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Uniformierte Christen

Vor 50 Jahren wurde der Militärseelsorgevertrag zwischen der Bundesrepublik und der Evangelischen Kirche geschlossen

Von Horst Herrmann *

Die Bundeswehr war von Beginn an betreut. Die katholische Kirche brauchte 1956, zu Zeiten der Wiederbewaffnung der BRD, nicht viel zu regeln. Wesentliche Rechtsgrundlage ihrer Militärseelsorge war jenes Reichskonkordat, das im Juli 1933 zwischen dem Heiligen Stuhl und Hitlerdeutschland geschlossen worden war. Dieser Vertrag, bereits in der Weimarer Republik diskutiert, doch nicht zustandegekommen, hatte schon ein halbes Jahr nach der »Machtergreifung« Hitlers eine erste, politisch äußerst wichtige Anerkennung des Naziregimes bedeutet. Der Staatsvertrag mit dem Vatikan, der in einem Geheim­anhang Hitlers Aufrüstung absegnete, stellt heute das weltweit letzte einschlägig belastete Konkordat dar. Italien und Spanien haben die Abmachungen mit Mussolini und Franco längst gekündigt, doch Deutschland verzichtet noch immer auf die überfällige Neuregelung.

Was der Catholica recht war, sollte den Evangelischen Kirchen Deutschlands (EKD) billig sein. Sie hinkten seinerzeit hinterher. Es sollte fast ein Vierteljahrhundert dauern, bis die Themenkomplexe, welche dann die Bundeswehr betrafen, abschließend geregelt werden konnten. Vorbereitende Gespräche waren schon Anfang der 50er Jahre geführt worden, denn die Kirchenvertreter »hatten keine Berührungsängste«, wie es auf der Website der Evangelischen Militärseelsorge heißt (dort auch die folgenden Zitate). Und am 22. Februar 1957 unterzeichnete Bischof Otto Dibelius schließlich für die EKD den Militärseelsorgevertrag. Konrad Adenauer und sein Verteidigungsminister Franz Josef Strauß, die das Dokument für die staatliche Seite signierten, brauchten Kirchen, die ins restaurative Bild paßten und einer Wiederbewaffnung zumindest nicht widersprachen. Sie mußten nicht lange suchen. Abgesegnet wurde, unter anderen Vorzeichen, auch in diesem Fall.

Der »Christ in Uniform« sollte, so die neueste Sprachregelung, ermöglicht werden, und dies »im bewußten Gegensatz zu glaubensfeindlichen Strömungen in den nicht-demokratischen Armeen anderer Zeiten und Systeme«. So stand am Ende der Verhandlungen ein Vertrag, der sich als »historisch ohne Vorbild und bis heute international einmalig« feiern lassen kann.

Der Staat zahlt

Der Vertrag legt unter anderem fest, daß die Militärseelsorge unter der Aufsicht der Kirche vonstatten geht, die anfallenden Kosten jedoch vom Staat übernommen werden (Artikel 2), eine für die Kirche recht einträgliche Regelung. Andererseits können von staatlicher Seite schwerwiegende Einwände gegen einen für das Amt des Militärbischofs in Aussicht genommenen Geistlichen geäußert werden (Artikel 11,1), ein Passus, der einen erheblichen Einfluß einräumt – jedenfalls in dem unrealistischen Fall, daß ein engagierter Pazifist sich zum Militärbischof berufen fühlen sollte.

Beide Seiten, Staat wie Kirche, haben in ihrem Militärseelsorgevertrag alles in allem ihre Interessen durchgesetzt. Die im Grundgesetz festgeschriebene, doch nie verwirklichte Trennung von Staat und Kirche wurde kaum als Voraussetzung dafür angesehen, daß die Kirche Distanz zu staatlichen Erwartungen wahren konnte, wenn es um die Einschätzung militärischer Einsätze ging. Und nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten wurde die vor allem unter ostdeutschen Protestanten lebendige friedensethische Tradition einfach »abgewickelt« (Gunnar Schedel). Zwar hatte sich die Frage gestellt, ob das westdeutsche Modell auf die neuen Bundesländer übertragen werden sollte. Doch dies hatte zu heftigen Reaktionen in Militär und Politik geführt; ostdeutsche Kirchenvertreter mußten sich ein »elitär-pazifistisches Bewußtsein« vorhalten lassen. Die Betonfraktion hatte in dem Moment die Bremse getreten, wo das »bewährte System«, das auf katholischer Seite so gut wie nie strittig war, mit seinen Privilegien zur Disposition gestanden hätte.

