Zwischen Kopftuch und Aufbruch
In Köln forderten Frauen aus muslimischen Ländern gleiche Rechte – mal mit, mal ohne Koran
Von Irene Runge *
Auf der zweitägigen Konferenz der Friedrich-Ebert Stiftung in Köln »Frauen im Islam – zwischen
Unterdrückung und Selbstbestärkung« stellten Frauenorganisationen aus Europa, Nahost und Afrika
ihre Arbeit vor und diskutierten über die Rolle des Islam in ihren Gesellschaften.
Frauenpower im Islam: Ein hierzulande selten öffentlich diskutiertes Thema. Die einen deuten den
Koran als potenzielles Unterdrückungsinstrument, andere widerlegen dies mit gleicher Quelle. Die
Religion wird von muslimischen Frauen mit Blick auf die Geschlechterfrage genauso unterschiedlich
erlebt wie gegensätzlich interpretiert.
Es war die Friedrich-Ebert-Stiftung, die Ende vergangener Woche zu solchen Erkenntnissen
anregte. Sie lud zu einer internationalen Frauenkonferenz unter Schirmherrinschaft der deutschen
Islamkritikerin und Bundestagsabgeordneten Lale Atgün (SPD) ein. Rund 150 muslimische und nichtmuslimische
Aktivistinnen, Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Journalistinnen und einige
männliche Experten diskutierten leidenschaftlich über Koranhermeneutik, Frauenrechte, Bildungsund
Chancengleichheit für Mädchen, Wege zu politischer Partizipation und das Thema
Diskriminierung aus einer innerislamischen wie gesamtgesellschaftlichen Sicht. Sie brachten dabei
die Vielfalt und die Differenzen aus afrikanischen, arabischen, asiatischen und westlich-islamischen
Erfahrungen ein.
Einig war sich das Publikum, dass Frauendiskriminierung weder gottgewollt noch sozial akzeptabel
sei. Während die einen den Gleichheitsanspruch mit Koran oder Sunna belegten, griffen andere auf
historische, kulturelle, sozial- oder politökonomische Erklärungsansätze zurück. Die Publizistin und
politische Islam-Aktivistin Irshad Manji (Foto: dpa), die als Flüchtlingskind aus dem Uganda des
Diktators Idi Amin nach Kanada kam, will keinen Schleier, keinen Djihad, kein Kalifat. Durch ihr Buch
»Der Aufbruch – Plädoyer für einen aufgeklärten Islam«, das mittlerweile in 25 Sprachen übersetzt
wurde, hat Manji die Debatte in vielen Ländern belebt – dank Internet auch in manchen islamischen
Staaten.
In ihrem Eröffnungsreferat diskutierte Amina Wahdu, eine im Glauben auch an die
Gleichberechtigung gefestigte Muslima und feministische Professorin aus den USA, die Menschenals
Frauenrechte und den Reformislam als eine der muslimischen Antworten auf die Erfordernisse
der Zeit. Wahdu machte sich einst erbitterte Feinde, weil sie vor Männern und Frauen öffentlich das
Freitagsgebet leitete und damit ein, ihrer Meinung nach nicht vorhandenes, Gesetz brach, wonach
dies allein dem Manne vorbehalten sei.
Ihr eigenwilliges Islamweltbild, von manch traditioneller Verbindlichkeit bereinigt, wurde in Köln nicht
von allen geteilt. Der Meinungsstreit gehörte ohnehin zu dieser zweitägigen Konferenz: Geht es um
die Modernisierung des Islam oder die Islamisierung der Moderne? Das war nur eine der
schwergewichtigen Fragen, andere drehten sich um aktuelle Ausdeutungen des Koran und der
Prophetenworte, um das Verhältnis von Tradition und Authentizität, modernes Familienrecht und
Scharia, die Ursachen für religiöse Radikalisierung, aber auch um die Abkehr vom Glauben. Die Tür
der Korandeutungen gilt vielen Gläubigen seit dem 10. Jahrhundert als verschlossen. In Köln wurde
das von mehreren Expertinnen als unvereinbar mit einem modernen islamischem Wissen
bezeichnet. Sie brachten die Frauenperspektive als den Schlüssel ein.
Nicht minder kontrovers diskutiert wurde der Freiheitsgedanke im Islam. Im Disput um das Kopftuch
fanden sich auf der einen Seite jene, die das aus der Trennung von Staat und Religion abgeleitete
Kopftuchverbot in der Türkei und Tunesien für eine anklagenswürdige Verletzung des
Menschenrechts auf freie Religionsausübung sehen. Das Gegenbeispiel lieferten Saudi-Arabien und
Iran, wo Frauen nicht nur den Kopf in der Öffentlichkeit verhüllen müssen.
In Europa leben heute – ohne die ehemalige Sowjetunion und den Balkan mitzuzählen – zwischen
15 und 30 Millionen Muslime, die Hälfte davon sind Frauen. Europa, so hieß es schlussendlich,
schaffe heute den Raum für einen Diskurs, der in den islamischen Staaten fehlt. Ob und wie sich
westliche Muslima in ihren afrikanischen, asiatischen und nahöstlichen Schwestern spiegeln, das hat
– wie in Köln zu erleben war – viel mit politischer Bildung zu tun. Die Religion erklärt zwar manches,
aber eben nicht alles.
* Aus: Neues Deutschland, 16. Juni 2008
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