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Versöhnung bleibt frommer Wunsch

Islamkonferenz endete mit vielen offenen Fragen / Schäuble wünscht Fortsetzung

Die Deutsche Islamkonferenz (DIK), die Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) 2006 ins Leben gerufen hatte, fand am Donnerstag zum letzten Mal statt. Die Ergebnisse der Konferenz sind wenig greifbar, das Lob ist umso größer.

Berlin (ND/Agenturen). Tagungsort der vierten Konferenz war der Hamburger Bahnhof in Berlin. Früher Endstation für die Züge gen Norden, heute Museum. Dass die Islamkonferenz nicht eingemottet, sondern in der kommenden Legislatur fortgesetzt gehöre, diese Ansicht machten die Teilnehmer nach Abschluss deutlich.

Schäuble formulierte in seiner Eröffnungsrede den Wunsch, »dass sich die Muslime organisatorisch von ihren Herkunftsländern lösen und deutsche Muslime werden«. Die Vertreter in der Islamkonferenz seien sich nähergekommen, »zusammengewachsen«, wie Schäuble sagte. Im RBB-Rundfunk hatte er sich zuvor sicher gezeigt, in Deutschland seien sich Muslime und Deutsche emotional sehr viel näher gekommen.


Deutsche Islamkonferenz:
Die Deutsche Islamkonferenz (DIK) soll den Dialog zwischen dem Deutschen Staat und den rund vier Millionen in Deutschland lebenden Muslimen verbessern. Sie wurde im September 2006 von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, CDU, begründet. Teilnehmer der Konferenz sind Vertreter des Bundes, der Länder und der Kommunen, muslimische Verbände sowie unabhängige muslimische Vertreter.



Auch der Sprecher des Koordinationsrates der Muslime in Deutschland, Ayyub Axel Köhler, hob die Eintracht hervor, mit der die Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen sowie der muslimischen Verbände auf dem Podium säßen. Alle seien »gestärkt aus der DIK hervorgegangen«. Nicht nur der innermuslimische Dialog sei vorangekommen, der Dialog sei auch in die Gesellschaft »übergeschwappt«.

Doch es gibt es viele Differenzen, durchaus auch strukturelle und inhaltliche Streitpunkte, wegen derer Köhler auch in Zukunft »harte Auseinandersetzungen« erwartet. Zwar sei ein »Konsens über weite Teile der Ergebnisse der DIK erreicht« worden, aber »das wird nicht so bleiben«, sagte der Sprecher der Koordinationsrats mit einem Lächeln. Ein Beispiel nannte Schäuble selbst. Der Islamrat stimmte dem Ergebnis des Arbeitskreises Sicherheit nicht zu, weil er darin den Generalverdacht gegenüber Muslimen in Deutschland genährt sah. »Wir haben das respektiert«, so Schäuble.

Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, forderte, dass die Diskussion aus der DIK stärker in die Gesellschaft getragen werden müsse. Die Erwartungen der staatlichen Seite zeigen sich in der Einschätzung des Parlamentarischen Geschäftsführers der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Hartmut Koschyk. Die Konferenz habe »sich klar und deutlich zur deutschen Rechts- und Werteordnung auf der Basis des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates bekannt« -- das sei »das vielleicht wichtigste Zwischenergebnis«. Zuvor war ein peinliches Versäumnis zum Thema geworden. Zur 60-Jahr-Feier des Grundgesetzes war kein Vertreter der Muslime eingeladen worden. Beim nächsten Ereignis dieser Art würde daran gedacht, versicherte Schäuble nun.

Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierte das Fehlen konkreter Reformprojekte: »Das Innenministerium hat es versäumt, einen abgestimmten Fahrplan vorzulegen.« Und die Migrationssprecherin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen, warf der Bundesregierung vor, die Konferenz als Nebenschauplatz genutzt zu haben, weil ihr integrationspolitischer Ruf miserabel sei. »Statt sich für gleiche Rechte und soziale Gleichberechtigung einzusetzen, wird lieber ein 'Dialog der Religionen' geführt.« Der Vize-Vorsitzende der SPD-Fraktion, Fritz Rudolf Körper, forderte die Fortsetzung der Islamkonferenz mit Beteiligung von Bundestagsabgeordneten.

