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Staaten zerschlagen

Gestern gegen Jugoslawien, heute gegen China: Die "Gesellschaft für bedrohte Völker" liegt mit ihrer Ethno-PR ganz im Trend der deutschen Außenpolitik

Von Jörg Kronauer *

Kein Zweifel: Die boomenden deutschen Rüstungsexporte verdienen scharfe Kritik. »Heute ist Deutschland weltweit drittgrößter Exporteur von Rüstungsgütern«, stellt die »Gesellschaft für bedrohte Völker« (GfbV) aus Göttingen zutreffend fest. »Auch Armeen in Krisenregionen wurden und werden von deutschen Waffenschmieden beliefert«, fährt sie fort. »Kriegsgerät aus der Bundesrepublik verschärft« die Konflikte dort. Deshalb ruft die Gruppe unter dem Motto »Deutsche Waffen töten. Weltweit.« für den heutigen Donnerstag zu breiten Protestaktionen auf: »Stoppt den Rüstungsexport!«

Kann man Organisationen, die sich dem Kampf für Menschenrechte verschrieben haben und sich deutschen Rüstungsexporten in den Weg stellen, kritisieren? Natürlich kann man, und im Falle der GfbV gibt es guten Grund dazu. Die 1970 gebildete Vereinigung, die nach eigenen Angaben mehr als 5600 Mitglieder zählt und vergangenes Jahr Einnahmen von über 1,2 Millionen Euro verbuchen konnte, weist regelmäßig auf Menschenrechtsverletzungen in aller Welt hin – etwa auf Gewalttaten libyscher Milizen und auf die Diskriminierung der koptischen Minderheit in Ägypten. Allerdings unterscheidet sie sich von anderen Menschenrechtsorganisationen in einem zentralen Aspekt: Sie stellt nicht Individuen, sondern »Völker« in den Mittelpunkt, »ethnische« Gemeinschaften, »Volksgruppen«. Laut Satzung geht es ihr – über klassische Menschenrechtsverletzungen hinaus – auch um die »sprachliche und kulturelle Identität« von »Volksgruppen«. Damit macht sie sich zum Instrument einer völkischen Ethnopolitik.

Das bedeutet? Großes Lob zollt die GfbV zum Beispiel den gesetzlichen Bestimmungen zur Autonomen Provinz Bozen mit ihren Sprachregelungen, die das »Deutschtum« in Norditalien konservieren sollen. Die Südtiroler Autonomie habe »Vorbildfunktion«, erklärte Ende 2010 Tilman Zülch, Mitgründer und führender Kopf der GfbV. Seine Organisation arbeite deshalb mit Autonomieexperten aus Südtirol zusammen, um auch anderswo entsprechende »Statute der Selbstverwaltung« zu installieren. Das verheißt nichts Gutes: Wie die Entwicklung in Norditalien zeigt, fördert eine solche Unabhängigkeit spätestens unter den Bedingungen der Krise nicht die Menschenrechte, sondern Separatismus und damit schwere politische Konflikte.

Die Ethnokarte zieht die GfbV besonders häufig gegenüber China. Die Volksrepublik unterdrücke die tibetische Kultur. So heißt es etwa: Letztere drohe »unterzugehen, da chinesische Siedler ihrem Land immer stärker ihre eigene Prägung geben«. »Überfremdung« in Tibet? Sollen Han-Chinesen nicht mehr in das Gebiet ziehen dürfen, damit es als romantischer Ethnozoo für die westliche Bourgeoisie erhalten bleibt? »Der Dalai-Lama braucht Unterstützung«, erklärt die GfbV – und schlägt sich damit, erstaunlich für eine Menschenrechtsorganisation, auf die Seite der Symbolfigur der alten tibetischen Sklavenhaltergesellschaft.

In letzter Zeit widmet die GfbV sich mit Vorliebe der uigurischen Minderheit im westchinesischen Xinjiang, die eine gewalttätige Sezessionsbewegung hervorgebracht hat. Im Jahr 2009 kamen dort bei schweren Unruhen rund 200 Menschen ums Leben – zumeist Han-Chinesen, die von einem uigurischen Mob massakriert wurden. Nach einem Überfall von Uiguren auf eine Polizeistation, bei dem über 30 Menschen zu Tode kamen, bezog die Göttinger Organisation im Juli 2013 Position: Man verfolge »mit großer Sorge«, daß »in zahlreichen Städten der Region die Präsenz der Bereitschaftspolizei verstärkt« worden sei. Das sei ein falscher Schritt, denn schließlich »schürt Peking (…) die Gewalt« – gegen Uiguren, denen nach Ansicht der GfbV offenbar keine andere Wahl bleibt, als Polizeistationen zu überfallen.

