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Großdemos und Blockaden für den AKW-Sofortausstieg

Am Samstag gibt es Kundgebungen in 21 Städten, ab Pfingsten wird Brokdorf dichtgemacht

Von Reimar Paul *

Die Debatte um die Atompolitik verläuft immer kurioser. Die politischen Parteien kokettieren einerseits damit, daß ihnen von den Medien unterstellt wird, sie wollten zügig raus aus der Atomkraft. Andererseits ist das Gegenteil richtig: Denn namentlich die Regierungsparteien versuchen, den Ausstieg nach Kräften zu verzögern. Zum Beispiel die CSU. Deren Vorsitzender Horst Seehofer habe in der Partei einen »Turbo-Ausstieg« durchgesetzt, kommentiert etwa der Spiegel die CSU-Beschlüsse vom Wochenende. Als Datum für das Abschalten des letzten AKW wird darin 2022 genannt – doch elfeinhalb weitere Jahre Reaktorbetrieb haben mit einem zügigen Atomausstieg rein gar nichts zu tun.

Während sich die Politiker in München und Berlin für den Showdown im Laufzeitenpoker positionieren, macht die Antiatombewegung für ihre Forderung nach einem sofortigen und unumkehrbaren Ausstieg noch einmal ordentlich Dampf. Für diesen Samstag (28. Mai) haben Bürgerinitiativen und Umweltverbände gleich in 21 deutschen Städten Großdemonstrationen angekündigt– und zwar in Dresden, Erfurt, Magdeburg, Berlin, Güstrow, Kiel, Hamburg, Bremen, Hannover, Göttingen, Münster, Essen, Bonn, Mainz, Frankfurt am Main, Mannheim, Freiburg, Ulm, München, Landshut und Fürth. Gewerkschaften und Kirchen mobilisieren ebenfalls zu den Protest­aktionen, insgesamt rechnen die Veranstalter mit vielen zehntausend Teilnehmern.

»Atomkraft ist unbeherrschbar und birgt ein tägliches, tödliches Risiko«, heißt es im zentralen Aufruf. »Wir wollen mit zigtausenden Menschen ein kraftvolles Signal an die Regierung senden. Nach Fukushima gibt es nur noch eine Richtung, und die heißt: Alle AKW abschalten – sofort und endgültig! Die Zukunft liegt bei den erneuerbaren Energien, gemeinsam mit Energieeffizienz und Energiesparen.«

In den einzelnen Orten gibt es unterschiedliche thematische Schwerpunkte. Während die Abschlußkundgebung in Berlin vor der CDU-Zentrale stattfinden soll, führt die Göttinger Demo an der Niederlassung des Stromversorgers und AKW-Betreibers E.on sowie an der Filiale der tief ins Atomgeschäft verstrickten Deutschen Bank vorbei. Die Atomkraftgegner aus Hessen wollen sich in Frankfurt für die Schließung der beiden Reaktoren in Biblis einsetzen. »In Hessen darf kein Kilogramm Atommüll mehr produziert werden«, sagt Kerstin Desch-Wöhrl vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz.

Bei allen 21 Demonstrationen ist auch ein »Probesitzen« für die Massenblockaden im Juni geplant. Ab Pfingsten wollen Tausende den Betrieb an mehreren Atomkraftwerken praktisch zum Erliegen bringen. Auf jeden Fall blockiert wird das AKW Brokdorf. Der Meiler wird im Juni für die jährliche Revision abgeschaltet.

Ob auch ein zweites Kraftwerk blockiert wird, hängt von den Beschlüssen der Bundesregierung ab. »Wir werden Biblis blockieren, falls dieses AKW nach dem Moratorium wieder angefahren werden soll«, sagt Luise Neumann-Cosel von der Initiative »x-tausendmal quer«. »Wird Biblis endgültig stillgelegt, blockieren wir statt dessen das AKW Esenshamm an der Unterweser. Bleibt auch dieses vom Netz, gibt es nur eine große Blockade in Brokdorf.«

Dort ist außer »x-tausendmal quer« auch die linke Kampagne »Block Brokdorf« mit von der Partie. »Wir glauben nicht an die Unterscheidung von alten und neuen, von unsicheren und sicheren AKW«, heißt es in ihrem Aufruf. »Wir begeben uns auf die Zufahrtsstraßen und lassen uns weder aufhalten noch vom Blockadeziel abbringen. Zu Tausenden machen wir die Zufahrtsstraßen dicht und werden sie nicht freiwillig verlassen. Wir sind entschlossen zu bleiben!«

Bei der Blockade der AKW wollen es die Aktivisten aber nicht bewenden lassen. Ab dem 13. August sollen die Arbeiten im Salzstock Gorleben gleich ein ganzes Jahr lang behindert werden. Jeden Tag soll möglichst eine andere Initiative oder Gruppe die Blockade organisieren. »Gorleben 365« lautet der Arbeitstitel des ambitionierten Vorhabens.

* Aus: junge Welt, 25. Mai 2011


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