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Neclas Comeback

Von Arnold Schölzel *

Necla Kelek, deutsche Islamhasserin türkischer Herkunft, hat sich wieder zu Wort gemeldet. Dabei schien es schon, als hätten ihr die Umbrüche in der arabischen Welt die Sprache verschlagen. Ihr nerviges Gesülze über den aufklärungs- und fortschrittsresistenten islamischen Kulturkreis war von den Ereignissen weitgehend blamiert worden. Nicht Abgrenzung, sondern Vereinnahmung war angesagt. Entsprechend wußte das Hegemonialkartell den Sturz seiner Statthalterregime in Tunesien und Ägypten als Triumph des westlichen Wertesystems zu feiern. Was anfangs als Befürchtung geäußert wurde, daß die arabische Demokratie in die Hände von Islamisten geraten könnte, ist mittlerweile unter kräftiger Mithilfe der einstigen Bedenkenträger zur durchaus gewollten Realität geworden. Scheinbar verkehrte Welt. Neoliberale Moslembrüder und islamistische Todesschwadronen sollen die Kontrolle des Westens über die Region sichern helfen. Es bedurfte lediglich eines Schmähvideos über den Propheten, um die Welt der Necla Kelek schließlich doch wieder in Ordnung zu bringen.

»Die aktuellen Angriffe auf westliche Botschaften in der arabischen Welt«, schreibt sie in der Welt, »sind keine spontanen Proteste religiöser Wutmuslime gegen einen Roman wie ›Die satanischen Verse‹, dänische Mohammed-Karikaturen oder ein schlechtes Wüstenvideo aus Kalifornien, sondern Teil eines sich ausweitenden Religionskrieges«. Von wegen, der von Samuel Phillips Huntington prognostizierte »Clash of civilisations« sei vom arabischen Aufstand ad absurdum geführt worden. Er befindet sich nach Ansicht der Autorin bereits voll im Gang.

»Was als Kampf um Demokratie begann«, will Kelek den Aufständischen der ersten Stunde den guten Willen nicht absprechen, »wurde inzwischen von den Islamisten okkupiert«. Der Religionskrieg werde an mehreren Fronten ausgetragen, schreibt sie. »Die eine Front ist der Bürgerkrieg um die Macht in der arabischen Welt. Sie verläuft zwischen den wahabitischen/salafistischen und moderaten Sunniten um die Macht in den einzelnen Staaten. Eine andere Front verläuft zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen Säkularen, Dschihadisten und Despoten in Syrien, im Irak und Iran.«

Die von der Welt-Autorin beschriebene Frontstellung in Syrien, wo tatsächlich ein – von außen provozierter –Bürgerkrieg stattfindet, erfolgt seltsam unpräzise. Zwar stehen sich tatsächlich die von den Westmächten unterstützte sunnitisch-arabische Reaktion auf der einen und die schiitische »Achse des Widerstandes« (Hisbollah, das syrische Regime, Iran und tendenziell auch der Irak) gegenüber. Doch läßt sich gerade der Syrien-Konflikt nicht in das einfache, auf der Halluzination eines Endkampfes zwischen aufgeklärt-säkularem Westen und islamischer Barbarei beruhende Weltbild der Frau Kelek einfügen. Denn dort hat die westliche Wertegemeinschaft zu jeder Greueltat bereite Gotteskrieger unter Vertrag genommen, um ein säkulares Regime in die Knie zu zwingen.

Um dieses für sie unangenehme Thema nicht weiter vertiefen zu müssen, löst Kelek die Komplexität der gegenwärtigen arabischen Situation mit einem Federstreich auf. »Alle«, das heißt Wahhabiten/Salafisten, moderate Sunniten, Schiiten, Säkulare, Dschihadisten und Despoten, »vereint die gemeinsame Front gegen den äußeren Feind, die Lebenswelt und den Einfluß des ›Westens‹, repräsentiert durch die USA – und der Kampf gegen Israel«. Verschwörungstheoretisch fügt sie hinzu: »Begleitet und vorbereitet wird das durch die fünfte Kolonne in diesem Krieg, den sogenannten ›Istanbul-Prozeß‹, ein von den islamischen Staaten beschlossenes und mit über zehn Milliarden Dollar jährlich finanziertes Missionsprogramm, dessen Ziel unter anderem die Kriminalisierung von Kritik der Religion des Islam ist.« Die Weisen von Istanbul lassen grüßen.

Der islamischen Gefahr ins Auge sehend, warnt die moderne Kreuzritterin vor einer Politik des Appeasements. »Wir können ja nicht zu denken und arbeiten aufhören, damit wir die Islamisten nicht provozieren«, schreibt sie. Als wäre Islamfeindlichkeit auf unterstem Niveau eine abendländische Denkleistung. »Die eigentliche Provokation für diesen Teil der Welt ist nämlich nicht ein Schmähvideo, sondern der Lebensstil, der Erfolg und die Freiheit des Westens –und die eigene Perspektivlosigkeit«, läßt Necla Kelek wenigstens einen Ansatz kritischen Denkens erkennen. Doch auch der endet in sozialdarwinistischem Zynismus. Ihren religiösen Wahn könnte man den Wutmuslimen ja noch nachsehen. Doch die wollen auch noch mehr Gerechtigkeit auf der Welt.

* Aus: junge Welt, Samstag, 22. September 2012 ("Der Schwarze Kanal"


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