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Gleichheit des Propheten

Reza Aslan erzählt die Geschichte des Islam als egalitäre Reformbewegung

Von Thomas Wagner *

Das in der BRD derzeit geschürte Feindbild Islam geht mit einer bemerkenswerten Unkenntnis einher, wovon eigentlich die Rede ist, wenn Begriffe wie Dschihad, Schleier, Wahhabismus, Mahdi, Fatwa, Sufismus, Sunniten und Schiiten in die Diskussion geworfen werden. Wer eine erste Orientierung auf dem unübersichtlichen Gelände islamischer Religionsgeschichte sucht, ist mit Reza Aslans Buch »Kein Gott außer Gott« sehr gut bedient. Das Buch informiert über die grundlegenden politischen und ethischen Konstellationen in der islamischen Geschichte, ohne dabei die ökonomischen Interessenlagen aus den Augen zu verlieren. Für den 1979 als Siebenjähriger mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester von Teheran nach den USA emigrierten Islamwissenschaftler ist Religion vor allem eine Sprache, in der soziale und politische Ideologien ihren Ausdruck finden. Das gilt für die Entstehung des Islam, aber auch für die religiös legitimierte Gewalt dieser Tage.

Stammesethik

Aslans Islam ist ursprünglich vor allem eins: eine historische Bewegung für mehr soziale Gleichheit. Die herrschaftsfeindliche Prinzipien arabischer Nomadengesellschaften werden im veränderten Kontext einer städtischen Handelsgesellschaft durch die Botschaft des Propheten neu zur Geltung gebracht. »Die Araber hegten nur Verachtung für die Erbkönigreiche der Byzantiner und Sassaniden. Einzige Vorbedingung, um Scheich werden zu können, waren neben dem reifen Alter Tugenden wie Tapferkeit, Ehre, Gastfreundschaft, Kampfesstärke, Gerechtigkeitssinn und vor allem der beharrliche Einsatz für das Gemeinwohl – Eigenschaften, die den Kodex des arabischen Stammesverhaltens (muruwwa) ausmachten. Da sich die Araber hüteten, alle Führungsaufgaben in eine Hand zu legen, besaß der Scheich kaum wirkliche Exekutivgewalt. Alle wichtigen Entscheidungen wurden durch kollektive Beratung mit anderen Stammesmitgliedern getroffen«. Der begnadete Erzähler Aslan entführt seine Leser mitten in das Mekka des siebten Jahrhunderts. Er führt in die sozialen Lagen und politischen Konflikte ihrer Bewohner ein, stellt die herrschenden Cliquen und Clans vor. Vor diesem Hintergrund wird gewinnt das Leben des Waisenkinds Muhammad historisch konkret. Wir werden Zeuge, wie die patriarchalisch-egalitäre Stammesethik in der mekkanischen Stadtgesellschaft zunehmend dem Profitstreben mächtiger Sippen weicht. Wer nicht zu einem Clan gehört, muß sich Geld von den Reichen leihen, fällt in erdrückende Armut und schließlich in die Sklaverei.

Dagegen erhebt der junge Prophet seine Stimme: »Mit scharfen Worten prangerte er die Mißhandlung und Ausbeutung der Schwachen und Schutzlosen an. Er verlangte eine Ende der betrügerischen Verträge und des Wuchers, der die Armen zu Sklaven gemacht hattte. Er sprach von den Rechten der Unterprivilegierten und Unterdrückten und erhob die unerhörte Forderung, es sei die Pflicht der Reichen und Mächtigen, sich ihrer anzunehmen.«

Universalisierung

Muhammads Gemeinschaft war eine Institution, die auf arabischen Vorstellungen einer Stammesgesellschaft basierte, diese jedoch universalisierte, indem sich ihr jeder anschließen konnte, der das Glaubensbekenntnis ablegte. Erst im Jahr 613, drei Jahre nach seiner ersten Offenbarung, nimmt Muhammads Botschaft eine monotheistische Wendung und fordert dadurch die mächtigen Geschäftemacher Mekkas um so mehr heraus. »Es gibt keinen Gott außer Gott, und Muhammad ist der Gesandte Gottes.« – »Mit diesem schlichten Glaubensbekenntnis erklärte Muhammad, daß der Gott des Himmels und der Erde keinen Vermittler brauchte, sondern von jedermann direkt angerufen werden konnte und damit waren die Götterbilder im Heiligtum, ja das Heiligtum selbst als Wohnsitz der Götter überflüssig.« Die von Muhammad und seinen Anhängern etablierte Frömmigkeit des Koran ist keine spirituelle Weltflucht, sondern besteht aus der ganz materialistischen Pflicht, »daß man sein Geld den Verwandten, den Waisen, den Armen, dem, der unterwegs ist, den Bettlern und für (den Loskauf von) Sklaven hergibt, das Gebet verrichtet und die Almosensteuer bezahlt«.

Religion und Staat

Aslan, der in den wichtigsten US-Zeitungen veröffentlichte, vertritt eine reformerische Lesart des Korans, die an historischen Beispielen immer wieder die Nähe der drei monotheistischen Religionen betont und in der für die Poesie und Erotik der muslimischen Mystik ebensoviel Platz ist, wie für demokratische Ideen. »Demokratische Werte wie Konstitutionalismus, Verantwortlichkeit der Regierung, Pluralismus und Menschenrechte werden in der muslimischen Welt weithin anerkannt. Nicht unbedingt anerkannt dagegen ist die typisch westliche Auffassung einer strikten Trennung von Religion und Staat und des Säkularismus als Grundlage einer demokratischen Gesellschaft.« Die Demokratie dürfe daher nicht von außen importiert werden. »Sie muß vielmehr im Innern wachsen, auf dem Boden einer vertrauten Mentalität.« Die Nagelprobe für die von Aslan geforderte Reform des Islam wäre die Bereitschaft islamischer Theologie, sich von patriarchalischen Inhalten der Überlieferung zu befreien und nicht nur gegenüber den Anhängern von Buchreligionen, sondern auch gegenüber Agnostikern und Atheisten Toleranz zu zeigen.

Reza Aslan: Kein Gott außer Gott. Der Glaube der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart. C.H. Beck, München 2006, 335 Seiten, 24,90 Euro

* Aus: junge Welt, 23. April 2007


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