Von der Idee des gerechten Friedens geleitet
Empfehlungen zu zivilen und militärischen Interventionen zum Schutz der Menschenrechte
Liebe Leserinnen und Leser,
die Frankfurter Rundschau dokumentierte in ihrer Printausgabe vom 6.
April 2004 die Empfehlungen zu zivilen und militärischen Interventionen
zum Schutz der Menschenrechte in einer gekürzten Fassung und das
komplette Kapitel auf ihrer Internet Seite unter: www.fr-aktuell.de/doku
Von der Idee des gerechten Friedens geleitet
Empfehlungen zu zivilen und militärischen Interventionen zum Schutz der
Menschenrechte / Von der Deutschen Kommission Justitia et Pax
Jede Regierung und jedes Militärbündnis, die um der Menschenrechte
willen in die Belange anderer Staaten eingreifen wollen, müssen sich
zuerst die politischen, ethischen und rechtlichen Fragen
vergegenwärtigen, die mit dem Eingreifen verbunden sind. Die Autoren
haben dazu Analysen und Empfehlungen vorgelegt.
Das Projekt: Die Deutsche Kommission Justitia et Pax ist die von der
Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen
Katholiken gemeinsam getragene
Fachstelle für Friedens-, Entwicklungs- und Menschenrechtsfragen. In ihr
sind Verantwortliche der internationalen Arbeit der katholischen Kirche
sowie Experten aus Wissenschaft und Politik tätig.
Das hier vorgestellte Dokument wurde von der Projektgruppe "Gerechter
Friede" erarbeitet. Es will konkrete friedensethische und -politische
Orientierungen geben im Blick auf Entscheidungen zu zivilen wie
militärischen Interventionen in die Angelegenheiten anderer Staaten, die
mit dem Argument des Menschenrechtsschutzes begründet werden. Hierzu
werden u.a. Erfahrungen mit Interventionen in Somalia, Sierra Leone,
Liberia, Ruanda (Volker Matthies), Bosnien/Kosovo (Peter Schlotter) und
Osttimor (Monika Schlicher) ausgewertet.
Das hier dokumentierte Kapitel "Ergebnisse und Empfehlungen" ist dem von
Thomas Hoppe herausgegebenen Buch entnommen:
Schutz der Menschenrechte. Zivile Einmischung und militärische
Intervention, Analysen und Empfehlungen.
Vorgelegt von der Projektgruppe Gerechter Friede der Deutschen Kommission Justitia et Pax, Berlin: Verlag Dr. Köster 2004, 24,80 Euro, 303 S. ISBN 3-89574-521-9,
(http://www.verlag-koester.de)
An der Durchführung des Projektes haben mitgewirkt: Dr. Klaus Achmann,
Gemeinschaft Katholischer Soldaten, Berlin; Lothar Bendel, Zentrum der
Bundeswehr für Innere Führung, Koblenz; Dr. Daniel Bogner, Deutsche
Kommission Justitia et Pax, Bonn; Klaus Ebeling,
Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr, Strausberg; Joachim
Gerstecki, Stiftung Adam von Trott, Imshausen; Dr. Hildegard Hagemann,
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn; Prof. Dr. Thomas
Hoppe, Universität der Bundeswehr Hamburg; Christoph Klitsch-Ott,
Caritas International, Freiburg i. Br.; Prof. Dr. h.c. Karlheinz Koppe,
Bonn; Prof. Dr. Volker Matthies, Universität Hamburg; Dr. Simone Rappel,
missio München; Dr. Volker Riehl, Berlin (im Auftrag der
Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe AGEH, Köln; Dr. Monika
Schlicher, Watch Indonesia!, Berlin; Prof. Dr. Peter Schlotter und Dr.
Hans-Joachim Schmidt, Hessische Stiftung Friedens- und
Konfliktforschung, Frankfurt/M.; Michael Steeb, AGEH, Köln; Dr. Reinhard
Voss, Pax Christi, Bad Vilbel.
Herzliche Grüße,
Dr. Monika Schlicher (Watch Indonesia!)
D o k u m e n t a t i o n , L a n g f a s s u n g
Von der Idee des gerechten Friedens geleitet
Empfehlungen zu zivilen und militärischen Interventionen zum Schutz der
Menschenrechte / Von der Deutschen Kommission Justitia et Pax
Jede Regierung und jedes Militärbündnis, die um der Menschenrechte willen in
die Belange anderer Staaten eingreifen wollen, müssen sich zuerst die
politischen, ethischen und rechtlichen Fragen vergegenwärtigen, die mit
dem Eingreifen verbunden sind. Die Autoren haben dazu Analysen und
Empfehlungen vorgelegt.
Empfehlung 1: Die Problematik humanitärer Interventionen in der
Leitperspektive des "gerechten Friedens" reflektieren
Jede Entscheidung über das Ob und Wie einer Einwirkung in die inneren
Verhältnisse
anderer Staaten, die um des Schutzes elementarer Menschenrechte willen
erwogen
wird, muss sich der damit verbundenen politischen, rechtlichen und
ethischen
Probleme bewusst sein. Eine solche Einmischung bedeutet oft auch dort,
wo
gravierende Gründe für sie sprechen, zunächst eine Beeinträchtigung der
Souveränität und damit der Selbstbestimmungsmöglichkeiten derjenigen, in
deren Gebiet sie stattfindet. Bereits allein wegen dieses unabweislichen
Charakters von Fremdbestimmung muss sie daher mit Ressentiments, ggf.
auch Widerstand rechnen. Darüber hinaus kann sie kontraproduktive
Wirkungen entfalten, vor allem, wenn - wie bei umfassenden
wirtschaftlichen Embargomaßnahmen - die getroffenen Maßnahmen nicht
gezielt diejenigen erreichen, deren politischen Kurs sie ändern sollen,
sondern womöglich eher jene schädigen, die ohnehin bereits als Opfer
einer menschenrechtsverletzenden politischen Praxis anzusehen sind.
