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Kleine Waffen – große Opfer

UNO will illegalen Handel mit Kleinwaffen eindämmen

Von Wolfgang Kötter *

Am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York beginnt heute (14.6.) eine Konferenz gegen die Überschwemmung der Welt mit Waffen, durch die jährlich Hunderttausende Menschen ihr Leben verlieren. Auf über 875 Mio. wird die Gesamtzahl von Kleinwaffen geschätzt. Ihr Name klingt harmlos, aber Mörser und Minen, Sturmgewehre und Maschinenpistolen, Revolver und Handgranaten töten unzählige Male, ob in bewaffneten Konflikten und Bürgerkriegen, im privaten Streit oder durch Verbrechen. Oftmals trifft es Unschuldige und Unbeteiligte. Zu Recht werden Kleinwaffen deshalb auch die eigentlichen Massenvernichtungswaffen unserer Zeit genannt. Kleinwaffen sind laut Internationalem Roten Kreuz für 95 Prozent der Getöteten heutiger Kriege verantwortlich. Aber der Waffenhandel ist profitabel - jedes Jahr werden mit Kleinwaffen 960 Milliarden Euro verdient, ein beträchtlicher Teil davon durch Schmuggel und illegale Waffenverkäufe auf dem internationalen Schwarzmarkt.

Führende UN-Politiker verweisen deshalb drauf, dass nach den jüngsten Abrüstungsfortschritten bei Atomwaffen auch die „kleinen Waffen“ nicht vergessen werden dürfen. Denn „es sind die konventionellen Waffen, die jeden Tag Leben und Gesundheit so vieler Menschen zerstören“, mahnt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Auch Vollversammlungspräsident Ali Treki äußert sich besorgt darüber, dass die meisten Opfer Frauen und Kinder sind, gerade in den Entwicklungsländern. „In der Geschichte wurden Nuklearwaffen erst zweimal eingesetzt und die Folgen waren furchtbar. Kleine Waffen führen aber Tag für Tag zu Tragödien. Abrüstung ist die wichtigste Aufgabe unserer Epoche. Vielleicht ist aber die Abrüstung bei den kleinen Waffen die eigentliche Herausforderung“, benennt der Libyer die dringliche Aufgabe.

Bereits seit Jahren widmet sich die UNO dem Problem Kleinwaffen. Seit das Thema nach dem Ende des Ost-West-Konflikts auf die Tagesordnung der multilateralen Diplomatie gelangte, wird in vielfältiger Weise um Lösungen gerungen. So fanden beispielsweise Waffeneinsammelaktionen unter dem Motto „Waffentausch für Entwicklung“ sowie symbolische Waffenverbrennungen unter anderem in Albanien, Brasilien, Burundi, Liberia, Rumänien, Elfenbeinküste und Tansania statt. Die Vollversammlung verabschiedete stapelweise Resolutionen, und auch der Weltsicherheitsrat befasste sich mehrfach mit dem Thema. Die New Yorker UN-Zentrale bietet einen weltweiten Beratungsdienst zur Unterstützung und Koordinierung der Maßnahmen an. Im Jahre 2001 fand sogar eine internationale Konferenz ausschließlich zu Kleinwaffen und leichten Rüstungen statt und verabschiedete ein umfangreiches Aktionsprogramm. Das Internationale Aktionsnetzwerk zu Kleinwaffen IANSA bemängelt jedoch, dass es viele Lücken hat und nicht rechtsverbindlich ist. Auch die Überprüfungskonferenz von 2006 scheiterte am Widerstand der Waffenlobby. Neben Russland, Indien, Pakistan, dem Iran und Israel gehörte die Bush-Regierung der USA bis dahin zu den Hauptbremsern einer internationalen Vereinbarung. Nun scheint sich eine Änderung anzubahnen. "Die USA sind dazu bereit die Probleme zu lösen, die auf verantwortungslose Waffenlieferungen zurückzuführen sind. Wir werden daran arbeiten, einen juristisch verbindlichen Vertrag über den Waffenhandel zu entwerfen“, versichert die für die Rüstungskontrolle und internationale Sicherheit zuständige US-Staatssekretärin Ellen Tauscher. Die Länder müssen ihr zufolge alle notwendigen Mittel dafür einsetzen, um die Waffenschmuggler im eigenen Land und "am anderen Ende der (Liefer-)Kette auszurotten".

