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Militärinterventionen auf dem Prüfstand

Empirische Befunde gegen den Mainstream der Politik

Von Peter Strutynski

Der erste Teil des Titels meines Vortrags* stammt nicht von mir. Es ist die Überschrift über den Schwerpunkt des diesjährigen Friedensgutachtens, das im Juni von den fünf großen Friedensforschungsinstituten der Bundesrepublik Deutschland herausgebracht wurde. Darin werden ein paar Interventionsfälle, an denen auch die Bundeswehr beteiligt ist, unter die Lupe genommen, insbesondere der Balkan, Afghanistan, Kongo und Libanon. Die Bilanz fällt ernüchternd durchwachsen aus. Insbesondere hinsichtlich des Einsatzes in Afghanistan -- ich werde darauf noch detaillierter eingehen -- werden mehr "Rückschläge" als "Fortschritte" verzeichnet. Dem ins Stocken geratenen Aufbau staatlicher Macht- und Verwaltungsstrukturen stehen die alarmierenden Meldungen über die Rückkehr der Taleban und die Zunahme von Kampfsituationen gegenüber. Auch in zwei weiteren Ländern, Irak und Somalia -- hier ist Deutschland derzeit nicht beteiligt -- herrscht heute Krieg oder Bürgerkrieg. Und die beiden aus dem Zerfall Jugoslawiens hervorgegangenen Territorien Bosnien-Herzegowina und die serbische Provinz Kosovo sind seit langem internationale Protektorate, die sich ohne ausländische Truppenpräsenz nicht behaupten könnten. "Keine Frage, Frieden sieht anders aus", stellt Reinhard Mutz vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik trocken fest. (FG 2007, S. 60.)

Das Friedensgutachten enthält eine schonungslose Abrechnung mit der Neigung der politischen Klasse, Militäreinsätze zum Allheilmittel beim Auftreten irgendwelcher bewaffneter Konflikte zu erklären. Es drohe die "Umkehr von Regel und Ausnahme". Die Armee müsse "das staatliche Instrument für den Notfall, nicht für den politischen Alltagsgebrauch bleiben" (FG 2007, S. 9).

1 Neue strategische Konzepte nach dem Ende des Kalten Krieges

In der Tat hat die Bundesregierung seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten alles daran gesetzt, dem anfänglich drohenden Funktionsverlust der Bundeswehr und der NATO -- immerhin war ihnen der Gegner abhanden gekommen -- mit neu auftauchenden bzw. neu konstruierten weltpolitischen Gefährdungen entgegen zu treten. Hierzu beschloss die NATO bereits auf ihrem Gipfel in Rom im November 1991 ein Strategiepapier, in dem Abschied genommen wurde von dem alten Bedrohungsszenario eines mit großen Panzerverbänden vorgetragenen Angriffs aus dem Osten. Nachdem sich die NATO über 40 Jahre als Verteidigungsbündnis gegen den Warschauer Vertrag verstanden hatte, hätte die Auflösung eben dieses östlichen Militärbündnisses durchaus ein Grund für weitgehende Abrüstungsmaßnahmen auch im Westen sein können. Wir wissen heute, dass die Geschichte anders verlief, dass die erhoffte "Friedensdividende" zum Wohle der Menschheit nicht ausgeschüttet wurde. Militärs, die wie jede andere Berufsgruppe ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Sicherung ihrer Besitzstände haben, reagierten auf den weltpolitischen Epochenumbruch sehr kreativ mit der Konstruktion neuer Risiken. In der NATO-Erklärung von Rom wurden sie exakt beschrieben: Die illegale Weitergabe von Massenvernichtungswaffen gehörte genauso dazu wie die Gefahr durch terroristische Anschläge, die Ausbreitung von Kriminalität oder die Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Rohstoffe sowie die Störung des freien Welthandels.

Exakt ein Jahr später hat das deutsche Verteidigungsministerium diese Risikoanalyse zur Grundlage seiner im November 1992 erlassenen "Verteidigungspolitischen Richtlinien" gemacht. Dabei wurden sowohl die sachliche Begrenzung auf Verteidigung als auch die geografische Begrenzung auf das eigene Territorium und das NATO-Gebiet gesprengt. Es hieß jetzt: "Nicht mehr die alleinige Fähigkeit zur umfassenden Verteidigung gegen eine ständig drohende Aggression, sondern flexible Krisen- und Konfliktbewältigung im erweiterten geographischen Umfeld, Friedensmissionen und humanitäre Einsätze bestimmen neben der Schutzfunktion gegen verbleibende unmittelbare Risiken ihr künftiges Anforderungsprofil." (VPR 1992, Ziff. 37)

Nur der Vollständigkeit halber möchte ich darauf hinweisen, dass alle nachfolgenden sicherheitspolitischen Grundlagen-Dokumente der Bundesregierung diese Argumentation nicht mehr verlassen, sondern nur noch weiter ausgeschmückt haben. Zusätzlich hat sich eine Argumentationsfigur breit gemacht, die dem Militär auch dann noch einen wichtigen Platz zuweist, wenn es für alle sichtbar nicht mehr gebraucht würde. So heißt es beispielsweise im Weißbuch 1994: "Verteidigungsfähigkeit drückt den Selbstbehauptungswillen eines Volkes und staatliche Souveränität aus. Als staatliche Grundaufgabe muss die Schutzfunktion in ihrem Kern von Veränderungen der sicherheitspolitischen Lage unberührt bleiben. Es ist daher nur folgerichtig und unabdingbar, dass Deutschland auch militärisch gegen die Unwägbarkeiten der Zukunft gewappnet bleibt." (Weißbuch 1994, S. 41)

