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Einzig Liebe und Befreiung von Angst

Am Sonntag wird der Theologe Eugen Drewermann 70 Jahre alt

Von Hans-Dieter Schütt *

Paderborn. Da klingt das »Pater« durch, das väterlich Sorgende und Sichernde wie auch das Maßstab Setzende und Anspruch Haltende; dies Väterliche: Schutz und Schule – des sauberen Lebens, nicht der reinen Lehre; des läuternden inständigen Gesprächs und nicht der lauten strengen Rede. Paderborn. Da hört man aber auch den Born, die Quelle, das frischende Wasser, ehrlich und hell und ohne Beimischungen trübender Art. In Paderborn lebt Eugen Drewermann.

Ein Dasein ohne Kühlschrank als Synonym für eine intensiv gelebte, naturbeseelte Bescheidung, die nur ein anderes Wort für Konzentration ist, auf das Wesentliche, wahrlich Wertreiche. Der Priester, Hochschullehrer (Privatdozentur für Dogmatismus an der Katholischen Theologischen Fakultät in Paderborn), Psychotherapeut (in vielen Fällen honorarfrei) und Bestseller-Autor ist der wohl unerwünschteste Aufklärer der deutschen katholischen Landschaft, und Aufklärung versteht er im ursprünglichen Sinne als Selbstveränderung und -anforderung, nicht als eine Order von hoher Kanzel, aus unangreifbarer Zentralposition an alle anderen gerichtet. Kants Gebot, die selbstverschuldete Unmündigkeit zu verlassen, ist für Drewermann stets eine Selbst-Aufgabe gewesen, kein sich über andere erhebendes Delegierungsprinzip.

Drewermanns Weg zu Gott, Weg eines Abtreibungsbefürworters, eines Zölibatgegeners, eines Vegetariers und Tierschützers, ist ein Weg der persönlichen Ergriffenheit und Erfahrung. Er ist als Theologe Seelentiefenforscher – das Unbewusste ist es, das Religion produziert. Das Christentum hat nur die Aufgabe zu Liebe und zur Erlösung von Angst, Überforderung, psychischen Zwängen. Es geht darum, »die ewigen Träume Gottes im Herzen der Menschen erfahrbar werden zu lassen, und ich möchte als Theologe helfen, ein Stück gesünder zu leben, ein Stück weit mutiger zu träumen, ein Stück weit kräftiger zu hoffen – über alle Welt hinaus.« Klare Ansage gegen einen praktischen Katholizismus, der als Alternativpaar nicht Angst oder Vertrauen sieht, sondern Glaube oder Unglaube, und nicht Befreiung von Angst ist dieser Praxis das Entscheidende, sondern die Erlösung von Schuld.

Nach jahrelangen Kämpfen entzog die katholische Kirche dem zähen Aufrechten die Lehrerlaubnis, zu seinem 65. Geburtstag trat Drewermann aus der katholischen Kirche aus. Für ihn ein funktionszynischer Apparat, der zum Beispiel Menschen auf deren Weg zum Kleriker gefühlsarm macht und so ihre Gefügigkeit für den autoritären Zentralismus der Kirche steigert. So wuchs ein geradezu stoischer Rebell gegen den Ideologismus geschlossener Systeme. Gegen »Papstschauspiele«, gegen die »Religionsgeschäfte« der Wallfahrerei, gegen den »Spaßevent« etwa der kirchlichen Weltjugendtage. Den Massenmord des 11. September 2001 nannte er »die Ersatzsprache der Gewalt, weil berechtigte Anliegen nicht gehört werden«.

Er ist mit weicher, klarer Stimme ein Beschwörungskünstler, eine »moralische Ich-AG« (Henryk M. Broder) der überfüllten Säle. Wenn er redet, erlebt man die Sanftheit, aber sie trägt ein Kettenhemd, das den Eindruck jedoch keinesfalls härtet oder abkühlt. Der Bergmannsohn Drewermann aus Bergkamen greift die Institution Kirche an und greift ans Herz des Menschen, dass es sofort fühlen darf, ein geiststeuerndes Organ zu sein. Er weiß viel vom Leben, weil er viel weiß von Märchen (er interpretierte sie tiefenpsychologisch wie Erich Fromm), Mythen und Symbolen und ihrem Rumoren in psychischen Tiefenschichten. Er ist ein Erzähler archetypischer Grunderfahrungen, die dem Religiösen eigen sind. Wo die Kirche ethische Normen postuliert, die unter Umständen einschüchtern, ersehnt Drewermann – als schönstes Sinnbild wirksamen Glaubens – »den Menschen, der sich selber mag, der tut, was er selber will«.

Als ich Drewermann 2003 für »Neues Deutschland« interviewte, betrat ich in Paderborn eine Dämmerwelt, in der mich Bücher und ein fordernder Geist zwingend ins Gespräch nahmen, und ich spürte sofort eine Atmosphäre, die kein Ausweichen vor wichtigen Fragen zulassen würde. Du trittst später, nach Stunden, aufatmend ins Helle – nicht weil etwas vorüber ist, sondern weil etwas begann, dem diese profane Helle nichts anhaben kann, jedenfalls für eine Weile nicht. Du hast weniger Angst, vor allem vor dir selbst. Man steht vor so einem konsequenten Leben bewundernd, vielleicht auch ein wenig erschrocken; man weiß und genießt: Da ist einer mutig für dich, und Rilkes Ruf »Du musst dein Leben ändern!« sieht dich geradezu an. Der Blick verfolgt dich vor jeden Spiegel. Und der Blick hat eine sagenhafte Geduld mit dir, der du rasend schnell zurückrauschst ins Geläufige.

Am Sonntag (20. Juni) wird Eugen Drewermann siebzig Jahre alt.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Juni 2010

Drewermann im ND-Interview 2003

Darf ich fragen, was Sie Ihrem Gott am wenigsten verzeihen?

Ich habe Gott nichts zu verzeihen. Ich habe endlos gelitten, seitdem ich nachzudenken begann über jene strukturelle Grausamkeit, die halt zur Natur gehört. Ich habe jene Theologen nie verstanden, die erst angesichts der Brutalität von Menschen gegen Menschen wach wurden – ja, wie sollen wir denn als Menschen sein nach dieser Art der Evolution? Schon die Grausamkeit von Tieren hat mich immer wieder nachdenklich gemacht, im Sinne Schopenhauers, ich habe nicht begreifen können, wieso Kirchen einen Gott lehren, dem man dankbar sein müsse für diese grausame Welt.

Ganz Verrückte erklären ja, der Teufel hätte die Welt durcheinandergebracht.

Dann wäre Gott in der Situation des Bundeskanzlers, der schöne Pläne hat, dem aber die Opposition ständig die Tour vermasselt – so einer wäre ja wohl kein Gott.

ND vom 9. August 2003



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