Expertengruppen erarbeiteten in den vergangenen Jahren zahlreiche Empfehlungen zum weiteren Vorgehen. Zu ihnen gehört beispielsweise eine Vereinbarung zur Kennzeichnungspflicht von Kleinwaffen. Zumindest der illegale Handel könnte eingedämmt werden, wenn verborgene Waffenströme sichtbar gemacht werden. Eine weitere Expertengruppe regte strenge Restriktionen für Waffenhändler und Makler an. Allerdings gelang es bisher nicht, die Maßnahmen völkerrechtlich bindend zu machen, und so blieb es lediglich bei politischen Absichtserklärungen. Bereits rechtswirksam ist jedoch das Protokoll gegen die unerlaubte Herstellung von Feuerwaffen und den Handel mit ihnen. Wer Schusswaffen illegal herstellt, sie verkauft oder unerlaubt besitzt, kann jetzt bestraft werden. Die Vereinbarung, der gegenwärtig allerdings erst rund 80 Staaten angehören, stellt die illegale Produktion und den unerlaubten Besitz von Schusswaffen sowie den Handel mit ihnen unter Strafe. Handfeuerwaffen müssen sowohl bei der Herstellung als auch bei der Einfuhr markiert werden. Um den Weg jeder einzelnen Waffe über Landesgrenzen hinweg verfolgen zu können, sind die entsprechenden Unterlagen über längere Zeit aufzubewahren. Wer Markierungen verändert oder entfernt, kann zur Verantwortung gezogen werden. Jede kommerzielle Ein- und Ausfuhr von Feuerwaffen bedarf einer staatlichen Lizenz, ebenso die Betätigung als Makler bzw. Vermittler von Waffenkäufen. Genehmigte Waffenverkäufe an andere Staaten fallen allerdings nicht unter das Protokoll.

Trotz einiger Fortschritte bleiben viele Maßnahmen bisher nur halbherzig. So sind die Waffenembargos, die die UNO bisher verhängt hat, systematisch gebrochen worden. Zwischenhändler und Transporteure liefern die Tötungsmittel auch an Länder, in denen massive Menschenrechtsverletzungen geschehen. Dadurch kommen diese Waffen auch bei Massakern, Vergewaltigungen und Vertreibungen von Zivilisten beispielsweise in Sudan und im Kongo zum Einsatz. Als Herkunftsländer erscheinen immer wieder die USA, Italien, Israel, die Niederlande, Großbritannien, die Schweiz, die Ukraine, China, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Balkanländer. Aber auch aus Deutschland exportierte G3-Sturmgewehre werden in Pakistan und Afghanistan auf dem Schwarzmarkt gehandelt.

Auf die heute beginnende Konferenz, die sich in ähnliche alle zwei Jahre stattfindende Treffen einreiht, werden große Hoffnungen gesetzt. Tagungspräsident Pablo Macedo hat bereits im Vorfeld intensive Konsultationen geführt. So reiste der durch vielfältige Abrüstungsforen erfahrene Rechtsprofessor aus Mexiko unter anderem nach Genf, Kigali, New York, Sidney und Lima. In zwei Jahr treffen sich die Staaten zur nächsten Überprüfungskonferenz, auf der sie einschätzen, wie das Aktionsprogramm umgesetzt wird und um die nächsten Schritte zu beraten. Spätestens dann müssen die Regierungen der 192 Mitgliedstaaten entscheiden, ob sie tatsächlich bereit sind, ernsthaft gegen die weltweite Waffenflut vorzugehen.


„Kleinwaffen und leichte Rüstungen“ sind eine bestimmte Kategorie von Kampfmitteln, die von einer oder zwei Personen getragen, transportiert und ausgelöst werden können.

Kleinwaffen für den Gebrauch durch Einzelpersonen, dazu gehören:
  • Revolver und Selbstladepistolen;
  • Gewehre, Karabiner und Maschinenpistolen;
  • Sturmgewehre und leichte Maschinengewehre;
  • Munition und Patronen für Kleinwaffen.
Leichte Rüstungen für den Gebrauch durch mehrere Personen, dazu gehören:
  • schwere Maschinengewehre;
  • leichte, unter dem Lauf angebrachte sowie schwere Granatwerfer;
  • tragbare bzw. zeitweise auf Fahrzeugen montierte Luftabwehrkanonen;
  • tragbare Panzerabwehrkanonen;
  • zeitweise auf Fahrzeugen montierte rückstoßfreie Geschütze;
  • tragbare bzw. zeitweise auf Fahrzeugen montierte Abschussgeräte für Panzerabwehrraketen;
  • tragbare Flugabwehrraketenwerfer;
  • Mörser mit einem Kaliber von unter 100 mm;
  • Munition sowie Granaten und Projektile für leichte Rüstungen;
  • mobile Behälter mit Raketen oder Granaten für den einmaligen Verschuss aus Flugabwehr- und Panzerabwehrsystemen,
  • Antipersonen- und Panzerabwehrhandgranaten;
  • Landminen und Sprengstoffe.
Quelle: UNO



