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Atommafia unersättlich

Von Reimar Paul *

Die Atomkonzerne könnten sich eigentlich die Hände reiben. Mindestens zehn, wahrscheinlich mehr Jahre dürfen neun große Atomkraftwerke noch Strom und Atommüll produzieren. Von den abgeschalteten sieben Altmeilern werden ein oder zwei als Reserve vorgehalten. Zeichnen sich Engpässe ab– oder werden sie herbeigeredet – dürfen diese Anlagen wieder hochgefahren werden. Die Bundesregierung hat zudem angekündigt, daß Reststromkontingente der stillgelegten Reaktoren Mülheim-Kärlich und Krümmel auf neuere übertragen werden können. Unter dem Strich ist das, was die Regierung nun als Atomausstieg und Energiewende verkauft, viel weniger, als die Strommonopolisten noch vor wenigen Wochen befürchten mußten.

Doch die Atomkonzerne sind damit nicht zufrieden. Sie wehren sich vor allem gegen die Brennelemente­steuer. Nach Informationen des Handelsblattes (Dienstagausgabe) bereitet E.on bereits eine Klage dagegen vor. Ein Unternehmenssprecher sagte der Zeitung: »Es gibt gute Gründe für eine Klage, aber eine Entscheidung ist noch nicht getroffen.« Konkurrent RWE, der vor zwei Monaten noch wegen der Abschaltung des AKW Biblis Klage erhoben hatte, hielt sich zunächst bedeckt.

Ralf Güldner, Präsident des Lobbyverbandes Deutsches Atomforum, zeigte sich am Dienstag aber überzeugt, daß RWE und die anderen AKW-Betreiber dem Beispiel von E.on folgen werden. »Das wird sich in den nächsten Tagen und Wochen ergeben«, sagte Güldner im Deutschlandfunk.

Die Brennelementesteuer gilt seit diesem Jahr und wird fällig, wenn ein Atomkraftwerk mit frischen Brennelementen bestückt wird. Sie sollte dem Staat ursprünglich 2,3 Milliarden Euro pro Jahr einbringen, bei dem angekündigten Aus für acht AKW verringern sich die Einnahmen auf jährlich 1,3 Milliarden Euro. Die Konzerne könnten die Steuer locker aus der Portokasse zahlen. Aber schon im Vorfeld hatte RWE getrickst. Um die Zahlung zu umgehen, nahm der Konzern das AKW Biblis bereits Ende vergangenen Jahres für den Brennelementenwechsel vom Netz.

Atomlobbyist Güldner bemängelte nun, die AKW-Betreiber würden durch den beschlossenen Ausstieg und die Beibehaltung der Steuer doppelt belastet.

Unterdessen wächst in der Anti-AKW-Bewegung die Empörung über den Koalitionsbeschluß. »Was die Regierung als ›Atomausstieg bis 2022‹ verkauft, ist eine Katastrophe«, so Jochen Stay von der Kampagne »Ausgestrahlt« am Dienstag. Er prognostizierte, daß »mit der Beibehaltung der Reststrommengen-Regelung der Ausstieg 2022 nicht stattfinden wird«. Bei geschicktem Strommengen-Management könnten die Betreiber alle neun AKW noch zehn Jahre am Netz lassen. »Und dann werden Industrie und Stromkonzerne erzählen, daß es unmöglich ist, neun AKW innerhalb weniger Monate gleichzeitig vom Netz zu nehmen, drohen mit Blackouts und steigenden Strompreisen.« Stay fügte hinzu: »Je nachdem, wie dann die politischen Mehrheiten, die Stimmung in der Bevölkerung, die Wirtschaftslage und der Abstand zum letzten Super-GAU sein werden, wird es erneut Laufzeitverlängerungen geben.« Ähnlich äußerte sich der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin. Kritik kam aber auch aus den eigenen Reihen. Unionsfraktionsvize Arnold Vaatz (CDU) sprach in der Mitteldeutschen Zeitung (Online-Ausgabe) von einer »nicht wiedergutzumachenden Katastrophe« für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.

* Aus: junge Welt, 1. Juni 2011


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