Spätestens mit der Synode von Amberg (November 2001) war nicht nur die Tradition eines eher distanzierteren Verhältnisses von Staat und Kirche endgültig Geschichte geworden. In Zeiten des Krieges bemühte sich die Kirchenleitung auch, staatlichen Wünschen nach einer Legitimation des wenn nicht gerechten, so doch gerechtfertigten Krieges zu entsprechen. Auch wenn der Bonhoeffer-Verein und die Niemöller-Stiftung protestierten: »Der Weigerung des Staates, über eine Veränderung des Militärseelsorgevertrages zu verhandeln, hat sich die Kirche gebeugt. Der Staat will keine freie, kritische, am Evangelium orientierte Seelsorge, sondern einen in die staatlichen und militärischen Strukturen eingepaßten religiös-psychologischen Betreuungsapparat für künftige weltweite Bundeswehreinsätze.«

Es blieb alles beim Status quo. Deutschland läßt noch immer eine in und für Großkirchen organisierte reli­giöse Betätigung ausnahmslos von allen Steuerpflichtigen finanziell unterstützen. Die Militärseelsorge wird ebenso subventioniert wie die konfessionellen Schulen, die von den Bundesländern mit rund vier Milliarden Euro bedacht werden. Alles wird von allen (also auch von konfessionslosen) Steuerpflichtigen außerhalb der Kirchensteuer finanziert. Die beste Subvention ist immer die, von der die, die sie aufbringen, nichts wissen.

Hand in Hand

Offensichtlich vermag die Bundesrepublik nicht auf eine ideelle Unterstützung seitens der Steuerkirchen zu verzichten, auf eine Unterstützung, welche diese schon leisteten, als noch vom Bündnis zwischen Thron und Altar die Rede war. Nicht ohne Grund wendet sich die unverhältnismäßig kostspielige Subvention noch immer jenen Bereichen kirchlicher Tätigkeit zu, die Erziehung und Militär betreffen. Hier gehen, wie die deutsche Geschichte lehrt, kirchenpolitische und staatspolitische Ziele gerne Hand in Hand.

»50 Jahre in gemeinsamer Verantwortung« ist denn auch die amtliche Verlautbarung der evangelischen Militärseelsorge zum Jubiläum überschrieben. Die Kirchen hatten aus den Erfahrungen der Nazizeit und der Rolle der Wehrmacht den Schluß gezogen: Beim Neuanfang in Deutschland wollten sie sich einmischen, wollten mithelfen, daß die junge und historisch schwach verwurzelte Demokratie dieses Mal gelingt. So die offizielle Lesart heute.

Nach 50 Jahren sind die Vertragspartner sich fraglos einig, daß dieses Modell sich bewährt hat. Zum Jahrestag der Unterzeichnung treffen sich hochrangige Vertreter von Kirche und Staat, an ihrer Spitze Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Bundesminister Dr. Franz-Josef Jung, Bischof Dr. Wolfgang Huber und Militärbischof Peter Krug. Über Bundeswehr-TV werden Gottesdienst und Festakt aus Köln-Wahn weltweit übertragen.

* Horst Herrmann, Kirche, Klerus, Kapital. Hintergründe einer deutschen Allianz, LIT Verlag Münster 2. Aufl. 2003

Millionen für den Militärbischof – Zahlen und Fakten

Das Verteidigungsministerium zahlt regelmäßig auch für gottesdienstliche Utensilien. Der Bundeshaushaltsplan 1988 wies eine knappe halbe Million für Gebets und Gesangsbücher von Soldaten auf; zehn Jahre später war die Millionengrenze überschritten. Für 96 000 DM jährlich kam dabei eine Summe im Gegenwert von 100 000 Kerzen heraus. Wäre die Summe nur für Wein draufgegangen, hätte sie dem Gegenwert von etwa 12 000 Flaschen pro Jahr entsprochen. Und allein der Umzug des Militärbischofs von Bonn nach Berlin kostete den Steuerzahler über zehn Millionen DM.

Im Jahr 2000 waren es rund 53,7 Millionen, die als Subvention an die Militärseelsorge flossen, über 42 Millionen gingen als Löhne und Gehälter ans kirchliche Bodenpersonal. Der auch für konfessionslose Rekruten verbindliche, aber damit wohl verfassungswidrige Lebenskundliche Unterricht, der von Militärgeistlichen erteilt wird, machte eine ähnlich hohe Summe erforderlich. Für die Teilnahme von Soldaten an religiösen Sonderübungen (Exerzitien u. ä.) war ebensoviel vorgesehen.

Gegenwärtig wendet die öffentliche Hand über 25 Millionen Euro pro Jahr für Militärseelsorge auf. Obwohl die Armee etwa 40 Prozent weniger Soldaten umfaßt als vor 15 Jahren, sind die Kosten für die religiöse Betreuung der Soldaten gestiegen. Eine Finanzierung aus Kirchenmitteln statt aus dem Verteidigungsetat hätte zwar nur Bruchteile des Gesamtaufkommens an Kirchensteuer ausgemacht. Doch hätte es eines politischen Willens bedurft. Der ist indes weder in den Vorstandsetagen der Kirche noch im jeweiligen Bundeskabinett anzutreffen, gleich, welche Parteien die Regierung stellen.



Aus: junge Welt, 17. Februar 2007


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