Derlei Ethno-PR liegt freilich völlig auf der Linie der deutschen Außenpolitik. Den Rivalen China durch die Stärkung tibetischer oder uigurischer Separatisten schwächen? Das käme Berlin gerade recht. Zuvor war die Ethnopolitik für die Bundesrepublik hilfreich bei der Zerschlagung Jugoslawiens. Die GfbV trieb in den 1990er Jahren die allgemeine Hetze gegen Belgrad voran. »Ethnische Säuberung – Völkermord für Großserbien« lautete der Titel eines Buchs, das GfbV-Chef Zülch 1993 publizierte. Darin rühmt sich die Organisation, »mit Demonstrationen, Mahnwachen, Kundgebungen, in Hunderten von Rundfunk- und Fernsehinterviews, mit Presseerklärungen« und tausend weiteren Schritten »immer wieder über die Verbrechen« der jugoslawischen Regierung »informiert« zu haben. War das ein Kampf für die Menschenrechte? Die Publizistin Mira Beham kam 1996 zu dem Schluß, »daß die Göttinger Organisation ganz unzweideutig die politischen und militärischen Propagandaziele der Regierung in Sarajewo unterstützt«. Zülch und Co. schreckten dabei in puncto Bosnien vor nichts zurück. Im Juni 1993 führten sie während des Evangelischen Kirchentags eine Mahnwache vor der KZ-Gedenkstätte Dachau durch; Motto: »Juden 1933 – Bosnische Moslems 1993 – EKD neutral!«

GfbV-Chef Tilman Zülch bedient die deutsche Politik nicht nur bei der Aufspaltung gegnerischer Staaten, sondern auch in anderer Hinsicht. Er macht sich dafür stark, die Umsiedlung der Deutschen infolge des Zweiten Weltkriegs als »Verbrechen« einzustufen – sie sei schließlich die »Vertreibung« einer ethnischen Minderheit gewesen. Zülch unterstützt daher die Stiftung »Zentrum gegen Vertreibungen« und hat im Gegenzug zwei Menschenrechtspreise bekommen – einen vom »Bund der Vertriebenen« selbst, einen von der »Sudetendeutschen Landsmannschaft«. Man dürfe »das Schicksal« von »zwei Millionen Vertreibungsopfern«, von »bis zu zwei Millionen Vergewaltigungsopfern« und »von Hunderttausenden Zwangsarbeitern in den Arbeits- und Konzentrationslagern (!) Polens und der damaligen CSSR« nicht beschweigen, tönte Zülch vor einigen Jahren. Tue man das, dann betreibe man die »Fortsetzung der sattsam bekannten ›political correctness‹«. Und um die hat sich die GfbV noch nie geschert.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. Dezember 2013

Schlammschlacht in Göttingen

Von Jörg Kronauer **

Die Schlammschlacht geht weiter. Erst im Oktober hat die Göttinger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Tilman Zülch eingestellt. Nun kündigt dessen »Gesellschaft für bedrohte Völker« (GfbV) an, ihrerseits vor Gericht zu ziehen. Begonnen hatte alles mit der Wahl eines neuen GfbV-Bundesvorsitzenden und eines neuen Vizechefs Ende 2010. Ein honoriger Rechtsanwalt war für den Chefposten, ein GfbV-Ehrenmitglied als sein Stellvertreter auserkoren worden. Nichts Besonderes, sollte man denken; schließlich kommt es in der GfbV immer wieder mal zum Austausch von Personal – nach Angaben von Insidern nicht zuletzt, weil die dominierende Gestalt der Organisation, Tilman Zülch, nicht der einfachste Mensch der Welt sein soll. Dennoch fielen die Vorstandswahlen Ende 2010 aus dem Rahmen.

Das lag nicht nur daran, daß der neue Bundesvorsitzende Harald Klein von 1995 bis 1998 Leiter der Abteilung Inneres im Chemnitzer Regierungspräsidium gewesen war – und damit auch zuständig für Asylfragen in Sachsen. Die GfbV – 40 Jahre Erfahrung in der Menschenrechtsarbeit – will keinen Verdacht geschöpft haben. Der kam erst auf, als Klein sich bei Zülch unbeliebt gemacht hatte: Er und der neue Vize meinten, auf finanzielle Unregelmäßigkeiten bei der GfbV gestoßen zu sein. Unter anderem ging es um Zülch-Gehälter in Höhe von 70000 Euro.

Rasch landete die Sache vor Gericht. Und plötzlich fand die GfbV – gewieft, wie sie ist – heraus, daß ihr Bundesvorsitzender, der Menschenrechtler Klein, während seiner Amtszeit in Chemnitz exakt 6898 Asylbewerbern abschieben ließ – darunter Hunderte Kriegsflüchtlinge aus Jugoslawien. Klein und sein Vize wurden abgewählt – unter Umständen, deren etwaige Rechtmäßigkeit ebenfalls die Justiz beschäftigte. Im Oktober hat die Göttinger Staatsanwaltschaft nun das Verfahren gegen Zülch eingestellt: Es bestehe »kein weiter gehender Anfangsverdacht«. Die GfbV aber tritt nach. Sie hat angekündigt, den früheren Vize und seinen Anwalt wegen Rufschädigung anzeigen zu wollen. Denn eins ist klar: Das Image, ein etwas selbstherrlicher Boß ginge freizügig mit den Finanzen um, wäre für jede von Spenden abhängige Organisation der Tod.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. Dezember 2013




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