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Im Krieg der Erwachsenen

Trotz UN-Konvention werden Kinder in fast allen Kriegen als Soldaten missbraucht

Von Ralf Klingsieck, Paris *

In Paris hat gestern (5. Februar 2007) eine internationale Konferenz zu Kindersoldaten begonnen. Zum Abschluss sollen heute Grundsätze verabschiedet werden, die auf die Unterbindung des Einsatzes von Kindersoldaten, ihre Befreiung und ihre Wiedereingliederung in die Zivilgesellschaft zielen.

Sie spielen nicht Krieg, sie machen ihn – die Kindersoldaten. Auf 250.000 bis 300.000 schätzt man ihre Zahl heute. Eine zweitägige Konferenz, die seit Montag (05.02.2007) in Paris tagt und auf der mehr als 60 Staaten vertreten sind, soll »Leitlinien zum Schutz von Kindern vor Rekrutierung und Missbrauch bei Streitkräften und bewaffneten Gruppen« verabschieden. Die »Prinzipien« sollen auch in einen Beschluss der UN-Vollversammlung münden.

Kindersoldaten werden gegenwärtig in mehr als 30 bewaffneten Konflikten weltweit eingesetzt, davon mehr als die Hälfte in Afrika. Aber auch Großbritannien hat bis 2005 15 minderjährige Soldaten in den Einsatz in Irak geschickt und damit gegen ein UN-Protokoll über den Einsatz von Kindersoldaten verstoßen, wie der britische Verteidigungsminister Adam Ingram am Sonntag einräumen musste.

Kindersoldaten sind jünger als 18 Jahre. Sie werden meist mit Gewalt rekrutiert – bei Überfällen auf ihre Heimatdörfer oder auf dem Weg zur Schule. Nur selten engagieren sich die Kinder freiwillig, weil sie sich ein besseres Leben erhoffen. Kindersoldaten können Kämpfer, Boten, Aufklärer, Träger oder auch Sexualobjekte für die erwachsenen Soldaten sein, zumal 40 Prozent Mädchen sind. Nach Hochrechnungen der UNO sind zwischen 1990 und 2000 weltweit zwei Millionen Kindersoldaten gefallen, sechs Millionen wurden Invaliden und zehn Millionen erlitten schwere seelische Schäden.

Lange Zeit kein Thema

Zwölf Länder stehen auf einer »Schwarzen Liste« der Vereinten Nationen, sechs davon hat die Weltorganisation ganz besonders im Auge: Myanmar (Burma), Burundi, die Elfenbeinküste, die Demokratische Republik Kongo (Kinshasa), Sudan und Somalia. Hinzu kommen Afghanistan, die Philippinen, Indonesien, Indien, Sri Lanka und Nepal, aber auch Kolumbien, wo man die Zahl der Kindersoldaten auf 10.000 schätzt. Palästinensische Milizen missbrauchen Kinder ebenso wie Aufständische in Tschetschenien.

Die meisten Kinder werden in Bewegungen gepresst, die gegen die Regierung des Landes kämpfen. Aber manchmal werben selbst die Armeen ganz offiziell minderjährige Soldaten und Hilfskräfte an oder die Regierungen fördern ihre Einbindung in paramilitärische Milizen, die die Zivilbevölkerung terrorisieren. In Myanmar, wo Kinder von den Streitkräften des Landes sogar zwangsrekrutiert werden, konnte bisher keinerlei diplomatischer Druck des Auslands auf die Militärregierung etwas ändern.

Über Jahre setzten sich fast nur Hilfsorganisationen gegen den Missbrauch von Kindern als Soldaten ein. Sie haben jedoch meist keinen Zugang zu den Kampfgebieten und müssen sich darauf beschränken, die ehemaligen Kindersoldaten, die desertiert sind oder am Ende eines Konflikts demobilisiert wurden, durch Berufsausbildung und psychologische Betreuung ins Zivilleben zurückzuführen. Von den Weltorganisationen hat sich lange Zeit nur das UN-Kinderhilfswerk UNICEF mit dem Problem beschäftigt, und auch sie konnte nur nachträgliche Hilfe anbieten und nichts an den Ursachen ändern. 1997 haben mehrere hundert Organisationen aus aller Welt und UNICEF auf einer Konferenz in Südafrika die sogenannten Kap-Prinzipien verabschiedet und damit den Stein ins Rollen gebracht. »Kindersoldaten sind Opfer und Täter zugleich«, erklärten sie und forderten, dass Friedensvereinbarungen grundsätzlich auch Hilfsprogramme zur Demobilisierung und Wiedereingliederung enthalten müssten. »Dafür ist mehr politischer Druck und finanzielle Unterstützung der internationalen Gemeinschaft nötig.« Der UN-Sicherheitsrat konnte sich aufgrund der Boykotthaltung einiger Länder lange nicht mit dem Problem der Kindersoldaten beschäftigen. Als es endlich auf die Tagesordnung kam, wurde schließlich um die Anhebung der Altersgrenze auf 18 Jahre gefeilscht, weil – wie manche Diplomaten argumentierten – afrikanische Jugendliche angeblich früher erwachsen seien als europäische.