2 Interventionen: Eine Erfolgsgeschichte?

Der Untertitel meines Vortrags verheißt empirische Ergebnisse, die zudem den Mainstream der Politik widerlegen sollen. Eine der größten Untugenden der politischen Klasse besteht darin, ihre Politik selbst dann noch als Erfolgsgeschichte zu verkaufen, wenn die Realität eine andere Sprache spricht. Dies praktizierte die Bundesregierung zuletzt in ihrem "Afghanistan-Konzept" vom 5. September 2007. Danach schreite der "politisch-zivile Prozess des Landes" voran und die Staatsorgane gewännen "schrittweise an Funktionsfähigkeit", insbesondere sei das Parlament "zu einem lebhaften Forum für politische Debatten geworden". Im allgemeinen verzichtet die Regierung aber auf eine Bilanzierung ihrer Bundeswehreinsätze. Die Veröffentlichungen des Verteidigungsministeriums enthalten zu den Einsätzen lediglich die Auftragsbeschreibung. Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von KFOR diene etwa der Herstellung eines "friedlichen und multi-ethnischen Kosovo", in Bosnien-Herzegowina gehe es um die "Absicherung des Friedensvertrags von Dayton" und darum, "die Volksgruppen von Feindseligkeiten abzuhalten", und vor den Küsten Libanons sei die deutsche Marine zur "Absicherung der libanesischen Grenze vor Waffenschmuggel". Die einzigen Fortschrittsberichte der Bundesregierung werden dem Bundestag vorgelegt, wenn sie dort die Verlängerung der diversen Auslandseinsätze beantragen muss. Hier wird zwar auch schöngeredet, denn die Bundeswehrmissionen müssen ja erfolgreich sein. Der Erfolg muss aber gleichzeitig von auftretenden Hindernissen und Defiziten getrübt sein, denn nur so lässt sich glaubwürdig eine Verlängerung des Militäreinsatzes begründen. So enthielt der Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Operation Enduring Freedom in Afghanistan, der vor wenigen Tagen im Bundestag diskutiert und verabschiedet wurde, einerseits einen Hinweis auf die "erfolgreichen Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau des Landes", andererseits aber auch das Eingeständnis, dass "terroristische Kräfte" weiterhin versuchten, "die Wiederaufbaubemühungen ... zu untergraben und das Land wieder zu einer Ausbildungs- und Operationsbasis für den internationalen Terrorismus zu machen". (BT-DS 16/693)

Um die wirklichen Erfolge bzw. Misserfolge militärischer und zivil-militärischer Interventionen zu überprüfen, bedürfte es kontinuierlicher Evaluierungen von unabhängiger Seite. So etwas gibt es weder für die deutschen Einsätze noch für die Einsätze, die von den Vereinten Nationen angeordnet werden. Die Vereinten Nationen verhalten sich in ihren Bilanzen nicht viel anders als die Bundesregierung. Über sämtliche UN-mandatierte Peacekeeping Operationen lässt zwar der Generalsekretär in der Regel halbjährliche Fortschrittsberichte schreiben. Sie sind aber mit äußerster Vorsicht zu genießen, denn auch hier überwiegt das Interesse, einerseits Erfolge vorzuweisen -- schließlich müssen die Geldgeber überzeugt werden - und gleichzeitig Defizite zu benennen, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, die Mission gegebenenfalls zu verlängern.

3 Umfang der UN-Missionen und der Bundeswehreinsätze

Um wie viele Einsätze handelt es sich?

Zur Zeit (Sept. 2007) sind die Vereinten Nationen an 18 Einsätze in vier Kontinenten beteiligt, und zwar mit über 100.000 Personen; das sind rund 73.000 bewaffnete Soldaten und Militärbeobachter; 9.500 Polizisten, 5.700 zivile internationale Mitarbeiter und 12.400 lokale zivile Mitarbeiter. (http://www.unis.unvienna.org/pdf/DPKO_factsheet_g.pdf bzw. http://www.unric.org/html/german/dpi1634dt.pdf)

Hinzu kommen 11 rein politische Missionen mit 3.600 Mitarbeitern, überwiegend Zivilpersonal. (http://www.unric.org/html/german/dpi2166dt.pdf)

Allerdings: Das sind alles Missionen unter Leitung der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze der Vereinten Nationen (DPKO: Department of Peacekeeping Operations). Die Bundesrepublik Deutschland ist an fünf dieser Einsätze beteiligt, allerdings mit relativ wenig Personal.

Es sind dies
  • die UN-Beobachtermissionen im Sudan (UNMIS) [was in der Karte noch nicht vermerkt ist, ist eine UN-Mission zur Unterstützung der Afrikanischen Union in der sudanesischen Region Darfur: UNAMID; diese Mission mit bis zu 250 Soldaten hat der Bundestag am 15. November beschlossen], Georgien (UNOMIG) sowie in Äthiopien und Eritrea (UNMEE);
  • die Beratungs- und Unterstützungsmission in Afghanistan (UNAMA), und
  • der zahlenmäßig größte Einsatz -- die Friedens- und Stabilisierungsmission im Libanon (UNIFIL).
Andere Missionen, die mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrats ausgestattet sind, aber nicht unter Leitung der UNO, sondern unter Leitung von Einzelstaaten oder Staatengruppen und Bündnissen durchgeführt werden, sind in dieser Karte nicht vermerkt. Aus deutscher Sicht sind es aber die eigentlichen Militäreinsätze, an denen mehrere Tausend Bundeswehrsoldaten beteiligt sind. Es handelt sich um die bekannten Missionen
  • in Bosnien-Herzegowina (EUFOR),
  • in der serbischen Provinz Kosovo (KFOR),
  • in Afghanistan (ISAF)
  • und in Afghanistan sowie am Horn von Afrika (OEF).
Ich möchte nun anhand einiger Beispiele untersuchen, welchen Effekt militärische Interventionen mit oder ohne UN-Mandat, mit oder ohne Beteiligung der Bundeswehr gehabt haben, wie die Ziel-Mittel-Relation jeweils zu bewerten ist und ob nicht zivile Alternativen angebrachter gewesen wären bzw. sich in Zukunft anbieten. Die Beispiele, die ich nenne, sind nicht nur eklatante Fälle von fehlgeschlagenen Interventionen (z.B. Irak), sondern auch Fälle, die von den Interventionsbefürwortern immer gern angeführt werden, um die segensreiche Wirkung von robusten Militäreinsätzen zu belegen (z.B. Makedonien) Zuvor aber noch ein paar Hinweise auf die veränderte Praxis der Staatengemeinschaft seit der Epochenwende 1989/90.