Dass sich die Konferenz mit Problemen wie dem Fernbleiben von muslimischen Mädchen von Sportunterricht oder Klassenfahrten beschäftigte, erscheint im Angesicht einer aktuellen Studie seltsam. Sie ergab, dass dies nur eine kleine Minderheit von unter zehn Prozent betrifft. Die Studie ergab überdies, dass zwischen 3,8 Millionen und 4,3 Millionen Muslime in Deutschland leben, viel mehr als bisher geschätzt.

* Aus: Neues Deutschland, 26. Juni 2009


Scheindebatte am Beckenrand

Nicole Diekmann hat für tagesschau.de recherchiert, was es mit der Debatte um den Schwimmunterricht, an dem muslimische Kinder angeblich nicht teilnehmen dürfen, auf sich hat. Sie hat ihre Ergebnisse in einem lesenswerten Artikel auf www.tagesschau.de am 25. Juni 2009 präsentiert. Wir dokumentieren daraus das wichtigste:

Die kleine Ayse ist sechs Jahre alt und möchte gerne am Schwimmunterricht teilnehmen. So wie die anderen Kinder in ihrer Klasse. Ayse darf aber nicht, denn ihre muslimischen Eltern verbieten aus religiösen Gründen, dass ihre Tochter in einem öffentlichen Bad den Blicken gleichaltriger Jungs ausgesetzt ist.

So wie Ayse geht es vielen Kindern - suggerieren zumindest Experten wie zum Beispiel Necla Kelek, eine islamkritische, türkischstämmige Autorin, Mitglied der Islamkonferenz und Schöpferin von Ayse. (...)
"Erhebliche Verweigerungsquoten" gebe es bei muslimischen Eltern in Bezug auf den schulischen Sport- und Schwimmunterricht, schrieb Kelek 2006 in einer Studie im Auftrag des Bundesamtes für Migration und Flucht. (...)

Und so sagte der FDP-Politiker Georg Barfuß, Bayerns erster Integrationsbeauftragter, direkt nach Amtsantritt: "Ich fordere von jedem das Bekenntnis zum Grundgesetz und ich frage: Was könnt ihr dazu beitragen, dass eure Kinder am Schwimmunterricht teilnehmen? Das sind Konfliktpunkte, aber die muss man ansprechen. Ich geh' da auf Kante."

(...) Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat es auf die Tagesordnung der vierten und vorerst letzten Islamkonferenz gehievt. Die soll aber anscheinend vor allem eines sein: öffentlichkeitswirksam. Denn selbst, wenn es Ayse gäbe, wäre sie die Ausnahme. (...) Das zeigt der Blick in Länder mit hohem Migrantenanteil.

Der ist neben Hamburg in Bremen bundesweit am höchsten. Schwimmunterricht wird in dem Stadtstaat in der dritten Klasse erteilt. Die Nachfrage beim Bremer Senat für Bildung liefert ein überraschendes Ergebnis: Es komme "so gut wie nie" vor, dass muslimische Eltern ihre Kinder nicht am Schwimmunterricht teilnehmen lassen wollen, sagt Sprecherin Karla Götz: "Dieses Problem ist quantitativ wirklich vernachlässigbar."

Etwas problematischer sei die Situation beim gemeinsamen Sportunterricht pubertierender Jungen und Mädchen auf den weiterführenden Schulen. Da steige die Zahl der Mädchen, die von zu Hause aus nicht mehr teilnehmen sollten, sagt Götz, "aber wir reden hier immer noch ganz klar von einer Minderheit".

Der Hamburger Schulbehörde ist kein einziger Fall bekannt, in denen muslimische Schülerinnen nicht am Schulschwimmen teilnehmen dürfen. Gut zwei Drittel seiner Schüler sind nicht-deutscher Herkunft und überwiegend Muslime, schätzt Klaus Wendtland, Leiter der Schule Königstraße, einer Grund-, Haupt- und Realschule in Hamburg-Altona.

(...)