Dies gilt um so mehr bei allen Formen bewaffneten Eingreifens. Hier
kommt jedoch erschwerend hinzu, dass der Verlauf einer gewaltsamen
Auseinandersetzung nur bedingt vorhersehbar ist - insbesondere besteht
stets die Gefahr, dass infolge der Eigendynamiken der freigesetzten
Gewalt Zerstörungen weit über das ethisch wie politisch Verantwortbare
hinaus angerichtet werden. Militärisches Eingreifen kann daher in seinem
Vollzug auch dort unerlaubt werden, wo eine Intervention vom Anlass her
gerechtfertigt, wenn nicht sogar notwendig erscheint.
Angesichts dieser nicht intendierten, aber regelmäßig absehbaren und
generell nur schwer vermeidbaren negativen Folgen von Interventionen
muss politisch mit aller Anstrengung nach Wegen gesucht werden, um
Entscheidungslagen nicht erst eintreten zu lassen, in denen als ultima
ratio nur die Wahl zwischen Optionen verbleibt, die man im Grunde
allesamt ablehnt. Das Nachdenken über die Verbesserung von Möglichkeiten
zielgerichteter Intervention darf nicht dazu führen, dass entschiedene
Schritte hin zu mehr Gewaltprävention und zu einer multidimensionalen
Menschenrechtspolitik, die auf die Veränderung politischer Strukturen in
der Leitperspektive des "gerechten Friedens" setzt, vernachlässigt
werden. Nur dann lässt sich auch der Gefahr entgegenwirken, dass die
Kräfte der internationalen Gemeinschaft wegen einer Vielzahl von Fällen,
die aus unterschiedlichen Gründen die Frage nach einer Intervention
aufwerfen können, rasch überfordert werden - mit der Folge
unzureichender Mandate und eines defizitären Mitteleinsatzes, wodurch
das ethisch-politische Ziel der Intervention verfehlt zu werden droht.
In friedensethischer Hinsicht kommt der Frage, ob, wann und in welcher
Weise Einmischungen bzw. Interventionen ein geeignetes Mittel zum Schutz
der Menschenrechte und zur Förderung eines global verstandenen
Gemeinwohls sein können, ausschlaggebende Bedeutung zu. Dieses
Bewertungskriterium darf einzelstaatlichen Interessen anderer Art und
Qualität nicht neben, erst recht nicht ihnen nachgeordnet werden. Nicht
nur litte darunter die tatsächliche Legitimität solcher Einmischungen,
auch würden Interventen unglaubwürdig in den moralischen Begründungen,
die sie für ein Recht auf Intervention in Anspruch nehmen. Der
politische Umgang mit der Interventionsproblematik muss sorgsam
vermeiden, den Eindruck zu erwecken, auf diese Weise werde gewissermaßen
der Relegitimierung des Krieges "durch die Hintertür" das Wort geredet.
Empfehlung 2: Die gewaltpräventiven Handlungsmöglichkeiten von Kirche
und Zivilgesellschaft nutzen und erweitern
Kirchliches und zivilgesellschaftliches Engagement mit dem Ziel einer
gewaltpräventiven Konflikttransformation hat vor allem dort Aussichten
auf Erfolg, wo bestimmte Eskalationsstufen noch nicht erreicht sind bzw.
bereits durchschritten wurden. Während Phasen akuter Gewaltanwendung
dürften sich konstruktive Formen des Einsatzes kirchlicher und
gesellschaftlicher Akteure weitgehend darauf beschränken, (1) sich der
Legitimierung bzw. der Beteiligung an der Anwendung von Gewalt zu
ver-sagen, (2) unmittelbar Bedrohten bzw. Verfolgten zu helfen sowie
(3) über das Geschehen zu informieren und so an der Mobilisierung von
öffentlicher Aufmerksamkeit im Ausland mitzuwirken.
Damit kirchliches und gesellschaftliches Engagement in einer
gewaltgeneigten Umwelt stabilisierend wirken kann, sollten formelle oder
informelle Netzwerkstrukturen zwischen denjenigen Kräften auf allen
Seiten gebildet werden, die Gewalt ablehnen. Informelle Netzwerke
funktionieren oft besser als formalisierte bzw. institutionalisierte.
Für den kirchlichen Bereich gilt insbesondere, dass die eigenen
Handlungsmöglichkeiten durch eine - materiell bzw. technisch, vor allem
jedoch politisch unterstützte - Stärkung der Justitia-et-Pax-Strukturen
erweitert werden können und sollten. Justitia-et-Pax-Kommissionen sind
wichtige "Transmissionsriemen" für die kirchliche Perspektive in die
Zivilgesellschaft hinein. Sie können mit Konfliktbearbeitungsinitiativen
in der Gesellschaft kooperieren, vor allem einen multilateralen
Austausch von Erfahrungen im Bereich der Friedens- und
Konfliktlösungsarbeit organisieren helfen (capacity building). Dies und
eine überzeugende Konzeption für Erziehung und Bildung ist für
substanzielle Friedensarbeit unverzichtbar. Gewaltprävention und
Konfliktbearbeitung müssen jedoch Bestand-teil von Projektarbeit auf
allen Ebenen werden, auch in der Pastoral, der
Entwicklungszusammenarbeit, der kirchlich verantworteten humanitären
Hilfe.
Die Medienarbeit in- und außerhalb des Krisengebiets muss kritisch
begleitet werden: Propaganda, die auf die Produktion von Feindbildern
zielt und zunehmende Gewaltbereitschaft weckt, führt unter
begünstigenden Umständen schnell zu physischer Gewaltanwendung in großem
Umfang. Kirchliche und zivilgesellschaftlich getragene Medienarbeit
müssen darauf gerichtet sein, ein Gegengewicht zu schaffen, das die
Wirkung solcher Hetzkampagnen unterläuft. Sie müssen dabei jedoch
zugleich sensibel für latente Gefahren sein: z.B. selbst
Stereotypisierungen zu befördern oder klientelistische Interessen zu
vertreten, aber auch, von falscher Seite unterstützt bzw. benutzt zu
werden oder durch die Herstellung von Öffentlichkeit den so exponierten
Personen ein zu hohes Risiko aufzubürden.
