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Wieder mit dabei

Vor 65 Jahren unterzeichnete Adenauer das »Petersberger Abkommen«

Von Simon Zeise *

Auf dem Petersberg bei Bonn, dem Sitz der Alliierten »Hohen Kommission«, die das Besatzungsstatut für Westdeutschland regelte, weilte am 22. November 1949 Bundeskanzler Konrad Adenauer als Gast. Dort traf er mit den Kommissaren John J. McCloy (USA), Brian H. Robertson (Großbritannien) und André François-Poncet (Frankreich) »Abmachungen« über die künftige wirtschaftspolitische Ausrichtung. Zwei Tage später unterrichtete er den Deutschen Bundestag.

Das Petersberger Abkommen war die logische Fortsetzung der Politik des geschwächten deutschen Monopolkapitals vor dem Hintergrund des »verlorenen Krieges«. Die vereinbarten Abmachungen waren ein wichtiger Schritt zur Regelung der Beziehungen zwischen BRD und den westlichen Alliierten. Jedes wirtschaftliche Zugeständnis seitens der Alliierten verlangte Bonn einen Beitrag zur Vertiefung der »europäischen Gemeinschaft« ab. Fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Bundesregierung gezwungen, leise Töne anzuschlagen. Den kurzen Weg zu erneuter Großmachtpolitik gab es nicht.

Verbindendes Ziel zwischen der BRD und den USA bildete die Eindämmung (Containment) des Einflussgebiets der Sowjetunion. Zu diesem Zweck musste ein ökonomisch starkes westeuropäisches Staatenbündnis gebildet werden. Es war, wie es im Petersberger Abkommen heißt, an der Zeit, »die Bundesrepublik als friedliebendes Mitglied in die europäische Gemeinschaft einzugliedern«. Infolge der Vereinbarung trat Westdeutschland der Organisation für wirtschaftliche europäische Zusammenarbeit (OEED), dem Vorläufer der OECD, bei. Außerdem wurde sie assoziiertes Mitglied im Europarat, einem »Forum«, das die politische Einigung Europas unter den zehn Gründern (Frankreich, Großbritannien, Italien, Irland, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Dänemark, Norwegen, Schweden) vorantreiben sollte.

Restauration des Monopolkapitals

Das Petersberger Abkommen bekräftigte die wirtschaftspolitischen Ziele der Alliierten, die monopolkapitalistischen Strukturen in Westdeutschland wieder zu festigen. Die Grundlagen hierfür wurden bereits im Vorfeld geschaffen. Der Bruch des Potsdamer Abkommens durch die Bildung der Trizone (Großbritannien, USA und Frankreich), die separate Währungsreform im Juni 1948 und die kurz darauf folgende Aufhebung des Preisstopps (während der Lohnstopp zunächst in Kraft blieb), die Durchsetzung des Marshallplans sowie die Weigerung, der weithin unterstützten Forderung nach Überführung des Großkapitals in Gemeineigentum nachzukommen, waren bis Petersberg eingeschlagene Pflöcke für den Wiederaufbau der Marktwirtschaft.

Geknüpft an die Absicht, die Ausbreitung des Kommunismus verhindern zu wollen, hatten die USA ein Interesse daran, ein kapitalistisches Westeuropa unter ihre Vorherrschaft zu bringen. Durch das Ende des Zweiten Weltkriegs gingen in den USA die Rüstungsaufträge zurück, die ihren Unternehmen in den letzten Kriegsjahren riesige Profite beschert hatten. Dieses anlagesuchende Kapital musste absorbiert werden.

Die Produktionsbedingungen in Deutschland waren für Unternehmen günstig. Arbeitskräfte konnten wegen der hohen Arbeitslosigkeit zu geringen Löhnen beschäftigt werden. Auch der Produktionsapparat war nur in verhältnismäßig geringem Umfang zerstört worden. Der Kapazitätsverlust betrug lediglich 15,4 Prozent des Anlagenbestandes von 1936. Davon waren 8,1 Prozent auf Kriegszerstörungen und 7,3 Prozent auf Demontagen nach dem Krieg zurückzuführen. Darüber hinaus waren Teile der Produktion in den letzten Kriegsjahren modernisiert worden. Das Petersberger Abkommen beendete die Demontagepolitik in Westdeutschland. Zudem sah es den Beitritt der BRD zur Ruhrbehörde vor, vermöge derer die deutsche Montanindustrie einer internationalen Aufsicht unterstellt wurde. Alle rüstungstechnisch relevanten Materialien wurden dort überwacht. Der Beitritt der BRD war ein bedeutsamer erster Schritt zur Wiedererlangung der Souveränität des deutschen Imperialismus. 1953 wurde die Ruhrbehörde aufgelöst.

Haltung der Opposition

Die Opposition sprach sich zwei Tage nach der Unterzeichnung im Deutschen Bundestag gegen das Abkommen aus - wenn auch aus unterschiedlichen Motiven. Kurt Schumacher, SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, bezeichnete Adenauer wegen seiner betriebenen Politik der »Vorleistungen« als »Kanzler der Alliierten«, weil dieser die Souveränität Deutschlands an die Besatzungsmächte verspielt habe. Die Sozialdemokraten kritisierten die geschaffenen europäischen Institutionen aus antikommunistischen und nationalistischen Gründen: »Was jetzt in Europa zusammengezimmert wird, ist die Schaffung eines Europa, das schwächer ist, als es zu sein braucht, so schwach, dass es seine Funktion der Überwindung des Kommunismus nicht so gut und möglicherweise kaum erfüllen kann«, führte Schumacher aus. Adenauer indes konfrontierte ihn mit der Erklärung des DGB-Vorsitzenden Hans Böckler, der das Abkommen im allgemeinen und den Beitritt der BRD zur Ruhrbehörde im besonderen begrüßte. Der DGB orientierte in den »Gründerjahren« der BRD ausschließlich auf eine sozialpartnerschaftliche Strategie zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Lohnabhängigen.

Der KPD-Abgeordnete Walter Fisch hingegen warf dem Kanzler einen »Bruch der Verfassung« vor, da dieser zu den Verhandlungen nicht berechtigt gewesen sei. Zudem kritisierte er die schleichende Wiederbewaffnung Deutschlands. Adenauer forderte er auf, er möge den genauen »Wortlaut jener Andeutungen und Erklärungen« veröffentlichen, »die gewisse amerikanische Militärs und Zivilisten vor einigen Tagen in Bonn über die notwendige Errichtung einer deutschen Armee gemacht haben«.

Zwar sprachen sich die Teilnehmer des Petersberger Abkommens gegen die Wiederbewaffnung der BRD aus, vereinbarten jedoch eine militärische Zusammenarbeit. Sollten die Westmächte von der BRD einen Verteidigungsbeitrag verlangen, erklärte Adenauer bereits im Dezember 1949 in der US-amerikanischen Zeitung The Cleveland plain dealer, sei eine positive Reaktion denkbar. Rekapitalisierung und Wiederbewaffnung verliefen im vierten Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch schleichend, im Windschatten des US-Imperialismus.

* Aus: junge Welt, Samstag, 22. November 2014


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