Anders stellte es die "Welt" im März dar. Wendtland habe den Eltern einer afrikanischstämmigen Schülerin im vergangenen Jahr gar mit einer Geldstrafe drohen müssen, damit sie das Mädchen an einer Klassenfahrt teilnehmen ließen, schrieb das Blatt. Doch der Schulleiter wiegelt ab: "Das war in den vielen Jahren, die ich an dieser Schule bin, ein Einzelfall. Und als der Vater die Summe hörte, die er zahlen müsste, falls er seine Tochter nicht mitfahren lässt, hat er sich erweichen lassen. Dahinter steckten eher finanzielle als religiöse Bedenken."

Karin Babbe leitet die Erika-Mann-Grundschule im Berliner Stadtteil Wedding. Vier von fünf ihrer Schüler kommen aus Migrantenfamilien, rund 70 Prozent davon sind Muslime. "Dass Mädchen nicht am Sport- oder Schwimmunterricht teilnehmen dürfen, kommt bei uns seit sechs, sieben Jahren überhaupt nicht mehr vor", sagt Babbe. "Ein paar Mädchen müssen einen Ganzkörper-Badeanzug tragen. Aber den Kompromiss gehen wir ein."

(...)

Einzelfälle - genauso wie Kinder aus muslimischen Familien, die nicht an Klassenfahrten teilnehmen dürfen. Auch dies komme an ihrer Schule nicht vor, berichtet Direktorin Babbe, wie zuvor auch schon ihr Hamburger Kollege Wendtland: Aus Kostengründen dürften manche ihrer Schüler nicht mitfahren. Nicht aber aus religiösen. "Die Armut ist unser Problem."

In der Kreuzberger Jens-Nydahl-Grundschule liegt der Anteil der muslimischen Kinder sogar bei 95 Prozent - jener der Auseinandersetzungen wegen der Teilnahme am Schwimm- und Sportunterricht allerdings bei so gut wie null, berichtet Direktorin Claudia Deutscher: "Aus den letzten zwei Jahren ist mir kein solcher Fall bekannt. Dass dieses Thema in der öffentlichen Debatte so viel Raum einnimmt, widerspricht dem praktischen Alltag."

Gestützt wird dieser Eindruck von einer Umfrage des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge unter Muslimen: Hierzulande nehme die "große Mehrzahl" der Schülerinnen und Schüler aus muslimisch geprägten Ländern am Sportunterricht teil, steht dort zu lesen.

Ganz unverhohlen räumt das Ministerium denn auch ein, das Thema vor allem wegen der öffentlichen Aufmerksamkeit auf die Agenda der Islamkonferenz gesetzt zu haben. Auf Nachfrage von tagesschau.de sagte eine Sprecherin, die tatsächliche Zahl der vorliegenden Fälle habe nicht den Ausschlag gegeben: "Man sucht sich halt die medial interessanten Themen."

Quelle: www.tagesschau.de, 25. Juni 2009




Nächstenliebe

Von Uwe Kalbe **

Die Islamkonferenz ist ein riesiges Missverständnis. Sie diente nicht der Überwindung von Vorbehalten zwischen Muslimen und den Nichtmuslimen in Deutschland, sondern der Überwindung von Vorbehalten zwischen ausgewählten Repräsentanten beider Seiten. Man sei sich emotional näher gekommen, freut sich Wolfgang Schäuble. Wenn dies für ihn und seine Gesprächspartner gälte, wäre das schon ein schönes Ergebnis. Doch was sich an der Toleranz gegenüber Muslimen in Deutschland verbessert haben soll, bleibt Schäubles Geheimnis. Es muss sogar ein Geheimnis bleiben, solange es darüber keine fundierten, langfristigen Untersuchungen gibt.

So sehr sich die Gesprächspartner unterscheiden, so sehr sind sie sich einig, dass Muslime in Deutschland letztlich ein Religionsproblem darstellen. Deshalb scheint die Frage des Religionsunterrichts so wichtig. Die Muslime wünschen ihn, und die (christlichen) Wortführer der Regierung äußern voll frommer Nächstenliebe Verständnis -- sie pochen lediglich auf staatlich instruierte Lehrer.

Doch wie die Aufwertung des Islam zur Integration der Muslime beitragen soll, bleibt ungeklärt. Wo diese keine sozialen, kulturellen, politischen Probleme haben, sind sie auch heute schon integriert. So sehr, dass man sie gar nicht bemerkt, wie die Studie zum Islam in Deutschland belegt. Wo sie allerdings ausgegrenzt sind, wird der Islam zum Fluchtweg. Erst dann wird Religion zum Problem. Nächstenliebe kommt dann zu spät.

