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Verlängerte Laufzeitverlängerung

Moratorium stellt Zukunft der Atomkraftnutzung in Deutschland nicht infrage – im Gegenteil

Von Kurt Stenger *

Was bedeutet das dreimonatige Moratorium für die Laufzeitverlängerung der Atomkonzerne praktisch? Kurzfristig gar nichts, und längerfristig könnte es den Ausbau der Erneuerbaren noch behindern.

Als Reaktion auf die verheerende Atomkatastrophe in Japan hat die Bundesregierung ein dreimonatiges Moratorium für die im vergangenen Jahr beschlossene Laufzeitverlängerung verfügt. Gleichzeitig wurden oder werden die sieben besonders alten Atomkraftwerke in der Bundesrepublik vorübergehend abgeschaltet, der Pannenreaktor Krümmel bei Hamburg steht ohnehin seit über dreieinhalb Jahren fast ununterbrochen still.

Doch was bedeutet das für die tatsächlichen Laufzeiten der Meiler? Wie beim rot-grünen Atomkonsens aus dem Jahr 2000 richten sich diese auch bei dem schwarz-gelben Verlängerungsbeschluss nach der produzierten Strommenge. Wenn die abgeschalteten AKW nach der angekündigten Sicherheitsprüfung in drei Monaten wieder ans Netz gehen, verlängert sich ihre Betriebszeit einfach um diese drei Monate nach hinten. Der Atomausstieg verzögert sich also weiter.

Im Gespräch ist derzeit aber auch, dass einige besonders alte und störanfällige AKW – zum Beispiel Biblis A, Neckarwestheim 1 und Isar 1 – womöglich ganz stillgelegt werden. So zumindest haben sich Vertreter der Landesregierungen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern geäußert. Ob dies tatsächlich geschehen wird, ist aber völlig offen. Es gibt bisher keine Rechtsgrundlage. Und technisch macht es zunächst keinen Unterschied, ob ein Reaktor vorübergehend vom Netz genommen oder stillgelegt wird. Nach der Herunterkühlung werden die Brennstäbe ins Abklingbecken verfrachtet. Will man das AKW in einigen Wochen oder Monaten wieder anfahren, braucht man nur neue Brennstäbe einzusetzen.

Dass die angekündigte Sicherheitsüberprüfung die Stilllegung der acht Problem-AKW fordern wird, ist ziemlich unwahrscheinlich. Verantwortlich für die Durchführung ist nämlich der Abteilungsleiter Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium, Gerald Hennenhöfer. Der Jurist, einst unter Angela Merkel im Umweltministerium tätig und von Norbert Röttgen im Dezember reaktiviert, fungierte über Jahre als Lobbyist des Energiekonzerns E.on sowie als Berater der Atomindustrie. Atomkraftkritische Experten werden bei der Überprüfung wohl nicht dabei sein. Und so dürften die Grundlagen der Prüfung und deren Ergebnis nach der Vorstellung der Atomkonzerne sein.

Dennoch ist nicht auszuschließen, dass doch ein oder mehrere sehr alte Meiler für immer vom Netz gehen. Entsprechend der früheren juristischen Lesart der Bundesregierung und der Konzerne würden dann aber die den Betreibern vertraglich zugesicherten Reststrommengen übertragen werden können. Das besonders in der Debatte stehende baden-württembergische AKW Neckarwestheim 1 hat dank der schwarz-gelben Laufzeitverlängerung eine Restlaufzeit von mindestens acht Jahren. Wird diese auf ein anderes AKW übertragen, könnte das entsprechend länger am Netz bleiben, als es bisher schon möglich wäre.

Tatsächlich spielen die Betreiberkonzerne zumindest mit dem Gedanken einer Stilllegung. EnBW-Chef Hans-Peter Villis begründete dies damit, dass ein dauerhaft wirtschaftlicher Betrieb von Neckarwestheim 1 mit zusätzlichen Anforderungen an die Nachrüstung des Meilers »voraussichtlich nicht mehr darstellbar« sei.

Klar ist auch, dass die Konzerne auf die ihnen im Falle einer vorzeitigen Stilllegung entgehenden Milliardeneinnahmen nicht so einfach verzichten werden. Der Verkauf der Reststrommengen an einen anderen AKW-Betreiber würde viel Geld in die Kasse spülen. Dies ist aber juristisch höchstens dann möglich, wenn der Meiler noch nicht stillgelegt ist. Und so ist es absehbar, wie das Moratorium ablaufen wird: Nach der Überprüfung der AKW wird keines aus Sicherheitsgründen stillgelegt, aber dafür werden Nachrüstpflichten für einzelne verhängt. Daraufhin verzichten die Betreiber auf den Weiterbetrieb und verkaufen die Reststrommengen an die Betreiber neuerer Kraftwerke, die dann noch Jahre länger laufen dürfen, als ohnehin schon geplant ist.