Wo immer möglich, sollten kirchliche und zivilgesellschaftliche Akteure
in aktuellen Konflikten zu vermitteln versuchen, um deren gewaltförmige
Eskalation zu unterlaufen. Kirchenvertreter sollten insbesondere den
innerkirchlichen Dialog zwischen Gruppen fördern, die aus politischen,
sozialen, ethnischen oder anderen Gründen im Gegensatz zueinander
stehen. Traditionelle Formen der Konfliktbearbeitung sollten daraufhin
überprüft werden, wie weit sie in ein Konzept konstruktiver
Konflikttransformation integriert werden können. Freilich darf das
Bemühen um eine Mediation des Konflikts nicht darauf hinauslaufen, die
Option für die Opfer in stark asymmetrischen Konflikten preiszugeben, ja
die Vermittler ihrerseits in Systeme der Gewalt zu verstricken. Zur
Unterstützung der Bemühungen von Kirchenvertretern und zur Stärkung
ihrer politischen Rolle vor Ort kann advocacy-Arbeit von Ortskirchen in
anderen (Nachbar-)Ländern überaus wichtig werden.
Auch Versöhnungs- und Traumaarbeit, die das breite Spektrum der hier zu
berücksichtigenden psychosozialen Aspekte einbezieht, sollten kirchliche
bzw. zivilgesellschaftliche Akteure als ihre Sache verstehen - ebenso
wie das Bemühen um eine Reintegration derjenigen, die durch Kriegs- und
Gewalteinwirkungen aller Art ihren ursprünglichen Lebenszusammenhängen
entrissen wurden. Gerade im Feld des zivilen Wiederaufbaus nach dem Ende
von Gewaltphasen eröffnen sich vielfältige Handlungsmöglichkeiten für
Initiativen aus dem Raum der zivilen Gesellschaft - sie sollten auch von
kirchlichen Institutionen getragen und unterstützt werden.
Ortskirchen in Europa können viel an Lobbyarbeit für Konfliktregionen in
anderen Kontinenten leisten, indem sie auf die Regierungen europäischer
Staaten einwirken, damit diese bei den dortigen Regierungen politisch
intervenieren. Möglichkeiten hierzu liegen in einer advocacy-Arbeit im
Menschenrechtsbereich, aber auch in qualifizierter Medienarbeit zu
brisanten Konfliktsituationen. Freilich sollte solche Lobbyarbeit,
ebenso wie andere Formen auswärtiger Einwirkung, so weit wie möglich im
Konsens mit der jeweiligen Ortskirche umgesetzt werden - was nicht
ausschließt, dass ggf. im innerkirchlichen Dialog abweichende
Beurteilungen der konkreten Situation offen benannt werden müssen.
Darüber hinaus können Partnerschaften zwischen einzelnen europäischen
und nichteuropäischen Diözesen Prozesse anstoßen, die sich nicht nur
innerkirchlich, sondern auch in anderen zivilgesellschaftlichen
Formationen in einem Krisengebiet auswirken.
Empfehlung 3: Politische Möglichkeiten einer gewaltfreien Einwirkung auf
Konflikte mit Entschiedenheit nutzen und ausschöpfen
Viele Situationen, in denen Gewaltanwendung als ultima ratio erscheint,
könnten wahrscheinlich vermieden werden, würden die - als prima ratio -
verfügbaren nichtmilitärischen Mittel der Einflussnahme auf krisenhafte
Entwicklungen tatsächlich konsequent eingesetzt und das Spektrum der
Möglichkeiten ausgeschöpft, die sie bereithalten. Dies verlangt von den
Entscheidungsträgern - auf supranationaler wie nationaler Ebene -
zunächst und vor allem einen hinreichenden politischen Willen, sich in
Fragen des Krisenmanagements und der Gewaltprävention rechtzeitig zu
engagieren. Für ein solches Engagement sprechen nicht nur ethische
Gründe - wo man Menschen das mit organisierter Gewaltanwendung
verbundene Leid ersparen kann, ist man verpflichtet, dies zu tun -,
sondern auch die nutzentheoretische Überlegung, dass die Anforderungen
und Kosten präventiver Politik meist deutlich hinter dem Umfang an
Verpflichtungen zurückbleiben dürften, der infolge eines militärischen
Eingreifens zu erwarten stünde.
Gerade unter dem Gesichtspunkt von Prävention wird die Problematik
vielfältiger interessen- und machtpolitischer Verflechtungen von Ländern
des OECD-Raumes mit Krisenregionen und -gesellschaften erkennbar.
Politische Entscheidungen sind deswegen kontinuierlich darauf zu
überprüfen, ob durch sie riskiert wird, vorhandene Krisenpotentiale noch
zu verschärfen und - statt zur vorausschauenden Transformation - eher
zur weiteren Eskalation von gewaltträchtigen Situationen beizutragen.
Darüber hinaus ist es erforderlich, die Mittel und Methoden der
Frühwarnung vor sich zuspitzenden Konfliktsituationen zu verbessern, vor
allem die Strukturen des politischen Entscheidungsapparats darauf-hin zu
verändern, dass eine zeitgerechte Reaktion auf entsprechende Warnungen
möglich wird. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Vereinten Nationen
und Regionalorganisationen wie der OSZE oder der EU sollte unter diesem
Gesichtspunkt weiter intensiviert werden.