4 Die Zunahme der Kriege und der Interventionsbereitschaft der UNO

Seit dem Ende der Bipolarität verlaufen die Konfliktlinien nicht mehr zwischen zwei territorial verorteten militärischen Blöcken, sondern sie liegen zwischen dem industrialisierten Norden und dem armen Süden, der trotz fünf Jahrzehnten Entwicklungshilfe immer weiter verarmt und daher instabiler wird.

Die Beendigung des sowjetischen Experiments, die Abwicklung der ehemaligen DDR und die Auflösung des Warschauer Pakts haben nur kurze Zeit von der "Friedensdividende" träumen lassen. Man wurde sehr schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die Balkan-Kriege -- vom Westen, insbesondere von Deutschland mit geschürt -- und die erschreckende Ausbreitung von regionalen Bürgerkriegen in Afrika und Asien, teilweise auch in Territorien der ehemaligen Sowjetunion, waren beredter Ausdruck der veränderten Weltlage, in der nun alle Dämme der militärischen Zurückhaltung zu brechen schienen. Nie zuvor in der Nachkriegsgeschichte hatte es so viele Kriege gegeben wie Mitte der 90er Jahre! Und Probleme wie das Verschwinden von Staatlichkeit, in der Politikwissenschaft unter dem Begriff der "failing states" subsumiert (scheiternde oder gescheiterte Staaten), die Privatisierung von Gewalt oder die Barbarisierung bewaffneter Konflikte bis hin zu Völkermord-Exzessen (ich erinnere nur an Ruanda) bestimmten die politischen Diskussionen und bereiteten den entscheidenden Paradigmenwechsel in den internationalen Beziehungen vor: In der postbipolaren Welt, so lautete das neue Credo, müssten die aus der Nachkriegsordnung übrig gebliebenen Institutionen wie die NATO und die Vereinten Nationen eine neue Rolle einnehmen.

Wie NATO und Bundeswehr sich in der "neuen Weltordnung" positionierten, habe ich bereits beschrieben. Aber auch den Vereinten Nationen wurde eine neue Rolle zugewiesen. Die Hoffnungen des Westens richteten sich vor allem auf die Auflösung von Blockaden im UN-Sicherheitsrat, die traditionell der Sowjetunion in die Schuhe geschoben worden waren. Nun: Ein Blick in die Statistik der Vetos im Sicherheitsrat zeigt indessen ein anderes Bild: Zwischen 1946 und 1989 wurde insgesamt 232 Mal vom Vetorecht Gebrauch gemacht. 116 Vetos legten die Sowjetunion und die VR China ein, genauso viele Vetos kamen von den Westmächten: 116 Mal verhinderten die USA, Frankreich und Großbritannien sowie Taiwan, das bis 1971 für China im Sicherheitsrat saß, einen Beschluss des UN-Gremiums (Löwe 2000, S. 608). - Diplomaten haben offenbar ein sehr feines Gespür für ausgleichende Gerechtigkeit -- jedenfalls auf der formalen Ebene.

Mit dem Ende der gegenseitigen Blockaden (die übrigens nicht durchgehend die UNO "lähmten", wie häufig behauptet wird) verband der Westen die Hoffnung auf eine stärkere Rolle der UNO in bewaffneten Konflikten. Schließlich ist der UN-Sicherheitsrat die einzige Institution in der Welt, die im Rahmen des Völkerrechts militärische Maßnahmen gegen Staaten oder bewaffnete Kräfte beschließen kann. Den 192 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen steht ein Recht auf Krieg ausschließlich im Fall der Verteidigung gegen eine Aggression zu. Im Artikel 51 der UN-Charta wird in so einem Fall vom "naturgegebenen Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung" gesprochen. Das ist für die Staaten die einzige Ausnahme vom generellen Gewaltverbot des modernen Völkerrechts, das in Art. 2, Abs. 4 der UN-Charta unmissverständlich formuliert ist: "Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."

Verboten ist also nicht nur die ausgeübte Gewalt selbst, sondern schon deren Androhung, mithin auch deren Vorbereitung.

Dieses zwingende Gewaltverbot bindet auch die Vereinten Nationen selbst. So hat die Charta hohe Hürden errichtet, bis der Sicherheitsrat militärische Maßnahmen anordnen kann: Er darf es nach Art. 39 erst, wenn "eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt", und auch dann müssen zunächst alle nicht-militärischen Möglichkeiten zur Konfliktschlichtung ausgeschöpft sein.

