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Bislang floss nur Tierblut

Angriffe auf Moscheen nehmen zu – das Interesse der Öffentlichkeit daran nicht

Von Fabian Köhler *

Hakenkreuz-Schmierereien, Tierblut und Fäkalien, Brandanschläge: Seit dem Mord an einem Soldaten in London nehmen auch in Deutschland Angriffe auf muslimische Gebetshäuser zu. Die Täter sind meist Rechtsextreme. Doch die Verantwortung tragen auch andere.

Eine Lache Tierblut erwartete Kinder im Mainzer Stadtteil »Hamü« vergangene Woche. Das Bild eines verstümmelten afghanischen Mädchens prangte von der Fassade. An der Tür der Slogan einer rechtsradikalen Gruppe. Mit Afghanistan und Neonazis hatten die Kinder des Al-Nur-Kindergartens bisher nichts zu tun. Der vermutliche Grund für den nächtlichen Angriff hingegen: Das Gebäude beherbergt auch eine Moschee. Und diese werden immer öfter das Ziel von Anschlägen.

200 islamfeindliche Aufkleber der NPD-Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten« an der Außenfassade eines muslimischen Gemeindehauses im Rheinland-Pfälzischen Bullay. Eingeschlagene Scheiben an einer Moschee bei Osnabrück. In Düren drohte ein Schriftzug: »NSU lebt weiter und ihr werdet die nächsten sein.« Allein vier Angriffe auf Moscheen gab es in den vergangenen zwei Wochen. »Gott sei Dank war an dem Tag der Kindergarten geschlossen«, sagt Abdullatif Hussein. Er ist der Vorsitzende des Mainzer »Arab Nil-Rhein Vereins«. Groß sei die Enttäuschung, »nachdem man jahrelang ohne Probleme zusammengelebt hat«, sagt er. Seine Moschee gilt als eine Art integratives Vorzeigeprojekt: Seit 1998 ist der Verein Teil der Stadt. Regelmäßig werden Treffen mit Vertretern von Kommune und Land abgehalten. Die Schule des Vereines bietet Deutschkurse an. Das Landesjugendamt lobte das pädagogische Konzept des Kindergartens. Zum Ziel wurden sie trotzdem.

Von 219 Angriffen auf Moscheen in den Jahren 2001 bis 2011 berichtet die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Dass dies längst nicht alle Vorfälle sind, weiß Gerhard Piper vom Berliner Informationszentrum für transatlantische Sicherheit. Er hat etliche Fälle dokumentiert, die in den offiziellen Angaben fehlen. Dabei bleibt es nicht immer bei Nazi-Schmierereien oder Schweinsköpfen vor der Tür: Vier Fälle von Schusswaffengebrauch, drei Bomben- und 58 Brandanschläge finden sich in der Auflistung. Pipers Resümee: Statt vom »islamischen Terrorismus« müsse man in Deutschland von einem »Terrorismus gegen Muslime« reden.

Dass auch diese Zahlen noch zu niedrig sind, vermutet Aiman Mazyek. Der Vorsitzende des »Zentralrates der Muslime in Deutschland« fordert eine gesonderte Erfassung islamfeindlicher Straftaten in der Polizeistatistik. Er sieht auch Medien in der Verantwortung: Der Anschlag in Mainz zeige, »wie die Berichterstattung über den Islam im Kontext von Terror und Gewalt ohne die notwendige Trennschärfe von Extremismus und Religion« zu einer »zunehmenden Gewalt gegenüber Muslimen« führe. Zuletzt hätten nach dem Mord an einem Soldaten am 22. Mai in London Übergriffe auch in Deutschland zugenommen. Auch offizielle Zahlen belegen eine Verdopplung der Anschläge auf deutsche Moscheen in den letzten zehn Jahren. Die Aufklärung stagniert hingegen: Nur in 37 Fällen, so die Bundesregierung, wurden Tatverdächtige ermittelt. Fast alle von ihnen stammen aus dem rechtsextremen Milieu. Die Legitimierung ihrer Taten erfolge hingegen »in der gesamten Gesellschaft«, sagt Sabine Schiffer. Die Leiterin des Instituts für Medienverantwortung sieht »in der Islamfeindlichkeit für den rechten Rand einen Glücksfall der Geschichte«. Denn die Diffamierung von Muslimen sei anders als Antisemitismus bis hin zu Gruppen gesellschaftlich anschlussfähig, die wie der »Zentralrat der Ex-Muslime« als politisch links gelten.

»Hetze« wirft Hussein auch der Mainzer CDU-Fraktion vor. Und auch die Täter waren diesmal vermutlich keine Rechtsextremen: Ein 17-jähriger Schüler und ein 22-jähriger Student gestanden die Tat. »Für uns wäre es mit Rechtsradikalen einfacher gewesen«, sagt Hussein. »Nun müssen wir herausfinden, wie ein normaler Jugendlicher dazu kommt, uns drei Eimer Tierblut vor die Tür zu kippen.« Dies soll nun allerdings ohne die Behörden geschehen – und auf eine Weise, wie es in seiner Moschee üblich sei: Er will die beiden Jugendlichen zum Gespräch einladen. Bleibt abzuwarten, ob diese der Einladung folgen werden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 3. Juni 2013


Britische Rechtsradikale marschieren

Antifaschisten wenden sich gegen Islamophobie nach Soldatenmord **

Großbritannien tut sich schwer mit der Aufarbeitung des Soldatenmordes vor knapp zwei Wochen. Rechte und linke Gruppen prallten am Wochenende aufeinander. Expremier Tony Blair warnt vor einer Radikalisierung.

Seit dem Mord an dem 25-jährigen Soldaten Lee Rigby marschieren fast täglich Hunderte Rechtsradikaler in britischen Städten auf und fordern die Ausweisung muslimischer Prediger. Die Familie des Opfers hatte dazu aufgerufen, den Namen des Toten nicht für radikale politische Ziele zu missbrauchen.

Am Sonnabend lieferten sich rechtsextreme Demonstranten und linksgerichtete Gegendemonstranten in London einen heftigen verbalen Schlagabtausch. Die Polizei hielt beide Kundgebungen in der Nähe des Parlaments in Schach, mindestens 58 Menschen wurden festgenommen. Unterdessen muss sich nun auch der zweite mutmaßliche Attentäter wegen Mordes verantworten, er soll am Montag vor Gericht erscheinen.

An der Protestkundgebung der rechtsextremen British National Party (BNP) nahmen nach Angaben von Scotland Yard rund 150 Anhänger teil, die Gegendemonstration der antifaschistischen Bewegung Unite against Fascism hatte doppelt so viele Teilnehmer. Viele BNP-Anhänger schwenkten britische Fahnen, auf Spruchbändern forderten sie »Hassprediger, raus!« Einer der Organisatoren, Adam Walker, warf der Regierung eine zu nachgiebige Haltung gegen radikale Islamisten vor. Ursprünglich wollte die BNP ihren Marsch im Stadtteil Woolwich veranstalten, wo der Soldat Lee Rigby ermordet worden war, doch hatte dies die Polizei verboten.

Gegendemonstranten trugen Spruchbänder wie »Nein zur Islamphobie« mit sich. Der Chef der Bewegung aus linksgerichteten Gruppierungen und Gewerkschaftern, Steve Hart, warf der BNP vor, den Mord für ihre politischen Ziele zu missbrauchen – und damit die Bitte von Rigbys Familie zu missachten.

Rigby war am 22. Mai auf offener Straße in London regelrecht hingerichtet worden. Bei den beiden mutmaßlichen Tätern handelt es sich um zum Islam konvertierte Briten nigerianischer Abstammung. Einer hatte gesagt, er habe den Soldaten als Vergeltung für die Tötung von Muslimen ermordet. Die beiden 22- und 28-jährigen Männer wurden nach der Tat von der Polizei angeschossen und in verschiedene Krankenhäuser gebracht, konnten die Klinik inzwischen aber wieder verlassen. Die beiden Männer sollen am Montag zu einer Voranhörung vor unterschiedlichen Gerichten in London erscheinen. Beiden werden Mord an dem Soldaten und versuchter Mord an zwei Polizisten vorgeworfen.

Der frühere Premierminister Tony Blair warnte in einem Beitrag für die »Mail on Sunday« vor den Folgen religiöser Radikalisierung bei Jugendlichen. »Der Samen für künftigen Fanatismus und Terror ist gesät«, schrieb Blair. »Es gibt kein Problem mit Muslimen allgemein. Aber es gibt ein Problem im Inneren des Islams.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 3. Juni 2013


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