Im Spektrum der Möglichkeiten direkter politischer Einflussnahme sind
prinzipiell Anreizsysteme gegenüber ökonomischen Sanktionen zu
bevorzugen, da letztere nicht nur offensichtlich den Charakter der
Nötigung haben, sondern darüber hinaus viele Menschen treffen, die für
die politischen Ursachen einer Konfliktsituation keine Verantwortung
tragen. Sanktionsregimes sind deswegen auch nur dann gegenüber
militärischen Interventionen vorzugswürdig, wenn sie ihren Zweck
voraussicht-lich mit einem geringeren Ausmaß an Schädigungen jener
Gruppen der Bevölkerung erreichen, die die Konsequenzen einer verfehlten
Politik lediglich zu erleiden haben, ohne auf den Kurs ihrer politischen
Führung tatsächlich Einfluss nehmen zu können.
In jedem Fall müssen sich verstärkte Anstrengungen auf die Ausarbeitung
praktisch umsetzbarer "intelligenter" Sanktionen richten, die einen u.U.
notwendigen politischen Druck ohne ungewollte Schädigung der Bevölkerung
und ebenso ohne Griff zu physischer Gewaltanwendung zu erzeugen suchen.
Zugleich bedarf es einer Fortentwicklung des gegenwärtigen
Menschenrechtsschutzsystems, das trotz seiner durchaus nennenswerten
Leistungsfähigkeit in zu hohem Maße von der faktischen
Kooperationsbereitschaft menschenrechtsverletzender Regime abhängig ist.
Ziel muss dabei eine wirksamere Absicherung der konsentierten Normen in
der Praxis der Staaten sein.
Empfehlung 4: Die Durchführung militärischer Interventionen von Anfang
an unter den Imperativ der Schadensbegrenzung und des Schutzes der
Zivilbevölkerung stellen
In vielen Krisenregionen herrschen zum Zeitpunkt einer
Interventionsentscheidung bereits katastrophale Verhältnisse, die
Menschenrechte werden in großem Umfang missachtet, an öffentlicher
Sicherheit fehlt es weitgehend, oft besteht auch eine verlässliche
Basisversorgung der Bevölkerung nicht mehr. Die individuellen wie
kollektiven psychosozialen Folgen von Lebensbedingungen unter ständiger
Existenzangst sind nicht minder gravierend. Daher müssen Interventionen
darauf abzielen, diesen Zuständen so rasch wie möglich Abhilfe zu
schaffen; die Art und Weise ihrer Durchführung steht unter der
Forderung, die Situation der am meisten Leid Tragenden nicht noch weiter
zu verschlechtern. Humanitäre Hilfe, Aufklärung und Schutz der
Bevölkerung müssen essentielle Bestandteile jeder Intervention sein.
Klarheit und angemessener Umfang des Mandats von
Interventionsstreitkräften, eine hinreichende personelle und materielle
Ausstattung sowie adäquate Einsatzgrundsätze (Rules of Engagement) wie
im "Brahimi-Report" beschrieben - sind nicht nur entscheidend für die
erfolgreiche Durchführung von Interventionen - sie sind zugleich eine
unerlässliche Voraussetzung dafür, hierbei das Ziel einer wirksamen
Schadensbegrenzung gerade für die Zivilbevölkerung so weit wie möglich
verwirklichen zu können. Für die Umsetzung dieser Anforderungen tragen
die Mitglieder des Sicherheitsrates, der über etwaige Interventionen zu
befinden hat, die hauptsächliche Verantwortung; insbesondere müssen sie
für eine ausreichende Finanzierung und realisierbare Mandate Sorge
tragen. Nur so kann verhindert werden, dass das Scheitern von
UN-Missionen, die von vornherein inadäquat mandatiert und ausgerüstet
entsandt wurden, als Beweis einer mangelnden Eignung der Vereinten
Nationen für Aufgaben der internationalen Friedenssicherung und des
weltweiten Menschenrechtsschutzes erscheint.
Um die mit einem bewaffneten Eingreifen verbundenen Schäden zu
minimieren und kontraproduktive Auswirkungen möglichst zu vermeiden,
bedarf es von vornherein einer so sorgfältig wie möglich ausgearbeiteten
politischen Gesamtkonzeption für die Zeit nach dem Ende akuter
Gewaltphasen (sustainable peace). Dies schließt die zeitgerechte
Bereitstellung ziviler Komponenten ein, vor allem hinreichender
Polizeikräfte. Wer sich zu einer Intervention entschließt, ist nicht
frei, sich allein aufgrund pragmatischer Überlegungen wieder
zurückzuziehen, er übernimmt vielmehr eine direkte Verantwortung für die
politische wie persönliche Zukunftsperspektive der Menschen im
Interventionsgebiet. Länger-fristige commitments können sich als
unvermeidlich erweisen, auch wenn sie unerwünscht sind; ihre Bedeutung
und das Ausmaß der mit ihnen eingegangenen Verpflichtungen dürfen daher
gerade dort nicht ungenannt oder unterbestimmt bleiben, wo es gilt, die
politische Zustimmung zu einer Intervention zu gewinnen (vgl. Empfehlung
8).
Empfehlung 5: Auf strikte Völkerrechtskonformität und die Legitimierung
durch die zuständigen Institutionen der Staatengemeinschaft bedacht
bleiben
Sollen Interventionen dem Anliegen des globalen Menschenrechtsschutzes
auch auf längere Sicht dienen und in diesem Sinn eine nachhaltige
Wirkung entfalten, so ist so weit wie möglich zu verhindern, dass in der
Weise ihres Zustandekommens die Grundlagen supranationalen Rechts
überhaupt ausgehöhlt werden. Es ist auch in Fällen schwerwiegender
Menschenrechtsverletzungen nicht möglich, sich unmittelbar auf eine
gewohnheitsrechtliche Legitimation für einzelstaatliche Interventionen
zu berufen - die Zuständigkeit für derartige Entscheidungen liegt beim
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Jede Staatenpraxis, die die
gegebene Rechtslage nicht respektiert, bietet Grund zu der Befürchtung,
dass sie Präzedenzfälle für vergleichbare Rechtsverletzungen anderer
Staaten setzt. Sie liefe damit Gefahr, einer weiteren Zunahme
kriegerischer Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen den Weg
zu ebnen und das gegenwärtige Friedenssicherungssystem dadurch zu
untergraben.
