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Was ist mir noch heilig?

"Islam und Gewalt" - Zwischen Meinungsfreiheit und Achtung religiöser Gefühle

Von Sabine Schiffer *

Wenn wir dem Spiegel von letzter Woche glauben, dann brauchen wir nur die Religionen abzuschaffen und schon haben wir den Weltfrieden. Als Beweis werden Beispiele wie die Kreuzzüge, die sog. Hexenverfolgung und der 11. September angeführt. Die genannten Fakten wirken aber schon weit weniger überzeugend, wenn man sie um Beispiele wie die Weltkriege, den Holocaust und einiges mehr ergänzt, die nach der hochgelobten Aufklärung und ohne vordergründig religiöse Begründung geschahen.

Die zitierten „klugen“ Köpfe geben aber ein Stimmungsbild wider, das sich zunehmend breit zu machen scheint: Religion berge in sich eine Gefahr zur Verabsolutierung und zur Bereitschaft, für diesen Anspruch auch Gewalt einzusetzen. Als könnten Menschen nicht auch im Namen von Menschenrechten und Demokratie Kriege führen, wie wir uns an die Legitimation für den aktuellen Irakkrieg erinnern – als die Story von den angeblichen Massenvernichtungswaffen nicht so ganz ziehen wollte.

Fühlen Sie sich durch solche Meinungsäußerungen, wie denen im Spiegel, in Ihren religiösen Gefühlen verletzt oder einfach verkannt oder gar missbraucht? Oder alles zusammen? Ich glaube, dass wir mit dem Abgleich zwischen Meinungsfreiheit auf der einen und religiösen Gefühlen/Ehrverletzung auf der anderen Seite zu kurz greifen, um zu verstehen, was viele Menschen bei solchen Gegenüberstellungen eigentlich bewegt.

Anhand einiger hochgekochter Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit in Bezug auf Islam und Muslime möchte ich aufzeigen, dass wir das Faktum und die Folgen der Diskriminierung (einer ganzen Gruppe) in diesem Zusammenhang mit einbeziehen müssen. Andere Fälle, wie den Aufruhr um die Gibson-Inzensierung „Passion“, den Fassbinder-Streit, aber auch einige Skandale im studentenbewegten Deutschland bis hin zur jüngeren Diskussion um die „Pope-Town“-Serie wären durchaus interessant, hier GENAU verglichen zu werden. Ein Vergleich aber etwa der sog. Mohamed-Karikaturen mit einigen Jesusdarstellungen hat eher einen verharmlosenden Charakter, weil sie eben nicht die gleiche Qualität aufweisen. Innerreligiöse Karikierung ist nun mal etwas anderes als die Diffamierung eines ganzen Kollektivs mithilfe seiner Symbolik.

Mich – als nicht religiösem Menschen – beschleicht inzwischen ein unbehagliches Gefühl, wenn Religionen allgemein oder der Islam im Besonderen für bestimmte Missstände verantwortlich gemacht werden, die anders begründet ebenso geschehen. Wobei es offensichtlich sein müsste, dass durch den Verweis auf bestimmte Fakten etwa aus der vielfältigen islamischen Community andere Fakten ausgeblendet werden und nur dadurch eine vermeintlich plausible antireligiöse bzw. antiislamische Argumentationskette entsteht, die einer Prüfung durch weitere Tatsachen nicht stand hält – ganz so, wie im oben aufgeführten Beispiel aus dem Spiegel.

Unsere Medien, wie wir alle, laufen nun einmal ständig Gefahr, das von uns Erwartete zu vervielfältigen und allein dadurch zu bestätigen, dass man die passenden Beispiele (unbewusst) immer wieder auswählt und ständig wiederholt – denn am überzeugendsten wirkt immer noch die Wiederholung, nicht der Wahrheitsgehalt an sich.

Das tun wir alle aber nicht aus böser Absicht, sondern weil wir einem Wahrnehmungsmechanismus unterliegen, der das, worauf bereits Aufmerksamkeit durch Worte und Bilder gelenkt wurde, früher erkennen lässt als anderes. In den Medienwissenschaften nennt man dieses Phänomen Framing. Ein einmal geschaffener Frame/Rahmen verleitet sozusagen dazu, Fakten, die dem eigenen (Vor-)Urteil entsprechen, zu zitieren und Gegenbeispiele glatt zu übersehen. Erreichen widersprechende Fakten dann doch einmal unsere Aufmerksamkeit, dann neigen wir dazu, sie in den vorhandenen (unbewussten) Frame wieder einzuordnen. Wir deklarieren diese dann als Ausnahmen oder irgendwie erklärbar, wodurch wir die gute alte Vorstellung über den jeweils anderen konstant halten können. So bestätigt sich ein einmal geschaffenes Wahrnehmungsmuster eher selbst und ist sehr schwer weiter auszudifferenzieren.

