechtsverletzer aus dem Norden, gebe den Ländern des Südens jetzt ein gutes Argument an die Hand. »Solange ICC-Chefankläger Luis Moreno-Ocampo auf Menschenrechtsverletzungen aus diesen Staaten nicht reagiert und sein Mandat so nicht voll ausschöpft, wird das Gericht Probleme haben«, meint der Experte.

US-Euro-Zentrismus

In diesem Zusammenhang erinnert er etwa daran, daß der ICC bislang zu einer Folterstätte des US-Geheimdienstes CIA in Polen geschwiegen habe. Andere Beobachter sehen Handlungsbedarf angesichts von über einer Mil­lion Toten im Irak seit der US-Invasion, Tausenden Todesopfern durch US- und NATO-Operationen in Afghanistan und den 1400 palästinensischen Opfern der jüngsten israelischen Militäroffensive gegen Gaza.

Bisher hat der Strafgerichtshof in den sechs Jahren seiner Existenz nur ein Verfahren eröffnet, den Prozeß gegen Thomas Lubanga, einen berüchtigten Kriegsherren aus der Demokratischen Republik Kongo (DRC). Insgesamt wurden 13 Haftbefehle erlassen, alle gegen Personen aus afrikanischen Staaten wie der DRC, dem Sudan, Uganda und der Zentralafrikanischen Republik.

Nachvollziehbar beschreibt der sudanesische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Abdalmahmood Abdalhaleem Mohamad, den ICC als »euro-amerikanische« Einrichtung. Das Gericht sehe der Zerstörung von Afghanistan, dem Irak und Gaza tatenlos zu. Zudem hätten sich die USA - einer der vetoberechtigten Staaten im UN-Sicherheitsrat - in bilateralen Abkommen Immunität für Kriegsverbrechen der eigenen Soldaten in aller Welt gesichert. »Amerika ist ein opportunistischer Staat«, so der Botschafter. Die USA ließen den ICC in ihrem Sinne handeln, ohne sich dem Gericht selbst unterwerfen zu wollen.

Die Erklärung des Diplomaten für die Verfolgung seines Staatschefs heißt: Öl und Neid auf China. Westliche Staaten wie Frankreich und Großbritannien wollen ihre »kolonialen Träume« im Sudan wiederbeleben, seien aber von Peking ausgebootet worden. Längst sei China der wichtigste politische, wirtschaftliche und militärische Alliierte des Sudan und habe den Westen bei der Ölexploration und bei Waffengeschäften an den Rand gedrängt.

* Aus: junge Welt, 12. März 2009


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