Der zu fordernde Respekt vor dieser Kompetenzzuweisung setzt
andererseits voraus, dass die Mitglieder des Rats vor den ihnen
zustehenden exklusiven Rechten einen sachgemäßen Gebrauch machen,
insbesondere Interventionen zugunsten der Menschenrechte nicht dort
blockieren, wo ihre Dringlichkeit offenkundig ist. Es bedarf daher einer
Weiterentwicklung des internationalen Rechts mit dem Ziel,
sicherzustellen, dass erforderliche Entscheidungen zu bewaffnetem
Eingreifen aufgrund konsentierter materieller Rechtsstandards und
möglichst frei von andersgelagerten politischen Opportunitätskalkülen
getroffen werden können. Die entsprechenden Verfahrensregelungen in
internationalen Gremien sind daraufhin zu reformieren, dass sie das
Zustandekommen sachgerechter Beschlüsse fördern. Auch wenn gegenwärtig
diskutierte konkrete Vorschläge hierzu aus unterschiedlichen Gründen
noch nicht überzeugen können, muss die Suche nach konstruktiven
Modifikationen des gegebenen Systems, nach transparenten und zugleich
effizienten wie rechtlich überprüfbaren Entscheidungswegen fortgeführt
werden.
Fortschritte erscheinen ferner im Hinblick auf die geltenden Standards
im humanitären Völkerrecht notwendig, die die Opfer bewaffneter
Konflikte nicht hinreichend zu schützen vermögen - zumal angesichts
gewandelter Konfliktaustragungsformen und sich verändernder technischer
Möglichkeiten zum Einsatz von Gewalt. Auch mit den Mitteln des Rechts
sollte versucht werden, den schwer beherrschbaren Eigendynamiken jeder
organisierten Gewaltanwendung und den damit einher ge-henden
Eskalationsgefahren so weit wie möglich Dämme zu setzen. Daher gilt es
zum einen, alle Staaten dazu zu bewegen, die Standards der
Zusatzprotokolle im eigenen Zuständigkeitsbereich verbindlich zu machen
- vorzugsweise auf dem Weg des Beitritts zu diesen Vertragswerken. Zum
anderen sollten Verhandlungsprozesse initiiert bzw. weitergeführt
werden, die auf eine Fortbildung und Verstärkung der humanitären
Schutznormen des Völkerrechts, über den Rahmen der Zusatzprotokolle
hinaus, gerichtet sind.
Vor allem jedoch müssen Verstöße gegen die bereits verpflichtenden
humanitären und menschenrechtlichen Rechtsvorschriften in angemessener
Weise geahndet werden. In diesem Kontext kann der jüngst ins Leben
gerufene Internationale Strafgerichtshof eine zusätzliche wichtige
Funktion erfüllen. Dies gilt einerseits im Blick auf die Einheitlichkeit
der Rechtsanwendung: Vergleichbare Delikte ließen sich auch in
vergleichbarer Weise völkerstrafrechtlich würdigen. Andererseits ist
mit der Errichtung des Gerichtshofs ein deutliches politisches Signal
verbunden: Staaten, die Verstöße ihrer Soldaten gegen geltendes
humanitäres Recht nicht hinreichend oder überhaupt nicht ahnden, können
künftig nicht mehr davon ausgehen, dass es mit solchen faktischen
Amnestierungen sein Bewenden haben wird.
Empfehlung 6:In der Planung und Durchführung Humanitärer Hilfe mit
Zielkonflikten rechnen und Strategien zu ihrer Minimierung ausarbeiten
Hilfsorganisationen sehen sich in ihrer Arbeit in Krisengebieten mit
Zielkonflikten konfrontiert, die nicht in jedem Fall vermeidbar sind,
bestenfalls auf ein annehmbares Maß verringert werden können. So stehen
sie häufig vor dem Problem, dass von ihren auf die Bedürftigsten
gerichteten Hilfsprogrammen zugleich die Vertreter von Konfliktparteien
profitieren. Wo dies in Kauf genommen werden muss, um elementare
Überlebenshilfe für die Opfer bewaffneter Konflikte überhaupt leisten zu
können, kann es nur darum gehen, solche ungewollten Transferwirkungen so
weit wie möglich zu minimieren; eine totale Verweigerung von
Hilfslieferungen wäre angesichts ihrer Konsequenzen für die eigentlichen
Adressaten nicht zu rechtfertigen. Durch entsprechendes Management und
Kontrolle muss sichergestellt werden, dass das Gros der Hilfe die
jeweiligen Zielgruppen erreicht. Ebenso ist nach Möglichkeit zu
vermeiden, dass Humanitäre Hilfe einseitig nur bestimmten Gruppen der
Bevölke-rung zufließt, obwohl sich andere in einer ähnlich desolaten
Lage befinden, oder dass sich Hilfslieferungen hemmend auf den Aufbau
nachhaltiger lokaler Wirtschaftsstrukturen auswirken.
Um diesen unerwünschten Effekten gegensteuern zu können, ist ein hohes
Maß an Professionalisierung des eingesetzten Hilfspersonals
erforderlich, das vor allem in die Lage versetzt werden muss, die
Risiken ambivalenter Wirkungen der geleisteten Hilfe abzuschätzen.
Spannungen lassen sich ferner durch Offenheit in der Art der jeweiligen
Projektdurchführung abbauen. Informationen an alle relevanten Gruppen
über das humanitäre Mandat einer Organisation und die Ziele und Mittel
des Projekts können Misstrauen vermindern. Die Partizipation der
Empfänger und des Umfeldes an Planung und Durchführung können ebenfalls
konfliktmindernd wirken.