Dem gleichen Mechanismus unterliegen Mediendarstellungen in verstärkter Art und Weise. Der zugrundeliegende Frame etwa für den Karikaturenstreit, war der Fall Rushdie/Khomeini. Schnell, weil schon ein Interpretationsraster/Frame vorhanden war, wurde der Fall der Provokation der rechtslastigen dänischen Jyllands Posten in diesen Kontext eingeordnet – ohne auch nur seine spezifischen Inhalte genau geprüft zu haben. Statt über die Aussagen der Karikaturen zu diskutieren, wurde ihre Existenz auf den Kampf um die Meinungsfreiheit reduziert.

Es greift aber zu kurz, wenn wir die Veröffentlichung der Zeichnungen nur unter dem Aspekt der uneingeschränkten Meinungsäußerung betrachten. Obwohl die Ausschreitungen von muslimischer Seite nicht gutzuheißen sind, kann man sie doch nicht losgelöst von dem offenen Provokationsversuch betrachten – sowie nicht ohne die anderen Interessen die hinter einer Aufstachelung von anderer Seite standen. Aber bleiben wir bei unserem eigenen Balkensplitter im Auge: Es stimmt ja nicht, dass wir alles schamlos und um jeden Preis veröffentlichen.

Es gibt Grenzen der Moral und des guten Geschmacks bei Körper- und Gewaltdarstellungen. Pornografie, pädophile Texte, antisemitische Karikaturen etc. sind verpönt und das ist gut so. Warum sollen diese freiwilligen Regeln der Selbstzensur bei Muslimen nicht auch gelten?

Während viel von Scheren im Kopf die Rede ist, scheinen mir diese doch ganz woanders zu liegen als behauptet. So ist der Eindruck einer schonenden Sonderbehandlung von Muslimen entstanden, die Warnungen vor einem „Einknicken“ vor „dem Islam“ nach sich zieht. Während gleichzeitig Muslime in besonderem Maße durch eben eine Andersbehandlung diskriminiert werden – womit sie freilich nicht die einzigen sind.

Ich ziele also hier nicht auf das Bilderverbot im Islam ab, das so strikt gar nicht eingehalten wird, sondern auf die Aussage einiger der 12 Karikaturen – nämlich derer, die die Symbole Islam und Gewalt 1:1 miteinander verknüpfen. Dinge, die zusammen angeboten werden, werden ja auch automatisch füreinander relevant gehalten. Darum sind diese Darstellungen nicht harmlos. Als Beispiel sei hier nur der Bombenkopf erwähnt. Diese Karikatur entspricht der Darstellungsweise einiger Magazin-Titelseiten, die ich Ihnen jetzt zeigen möchte.
  • Spiegel-Titelseite 5.12.2005: Osthoff und Entführungen im Irak + Moscheebild
  • Stern-Titelseite 26.01.2006: Ahmadinejad und Atombombe + Moscheebild
Auch gibt es viele Darstellungen im Fernsehen, wo Themen von Gewalt und Aggression – siehe die Attentate in London – mit islamischen Motiven wie Moschee, Gebet und Kopftuch oder dezidiert islamischer Musik etc. zusammengeschnitten werden. Dies ist darum problematisch, weil durch die Verschränkung islamischer Symbole mit Konzepten von Gewalt die Perspektive bestimmter Muslime übernommen wird, die behaupten, sie handelten im Namen des Islams, und diese Perspektive dann das Bild des Islams dominiert mit dem Fazit: Islam habe eine Affinität zu Gewalt – so ja auch die Aussage einiger Politiker und Kirchenleute.

Ähnlich wie beim aktuellen Spiegel könnten wir hier wieder dem Faktenmythos verfallen, wenn wir bei der Auswahl der Tatsachen bleiben, die das Bild bestätigen können. Die gleichen Sachverhalte gibt es aber nicht bei allen Muslimen, jedoch auch bei einigen Nichtmuslimen. Wenn wir aber die Argumentation von Extremisten einfach übernehmen, dann erklären wir sie zur Norm und alle anderen Muslime zur Ausnahme und den Islam per se für problematisch.

Mit ähnlichen Fakten, die wir aus der Innenperspektive besser kennen, gehen wir aber anders um: Wenn George Bush mit Verweis auf „die Menschenrechte“ sowie auf „seinen göttlichen Auftrag“ oder gar „den wahren Glauben“ im Namen des Christentums einen völkerrechtswidrigen „Krieg gegen den Terror“ vom Zaun bricht, der geeignet ist in den Dritten Weltkrieg zu münden, dann beziehen wir das nicht auf das Christentum. Wir glauben ihm einfach nicht – wir erkennen die Instrumentalisierung.

Und wir müssten uns fragen, warum wir – sicher nicht wir alle, aber doch verbreitet – muslimischen Extremisten eher Glauben schenken als der Mehrheit der Muslime. Wenn wir aber den Missbrauch einzelner mit dem Missbrauchten – in dem Fall eine Religion – verwechseln und dadurch diese Sicht auf alle Angehörigen der Gruppe verallgemeinern, dann handelt es sich um weit mehr als die Verletzung religiöser Gefühle – es handelt sich eben um Diskriminierung. Mit allen Folgen, die diese auslöst – für alle Beteiligten: Selbstidealisierung und Fremdstigmatisierung, also Polarisierung statt Verständigung und gemeinsames Fortschreiten gegen Krieg und Umweltzerstörung und für Gerechtigkeit.