Leider hat sich der UN-Sicherheitsrat in den 90er Jahren Stück für Stück über diese klaren Vorgaben hinweggesetzt. Einen Türöffner stellte dabei der Begriff der "humanitären Intervention" dar. Er ist nicht erst beim Nato-Krieg gegen Jugoslawien erfunden worden, sondern spielte schon bei Entscheidungen des Sicherheitsrats im Fall des Irak 1991 -- und zwar nach dem Golfkrieg - eine Rolle. Damals wurden die grenzüberschreitenden Flüchtlingsströme als Bedrohung des internationalen Frieden eingestuft. In der Resolution 688 (1991) wird erstmals ein Interventionsrecht aus humanitären Gründen sanktioniert. Der Irak sollte gezwungen werden, die Unterdrückung der Zivilbevölkerung in den kurdischen Gebieten einzustellen, die Menschenrechte zu achten und den internationalen humanitären Organisationen "Zugang zu allen hilfsbedürftigen Personen" zu gewähren. Ein Jahr später werden die UN-Mitgliedstaaten ermächtigt, durch Übernahme des inneren Gewaltmonopols in einem anderen Mitgliedstaat, nämlich Somalia, "Recht und Ordnung wieder herzustellen" (Res. 794 [1992]).

5 Was sagt die Empirie? Militärinterventionen und ihre Folgen

Somalia

Die unmittelbar darauf folgende "humanitär" genannte Intervention in Somalia von 1992 konnte sich bereits den Präzedenzfall Irak berufen, auch wenn in Somalia Staatlichkeit so gut wie nicht mehr existierte. Die Operation endete mit einem Desaster, als nach der Schändung der Leichen US-amerikanischer Piloten die groß gefeierte internationale Truppe von 40 000 Soldaten sich aus dem Lande zurückzog und es in einem bis heute andauernden Chaos hinterließ. Die jüngste Intervention Äthiopiens (Dez. 2006) mit massiver Unterstützung der US-Luftwaffe hat die sich in diesem zerfallenen Staat allmählich herausbildenden autochthonen Strukturen zerstört. Zugleich zeigt sie, dass die neuen Interventionen der "humanitären" Begründung nicht mehr bedürfen, wenn die USA sich "hilfswilliger" Staaten wie in diesem Falle Äthiopiens bedienen und selbst mit Bombardierungen aus der Luft dem Aggressor Hilfe leisten. Heute, fast elf Monate nach dem Einmarsch Äthiopiens, ist die Lage katastrophaler als je zuvor. Die somalische Hauptstadt Mogadischu versinkt immer tiefer in Chaos und Gewalt. Die Krise in Somalia übertrifft nach Einschätzung eines UN-Beauftragten inzwischen die Ausmaße des Darfur-Konflikts im Sudan. "Die humanitäre Situation in Somalia ist schlimmer als in jedem anderen Land", sagte der UN-Vertreter für das ostafrikanische Land am 13. Nov. Angesichts täglicher Schießereien zwischen Soldaten und islamischen Rebellen in Mogadischu haben nach Angaben der Vereinten Nationen 173.000 Bewohner die Hauptstadt verlassen.

Kosovo

Zu den Militärinterventionen und deren Folgen gehört auch das Kosovo-Problem. War schon der mit "humanitärer" Begründung geführte Krieg der NATO völkerrechtswidrig und durch keinerlei UN-Mandat gedeckt, so übernahmen die UN doch insofern sein Resultat, als das Kosovo unter UN-Mandat gestellt wurde. Inzwischen liegt dem Sicherheitsrat der Plan des Vermittlers Ahtissari vor, der auf die "überwachte" Unabhängigkeit Kosovos von Serbien abzielt. Selbst wenn der Sicherheitsrat sich auf diese Empfehlung wegen eines russischen Vetos nicht einigen könnte, werden wohl die USA, wie Präsident Bush Ende Juni 2007 in Tirana ankündigte, die Unabhängigkeit Kosovos anerkennen. Sowohl eine Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos durch den UN-Sicherheitsrat, als auch ein möglicher Alleingang der USA, dem andere Staaten folgen werden, stellen eine eklatante Verletzung des Art. 2 der UN-Charta dar. Dass solche völkerrechtswidrigen Oktrois Konflikt lösend und Frieden stiftend sein werden, ist mehr als fraglich. Mit diesem Präzedenzfall ist jeder Art von sezessionistischen Bestrebungen Tür und Tor geöffnet. Vor wenigen Tagen nun hat der frühere UCK-Kämpfer Hashim Thaci nach seinem Wahlsieg im Kosovo die baldige Unabhängigkeit der Provinz versprochen. Und schon stehen nicht nur hier, sondern auch in Bosnien-Herzegowina die Zeichen auf Sturm. "Wenn die Kosovaren sich unabhängig von Serbien machen, droht Bosnien zu explodieren", prophezeite die italienische Tageszeitung "La Stampa". Schon ist dort der Vorsitzende des gesamtbosnischen Ministerrats, der Serbe Nikola Spiric, zurückgetreten. Mit diesem Schritt protestierte er gegen die andauernden Versuche des Hohen Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft (OHR), die Kompetenzen der Serbischen Republik einzuschränken und damit den Vertrag von Dayton auszuhöhlen.

Makedonien

Die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien können zwar durch die nun schon rund acht Jahre dauernde Militärpräsenz -- hier vor allem der EU -- unterdrückt werden. Ein Abzug des Militärs würde das Wiederaufflammen des Bürgerkriegs bedeuten. Eine Lösung also konnte und kann das Militär nicht bringen. Der häufige Verweis auf die frühere jugoslawische Republik Makedonien, wo es der NATO 2001 gelungen sei, einen drohenden Bürgerkrieg zu beenden, kann nicht recht überzeugen. Die NATO hatte mit ihrer Operation "Essential Harvest" damals eine typische UN-Aufgabe usurpiert, nämlich das Einsammeln von Waffen, welche die UCK "freiwillig" abgeben sollte (was sie bekanntlich nur teilweise tat). Vorausgegangen waren das innermakedonische Abkommen von Ohrid und eine unter erheblichem Druck der NATO gekommene Vereinbarung mit der Regierung in Skopje. Was folgte, war die NATO-Mission "Amber Fox" zur Sicherung der internationalen Beobachtermission von OSZE und EU. Hauptziel von NATO und EU war es, ihre Zuständigkeit in Fragens des Balkans zu demonstrieren. auf es sogar zu Überfällen und Schießereien zwischen albanischen und slawischen Makedoniern kam (die UCK hatte 2001 mitnichten alle ihre Waffen abgegeben!), unterstrich, dass sich an der politisch und ökonomisch prekären Lage des Landes -- seit 2005 immerhin offizieller Beitrittskandidat der EU - nichts geändert hat.

