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Betteln und Sklave sein

100 bis 140 Millionen Kinder müssen weltweit ihr Leben als Street children fristen. Menschenrechte stehen für sie nur auf dem Papier

Von Hilmar König *

Ob in Islamabad oder Karatschi, in Kolkata oder Mumbai, in Manila oder Djakarta, in Nairobi, Mombasa oder Durban, in Rio de Janeiro oder Mexiko City – überall gehören sie zum Alltagsbild: die Straßenkinder. In den großen Städten besonders der Schwellen- und Entwicklungsländer sind sie »zu Hause«. Grob geschätzt, sollen es in Asien, Afrika und Lateinamerika 100 Millionen bis 140 Millionen Street children sein, die sich mit Gelegenheitsarbeiten oder Betteln ihr täglich Brot verdienen. Die meisten von ihnen wußten nicht, daß am vergangenen Donnerstag der von einem Konsortium ausgerufene Internationale Tag der Straßenkinder begangen wurde. Das weltweit agierende soziale Netzwerk fordert von den Vereinten Nationen, diesen Tag offiziell anzuerkennen, um den Straßenkindern und ihren Anwälten mehr Gehör zu verschaffen.

Wajeeha ist gerade vier Jahre alt. Sie muß sich auf die Zehenspitzen stellen, damit sie den Chauffeur in dem Auto überhaupt sehen kann. Mit einem Lächeln möchte sie ihm ein paar Blumen verkaufen. Vor dem nächsten Auto am Rande eines Marktes in Islamabad steht Wajeehas neun Jahre alte Schwester Irum. Auch sie bietet Blumen an. Auf die Frage, warum sie das hier machen, zucken beide die Schultern. »Ich habe noch nie eine Schule besucht. Muß hier ein paar Rupien für die Familie verdienen. Ich war so alt wie Wajeeha jetzt, als ich damit anfing«, sagt Irum. Mitunter, so erzählt sie weiter, werden sie von der Polizei aufgegriffen und in Gewahrsam genommen, mißhandelt und beleidigt. Um sie rauszuholen, müssen die Eltern ein ziemlich hohes »Lösegeld« bezahlen.

In Pakistan teilen laut Regierungsstatistik 1,5 Millionen Mädchen und Jungen das Schicksal der beiden Minderjährigen; Nichtregierungsorganisationen sprechen von 2,5 Millionen Kindern. Die pakistanische Bewegung für Kinderrechte kritisiert, daß es keine Gesetze zum Schutz der Street children gibt, internationale Verpflichtungen, wie sie die UNO-Konvention über Rechte des Kindes, das Hilfswerk UNICEF oder die International Labour Organisation enthält, nicht beachtet werden und diese benachteiligte Gruppe im Staatshaushalt kaum berücksichtigt wird. In den meisten Entwicklungsländern sieht das ähnlich aus. So bleibt vieles privater Initiative oder dem Engagement von Wohltätigkeitsvereinen überlassen. Die Sultana-Stiftung in ­Islamabad hat beispielsweise fünf Schulen und ein Berufsbildungszentrum speziell für Straßenkinder eröffnet. Der Vorsitzende der Stiftung. Dr. Naeem Ghani, erklärte der pakistanischen Nachrichtenagentur APP, es sei eine enorme Herausforderung, diese Kinder in die Schulen zu holen, »da die armen Eltern auf deren Einkommen angewiesen sind und keinen Grund für Bildung sehen.« Deshalb habe man begonnen, die Eltern aufzukären, daß der Schulbesuch den Grundstein legt für ein besseres Leben ihrer Sprößlinge.

Zum Tag der Straßenkinder stellte die Asiatische Menschenrechtskommission fest, daß weltweit die Zahl dieser benachteiligten und diskriminierten Gruppe wächst. Die Gründe dafür sind vielfältig: anhaltende Flucht aus den ländlichen Gebieten, wo es keine Beschäftigung gibt, grassierende Armut, Unruhen, kriegerische Konflikte und terroristische Aktivitäten, Naturkatastrophen, Zerrüttung der Familien, physische, sexuelle und emotionale Gewalt, Vernachlässigung und Verwahrlosung der Kinder, Aufwachsen ohne häuslichen Schutz, ohne ausreichende Nahrung, ohne Obdach, Bildung und gesundheitliche Betreuung.

Oft landen Straßenkinder, wenn sie nicht betteln, als Kinderarbeiter. Sie verkaufen an Verkehrsampeln Zeitungen, Blumen, Spielzeug, Luftballons und Kugelschreiber oder putzen Autoscheiben. Oder sie bekommen eine »richtige« Anstellung – als schamlos ausgebeutete Kontraktarbeiter, Haushaltshilfen oder Sexsklaven. Allein in Nepal sind von den 1,6 Millionen Kinderarbeitern rund 620000 in sogenannten riskanten Beschäftigungsverhältnissen im Rotlichtmilieu oder in gesundheitsgefährdenden Bereichen tätig.

Die Asiatische Menschenrechtskommission erklärt, daß Straßenkinder die gleichen Rechte haben wie andere Kinder, nicht nur das Recht zu überleben, sondern auch sich voll entwickeln zu können, das Recht auf Schutz vor Gewalt, Ausbeutung, Mißbrauch und Diskriminierung, auf gleichberechtigte Teilnahme am kulturellen und sozialen Leben. Leider stehen alle diese Rechte für Millionen Kinder aber nur auf dem Papier.

* Aus: junge Welt, Montag, 15. April 2013


Dokumentiert: Presseerklärung des Consortium for Street Children (CSC)

9th April 2013

Home Street Home: Campaign for UN recognition of International Day for Street Children, 12th April.

This Friday - 12th April - the Consortium for Street Children (CSC) officially launches its campaign to gain United Nations recognition for International Day for Street Children.

‘Home Street Home’ highlights the millions of children around the world for whom life on the street is a daily reality. The campaign brings street children, and the people who support them, together to Demand a Day. UN recognition will encourage states to take a greater degree of responsibility to protect the rights of street children.

Using stark visual imagery - a child’s bedroom sign in the incongruous setting of the street – the campaign challenges people to realise that for many children the street is their home.

Giant children’s bedroom signs will be hung around Old Street station on Friday to draw public attention to the issue. CSC staff and volunteers will also be on hand to answer questions and encourage sign-up to the petition. Billboard posters will also be displayed in London, Manchester, Sheffield, Birmingham and Edinburgh during April encouraging the public to Demand a Day via text message or online.

Louise Meincke, CSC’s Advocacy Director said: “Since CSC launched International Day for Street Children three years ago the day has grown in size and impact. Street children tell us they want governments to listen to them when developing policies and programmes that affect them. UN recognition will raise global awareness, give the day permanence and place increased pressure on governments to act. To Demand a Day text ‘Street’ and your name to 62233 or sign our petition online at www.streetchildrenday.org ”

CSC has received generous pro-bono support from design agency The Partners who developed the Home Street Home concept and visuals, with support from Jack Agency in developing the outdoor activity on the 12th and donating billboard space.

Last year 84 events took place in 37 countries and included a street children’s football tournament in Tanzania, street parades in India and Kenya, film screenings in Canada, a balloon release in Ireland, a record breaking shoe shine in London and a ‘street kids got talent’ competition in the Philippines.

International Day for Street Children was launched by the Consortium for Street Children, a UK based network of NGOs, in 2011. The Day is supported by Aviva, the UK’s largest insurer, HSBC, one of the world’s largest banking and financial services organisations and Tesco, one of the world’s leading retailers.

www.streetchildrenday.org




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