Dass es sich um Diskriminierung handelt, wird vielleicht deutlicher, wenn wir die Stern-Titelseite einmal mit einer Darstellung aus der arabischen Presse in Bezug auf Israel vergleichen.
  • Bildmontage aus Al-Watan: israelischer Politiker und Atombombe + Davidstern
Die Ikonografie ist identisch. Auch hier wird durch das Einbringen eines Symbols, das geeignet ist, das Judentum insgesamt zu repräsentieren, genau diese verallgemeinernde Interpretation angeboten. Auch in Deutschland und anderswo gibt es dieses Wahrnehmungsangebot:
  • Eines von vielen Beispielen aus der deutschen Presse während des Libanon- Krieges, Nürnberger Nachrichten Karikatur von Haitziner „Das grüne Licht“ (aus Washington): Kopf George Bushs und Bomben + Davidstern
Ich bin nicht dafür, dass wir im Namen absoluter Meinungsfreiheit die Grenzen des guten Geschmacks und auch Erkenntnisse aus der Geschichte über die Diffamierung einer ganzen Gruppe über Bord werfen.

Inzwischen haben wir aber in Bezug auf Islam und Muslime eine neue Qualität von Diskriminierung erreicht, die zeigt, wie schwer es sein wird, das einmal entstandene Missverständnis wieder aufzulösen, wenn wir unsere Wahrnehmungsprozesse und die Ordnungsfunktion von Worten, Sätzen und Bildern nicht reflektieren.

Die Absetzung der Idomeneo-Oper – eine geniale PR für eine schlechte Oper – erzeugte eine ähnliche Interperationsmaschine wie der Karikaturenstreit – nur diesmal ohne jegliche Faktengrundlage: kein Moslem hatte die Absetzung verlangt oder sich auch nur dazu geäußert.

Auf Grund des inzwischen erreichten hohen Gewöhnungsgrades an Vorstellungen wie, der Islam sei per se gewaltbereit, frauenfeindlich und antiaufklärerisch (welches an sich eine zutiefst antiaufklärerische Sichtweise ist!), können wir erwarten, dass sich in Zukunft immer wieder und immer öfter diese Maschine abspielt. Mit und ohne Faktengrundlage und nur dann, wenn es uns nicht gelingt, Missstände – welche und wo auch immer und die es natürlich auch in islamischen Gesellschaften gibt – zu benennen, ohne in die lauernde Verallgemeinerungsfalle zu tappen.

Die Papstrede bietet einen Hinweis darauf, wie der Frame Islam + Gewalt weiter benutzt werden kann. Ohne Zugeständnisse an die Ökumene machen zu müssen, wurden die Unzufriedenheiten von Seiten evangelischer Christen während seines Besuches in Deutschland durch das Kollektiverlebnis „Wir haben die gute Religion und sind die Vernünftigen“ – im Gegensatz zu den sich wieder mal vorführenden „unvernünftigen“ Muslimen – einfach wegegewischt. In den Medien standen sich Bilder und Worte des an die Vernunft appellierenden Papstes und aufgebrachter Muslime so eklatant gegenüber, dass sogar die orthodoxe Ostkirche uns näher zu rücken schien – auch hier ohne innerkirchliche Kompromisse. Die Gefahr der Verführung des gezielten Einsatzes der Diskriminierung zur Abgrenzung nach außen und Homogenisierung nach innen ist also gegeben, auch wenn es sich in den meisten Fällen wohl eher um ein großes Missverständnis handelt.

Da verfährt der aktuelle Spiegel schon gleichwertiger: er macht alle Religionen nieder. Dies bezeugt wiederum das gemeinsame Anliegen aller Menschen – Religiöse und Nichtreligiöse, sich gegen die Schaffung von Feindbildern zu stellen, welches auch immer es gerade ist. Denn gängige Diskurse speisen schließlich immer auch radikale Gruppen.

Darum freue ich mich über Zusammenkünfte, wie diese, wenn sie auch nicht ganz ungefährlich sind. Denn entsprechend dem existierenden Frame, dass der Islam Probleme mache, kann die verstärkte Thematisierung desselben gerade diesen Eindruck noch verstärken – so durch meinen Beitrag also auch, denn auch die Verneinung erinnert! Die daraus resultierenden Fehlinterpretationen aufzulösen wird keine leichte Aufgabe sein und darum ist es gut, dass sich so viele verschiedene Menschen mit ihren jeweiligen Perspektiven dieser Aufgabe widmen und u.a. hier zusammenkommen.

* Dr. Sabine Schiffer, Institut für Medienverantwortung, Erlangen;
Einführungsvortrag zum Podium auf dem ev. Kirchentag 2007, Köln, 8. Juni 2007



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