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Von Rekord zu Rekord

Erneuerbare Energieträger mausern sich zu ernsthaften Konkurrenten der Atom- und Kohlekraftwerke. Entsprechend verschärft sich die gegen sie gerichtete Kampagne

Von Wolfgang Pomrehn *

Wie sich die Zeiten ändern. Vor ein paar Jahren hieß es noch, Windräder und Solaranlagen würden niemals einen nennenswerten Beitrag zur Energieversorgung leisten können. Neuerdings aber geht den Freunden der Atomkraft und der Großkraftwerke die Entwicklung offenbar zu schnell. Nach Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft haben die Wind­energieanlagen im Dezember wegen der anhaltend starken Westwinde einen neuen Monatsrekord in der Stromproduktion aufgestellt. Der Anteil der erneuerbaren Energieträger am deutschen Bruttostromverbrauch wird 2011 damit etwas über 20 Prozent gelegen haben. Zieht man den nicht unerheblichen Eigenverbrauch der Atom- und Kohlekraftwerke ab, so haben Wind, Sonne und Co. im letzten Jahr schon fast ein Viertel des Bedarfs abgedeckt.

Lobbyistengezeter

Entsprechend laut ist das Gezeter der Stromkonzerne und ihrer Lobby, die eine veritable Konkurrenz für Kohle und Atom heranwachsen sehen. Wie vergangene Woche berichtet, waren Energieimporte aus Österreich in Medienberichten der Windenergiebranche in die Schuhe geschoben worden. Ihr Strom habe die Netze verstopft, weshalb ein Versorgungsengpaß in Bayern mit Einfuhren habe überbrückt werden müssen. Jetzt hat die Deutsche Umwelthilfe darauf hingewiesen, daß in der fraglichen Zeit am 8. und 9. Dezember in Bayern und Hessen ausreichende Kapazitäten bereitstanden, aber nicht genutzt wurden. Mehrere hochflexible Gaskraftwerke hätten angeworfen werden können, dies sei aber offensichtlich vom Übertragungsnetzbetreiber Tennet aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen nicht nachgefragt worden.

Mehr noch als auf die Windenergie hat sich die Konzernlobby aber derzeit auf die Photovoltaik eingeschossen, das heißt auf Solaranlagen, die die Energie der Sonneneinstrahlung direkt in elektrische Spannung umwandeln. Von »Kostenexplosion«, »fehlerhaftem System« und »Sonnenkönigen in der Defensive« raunt es derzeit im Blätterwald. Das besonders Bizarre an der ganzen Aufregung ist ihr Grund. Nicht, daß die »Energiewende« nicht vorankomme, wird problematisiert, sondern das Gegenteil.

Im Dezember wurden so viele Solaranlagen wie nie zuvor auf bundesdeutsche Dächer und Flächen geschraubt. Der Grund war die Absenkung der Vergütung für Sonnenstrom um weitere 15 Prozent. Für elektrische Energie aus Photovoltaikanlagen, die ab dem 1. Januar ans Netz gehen, gibt es je nach Anlagengröße nur noch 17,94 bis 24,43 Cent pro Kilowattstunde. Und zum 1. Juli wird die Vergütung für dann neu errichtete Anlagen noch einmal um 15 Prozent abgesenkt werden.

Aufgrund des starken Jahresendbooms war der Zubau mit einer Gesamtleistung von vermutlich 7,5 Gigawatt (GW) sogar noch etwas größer als im bisherigen Rekordjahr 2010. Eine Leistung von 7,5 GW bedeutet, daß diese Anlagen bei maximaler Auslastung in einer Stunde 7,5 Millionen Kilowattstunden Strom liefern, was dem Jahresbedarf von knapp 2000 Vier-Personen-Haushalten entspricht. Aufgrund der vielen Neuanlagen ist damit zu rechnen, daß die Photovoltaik in diesem Jahr bereits etwas über vier Prozent des Bruttostrombedarfs abdecken wird. Im vergangenen Jahr waren es drei Prozent.

Besonders bemerkenswert ist, daß der Solarboom aller Voraussicht nach trotz der starken Absenkung der Vergütung auch in diesem Jahr weitergehen wird. Das liegt daran, daß die Preise für Solarmodule, die das Herz der Anlagen bilden, stark rückläufig sind. Im vergangenen Jahr haben sie sich je nach Typ und Herkunftsland um 32 bis 45 Prozent verbilligt. Ursachen ist neben der Kostenreduktion durch Massenproduktion und technischen Fortschritt auch der Preiskampf aufgrund erheblicher Überkapazitäten auf dem Weltmarkt.

Falsche Kostenrechnung

Glaubt man den Skeptikern und Gegnern der Solarindustrie, dann ist das Problem gerade der fortgesetzte Boom, weil dadurch die Stromrechnungen erheblich verteuert würden. Der Vergleich mit anderen Kraftwerkstypen zeigt, daß das Argument wenig Substanz hat. Jede Kilowattstunde Atom- und Kohlestrom kostet die Gesellschaft etwa zwölf Cent, wenn alle Umweltschäden, die Renaturierung der Braunkohletagebaue, der Entsorgungsaufwand für den radioaktiven Müll und die Ewigkeitskosten des Bergbaus an Ruhr und Saar mit gerechnet werden. Zu letzteren gehören zum Beispiel jene 55 Millionen Euro, die im Ruhrgebiet jährlich zum Beispiel für das Abpumpen von Grundwasser aufgebracht werden müssen, weil sich aufgrund des Bergbaus in der Region der Boden großflächig um bis zu 25 Meter abgesenkt hat.

Energie aus Solaranlagen, die im ersten Halbjahr 2012 ans Netz gehen, wird also für die Gesellschaft im Schnitt nur noch um etwa elf Cent pro Kilowattstunde teurer sein als konventionelle. Und ab Juli wird die Vergütung weiter abgesenkt. Der Bundesverband Solarenergie geht entsprechend in einer kürzlich vorgestellten Studie davon aus, daß bei weiter kräftigem Ausbau die Solar­energie den Strom für den Endverbraucher bis 2016 um maximal einen knappen halben Cent pro Kilowattstunde verteuern kann. Daß der Strom bis dahin dennoch voraussichtlich im Schnitt um etwas über vier Cent teurer wird, hat vor allem mit steigenden Netzentgelten, höherer Stromsteuer und anderen Faktoren zu tun.

* Aus: junge Welt, 16. Januar 2012


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