Für die Versorgungssicherheit hätte auch eine Stilllegung mehrerer Reaktoren keine Auswirkungen. Der Anteil, den die Uraltmeiler zur deutschen Stromversorgung beisteuern, betrug in den letzten Jahren im Schnitt nicht einmal mehr sieben Prozent, 2001 waren es noch neun Prozent. Das hat praktische Gründe: Je älter ein Atomkraftwerk ist, desto häufiger und länger steht es still. Das liegt an planungsmäßigen Wartungsarbeiten, aber auch an den sich häufenden technischen Problemen und Störfällen. Offenbar können die sieben Uraltmeiler vom Netz genommen werden, ohne dass die Versorgung mit Strom gefährdet wäre. Es gibt nämlich – vor allem dank des stärkeren Zubaus von Wind- und Solaranlagen in den letzten Jahren – einen hohen Überschuss, weshalb Deutschland große Strommengen ins Ausland exportiert. Dieser Überschuss entsprach 2010 in etwa der Strommenge, die die sieben alten Meiler produzierten – wobei das AKW Krümmel keine einzige Kilowattstunde produzierte.

Allerdings könnte das geringere Angebot für etwas steigende Großhandelspreise bei Strom sorgen. Bis sich dies aber bei den Verbraucherpreisen bemerkbar machen dürfte, wird es angesichts längerfristiger Verträge mehrere Jahre dauern. Außerdem haben die Stromkonzerne die in den letzten Jahren stark gesunkenen Großhandelspreise nicht an die Kunden weitergegeben. Wenn sie höhere Preise nun umzulegen versuchen, kann dies nur gelingen, wenn Kartellwächter, Politik und die Verbraucher dies hinnehmen.

Es gibt aber auch einen preisdämpfenden Effekt: Wenn überschüssiger Atomstrom die Leitungen verstopft, werden derzeit immer häufiger umweltfreundliche Wind- und Solaranlagen zeitweilig abgeschaltet. Diese bekommen dann, so regelt es das Erneuerbare-Energien-Gesetz, eine Entschädigung dafür, weshalb der Stromkunde in diesen Fällen doppelt bezahlt. Ist jedoch nach einer Stilllegung mehrerer AKW weniger Atomstrom im Netz, könnten die Preise entsprechend sinken – sofern die Stromanbieter auf Extraprofite verzichten.

Wenn in den nächsten Wochen tatsächlich einige Meiler für immer abschaltet werden, hätte das kurzfristig praktisch keine Auswirkungen. Durch die dadurch vollzogene Verlängerung der Laufzeitverlängerung würde der Umstieg auf die Erneuerbaren samt der umweltfreundlichen Brückentechnologie Erdgas aber längerfristig noch stärker behindert werden. Parallel zum Moratorium müsste die Regierung den Umbau der Stromnetze und den Ausbau der Speicherkapazitäten zugunsten der Erneuerbaren forcieren, was bisher anders als die gesetzlich geregelte Laufzeitverlängerung nur auf dem Papier steht – wenn der wieder viel bemühte Umstieg in ein neues Energiezeitalter mehr als nur eine Schutzbehauptung für die weitere Nutzung der Kernenergie ist.

* Aus: Neues Deutschland, 17. März 2011


AKW überflüssig

Merkels atomare Wahlkampfmanöver

Von Wolfgang Pomrehn **


Eins muß man der Bundeskanzlerin lassen: Manchmal kann sie blitzschnell agieren. Erst im letzten Herbst hatte sie die Laufzeitverlängerung für Deutschlands verbliebene 17 aktive Atommeiler mit den Spitzen der Energiekonzerne in trauter Runde ausgehandelt und dann im Eiltempo durch den Bundestag gebracht. Das Thema sollte rechtzeitig vor den anstehenden Landtagswahlen wieder aus den Schlagzeilen gebracht werden.

Nun hat ihr die Natur ein Strich durch diese Rechnung gemacht. Die sich in Japan entfaltende Atomkatastrophe weckt hierzulande alte Ängste und hat in bisher nicht gesehenem Ausmaß die Menschen auf die Straße getrieben. Die Atompolitik der Bundesregierung ist extrem unpopulär. Die Bevölkerung will mit großer Mehrheit einen schnellen Ausstieg aus der Atomenergienutzung, und am Montag wurde mit spontanen Mahnwachen in über 450 Städten deutlich, daß sehr viele Menschen bereit sind, sich für die Stillegung der Atomkraftwerke (AKW) nachdrücklich einzusetzen.