Erstes Gerichtsverfahren

2002 konnte endlich ein Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention verabschiedet werden, das den Kriegseinsatz von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren ächtet. 122 Staaten haben es bisher unterschrieben, 110 ratifiziert. Das hindert einige dieser Staaten nicht, weiter Kindersoldaten einzusetzen oder ihren Missbrauch zu dulden. Etliche Länder, darunter Deutschland, erkennen den Missbrauch als Kindersoldat nicht als Asylgrund an. Sie behandeln diese Flüchtlinge als »Deserteure« und entscheiden bestenfalls auf »Duldung«, oft ohne Recht auf Schul- und Berufsausbildung oder Arbeit.

Aber es gibt auch Zeichen der Hoffnung. So steht gegenwärtig der kongolesische Milizenführer Thomas Lubanga vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Er ist angeklagt, Kinder unter 15 Jahren als Soldaten zwangsrekrutiert und zu grausamen Verbrechen getrieben zu haben. Von diesem ersten Prozess seiner Art könnte eine abschreckende Wirkung und damit Hoffnung für die Kinder ausgehen.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Februar 2007

Rekrutierung bestrafen

Gespräch mit Ralf Willinger, terre des hommes

Neues Deutschland: Vor zehn Jahren haben Nichtregierungsorganisationen (NRO) Prinzipien gegen den Missbrauch von Kindersoldaten verabschiedet. Was haben Sie seither erreicht?

Willinger: Ein großer Erfolg ist das Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention, das auf den »Kapstadt Prinzipien« basiert. Es definiert die 18-Jahres-Grenze, Jüngere dürfen demnach nicht zwangsweise rekrutiert werden. An einer Stelle konnten sich die NRO leider nicht durchsetzen: Verschiedene Regierungen, darunter die deutsche, die US-amerikanische und die britische, lehnen die 18-Jahres-Grenze bei freiwilliger Rekrutierung ab, weil sie weiterhin Unter-18-Jährige für ihre Armeen anwerben wollen.

Hat das Protokoll tatsächlich bewirkt, dass weniger Kinder im Krieg eingesetzt werden?

In einzelnen Ländern schon. In Kolumbien beispielsweise gab es vorher auch Minderjährige in der staatlichen Armee. Das hat aufgehört, seit das Protokoll in Kraft ist. Allerdings gibt es hier in den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen weiterhin sehr viele Minderjährige. Die Gesamtzahl der Kindersoldaten wird nach wie vor auf 250.000 bis 300.000 geschätzt, sie ist nicht wesentlich gesunken. Allein in Afrika sind es etwa 120.000, auch wenn die Konflikte in Sierra Leone, Liberia und Angola beendet wurden. Dafür ist in der Côte d'Ivoire beispielsweise ein Konflikt hinzugekommen, wo Kindersoldaten eingesetzt werden. Der Durchbruch ist also in der Gesetzeslage mit dem Zusatzprotokoll geschafft – aber es muss auch umgesetzt werden.

Was erwarten Sie von der gerade stattfindenden Pariser Konferenz?

Wir finden die Leitlinien, auf die sich die anwesenden Staaten verpflichten sollen, sehr gut. Sie sind aber völkerrechtlich nicht verbindlich. Konkrete Punkte sind beispielsweise ein Aufenthaltsrecht für ehemalige Kindersoldaten, die als Flüchtlinge in andere Länder fliehen – in Deutschland z. B. erhalten sie nur eine Duldung und werden durch ständige Angst vor der drohenden Abschiebung retraumatisiert.

Woran scheitert es vor allem, die Ächtung durchzusetzen?

Ein zentrales Problem ist die Straffreiheit für diejenigen, die Kindersoldaten rekrutieren. Weltweit ist unseres Wissens nach bisher noch nie jemand verurteilt worden. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof beginnt bald das erste Verfahren überhaupt, gegen Thomas Lubanga aus Kongo. Wir hoffen, dass eine Verurteilung abschreckend wirkt, auch auf nicht-staatliche Gruppen, die sich nicht an Konventionen gebunden fühlen.
Zudem gibt es zu wenig Projekte zur Reintegration ehemaliger Kindersoldaten. Es fehlt also Geld. Wir fordern, mehr für Prävention zu tun und die Demobilisierung viel stärker zu unterstützen. Wir haben den Eindruck, dass sich die Regierungen zwar immer einig sind, wenn es heißt, wir wollen keine Kindersoldaten, aber letztlich doch wenig getan wird.

Wird es nicht Kindersoldaten geben, solange es Kriege gibt?

Die beste Prävention wäre natürlich die Verhütung von Kriegen. Fortschritte beim Schutz der Kinder in Kriegen gibt es aber schon – ganz deutlich in staatlichen Armeen, selbst nicht-staatliche Gruppen kommen unter Druck. Sie wollen nicht als Menschenrechtsverletzer dastehen. Das ist bei den NRO im Augenblick das Thema: Wie erreicht man nichtstaatliche Gruppen? In Myanmar gibt es beispielsweise über Projektpartner von »terre des hommes« Gespräche mit Rebellengruppen der Karen, damit sie keine Minderjährigen mehr rekrutieren. * Der 36-Jährige ist Referent für Kinderrechte bei terre des hommes.

Fragen: Ines Wallrodt




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