Ein Zwischenfall wenige Tage vor den Wahlen im benachbarten Kosovo im November 2007 hat wiederum auf die angespannte Lage im Norden des Landes aufmerksam gemacht. In Brodec wurden zwei Albaner von makedonischen Sicherheitskräften erschossen. Die Polizisten seien auf der Suche nach einer Gruppe Krimineller gewesen, die aus einem Gefängnis in Kosovo geflohen waren und in dem Dorf Zuflucht gefunden hatten, hieß es offiziell. "Die Waffen, die wir in dem Dorf gefunden haben, sind eindeutig Waffen, um Attentate auf Städte und Institutionen zu verüben", sagte Makedoniens Innenministerin Gordana Jankulovska. Sie glaubt an eine Provokation der Albaner aus Kosovo. Die Getöteten bezeichnet sie als "Terroristen". Damit spielte sich an auf den bewaffneten Arm der Albanischen Nationalen Vereinigungsfront (ANVF). Deren "Brüder" hätten sich sehr wohl in Brodec versteckt, heißt es in der Internet-Mitteilung der Organisation. Bewaffnet seien sie auch gewesen, freilich nur zum Selbstschutz und nicht, um Anschläge in und gegen Makedonien zu verüben. Derzeit gebe es nur ein Ziel: Kosovos Unabhängigkeit. MaKedonien sei freilich ein "künstlicher Staat". Und die ANVF-Führer haben sich geschworen "bis zum letzten Atemzug für eine albanische Wiedervereinigung in einem einzigen nationalen Staat auf dem Balkan mit dem Namen Albanien" zu arbeiten und zu kämpfen.

Haiti

Zwei Mal innerhalb eines Jahrzehnts haben ausländische Streitkräfte im Auftrag der Vereinten Nationen in Haiti interveniert: 1994 zugunsten des zuvor von rechtsgerichteten Militärs gestürzten demokratisch gewählten Präsidenten Aristide, 2004 zugunsten der mit eben jenen ehemaligen Militärs verbündeten Opposition, die den amtierenden Präsidenten Aristide aus seinem Amt und aus dem Land vertrieben hatte. Bis heute kann weder von einer innenpolitischen Stabilisierung noch von nennenswerten sozialen Verbesserungen die Rede sein. Hatte die erste UN-mandatierte Mission noch das Ziel, den gewählten Präsidenten Aristide wieder ins Amt zu bringen, so unterstützte das zweite UN-Mandat die Absetzung Aristides und seine Vertreibung aus dem Land. Treibende Kraft und Nutznießer waren die USA, beschädigt wurde die Legitimität des Sicherheitsrats, der sich den Politikzielen der USA unterwarf. In den Jahresberichten des UN-Generalsekretärs wird regelmäßig auf die "stabile, aber fragile" Sicherheitslage hingewiesen. Bewaffnete Gangs machten nach wie vor die Slumvorstädte der Hauptstadt Port-au-Prince unsicher. Keine nennenswerten Fortschritte machten die Menschenrechte und die humanitäre Lage. Dennoch sei hinsichtlich der Entwaffnung, Demobilisierung und Integration von Mitgliedern bewaffneter Gangs ein "beträchtlicher Fortschritt" erzielt worden. Konkrete Zahlen oder Vorgänge werden hierzu bezeichnenderweise aber nicht genannt. Immerhin gibt es eine Nationale Entwaffnungs-Kommission, deren Arbeit von MINUSTAH -- so heißt die UN-Mission - unterstützt werde.

Ein anderes Problem, das bei UN-Einsätzen in den letzten Jahren immer wieder auftaucht, wurde vor kurzem auch wieder aus Haiti gemeldet: Wegen eines Skandals um sexuellen Missbrauch hat die UNO mehr als 110 srilankische Blauhelmsoldaten von ihrem Einsatz in Haiti abberufen. Die Soldaten der UN-Mission hatten Frauen, darunter Minderjährige, für Sex bezahlt, wie UN-Sprecherin Michèle Montas am 2. November 2007 erklärte. In der Vergangenheit waren Soldaten der UN-Friedenstruppen in ähnliche Fälle verwickelt gewesen, vor allem in der Elfenbeinküste, in der Demokratischen Republik Kongo und in Liberia. Im Juli d. J. hatte die UNO nach Vorwürfen des Kindesmissbrauchs ein marokkanisches Blauhelm-Kontingent in der Elfenbeinküste außer Dienst gestellt.

Kongo

Nachdem die Wahlzettel im Kongo ausgezählt waren und fest stand, dass der amtierende Präsident und Kriegsverbrecher Kabila sich gegen seinen Widersacher und Kriegsverbrecher Bemba erwartungs- und wunschgemäß durchgesetzt hatte, sind dort weder Demokratie noch Frieden eingekehrt -- da hätte weder eine vorübergehend in Erwägung gezogene Verlängerung des EU-Einsatzes (unter Führung von Frankreich und Deutschland) noch der im Dezember 2006 erfolgte Abzug der Truppen geholfen. Im ersten Fall wäre das riesige Land zu einer Art Protektorat (ohne jegliche Aussicht auf innere Stabilisierung) geworden. So aber bleibt alles wie es war. Oder: Es kommt noch schlimmer. Ein knappes Jahr nach den zum demokratischen Ereignis hochstilisierten Wahlen geht der Bürgerkrieg im Osten des Landes unvermindert weiter. Zwischen Dezember 2006 und September 2007 sind in den rohstoffreichen Provinz Nord- und Süd-Kivu mehr als 180.000 Menschen vertrieben worden. Bis zu 35.000 Kongolesen hätten sich in das benachbarte Uganda durchgeschlagen. Insgesamt gibt das UN-Flüchtlingswerk UNHCR die Zahl der Vertriebenen in Nord-Kivu mit mehr als 640.000 Menschen an.

