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Genug der Hasspredigten gegen den Islam!

Muslime und Nichtmuslime gemeinsam gegen Islamfeindlichkeit *


Salman Farsi ist Sprecher der Ost-London-Moschee und des London Muslim Centre, das der Koalition gegen Islamophobie (Enough Coalition Against Islamophobia) angehört. Das Bündnis hat eine internationale Konferenz gegen antiislamischen Rassismus in Großbritannien und Europa initiiert, die am Wochenende in London tagt. Vor Konferenzeröffnung befragte Susann Witt-Stahl für das Neues Deutschland (ND) Salman Farsi.

ND: Die Enough-Coalition ist ein sehr breites Bündnis. Wie kam es dazu?

Farsi: Es existiert seit Ende vergangenen Jahres. Die darin vertretenen Gruppen, darunter das Islamische Forum Europa und die Stopp-den-Krieg-Koalition, waren sich darin einig, dass es genug ist mit der Islamophobie in unserer Gesellschaft. Genug ist genug! Es ist Zeit, einen klaren Standpunkt zu beziehen und Zeichen zu setzen.

Und Sie haben keine Probleme damit, mit Kommunisten und anderen linken Atheisten zusammenzuarbeiten?

Nein. Unser Ziel ist es doch nicht, Nichtgläubigen unsere Religion aufzuzwingen. Wir wollen gemeinsam gesellschaftlichen Fortschritt durchsetzen.

Gab es einen Auslöser für die Gründung?

Das stetige Anwachsen der Islamfeindlichkeit. Schmierereien an Moscheen, Steine fliegen in die Fenster muslimischer Einrichtungen. Die Zahl der Unterstützer extremer Rechter wie der British National Party nimmt erheblich zu. Eine »English Defense League« wurde formiert, die angeblich nur militanten Islamismus bekämpfen will. Und europaweit geschehen verrückte Dinge wie das Vollschleierverbot in Frankreich oder die vielen Versuche, Moscheen aus den Städten zu verbannen.

Was bedeutet für Sie »genug«?

Hören Sie sich doch die antimuslimische Rhetorik aus den Mündern führender Politiker Europas an. Ein Beispiel ist Premierminister David Cameron, der im Februar auf der Sicherheitskonferenz in München behauptet hat, unsere Integration sei ebenso gescheitert wie der Multikulturalismus. Ich widerspreche dem nicht nur. Ich verstehe diese Aussage auch als persönlichen Angriff. Meine Vorfahren waren Migranten aus Bangladesch, sie kamen mit einem anderen ethnischen Hintergrund aus wirtschaftlichen Gründen nach Großbritannien. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Ich bin Brite, Asiate und Muslim. Wenn Cameron mir solche Vorwürfe macht, dann heißt das, ich bin ein Versager. Das denke ich aber ganz und gar nicht.

Es gibt sicherlich noch mehr Gründe für die Einberufung der Konferenz. Es ist zu kurz gegriffen, Islamophobie lediglich als Reaktion auf die Tragödien von 2001 in New York und 2006 in London zu analysieren. Die Anschläge haben nur bewirkt, dass die Vorurteile gegen Muslime überproportional angewachsen sind. »Genug« heißt auch, es kann nicht sein, dass die zwei Millionen Muslime in Großbritannien dafür büßen müssen. Mehr als 99 Prozent von ihnen haben mit Terrorismus nichts zu tun.

Welchen Zweck verfolgen Sie mit der Konferenz?

Uns geht es in der Tat um »Konfrontation«. Wer wirklich etwas über Muslime erfahren will, muss zu uns kommen und mit uns reden. Die Medien geben hauptsächlich den Hasspredigern Raum, weil sie sich gut als Sensation verkaufen lassen. Damit heizen sie die Stimmung gegen Muslime noch weiter an.

Sind die Anhänger der »English Defense League« also nur Opfer von Medienpropaganda?

Viele dieser Leute sind hochgradig enttäuscht von der herrschenden Politik. Sie haben keine vernünftige Arbeit und leben in schlechten Verhältnissen. Ihren Frust über das Versagen der Regierung lassen sie an den medial produzierten Feindbildern aus.

Islamophobie ist also ein soziales Problem – ein Klassenproblem?

Ja.

Haben nicht auch der »Krieg gegen den Terror« und die neoimperialistische Bestrebungen im Nahen Osten einen Einfluss darauf?

Großbritannien beteiligt sich in Irak und Afghanistan an der Besatzung muslimischer Länder. Das ist ein gravierendes Problem.

Islamistische Gruppen wie die »Muslims Against Crusades« (Muslime gegen Kreuzzüge) liefern aber auch Stoff für Konflikte.

Sie haben in Luton, wo die Leichen gefallener britischer Soldaten ankommen, gegen die Kriegseinsätze protestiert. Das hat viele Briten verärgert. Ihr Verhalten ist nicht förderlich. Wir hatten eine Auseinandersetzung mit ihnen, weil wir einen Rabbi eingeladen haben. Die Gruppe von Abu Assadullah, aus der sich die »Muslims Against Crusades« rekrutieren, ist engstirnig und will keine Kooperation mit Nichtmuslimen.

Auf der anderen Seite schmiedet die »English Defense League« Bündnisse mit rechten Juden. Auf ihren Demonstrationen werden neben dem Georgskreuz israelische Fahnen geschwenkt.

Mit der Zeit werden immer mehr Juden merken, dass sie und der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern für fremde politische Zwecke missbraucht werden. Wir gehen einen anderen Weg: Wir haben ein fantastisches Verhältnis mit den Juden in der benachbarten Synagoge und arbeiten auch mit Christen und Hindus zusammen. Wir können nur eine bessere Gesellschaft schaffen, wenn wir mit den Brüdern und Schwestern anderen Glaubens zusammenwirken.

Hintergrund: Die Konferenz in London

Schändung von Moscheen und Gräbern, Beschimpfungen und selbst gewalttätige Übergriffe sind für eine wachsende Zahl von Muslimen in Großbritannien Alltag. »Frauen wird auf der Straße der Schleier entrissen«, berichtet Jon Burnett vom Institute for Race Relations. und die Direktorin des Instituts, Liz Fekete, verfolgt mit großer Sorge, wie »führende Köpfe der etablierten Parteien in Europa den Multikulturalismus für tot erklären«. Das sei Wasser auf die Mühlen all derer, die Ressentiments gegen den Islam pflegen. Ihnen sei es gelungen, »stereotype Verallgemeinerungen« über die muslimische Kultur und das muslimische Denken in der Gesellschaft zu verankern, stellt Fekete fest. Sie und andere kritische Wissenschaftler in Großbritannien sprechen von einem »neuen Common-Sense-Rassismus« gegen Muslime.

Auf einer eintägigen internationalen Konferenz im Londoner Muslim Center wollen Fekete und weitere mehr als 20 Referenten »antimuslimischem Hass in Großbritannien und Europa entgegentreten«. Die Konferenz wird von der »Enough Coalition Against Islamophobia« organisiert. Neben dem US-amerikanischen Islamforscher John Esposito, Sabine Schiffer vom Erlanger Institut für Medienverantwortung und anderen Wissenschaftlern werden Repräsentanten muslimischer Organisationen, Sprecher von Bürgerrechtsinitiativen und Opfer von Islamophobie zu Wort kommen. Und Aktivisten der britischen Friedensbewegung und Antimilitaristen werden die Islamfeindlichkeit im Kontext des »Kriegs gegen den Terror« analysieren. SWS



* Aus: Neues Deutschland, 21. Mai 2011


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