Nicht intendiert, aber um des Zugangs zu Hilfsbedürftigen willen häufig
unvermeidlich ist eine Zurückhaltung Humanitärer Hilfsorganisationen
hinsichtlich berechtigter, ja notwendiger Kritik an den politischen
Verhältnissen in Krisengebieten, z.B. an schweren
Menschenrechtsverletzungen, die durch verbrecherische Regime verübt
werden. Die Rücksicht auf das Interesse an Schutz und Hilfe für
Notleidende kann u.U. selbst die öffentliche Artikulationsfähigkeit von
Menschenrechtsorganisationen beeinträchtigen, wenn die offene Benennung
solcher Verbrechen die Fortsetzung der eigenen Arbeit oder derjenigen
der humanitären Helfer unmöglich werden ließe. Ein Spannungsverhältnis
kann sich außer-dem aus unterschiedlichen Handlungslogiken ergeben. Die
Praxis humanitärer Hilfsorganisationen, die sich dem Neutralitätsgebot
verpflichtet sehen, folgt oft anderen Grundsätzen als
militärisch-strategische Planungen, welche neben den humanitären weiter
gesteckte politische Zielsetzungen zu erreichen suchen. In solchen
Fällen ist sicherzustellen, dass die humanitären Prioritäten, mit denen
eine Intervention begründet wird, nicht andersartigen militärischen und
politischen Zielen untergeordnet werden.
Darüber hinaus ist mit einem grundlegenden Zielkonflikt zu rechnen, der
kaum auflösbar erscheint: Militärische Absicherung Humanitärer Hilfe für
einzelne Zielgruppen richtet sich unvermeidlich gegen bestimmte Akteure
des Konfliktgeschehens und kollidiert so mit der
Neutralitätsverpflichtung der Helfer, kann aber die einzige Option
darstellen, um eine durch Gewaltakte an Leib und Leben gefährdete
Zivilbevölkerung ebenso zu schützen wie das Hilfspersonal selbst. Der
Verzicht auf diese Absicherung würde dann darauf hinauslaufen, hilflose
Menschen ihrem Schicksal zu überlassen. Dies wäre nicht nur für viele
der Beteiligten unerträglich, es würde auch die moralische
Glaubwürdigkeit beschädigen, mit der man sich in der Legitimation einer
Intervention auf humanitäre Zielsetzungen beruft. Gerade mit Blick auf
solche real möglichen Situationen sollte daher zwischen militärischen
und zivilen Einsatzkräften bereits vor Beginn einer Mission Einvernehmen
darüber hergestellt werden, wie im Ernstfall zu handeln ist.
Empfehlung 7: Einsatzgrundsätze für Interventionsstreitkräfte am Ziel
der Gewaltminimierung und am Respekt vor den Menschenrechten und den
Normen des
humanitären Völkerrechts ausrichten
Die Anwendung kollektiver Gewalt verläuft in den seltensten Fällen so,
wie es Planer zuvor konzipiert hatten. Dadurch wächst das Risiko, dass
die ethischen und rechtlichen Forderungen nach einer Begrenzung des
Gewaltniveaus im Ernstfall gewissermaßen "leer laufen" - und es wird um
so größer, je länger die Gewaltphase andauert und je mehr sich die
wechselseitige Gewaltanwendung intensiviert. Wenn andererseits die
Entscheidung, auf Gewaltanwendung zu verzichten, angesichts ihrer
Konsequenzen für Dritte unannehmbar ist, bleibt nur die Möglichkeit
offen, unter den gegebenen Rahmenbedingungen alles zu unternehmen, was
die Chancen für eine ethisch-rechtliche Einhegung der Anwendung von
Gewalt und für die Kontrollierbarkeit ihrer Folgen erhöht.
Generell muss der Versuchung widerstanden werden, bei der Definition
erlaubter Zielkategorien, bei der Auswahl der Ziele selbst, der gegen
sie einzusetzenden Waffen und der konkreten Art ihrer Verwendung das
geltende Recht weit auszulegen, und zwar zu Lasten der zu Schützenden.
Bestehende Unklarheiten bzw. zu weite Ermessensspielräume im geltenden
Recht müssen daher beseitigt werden (vgl. Empfehlung 5). Die für den
Einsatz im Rahmen von Interventionen vorgesehenen Personen bedürfen
einer Sensibilisierung für die ethischen Aspekte bzw. Konsequenzen
vieler der ihnen u.U. abverlangten Einzelentscheidungen, darunter
ausdrücklich auch für die ethischen wie rechtlichen Grenzen von Befehl
und Gehorsam. Die Herausbildung von Aufmerksamkeit dafür, wie leicht sie
in den Sog der Eigendynamiken der Gewalt geraten können, kann
verhindern, dass Angehörige von Interventionstruppen selbst schwere
Verletzungen der Menschenrechte und der Normen des humanitären
Völkerrechts begehen.
Präventiv wirksam werden kann nicht erst eine nachträgliche
Sanktionierung von Verstößen, sondern nur eine hinreichend systematisch
durchgeführte Bewusstseinsbildung in Fragen des humanitären Völkerrechts
und Menschenrechtsfragen, z.B. durch entsprechende Ausbildungsprogramme
während der Einsatzvorbereitung. Für die Bundeswehr besteht eine
besondere Verpflichtung auf den Menschenrechtsschutz bereits im Rahmen
der verbindlichen Grundsätze der Inneren Führung. Allerdings gilt es
gerade im Kontext multinationaler Einsätze der Gefahr entgegen zu
wirken, dass diese Prinzipien und die ihnen entsprechenden
Soldatenrechte unter Druck geraten, weil sie nicht in Übereinstimmung
mit der Praxis und Tradition anderer Armeen stehen. Statt eine
allmähliche Relativierung dieser rechtlichen Standards zu akzeptieren,
muss daher auf politischer Ebene mit Entschiedenheit an ihrer Stärkung
und weiteren Verbreitung gearbeitet werden.