Im Westen des Landes verschärfen sich die sozialen Widersprüche. Der gewählte Präsident Kabila und sein im September eingesetzter Ministerpräsident Gisenga können auf die Streiks nur noch mit verschärfter Repression reagieren. Und bei alledem darf man nicht vergessen, dass im Land immer noch 17.000 UN-Soldaten der MONUC-Mission stationiert sind.

Der Einsatz der 780 Bundeswehrsoldaten aber wurde vor einem Jahr als großer Erfolg verbucht. Verteidigungsminister Franz Josef Jung sagte nach Beendigung des Einsatzes, die Mission in Kinshasa sei "hervorragend gelaufen".

Afghanistan

Der Krieg in Afghanistan scheint sechs Jahre nach Beginn der von der NATO geführten Intervention erst wieder richtig zu beginnen. Das Schreckgespenst des Westens, die Taleban, tritt gestärkt wieder zum Kampf gegen die ausländischen Truppen an, und die Verhältnisse im Innern sind so, dass über 70%, der Bevölkerung vor allem aber die Frauen, die Rückkehr der zu Taleban-Zeiten gehassten Religionspolizei fordern. Im Lichte der jüngsten Entwicklung warnen humanitäre Organisationen vor einer Ausweitung des Krieges und plädieren nachdrücklich für eine verstärkte zivile Hilfe an Stelle des Militärs. Die Nervosität der Besatzungstruppen führt in jüngster Zeit zu einer Häufung tödlicher Angriffe auf Zivilisten. Daran sind nicht nur die Truppen der US-geführten Operation Enduring Freedom, sondern auch die Verbände der UN-mandatierten ISAF (International Security Assistance Forces) beteiligt. Die massiven Verletzungen des Kriegsvölkerrechts delegitimieren nicht nur die Marionettenregierung in Kabul, sie stärken den "terroristischen" Widerstand und führen dazu, dass auch die Bundeswehr sich durch ihre Aufklärungsflüge mittelbar der Kriegsverbrechen schuldig macht. Logische Folge solch asymmetrischer Kriegführung wird sein, dass die provozierte Gegengewalt, die sich nicht der Mittel der High-tech-Kriegführung bedienen kann, sich gegen zivile Ziele in den Herkunftsländern der Truppen entsendenden Staaten richten wird. Das haben -- vor allem im Falle des Irak, aber auch zunehmend im Falle Afghanistans -- die Anschläge in Großbritannien und Spanien gezeigt.

Sieht man sich die eingesetzten Mittel ein, so wird klar, warum der versprochene zivile Wiederaufbau des Landes nicht gelingen kann. Seit 2002 wurden in Afghanistan 85 Mrd. Dollar für Militärmaßnahmen, dagegen nur 7,5 Mrd. Dollar für den zivilen Wiederaufbau eingesetzt. Und auch diese Mittel konzentrierten sich fast ausschließlich auf die Hauptstadt Kabul und vernachlässigten vor allem die Paschtunengebiete. Der Gesamtbetrag für die militärische "Verteidigung" Deutschlands am Hindukusch hat längst die Zwei-Milliarden-Grenze überschritten. Damit gibt Deutschland für einen zweifelhaften Militäreinsatz ein Vielfaches von dem aus, was in dringend notwendige zivile Hilfsprojekte geflossen ist oder noch fließen wird. Die "Kinderhilfe Afghanistan" rechnete in einer Presseerklärung vom 8. Februar 2007 vor: "Mit weniger als der Hälfte der derzeitigen jährlichen Kosten für den ISAF-und OEF-Einsatz wäre der Bau ausreichender und qualifizierter regulärer Schulen und deren Unterhalt für 10 Jahre möglich. Allein die Kosten des Tornado-Einsatzes für 2007 würden den Bau von ca. 1000 Schulen ermöglichen."

Die Opiumproduktion steigt mit jedem Jahr Krieg weiter an: Seit 2001 hat sie sich verzehnfacht. Wie das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) am 27. August 2007 in seinem Jahresbericht mitteilte, hat sich die Anbaufläche für Schlafmohn in der ersten Hälfte des Jahres 2007 von 165.000 Hektar (2006) auf 193.000 Hektar erhöht, die Opiumernte stieg von 6.100 Tonnen auf 8.100 Tonnen. Afghanistan ist heute der weltgrößte Rauschgiftlieferant und produziert etwa genauso viel wie die drei Coca-Länder Kolumbien, Peru und Bolivien zusammengenommen.