** Aus: Neues Deutschland, 26. Juni 2009 (Kommentar)


Schäuble zieht positives Fazit der DIK und wirbt für ihre Fortsetzung

Unter Leitung von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble trat heute nach einem Empfang bei Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum letzten Mal in der Legislaturperiode das Plenum der Deutschen Islam Konferenz (DIK) im Hamburger Bahnhof in Berlin zu seiner 4. Sitzung zusammen.

"In den vergangenen drei Jahren haben wir das Verhältnis von Staat und Muslimen in Deutschland grundlegend verändert und einen Prozess der Integration auf den Weg gebracht"", so Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble. ""Die Konferenz setzt ein deutliches Zeichen, dass Muslime in Deutschland angekommen und aufgenommen und damit ein Teil Deutschlands geworden sind."

Mit der Deutschen Islam Konferenz ist erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein gesamtstaatlicher Rahmen für den Dialog mit den in Deutschland lebenden Muslimen geschaffen worden.

Thema der heutigen Sitzung waren die Ergebnisse der Studie "Muslimisches Leben in Deutschland", die Empfehlungen der Arbeitsgruppen und des Gesprächskreises der DIK zur Förderung des Wertekonsenses im Alltag, des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Integration der in Deutschland lebenden Muslime, zur Lösung religiös begründeter praktischer Fragen im Schulalltag sowie zur Ausbildung von Imamen und zur Etablierung islamisch-theologischer Hochschuleinrichtungen in Deutschland.

"Allen Mitwirkenden der beratenden Gremien gilt unser Dank für ihre intensive Arbeit und ihr großes Engagement in den gesamten letzten drei Jahren" betonte Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble. Die Islamkonferenz habe sich in den vergangenen drei Jahren als Rahmen zur Pflege der Beziehungen zwischen Staat und Muslimen in Deutschland bewährt. Auch biete sie einen Rahmen für den Dialog zwischen den sehr vielfältigen Strömungen und Positionen innerhalb des Islams in Deutschland. Die Deutsche Islam Konferenz ermögliche den Muslimen, Differenzen offen auszutragen und diene damit auch der Stärkung einer demokratischen Streitkultur unter Muslimen in Deutschland. "Dass diese Vielfalt der in Deutschland lebenden Muslime in der Öffentlichkeit im In- und Ausland mittlerweile stärker zur Kenntnis genommen wird, ist ebenfalls ein Erfolg der Islamkonferenz."

Der Dialogprozess bedürfe der Fortsetzung auch über das Ende der Legislaturperiode hinaus, betonte der Bundesinnenminister. "Die vielfältigen Ergebnisse der Studie "Muslimisches Leben in Deutschland", die unterschiedlichen Initiativen der Bundesländer zum islamischen Religionsunterricht und die ermutigenden Signale der Vertreter der deutschen Muslime zeigen, dass die Deutsche Islam Konferenz fortgesetzt werden muss."