Auf die Verpflichtung auf die Menschenrechte ist ausdrücklich auch
hinsichtlich der Behandlung von Gefangenen hinzuweisen. Selbst dort, wo
man einem Inhaftierten den Kriegsgefangenenstatus nicht zuerkennt, wird
dieser deswegen keineswegs zu einer rechtlosen Person. Seine
Menschenwürde ist weiterhin in der Weise, wie er behandelt wird, zu
respektieren; insbesondere stellen die auch in Krisensituationen nicht
derogierbaren Menschenrechte rechtlich verbindliche Schutznormen dar,
die gegenüber jedermann gelten.
Empfehlung 8: Eine koordinierte Bearbeitung der vielfältigen Aufgaben im
Bereich der Konfliktnachsorge und Friedenskonsolidierung sicherstellen
Bereits zu Beginn einer Intervention, nicht erst der
Aufgabendefinitionen nach dem Ende der Gewaltphase, bedarf es der
Bereitschaft der Staatengemeinschaft, sich auf eine längere aktive
Verantwortungsübernahme für die künftige Entwicklung in einem
Interventionsgebiet einzurichten, um die dort regelmäßig notwendigen
strukturellen Wandlungsprozesse zu unterstützen. Dies fordert nicht nur
die Bereitstellung von Ressourcen, es stellt vor allem entsprechende
Anforderungen an eine effizienz-orientierte Kohärenz und Koordination im
Vorgehen unterschiedlicher externer Akteure.
In vielen Fällen wird die Hauptverantwortung von Interventionsmächten
nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzungen auf die
Wiederherstellung eines Zustands gerichtet sein müssen, der der
Bevölkerung im betroffenen Gebiet elementare Überlebensbedingungen
sichert. Darüber hinaus gilt es, den erreichten Waffenstillstand dagegen
abzusichern, dass die Situation nach kurzer Zeit in neue Gewaltanwendung
zurückfällt. Bemühungen um eine Demilitarisierung des Konflikts müssen
Entwaffnungs-Demobilisierungs- und Wiedereingliederungsmaßnahmen für
ehemalige Kämpfer, insbesondere für Kindersoldaten, mit Priorität
versehen. Bereits frühzeitig muss überdies mit weitreichenden Reformen
des Sicherheitssektors begonnen werden.
Jenseits der Gewährleistung elementarer Versorgung und Sicherheit für
die Bevölkerung im Interventionsgebiet steht die Staatengemeinschaft vor
der Aufgabe, einen umfassenden inneren Wandel im Lande einzuleiten, der
das Wiedererstehen von Verhältnissen, die seinerzeit zum
Interventionsgrund wurden, möglichst unwahrscheinlich werden lässt.
Grundsätzlich sollten sich stark wirksame und spürbare Eingriffe von
außen darauf beschränken, die Bedingungen zu schaffen bzw.
sicherzustellen, unter denen ein menschenrechtsfreundlicher
Transformationsprozess gelingen kann. Ohne eine sich konsolidierende und
politisch zunehmend artikulationsfähige Zivilgesellschaft dürfte es
überaus schwierig werden, in Richtung auf - möglichst kulturell
angepasste - Modelle politischer Partizipation und Demokratisierung
Fortschritte zu machen, die mit einer Perspektive auf dauerhafte
Transformation verbunden sind. Allein an der Durchführung von Wahlen
unter internationaler Aufsicht lässt sich nicht ablesen, wie weit ein
politischer Konsolidierungsprozess im Land bereits vorangeschritten ist.
Es gehört vielmehr zur Verantwortung der Staatengemeinschaft, zu
verhindern, dass als Ergebnis solcher Wahlen Personen an die Macht
gelangen, die erwarten lassen, dass die begonnene Transformation der
politischen und gesellschaftlichen Situation wieder revidiert wird.
Ferner bedarf es der Einrichtung geeigneter Rechtssysteme, aber auch
korrespondierender politischer Institutionen, die einen wirksamen
Menschenrechts- und Minderheitenschutz garantieren können. Zudem sollte
nach Möglichkeiten gesucht werden, zum Aufbau einer veränderten
politischen Kultur beizutragen, insbesondere der Neukonstitutierung
unabhängiger Medien den Weg zu bereiten. Von besonderer Bedeutung ist
außerdem die Bekämpfung aller Erscheinungsformen von Korruption und
organisierter Kriminalität, besonders in ihren schlimmsten Ausprägungen,
wie sie im Menschenhandel (Zwangsprostitution), im Drogen- und
Waffenhandel begegnen.
Externe Unterstützung in erheblichem Umfang ist unverzichtbar, sollen
Regionen, die
durch die Erfahrung kollektiver, organisierter Gewaltanwendung tief
erschüttert wurden, auf den Weg einer sich in absehbarer Frist auch
ökonomisch selbst tragenden
Entwicklung zurückgeführt werden können. Wo in langjährigen gewaltsamen
Konflikten staatliche Strukturen zerfallen sind und sich stattdessen
regelrechte Gewaltökonomien etablieren konnten, besteht eine
Hauptaufgabe für externe Akteure nach dem Abschluss einer militärischen
Intervention darin, für viele Beteiligte einen Ausstieg aus diesen
Gewaltökonomien zu ermöglichen, ja attraktiv werden zu lassen.
Aufbauhilfen sollten daher auch darauf abzielen, der Bevölkerung in
zunehmendem Maße zivile
Einkommensmöglichkeiten zu erschließen. Zugleich muss das Eindringen von
in Gewaltökonomien erzeugten Gütern in die formelle Wirtschaft
erschwert werden. Ein
bedeutsamer Schritt wäre der Boykott von Rohstoffgütern aus
Konfliktregionen, wenn der Handel mit ihnen nachweislich zur
Verlängerung von Kriegen beiträgt. Zudem sollte die Einfuhr von Waffen
in diese Regionen strikt unterbunden werden.