Angela Merkel hat auf diese neue Situation mit einer Schnelligkeit reagiert, die ihr als Schülerin des Oggersheimer Aussitzers nicht unbedingt zuzutrauen war. In Windeseile hat sie eine Beruhigungspille beachtlichen Ausmaßes gedreht: Gleich acht AKW sollen bis Juni abgeschaltet werden, beziehungsweise bleiben. Anders als zunächst verbreitet, sind allerdings nicht alle sofort abgeschaltet worden, sondern werden es wohl erst in den nächsten Tagen. Biblis A in Hessen lief zum Beispiel am Mittwoch noch, Biblis B war ohnehin gerade wegen einer Revision vom Netz, wie auch Brunsbüttel und Krümmel in Schleswig-Holstein ohnehin schon seit mehreren Jahren wegen diverser Pannen still stehen.

Nun heißt es gar, einige der acht Meiler könnten für immer vom Netz gehen. Offensichtlich wurden in jedem der beteiligten Bundesländer ein oder zwei ausgesucht, damit die jeweiligen »schwarz-gelben« Landesregierungen, die noch vor kurzem eifrigst für die Laufzeitverlängerung geworben hatten, daheim nicht allzu schlecht dastehen. Bisher ist das alles jedoch nur eine scheinbare Kehrtwende, denn die Gesetze zur Laufzeitverlängerung sind weiter gültig, alles andere sind bisher nur vage Absichtserklärungen, und Angela Merkel läßt ausdrücklich offen, ob und wie viele Meiler Mitte Juni wieder ans Netz gehen werden.

Ganz unfreiwillig machen die Spitzen von Union und FDP aber mit ihrem Wahlkampfmanöver deutlich, wie überflüssig die Atomkraftwerke schon jetzt sind. Von heute auf morgen werden acht der 17 Meiler vom Netz genommen, die rund 41 Prozent der Leistung aller deutschen AKW bereitstellen. Offensichtlich geht das problemlos, denn Deutschland hat erhebliche Überkapazitäten. Selbst am Tag mit dem bisherigen Höchstbedarf, dem 3. Dezember 2007, wäre der Ausfall dieser acht Meiler nicht bemerkt worden, weil noch Reserven bereit standen, die ihre Kapazität deutlich überstiegen.

** Aus: junge Welt, 17. März 2011


Debatte um Atommoratorium

Opposition bestreitet Rechtssicherheit. Regierung: Kein "Stillhalteabkommen"

Von Mirko Knoche ***


In Berlin ist ein heftiger Streit um die Rechtsgültigkeit des dreimonatigen Atommoratoriums ausgebrochen. Regierungssprecher Steffen Seibert bestätigte indirekt Gespräche zwischen der Bundesregierung und der Atomwirtschaft. Seibert und FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger bestritten aber ein »Stillhalteabkommen« bis nach den kommenden Landtagswahlen. Oppositionspolitiker sowie Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatten die vorläufige Abschaltung von sieben Altreaktoren und die bundesweiten Sicherheitsüberprüfungen aller Anlagen als Verstoß gegen das neue Atomgesetz bezeichnet und befürchten nun Schadenersatzforderungen. Außerdem können die AKW-Betreiber die Laufzeiten der stillgelegten Meiler weiterhin auf andere Reaktoren übertragen. Die Kritiker verlangen deshalb einen umgehenden Parlamentsbeschluß, um Rechtssicherheit zu schaffen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) versuchte, die Bedenken zu zerstreuen, indem er eine gesetzliche Neuregelung nach Ablauf der drei Monate in Aussicht stellte.

Allerdings hat ein Sprecher des Energiekonzerns RWE schon am gestrigen Mittwoch im WDR angekündigt, das Abschalten des Reaktors Biblis A juristisch zu prüfen. »Wenn die Betreiber zunächst darauf verzichten, sich gegen die Stillegung rechtlich zu wehren, dann werden sie die Rechnung der Bundesregierung hierfür spätestens nach Beendigung der Wahlkampfzeiten präsentieren«, gab Wolfgang Neskovic, Justiziar der Linksfraktion im Bundestag, zu bedenken.

Unterdessen warnen Umweltschützer davor, mit dem Verweis auf eine einheitliche europäische Lösung den Ausstieg an der Atommacht Frankreich scheitern lassen. Diese Hintertür halten sich CDU und FDP gerade offen.

Die CDU-geführten Landesregierungen in Norddeutschland rudern derweil in der AKW-Frage zurück. So wertete der schleswig-holsteinische Minister für Reaktorsicherheit, Emil Schmalfuß (parteilos), das bundesweite Atommoratorium nur als »ersten Schritt«. Er verlangte im NDR, daß die Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel gar nicht mehr ans Netz gehen dürften. In Niedersachsen zieht sich die schwarz-gelbe Regierung auf die Linie zurück, die SPD und Grüne vorgegeben haben. CDU-Ministerpräsident David McAllister stellte am gestrigen Mittwoch in einer Regierungserklärung den Einsatz der Kernenergie als Brückentechnologie generell in Frage.

*** Aus: junge Welt, 17. März 2011


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