Anhang

Die Deutsche Islam Konferenz hat nach drei Jahren wichtige Ergebnisse auf dem Weg zu einer besseren gesellschaftlichen und religionsrechtlichen Integration der in Deutschland lebenden Muslimen erzielt. Sie hat dabei in vielen offenen und gleichwohl bedachten Diskussionen und Verhandlungen bedeutende Zeichen für gegenseitigen Respekt, Verständigung und Vielfalt gesetzt und zu einer Versachlichung der Debatte über bestehende Integrationsprobleme beigetragen. Aus der Arbeit der DIK seit ihrer Etablierung im September 2006 sind insbesondere folgende Empfehlungen, gemeinsame Schlussfolgerungen und Ergebnisse hervorzuheben:
  1. Integration als Prozess verändert grundsätzlich beide Seiten, die Mehrheitsgesellschaft wie auch die Zuwanderer. Sie verlangt Zuwanderern dabei ein höheres Maß an Anpassung ab, insbesondere an die auf Recht, Geschichte und Kultur Deutschlands beruhenden Orientierungen der Aufnahmegesellschaft. Integration verlangt auch von in Deutschland lebenden Muslimen die aktive Bereitschaft zu Erwerb und Gebrauch der deutschen Sprache und darüber hinaus die vollständige Beachtung der deutschen Rechtsordnung und der Werteordnung des Grundgesetzes. Zugleich ist die Mehrheitsgesellschaft gefordert, in Deutschland lebende Muslime als gleichberechtigten Teil der deutschen Gesellschaft anzuerkennen und zu respektieren.
  2. Um Probleme im Zusammenleben beheben zu können, bedarf es verlässlicher empirischer Erkenntnisse. Die Arbeitsgruppe 1 der DIK hat deshalb eine wissenschaftliche Untersuchung zur Erforschung der vielfältigen Lebenswelten der Muslime in Deutschland in Auftrag gegeben. Die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchgeführte Studie "Muslimisches Leben in Deutschland" hat nun auf der Grundlage von über 6000 direkten Telefoninterviews erstmalig eine bundesweit repräsentative Datenbasis zu Muslimen in Deutschland, insbesondere zu Zahl, Glaubensrichtungen, Religiosität, religiöse Praxis und Integration geliefert.
  3. Mit den auf dem 4. Plenum von den Muslimen der DIK eingebrachten Empfehlungen zur Förderung der Integration und des Wertekonsenses nehmen die Muslime der DIK aktiv an der Integrationsdebatte teil. Unter anderem machen die Unterzeichnenden der Stellungnahme deutlich, dass es einen Konsens über Verhaltensregeln jenseits gesetzlicher Regelungen gibt, so über die Notwendigkeit von Toleranz und Respekt gegen über Andersgläubigen und Angehörigen anderer Weltanschauungen sowie der Muslime untereinander. Es wird zudem dafür geworben, dass Schulen stärker zu Orten der Toleranzerziehung und der Toleranzeinübung werden sollen. Zugleich wirbt das Papier dafür, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau als zentrales Element der Werteordnung des Grundgesetzes bei muslimischen Kindern und Jugendlichen zu befördern ist. Die Stellungnahme enthält Übereinstimmungen und Differenzen. Dass sie dennoch gemeinsam veröffentlicht wird, verdeutlicht die demokratische Streitkultur zwischen den Muslimen in der DIK.