Selbst Mittel, die in den Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte fließen, sind nicht immer "gut" angelegt. Was z.B. die Polizistenausbildung betrifft, so ist im Juli 2007 eine Studie der unabhängigen britischen NGO Afghanistan Research and Evaluation Unit--AREU erschienen, wonach der EU und der - hauptverantwortlichen - Bundesregierung ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt wird. Der Titel der Studie - "Cops or Robbers?" deutet schon auf das zumindest widersprüchliche Ergebnis des bisherigen Aufbaus ziviler Sicherheitskräfte hin. Kritisiert werden insbesondere die fehlenden Konzepte der Besatzungsmächte und der EU (einschließlich der Bundesregierung, die sich der Ausbildung der afghanischen Polizei besonders verschrieben hat) sowie die Durchsetzung der einheimischen Polizei mit Parteigängern diverser Warlords der ehemaligen "Nordallianz" sowie mit (Drogen-)Kriminellen und Opportunisten. So steht zu befürchten, dass die gigantischen Beträge, die von internationalen Geldgebern zur Reform der Polizei in Afghanistan aufgewendet wurden und werden, im Korruptionsdschungel Kabuls versickern. Der deutsche General Klaus Reinhardt erzählte im Frühsommer 2007 einer Hamburger Tageszeitung, dass rund 60 Prozent der von Deutschland bzw. der EU ausgebildeten afghanischen Soldaten "desertieren". Genauer gesagt: Sie laufen zur anderen Seite über. Reinhardt: "Wenn ein Polizist vom Staat monatlich 50 Euro bekommt, aber von den Taliban 500, dann haut der ab." (Hamburger Abendblatt, 22.05.2007.)

Libanon

Israel, die mit Abstand stärkste Militärmacht der ganzen Region, die 1967 noch binnen sechs Tagen drei hochgerüstete arabische Armeen besiegte, hat es im Juli/August 2006 nicht vermocht, in 31 Tagen rücksichtslosester Kriegführung den schwachen Libanon und die dort agierenden Guerillas der Hizbullah zu besiegen. Die einzigen erkennbaren Ergebnisse bis heute: Ein weithin zerstörtes Land, eine Regierungskrise in Permanenz und eine im Libanon aufgewertete und gestärkte Hizbullah. In Israel selbst haben -- nicht zuletzt durch den Regierungseintritt von Avigdor Liebermann - die politischen Kräfte noch an Einfluss gewonnen, die eine noch radikalere militärische "Lösung" bevorzugen. Der Einsatz der deutschen Marine vor den Küsten Libanons wird sich bestenfalls als ebenso wirkungslos wie harmlos erweisen. Bleibt die Verschwendung öffentlicher Gelder in Höhe von 193 Mio. EUR im ersten Jahr! Im schlimmsten Fall aber kann die Präsenz der Marine im Fall eines von Israel oder den USA angezettelten Krieges gegen Iran dazu führen, dass Deutschland nolens volens in einen solchen Krieg hinein gezogen würde.

Doch im September verlängerte die Bundesregierung den UNIFIL-Einsatz um ein weiteres Jahr. Begründung: Die Situation im Libanon habe sich "dahingehend verbessert, dass das Risiko eines Wiederaufflammens des bewaffneten Konflikts mit Israel reduziert werden konnte". (Drucksache 16/6278) Wer die Verhältnisse im Nahen Osten auch nur flüchtig kennt, wird wissen, dass die Frage, ob es zu einem bewaffneten Konflikt zwischen Libanon und Israel kommt,, einzig und allein in Israel entschieden wird und nicht von den 1.400 Marinesoldaten, die im östlichen Mittelmeer Präsenz zeigen, aber nichts zu tun haben.

Blauhelme

Es wären gewiss noch andere Beispiele anzuführen, welche die Nutzlosigkeit robuster Militärinterventionen unter Beweis stellen. Natürlich gibt es auch anders gelagerte Fälle, in denen UN-Truppen gute Dienste leisten. Seit 1948 operieren in verschiedenen Krisengebieten so genannte Blauhelme", die sich aus Soldaten, unbewaffneten zivilen Beobachtern, Polizeikräften und Militärbeobachtern zusammensetzen können. Solche Missionen finden nur mit Zustimmung der Regierung(en) der Konfliktparteien statt. Dadurch soll ausgeschlossen werden, dass die UN-Truppen Teil des Konfliktes werden. Blauhelme haben in der Regel keinen Kampfauftrag; sie sind aber (meist leicht) bewaffnet und je nach Mandat in gewissem Umfang berechtigt, von ihrer Waffe Gebrauch zu machen.

Beispiele für solche Blauhelmeinsätze sind:
  • UNMOGIP -- Militärbeobachtergruppe der Vereinten Nationen in Indien und Pakistan,
  • UNFICYP -- Friedenstruppe der Vereinten Nationen in Zypern,
  • UNMIT - Integrierte Mission der Vereinten Nationen in Timor-Leste (Osttimor),
  • UNOCI -- Operation der Vereinten Nationen in Côte d'Ivoire (Elfenbeinküste),
  • MINURSO -- Mission der Vereinten Nationen für das Referendum in der Westsahara.
Um nicht missverstanden zu werden: Auch diese Einsätze haben den betroffenen Ländern keine Lösung ihrer Konflikte beschert. Das werden nur die Gesellschaften selbst tun können. Aber sie haben immerhin Gewalteskalationen verhindern und den status quo bewahren können. Blauhelm-Truppen sollen vor allem von "neutralen" Staaten gestellt wurden. Der Gedanke dabei ist, dass die eingesetzten Soldaten sich ausschließlich dem Auftrag des UN-Sicherheitsrats verpflichtet fühlen und nicht die Interessen ihrer jeweiligen Staaten vertreten. Dies wäre unweigerlich der Fall, wenn die "global players" selbst diese Missionen dominieren würden, was seit den 90er Jahren auch immer häufiger vorkommt (UNPROFOR in der jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina oder UNOSOM in Somalia sind zwei eklatante Beispiele dafür). Der Sicherheitsrat bittet neuerdings ausdrücklich auch die großen Mächte um eine Teilnahme an internationalen Missionen -- verfügen doch sie am ehesten über ausreichende militärische Fähigkeiten und logistische Kapazitäten. Angesichts des Kräfteverhältnisses im Sicherheitsrat wird dieser mehr und mehr zu einem faktischen Auftraggeber der westlichen Mächte umfunktioniert, die mit ihm das jeweils gewünschte Mandat aushandeln.