Aus dem Aktionsprogramms gegen Kleinwaffen von 2001

Verschiedene politisch verbindliche Verpflichtungen sollen die unkontrollierte Verbreitung von Kleinwaffen begrenzen:
  • Auf nationaler Ebene sollen Gesetze und Richtlinien erlassen werden, um die Herstellung und den Transfer dieser Waffen so zu regulieren, dass illegale Produktionen und Verkäufe ausbleiben.
  • Gesetze sollen definieren, wann die Herstellung, der Besitz und die Weitergabe von Kleinwaffen illegal sind, und diese Handlungen unter Strafe stellen.
  • Eine nationale Koordinierungsstelle soll die Umsetzung in die Politik überwachen und die verschiedenen Ministerien und Behörden koordinieren.
  • Staatliche Waffenbestände (etwa aus Polizei und Armee) sollen registriert und überwacht werden.
  • Ein nationales Export- und Importkontrollsystem für Kleinwaffen und die entsprechende Gesetzgebung sollen dort, wo sie noch nicht oder unzureichend vorhanden sind, eingerichtet werden.
  • Konfiszierte Waffenbestände oder solche, die aus Abrüstungsaktionen nach Beendigung von Kriegshandlungen stammen, sollen zerstört werden.
  • Auf subregionaler und regionaler Ebene soll die Zusammenarbeit zur Bekämpfung der unkontrollierten Kleinwaffenverbreitung intensiviert werden.
  • Moratorien, die die Produktion und den Transfer von Kleinwaffen in Sub-Regionen ganz verbieten, werden begrüßt.
  • Auf globaler Ebene sind alle Staaten aufgefordert, die Staaten mit hohem, unkontrolliertem Kleinwaffenaufkommen technisch wie finanziell bei der Bekämpfung dieses Problems zu unterstützen.


Einsätze von Streumunition im 21. Jahrhundert

Afghanistan

2001-2002: Die US-Luftwaffe warf 1 228 Streubomben (cluster bombs) mit 248 000 Bomblets ab. Die Angriffe auf dünn besiedelte Landschaft zeigen, dass selbst Schläge gegen kleine Dörfer oder ihre Umgebung Zivilisten gefährden. Vor allem afghanische Kinder, Bauern und Schafhirten litten auch unter den Spätfolgen der Restmunition, die seither mindestens 120 Tote und Verletzte forderte.

Irak

2003: Britische und US-amerikanische Truppen setzen 13 000 Streumunitionen mit 2 Millionen Submunitionen ein. In diesem Krieg dominierten bodengestützte Typen. Die Clustermunitionen, die weitgehend in bevölkerten Gebieten angewendet wurden, töteten oder verletzten Hunderte von Zivilisten während und nach dem Konflikt. Aufgebracht darüber, dass Blindgänger sowohl Zivilisten als auch Soldaten gefährdeten, kritisierten sogar Militärs deren Einsatz.

Israel

2006: In den Angriffen der Hisbollah-Milizen auf Israel kam, obwohl nur in geringer Anzahl, erstmals die chinesische Submunition vom Typ MZD-2 in einem Konflikt zum Einsatz.

Libanon

2006: Im selben Krieg verschoss Israel schätzungsweise 4 Millionen Streumunitionen, die den Süden Libanons einschließlich vieler besiedelter Gebiete mit etwa 500 000 Blingängern bedeckten. Obwohl während der Angriffe relativ wenige Opfer festgestellt wurden, haben die Blindgänger seither etwa 200 Tote und Verletzte vor allem unter Kindern und Bauern gefordert. Schwerwiegende Auswirkungen ergaben sich für die Landwirtschaft Süd-Libanons. Außer der Anwendung großer Mengen veralteter, unzuverlässiger Submunitionen mit durchschnittlich 25 Prozent Blindgängerquoten, setzte Israel ebenfalls Streumunition vom Typ M85 mit Selbstzerstörungsmechanismen ein. Obwohl als Lösung des Blindgängerproblems angepriesen, wiesen sie eine Blindgängerrate von etwa 10 Prozent auf.

Jemen

17. Dezember 2009: Bei einem Angriff der USA mit Streumunition auf ein mutmaßliches Ausbildungslager von Al-Kaida wurden in der Gemeinde El Maadschala in der südlichen Provinz Abjan 41 Zivilisten getötet, darunter 14 Frauen und 21 Kinder. Bei 14 weiteren Toten konnte nicht ermittelt werden, ob sie Zivilisten oder Kämpfer waren. Fotoaufnahmen zufolge handelte es sich um eine US-Tomahawk-Flügelrakete sowie Streubomben des Typs BLU 97 A/B. Eine Rakete kann 166 Streubomben transportieren, von denen jede mehr als 200 Stahlsplitter enthält, die im Umkreis von 150 Metern zu schwersten Verletzungen führen. Eine ebenfalls in den Bomben vorhandene brennbare Flüssigkeit löst bei Explosion schwere Brände aus.



* Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien unter dem Titel "Die eigentlichen Massenvernichtungswaffen" in: Neues Deutschland, 15. Juni 2010


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