  4. Es besteht Übereinstimmung, dass islamischer Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach in deutscher Sprache an öffentlichen Schulen eingeführt werden soll. Die DIK hat in ihrer 3. Plenarsitzung einen wegweisenden Bericht angenommen, welcher die dafür Voraussetzungen formuliert und Wege beschreibt, wie möglichst rasch auf der Grundlage der derzeitigen Sach- und Rechtslage im Konsens der Beteiligten ein konfessioneller islamischer Religionsunterricht eingeführt werden kann. Die Klärung der Voraussetzungen für die Einrichtung von islamischem Religionsunterricht war ein wichtiger Meilenstein. Er macht die Gleichberechtigung des Islam in der Schule deutlich und ist integrationspolitisch von großer Relevanz, denn ein konfessioneller Islamunterricht kann maßgeblich zu einer reflektierten Auseinandersetzung mit Fragen der Religion und zur Entwicklung eines selbstkritisch-reflektierten islamischen Selbstbewusstseins als Voraussetzung für Verständnis und Toleranz gegenüber Andersdenkenden beitragen. Aus den Ländern gibt es viele positive Signale hinsichtlich der Umsetzung. Der Präsident der Kultusministerkonferenz hat hierzu im Rahmen der 4. Plenarsitzung über den aktuellen Sachstand in den Ländern berichtet.
  5. Es besteht ebenso Übereinstimmung, dass Forschungs- und Lehrangebote zur islamischen Theologie im staatlichen Hochschulsystem eingerichtet und entsprechende Rahmenbedingungen möglichst zeitnah geschaffen werden sollten. Eine akademische Verankerung islamischer Theologie ist nicht nur mit Blick auf die Ausbildung von Lehrpersonal für einen islamischen Religionsunterricht notwendig, sondern auch zur Ausbildung religiösen Personals und vor allem auch wegen der integrativen Wirkung einer in der Mitte der deutschen Gesellschaft verorteten islamischen Theologie, die angemessene Antworten auf Fragen des muslimischen Lebens in der Diaspora geben sowie sich am Diskurs über allgemeine gesellschaftspolitische Fragen beteiligen kann. Unbeschadet der grundsätzlichen Zuständigkeit der Länder für das Hochschulwesen sowie für das Verhältnis zwischen dem Staat und Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ist dies eine für den Integrationsprozess besonders bedeutsame gesamtstaatliche Aufgabe.
  6. Zum Thema "Integration in der Schule" konnte nach eingehender Diskussion in der Arbeitsgruppe 2 eine Einigung über eine Handreichung mit einer Darstellung der rechtlichen Grundlagen und Empfehlungen zu religiös begründeten schulpraktischen Fragen erzielt werden. Hierbei handelt es sich um wichtige Fragen des alltäglichen Zusammenlebens, wie etwa den Umgang mit Klassenfahrten, mit dem Sport- und Schwimmunterricht oder mit dem Kopftuch in der Schule. Die Vielfalt der Kulturen und die Verschiedenheit der Erfahrungen und der Lebensweisen führen in den Schulen nicht selten zu Unsicherheiten bei allen Beteiligten. Schulische Konflikte, die sich aus einer Konkurrenz des staatlichen Bildungsauftrags und der staatlichen Erziehungsziele einerseits sowie der Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler und des elterlichen Erziehungsrechts andererseits ergeben können, haben daher neben der rechtlichen auch eine integrationspolitische Relevanz. Der Konsens über das Thema "Islam in der Schule" ist daher von zentraler Bedeutung für die Integration der muslimischen Schülerinnen und Schüler.
  7. Als Ergebnis der Arbeit der Arbeitsgruppe 3 fordert die DIK eine verantwortungsvolle, vorurteilsfreie und differenzierte Berichterstattung über Muslime und den Islam. Es sollten mehr alltagsnahe Themen zum islamischen Leben in Deutschland aufbereitet werden. Auch die kulturelle Vielfalt muslimischer Mitbürger sollte in dem Sinne dargestellt werden, dass sie zu unserer Kultur in Deutschland als Ganzes beiträgt. Es wird zudem gefordert, deutlich mehr qualifizierte Mitarbeiter mit Migrationshintergrund in den Fernseh- und Rundfunkredaktionen sowie in den Printmedien einzustellen, um den Sachverstand und das interkulturelle Verständnis dieser Mitbürger zu nutzen.

