Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kenyatta stellt sich der Anklage in Den Haag

Präsident Kenias sieht die Beschuldigungen vor dem Internationalen Strafgerichtshof politisch motiviert

Von Anne Gonschorek, Kapstadt *

Die Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs wollen einen möglichen Prozess gegen Kenias Präsidenten Kenyatta verschieben. Erstmals erscheint ein amtierender Staatschef vor dem Strafgericht.

Der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta hatte sich seit 2013 vor einem Prozess gedrückt. Nun stellte er sich am Mittwoch zum ersten Mal der Anklage der Verbrechen gegen die Menschlichkeit am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag. Kenyatta ist das erste amtierende Staatsoberhaupt, das sich dort verantwortet. Die Anklagepunkte befassen sich mit seiner Rolle in den Gewaltausbrüchen, die 2007 auf die umstrittenen kenianischen Wahlen folgten und das Leben von über 1000 Menschen kosteten.

Kenyatta selbst wirkte in Den Haag relativ entspannt. Er war am Morgen, begleitet von mehr als 120 Abgeordneten aus Kenia, bei dem Gericht eingetroffen. Zahlreiche Anhänger in traditionellen afrikanischen Gewändern begrüßten ihn. Sie sangen, tanzten und forderten auf Transparenten die »Freilassung des Präsidenten«. Am Mittwoch stand die Frage auf der Tagesordnung, ob überhaupt ein Prozess eröffnet wird. Die Verteidigung dagegen will erreichen, dass der Fall zu den Akten gelegt wird. Auch die Zeugen der Anklage scheinen nicht mehr bereit zur Aussage zu sein.

Die Ankläger haben das Gericht um einen unbefristeten Aufschub des Prozesses gebeten, bis die kenianische Regierung die entscheidenden Beweise freigebe. Fatou Bensouda, die Generalstaatsanwältin des Strafgerichtshofs, nahm persönlich an der Verhandlung teil. »Dies ist ein kritischer Augenblick für den Fall. Deshalb befand ich es als angemessen, persönlich zu erscheinen«, sagte sie. In einem eindringlichen Appell rief Chefanklägerin Bensouda die Richter in Den Haag auf, die Anklage aufrecht zu erhalten. »Die Rechte des Angeklagten dürfen nicht über denen aller anderen triumphieren.«

Der Anwalt der Opfer, Fergal Gaynor, wies unterdessen die Richter darauf hin, dass Zeugen eingeschüchtert worden seien. Eine Einstellung des Verfahrens wäre nicht gerecht gegenüber den Opfern. »Sie haben ihre Angehörigen verloren, sie wurden vergewaltigt, vertrieben, haben kaum eine Entschädigung bekommen und bisher auch keine Gerechtigkeit«, erklärte Gaynor.

Kenyatta war 2013 trotz der Beschuldigungen zum Präsidenten Kenias gewählt worden. Experten sind der Meinung, er habe die Anklage zu seinen Gunsten genutzt, indem er es so aussehen ließ, als sei es eine äußere Einmischung in kenianische Angelegenheiten. Er beschuldigte das Gericht zudem, gegenüber afrikanischen Staatsoberhäuptern voreingenommen zu sein.

Kenyatta behauptet, die Beschuldigungen gegen ihn seien politisch motiviert. Vor seinem Abflug am Montag betonte er abermals seine Unschuld und sagte öffentlich, dass er ein reines Gewissen habe. In einer Rede vor dem kenianischen Parlament machte er deutlich, dass er nicht als Präsident des Landes nach Den Haag gehe, sondern als Privatmann vor das Gericht trete. Damit wolle er verhindern, die Souveränität der Kenianer zu kompromittieren. Während Kenyattas Abwesenheit übernimmt Vizepräsident Ruto die Funktion des Staatsoberhauptes. Auch Ruto muss sich dem IStGH stellen, stand aber zur Zeit der Gewaltausbrüche auf der Seite der Opposition. Er streitet die Anschuldigungen ebenfalls ab.

Die Massaker 2007 bildeten den schlimmsten Gewaltausbruch in Kenia seit 1963. Zehntausende wurden vertrieben. Kenias Ruf als stabiles Land war ruiniert. Kenyatta war damals ein enger Freund von Präsident Mwai Kibaki, der bei den Wahlen siegte. Dessen Rivale Raila Odinga behauptete allerdings, dass die Stimmenzählung verfälscht worden war. Der Streit um das Wahlergebnis entwickelte schnell brisante Dimensionen, als Gruppen, die hinter dem Präsidenten standen, bis Anfang 2008 hinein zahllose Häuser niederbrannten und Rivalen in Stücke hackten. Kenyatta wird vorgeworfen, er habe Milizen vor Ort organisiert und finanziert, um oppositionelle Gruppen anzugreifen.

Am IStGH hat man derweil keine besonderen Vorkehrungen für Kenyatta getroffen. Ein Sprecher betonte, dass er genauso behandelt werden würde wie jeder andere Angeklagte. Zuvor hatte der ehemalige Oberstaatsanwalt des Gerichtshofes, Luis Moreno Ocampo, den Prozess kritisiert. Er äußerte sich dennoch positiv über Kenyattas Entscheidung, vor dem Gericht zu erscheinen. Der Politiker zeige so seinen Willen zu Veränderung.

Unter den 122 Staaten, die das Statut von Rom, die Rechtsgrundlage für die Arbeit des IStGH, unterzeichnet haben, sind 34 auf dem afrikanischen Kontinent. Einige von ihnen zogen in der Vergangenheit bereits einen Rückzug in Erwägung.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 9. Oktober 2014


Zur ICC-Seite (Internationaler Strafgerichtshof)

Zur ICC-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Kenia-Seite

Zur Kenia-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage