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"Wir haben auch einen Buddhologen"

Bernd Engler über die wachsende Teilhabe von Muslimen und den Pluralismus innerhalb des Islam *


Vorgestern wurde an der Tübinger Universität das erste Zentrum für Islamische Theologie in Deutschland offiziell eröffnet. Seit Oktober studieren dort 23 Frauen und 13 Männer, um zum Beispiel Religionslehrer zu werden. Mit Bernd Engler, dem Rektor der Hochschule, sprach Thomas Blum über den interreligiösen Dialog und Religion als Wissenschaft.


nd: Tübingen ist die erste deutsche Universität, die das Studienfach Islamische Theologie eingerichtet hat. Wie kam es dazu?

Engler: Wir haben auf die Empfehlung des Wissenschaftsrates reagiert, der anregte, es sollten bis zu vier Zentren für Islamische Theologie in Deutschland eingerichtet werden. In Reaktion darauf haben unsere beiden christlichen Theologien deutlich gemacht, dass sie Tübingen als den richtigen Standort für ein solches Zentrum erachten, weil einige unserer Theologen ohnedies seit vielen Jahren mit Muslimen intensiv im Dialog sind, auch in Fragen der Religionspädagogik.

Es sind 23 Frauen und 13 Männer, die den neuen Studiengang aufgenommen haben. Wo liegen denn die Gründe für diese Überzahl an Frauen?

Mich hat das nicht überrascht, weil wir davon ausgehen, dass bis auf Weiteres etwa 80 Prozent der Absolventen eher als Religionspädagoginnen und -pädagogen in Erscheinung treten werden, an Schulen, Gymnasien unterrichten werden. Da haben wir traditionell eine Dominanz von Frauen im pädagogischen Bereich. Die Zahl der Imame, die in Deutschland ausgebildet werden, dürfte sich erst langsam entwickeln.

Sind die Studierenden überwiegend Migranten islamischen Glaubens? Oder gibt es auch andere?

Die Mehrzahl hat einen islamischen Glaubenshintergrund, und davon natürlich sehr viele jetzt in der dritten Generation, häufig türkischstämmig oder bosnischer Herkunft. Wir haben aber auch einige Studierende aus dem Ausland. Das wird sich hoffentlich sogar noch ausweiten. Und wir haben auch Studierende, die eher von der Religionswissenschaft herkommen oder christlichen Glaubens sind. Da sind wir völlig offen, wie es sich einer Universität geziemt. Allerdings ist das Lehrpersonal muslimischen Glaubens. Das ist wie bei der katholisch-theologischen Fakultät oder bei der evangelischen, bei denen die entsprechende Konfessionsbindung vorgesehen ist.

Kann man die Einrichtung des Instituts als Zeichen dafür werten, dass die Muslime zur bundesdeutschen Gesellschaft gehören, wie der Bundespräsident einmal sagte?

Ich denke schon. Vor allem ist es ein Zeichen dafür, dass wir die religiösen Empfindungen der Muslime ernster nehmen als in der Vergangenheit, dass wir anerkennen, dass auch muslimische Kinder Religionsunterricht erhalten sollten, sofern das gewünscht ist. Und dass es vielleicht insgesamt gut ist, unsere Jugend auch für andere Glaubensrichtungen zu sensibilisieren. Daher gehe ich davon aus, dass diesem Zentrum auch eine wichtige Rolle zukommt für den interreligiösen Dialog und dessen Umsetzung in der schulischen Praxis, so dass christliche Schüler mehr über den Islam erfahren und umgekehrt.

Es gibt auch traditionalistische Strömungen im Islam, die die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen oder ein freiheitliches Gesellschaftssystem zumindest in Frage stellen, wenn nicht gar ablehnen. Wie geht man mit solchen Strömungen am Institut um?

Natürlich wird sich das, was gelehrt wird, auf dem Prinzip unseres Grundgesetzes zu bewegen haben. Wenn die Islamische Theologie in den universitären Alltag einzieht, ist damit natürlich auch geplant, die Pluralität oder den Pluralismus innerhalb des Islam zu reflektieren.

Es gibt, was das islamische Recht anbelangt, ja nicht nur die Scharia, die bei uns immer wieder Furore macht. Das islamische Recht ist wie jedes andere auch sehr stark von Auslegungspraxis gekennzeichnet. Selbstverständlich wird bei uns dann nicht eine Rechtsschule gepflegt, sondern dem Pluralismus Rechnung getragen. Die Studierenden werden angehalten, diese Pluralität auch in ihr Denken zu integrieren und eine gewisse Liberalität anzuerkennen.

Werden die Lehrkräfte auch nach solchen Kriterien ausgesucht?

Die wissenschaftliche Qualifikation steht ganz vorne. Wir setzen voraus, dass der wissenschaftliche Anspruch die unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten, Auffassungen und wissenschaftlichen Traditionen mit in den Blick nimmt. Wir haben Personen, die als Wissenschaftler international anerkannt sind.

Es gibt vier bis fünf Millionen Muslime in Deutschland. Wäre bei mindestens 40 Prozent der Bevölkerung, die nicht religiös sind, nicht auch die Einrichtung eines Instituts für Agnostizismus oder Atheismus denkbar?

Nun ja. Wir selbst haben Religionswissenschaftler, die Religionswissenschaft als wissenschaftliche Disziplin lehren, in absolut säkularem Sinn. Wir haben einen Buddhologen, der sich mit Buddhismus befasst. Der Hinduismus spielt bei den Ostasienwissenschaften eine enorme Rolle. Und wir haben durchaus in Deutschland viele Religionswissenschaftler, die sich als Agnostiker oder Atheisten bezeichnen würden und aus dieser Einstellung heraus Religionswissenschaft betreiben.

* Aus: neues deutschland, 18. Januar 2012


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