6 Alternativen zu Militärinterventionen

Im Friedensgutachten 2007 werden nicht nur Bedenken gegen die schon zur Routine gewordenen Militärinterventionsroutine vorgebracht, sondern die Autoren entwickeln auch sechs "Mindestkriterien", die eingehalten werden müssen, bevor zum Mittel des Militäreinsatzes gegriffen wird.
  1. Rechtmäßigkeit: Sie müssen mit der UN-Charta und dem Grundgesetz übereinstimmen;
  2. Unterscheidung von friedenspolitischen und funktionalen Gründen: macht-, einfluss- und bündnispolitische Ziele dürfen nicht den Ausschlag geben;
  3. Vorrang ziviler Alternativen: Sind alle nichtmilitärischen Alternativen ausgeschöpft oder erkennbar aussichtslos?
  4. Politisches Gesamtkonzept, einschließlich einer Klärung der Erfolgsbedingungen im Zielland;
  5. Evaluierung: Kein Auslandseinsatz ohne begleitende Evaluierung und nachträgliche Bilanzierung seiner Kosten und Nutzen.
  6. Exit-Strategie: Wann und wie ist ein Einsatz zu beenden?
Ich halte diese Kriterien für löblich, aber letztlich wenig praktikabel. Denn bei fast allen genannten Punkten wird im Zweifelsfall ein wissenschaftlicher Streit über die Erfüllung bzw. Nichterfüllung der Kriterien entstehen. Ob Militär zur Durchsetzung politischer Ziele eingesetzt wird oder nicht, ist indessen immer eine politische Frage. Meine eigene Antwort muss demnach über die sechs Kriterien hinausgehen. Daher zum Schluss meine sieben Folgerungen aus dem Gesagten:

(1) Sowohl aus der Völkerrechtsperspektive als auch aus den Ergebnissen der empirisch gestützten Fallbeispiele dürfte hervorgehen, dass Militärinterventionen kein Mittel der internationalen Politik sein können. Die Fälle, in denen militärische Erzwingungsmaßnahmen zulässig sind, sind außerordentlich selten und in aller Regel ohnehin durch das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung gedeckt. Und selbst diese Maßnahmen finden ihre Grenzen sowohl im Kriegsvölkerrecht (auf das ich hier nicht eingegangen bin) als auch in der Zuständigkeit des UN-Sicherheitsrats für Fragen des Weltfriedens.

(2) Für die politische Praxis ergibt sich daraus zunächst allergrößte Skepsis gegenüber allen Zumutungen der veröffentlichten Meinung und der herrschenden Politik, humanitäre Hilfe, Menschenrechte, insbesondere Rechte von Frauen und Kindern, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit Waffengewalt in alle Welt zu exportieren. Ein solcher Export ist erstens völkerrechtlich nicht zulässig und zweitens in der Praxis offensichtlich nicht von Erfolg gekrönt.

(3) Kampfeinsätze zur Friedenserzwingung sind grundsätzlich abzulehnen, auch dann, wenn sie auf einem Mandat des UN-Sicherheitsrats nach Art. 42 der UN-Charta beruhen. Solche Einsätze sind immer mit dem unkalkulierbaren Risiko behaftet, den Gewaltkonflikt weiter zu eskalieren. Außerdem besteht die Gefahr, dass die bei den Einsätzen auftretenden "Kollateralschäden" die ursprünglich dem Konflikt geschuldeten Schäden und Opfer noch übersteigen.

(4) Dies trifft vor allem auch beim sog. "Krieg gegen den Terror" zu, den die USA nach den Anschlägen des 11. September 2001 proklamiert haben. Terroristen sind als Kriminelle zu behandeln, d.h. sie sind Angelegenheit der nationalen und internationalen Ermittlungs-, Polizei- und Justizbehörden, denen ausreichende rechtsstaatliche Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen und die zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind.

(5) Blauhelmeinsätze können unter bestimmten Umständen pazifierend sowohl bei zwischenstaatlichen als auch bei innerstaatlichen Konflikten wirken. Voraussetzung hierfür ist das -- ohnehin zwingend vorgeschriebene - Einverständnis der Konfliktparteien und die Neutralität der UNO-Truppen. Letzteres schließt die Teilnahme von Truppen der Großmächte aus. Der Praxis, sich beim UN-Sicherheitsrat ein den eigenen Möglichkeiten und politischen Zielen angepasstes "robustes Mandat" zu bestellen (Beispiel Libanon-Einsatz der Bundeswehr, Kongoeinsatz) muss ein Riegel vorgeschoben werden.

(6) Für die Bundesrepublik heißt das, die Transformation der Bundeswehr zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee zu stoppen und rückgängig zu machen und auch die Militarisierung der Europäischen Union nicht weiter zu verfolgen.

(7) Die Bundesregierung hat sich bei der faktischen Transformation der Bundeswehr von einer Verteidigungs- in eine Interventionsarmee über das Grundgesetz hinweg gesetzt. "Deutschland am Hindukusch zu verteidigen", wird der Bundesregierung nicht kraft Grundgesetz, sondern lediglich kraft eines skandalösen Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 1994 erlaubt. Den Verfassungsbruch, den die Bundesregierung mit ihren diversen Auslandseinsätzen begeht, zu beenden, ist BürgerInnenpflicht. Dazu bedarf es einer breiten öffentlichen Diskussion über das friedenspolitische Selbstverständnis dieser Republik und seiner Verfassung.

Ich hoffe, mit meinem Referat einen Anstoß dazu gegeben zu haben.

* Vortrag am 26. November 2007 im Rahmen der Friedensvorlesungen 2007/08 an der Universität Kassel (hier geht es zum ganzen Programm!)


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