    Zudem hat die Arbeitsgruppe gemeinsam mit der Herbert Quandt-Stiftung einen "Runden Tisch" deutscher und türkischer Journalisten in Berlin ins Leben gerufen. Inhaltliches Ziel des Runden Tisches ist es, aktuelle integrations- und innenpolitische Themen zu diskutieren, für einen informellen wie journalistischen Austausch zwischen deutschen und türkischen Medienmachern zu sorgen und damit auch auf diese Weise integrierend zu wirken.

    Mit der DIK-Website www.deutsche-islam-konferenz.de wurde zudem eine Plattform für einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über den Islam in Deutschland geschaffen. Die Website der DIK verstärkt die Transparenz der DIK und trägt zur Versachlichung der Debatte über den Islam in Deutschland bei. Die Beteiligungsmöglichkeiten bieten interessierten Bürgern zudem die Möglichkeit, sich in gesellschaftlich relevanten Fragen des DIK-Prozesses einzubringen
  8. Um die Zusammenarbeit zwischen Muslimen und Sicherheitsbehörden in Deutschland zu verbessern, wurde im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine "Clearingstelle" eingerichtet, die den Aufbau eines bundesweiten Netzes von Ansprechpartnern bei Sicherheitsbehörden und muslimischen Organisationen unterstützen, Experten für Dialogveranstaltungen bzw. zum Informationsaustausch vermitteln, Aus- und Fortbildungsprojekte der Sicherheitsbehörden sowie sicherheitsbehördliche Informationsangebote an Muslime und die Erstellung von Informationsmaterialien unterstützen wird. Die "Clearingstelle" hat unmittelbar nach der 3. Plenarsitzung am 13. März 2008 ihre Arbeit aufgenommen. Sie hat zwischenzeitlich bundesweit Kontakte zu den islamischen Organisationen und zu einzelnen Gemeinden wie auch zu den Sicherheitsbehörden hergestellt. Derzeit wird der Internetauftritt der Clearingstelle vorbereitet, der die Nutzung des bereits aufgebauten Ansprechpartnernetzwerkes ermöglicht.
  9. Die Transparenzdebatte im Gesprächskreis hat aufgezeigt, dass Transparenz und wechselseitige Offenheit eine Grundvoraussetzung für die Zusammenarbeit zwischen islamischen Organisationen und staatlichen Institutionen sind. Es ist den islamischen Organisationen ein Anliegen, aktiv zu werden gegen extremistische Tendenzen in der muslimischen Gemeinschaft und innerhalb ihrer Verbände. Im Sinne einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sind den islamischen Organisationen Hinweise der Sicherheitsbehörden zu extremistisch-islamistischen Tendenzen und Propaganda willkommen.
  10. Der Gesprächskreis stellt fest, dass gemeinsame Projekte von staatlichen Stellen und islamischen Organisationen zur Extremismus- und Radikalisierungsprävention Erfolg versprechend sind. Er wird sich künftig verstärkt der praktischen Präventionsarbeit widmen. Als erstes Projekt hierzu wird eine gemeinsame Publikation mit dem Titel "Muslime für Freiheit und Vielfalt" erarbeitet. Ziel der Publikation ist es, Muslime wie Nichtmuslime in Deutschland über den Islam und seine Rolle im Leben der Muslime zu informieren. Es geht darum, den Islam als Bestandteil unserer Gesellschaft darzustellen, die Identifikation der muslimischen Bevölkerung mit unserer Werte- und Gesellschaftsordnung zu stärken und klar Stellung gegen Gewalt und Terror zu beziehen. Dazu sind Beiträge der in der Deutschen Islam Konferenz vertretenen Verbände und nicht-organisierten Muslime ebenso vorgesehen wie Beiträge weiterer prominenter Muslime, die Vorbildfunktion haben können.
Erscheinungsdatum 25.06.2009

Quelle: Website des Innenministeriums; www.bmi.bund.de


Pressemitteilung - 25.06.2009 - Sevim Dagdelen

Allein durch Dialog lässt sich Ungleichheit nicht beseitigen

"Ungleichheit lässt sich nicht durch Dialog allein aus der Welt schaffen, sondern nur durch Maßnahmen gegen soziale und rechtliche Ausgrenzung und Diskriminierung beseitigen. Genau diese Maßnahmen aber lässt die Bundesregierung vermissen", erklärt die migrationspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Sevim Dagdelen, anlässlich der vorerst letzten Vollversammlung der Deutschen Islam Konferenz. Dagdelen weiter:

"Angesichts dramatisch sinkender Einbürgerungszahlen und einer im Indikatorenbericht dokumentierten katastrophalen sozialen Situation vieler Migrantinnen und Migranten ist der integrationspolitische Ruf der Regierung miserabel. Da kommt ihr ein Nebenschauplatz gerade recht. Statt sich für gleiche Rechte und soziale Gleichberechtigung einzusetzen, wird lieber ein ,Dialog der Religionen' geführt. Integration wird aber sichergestellt durch den Zugang zu gesellschaftlich relevanten Teilsystemen wie dem Bildungssystem. Da hilft die Einführung islamischen Religionsunterrichts wenig. Wichtiger wäre die Abschaffung des selektiven dreigliedrigen Schulsystems.

Die religiös-weltanschauliche Erziehung ist Privatsache und keine Staatsaufgabe. Um den unterschiedlichen kulturellen, religiösen und weltanschaulichen Wertvorstellungen in der Gesellschaft zu entsprechen, fordert DIE LINKE, dass sich alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam in den bestehenden Unterrichtsfächern bzw. einem gemeinsamen Ethikunterricht mit zentralen Grundwerten wie Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität beschäftigen. Damit könnte die Grundlage geschaffen werden, sich selbstbestimmt im Leben zu orientieren und für eine bestimmte Religion, Konfession oder Weltanschauung oder auch für keine zu entscheiden."

Quelle: Website der Fraktion DIE LINKE, www.linksfraktion.de




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