Sorgfältig zu bestimmen ist der Zeitpunkt, zu dem mit einer
strafrechtlichen Aufarbeitung von systematischen
Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
begonnen werden kann. Diese Aufgabe kann erst in Angriff genommen
werden, wenn keine Gefahr mehr droht, dass der prioritäre Schutz vor
neuer Gewaltanwendung dadurch in Gefahr geriete. Generelle Amnestien
sollten vermieden werden, weil sie regelmäßig dazu führen, dass die
bisherigen Funktionseliten erhalten bleiben und ein breitenwirksamer
Prozess der Auseinandersetzung mit dem Unrechtscharakter überwundener
Systemstrukturen verhindert wird.
Dadurch gerät jedoch die Legitimität der neuen politischen Ordnung auch
bei den Opfern überwundener Unrechts- und Gewaltverhältnisse ins
Zwielicht, obwohl sie auf deren Unterstützung wesentlich angewiesen ist.
In manchen Situationen mag die Kombination von strafrechtlicher
Verfolgung und einer öffentlichen Aufarbeitung der Vergangenheit im
Rahmen von Wahrheitskommissionen empfehlenswert erscheinen; keinesfalls
stellen jedoch Wahrheitskommission eine Alternative dar, die
strafrechtliche Verfolgung schwerer Verbrechen überflüssig machen
könnte. Angesichts der Unzulänglichkeiten strafrechtlicher Aufarbeitung
bleibt eine Fülle weiterer Aufgaben zu bewältigen, wenn es gelingen
soll, die Tatfolgen vergangener Verbrechen für die überlebenden Opfer
und die Gesellschaft insgesamt zu lindern.
Bemühungen um eine Reintegration von Menschen, die durch erlittene
Gewalterfahrungen auf unterschiedliche Weise ihrem bisherigen sozialen
Umfeld entrissen wurden, müssen multidimensional ansetzen. Für
Flüchtlinge und Vertriebene bedeutet dies auf absehbare Zeit vor allem,
Lebens und Einkommensmöglichkeiten in der Nähe derjenigen Orte zu
schaffen, in denen die Flüchtenden bzw. Vertriebenen sich bei Ende der
Gewaltphase tatsächlich befinden. Nur so weit die Verhältnisse in ihren
ursprünglichen Herkunftsgebieten es vertretbar erscheinen lassen, darf
auf ihre Rückkehr hingewirkt werden. Zugleich bedarf es für alle
Bevölkerungsgruppen einer zügigen Wiedererrichtung grundlegender
sozialer Sicherungssysteme und eines wenigstens halbwegs gerecht zu
nennenden Verteilungssystems, womöglich auch der zerstörten "sozialen
Netzwerke". Durch die grundlegende Rekonstruktion des sozialen Systems
werden Wege eröffnet, auf denen das dringend benötigte "Human- und
Sozialkapital" in der Bevölkerung für eine sich längerfristig selbst
tragende friedliche Entwicklung herausgebildet werde kann.
Am Beispiel der überaus schwierigen Wiedereingliederung von
Kindersoldaten lassen sich die Herausforderungen und Schwierigkeiten
verdeutlichen, die sich für den Versuch einer Bearbeitung von
Traumatisierungen ergeben. Unter traumatischen Erfahrungen leiden jedoch
nicht nur Opfer von Gewalt in Kriegen und Bürgerkriegen - schwere
Traumatisierungen können auch die Folge vormaliger repressiver
Gewaltstrukturen in autoritären bzw. diktatorischen Systemen sein. Eine
Gesellschaft, die sich die Frage nach einem angemessenen Umgang mit
ehemaligen Tätern nicht leicht macht, muss zugleich ebenso entschieden
danach streben, den Opfern von Unrecht und Gewalt praktische Hilfe
anzubieten.
Insbesondere zivilgesellschaftlichen Akteuren sollte es deswegen darum
gehen, den Umfang jeweils der konkreten Situation angepasster
psychosozialer Hilfsangebote zu erweitern, und sie sollten dabei
durchaus auch das jeweils vor Ort vorhandene, oft an traditionelle
Formen gebundene Wissen um den Umgang mit Traumatisierungen
berücksichtigen. Dabei müssen sie der Tatsache Rechnung zu tragen, dass
eine angemessene Bearbeitung der psychosozialen Folgen von
Traumatisierungen längere Zeiträume benötigt und akute
Kurzzeit-Interventionen nur sinnvoll erscheinen, wenn sie eine solche
längerfristige Perspektive mit eröffnen.
Bemühungen um Aufarbeitung der Vergangenheit auf gesellschaftlicher und
politischer Ebene sollen den Entstehungsbedingungen dafür
entgegenwirken, dass sich vergleichbare Strukturen von Gewalt bzw.
systemisch bedingtem Unrecht von neuem herausbilden. Die
Erfolgsaussichten solcher Bemühungen hängen aufs Engste damit zusammen,
wie weit es gelingt, im Raum der Öffentlichkeit früher zu Unrecht
Verurteilte oder Benachteiligte zu rehabilitieren und wenigstens
teilweise zu entschädigen. Solche Akte sind zwar zunächst im Hinblick
auf die individuelle Lebenssituation der Betroffenen von großer
Bedeutung, nicht minder sind sie es jedoch wegen ihrer symbolischen
Funktion für die öffentliche Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht,
d.h. in politischer und kultureller Hinsicht.
Durch öffentliche Ehrungen der Opfer, Gedenkstättenarbeit, historisch
wie didaktisch mit Sorgfalt konzipierte Publikationen, Medienarbeit und
die Thematisierung dieser Problematik im Bereich von Erziehung und
Bildung kann es gelingen, Formen kollektiver Erinnerung vor politischer
Manipulation zu schützen. Selbst die Aussichten für den Erfolg
individueller Traumabearbeitung hängen entscheidend davon ab, ob diese
in einem öffentlichen Klima stattfindet, das eine Offenlegung der
Verursachungsfaktoren für die entstandenen Traumatisierungen ermöglicht.
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