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Kleinwaffen - tödliche globale Seuche

UNO-Konferenz berät Eindämmung der Verbreitung, Deutschland steigerte Export um 43 Prozent

Von Wolfgang Kötter *

Am Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York begann am Montag (16.6.14) ein Staatentreffen gegen den illegalen Handel mit Kleinwaffen und leichten Rüstungen. Unter Vorsitz von Zahir Tanin aus Afghanistan wollen die Teilnehmer die Erfüllung des vor über einem Jahrzehnt beschlossenen Aktionsprogramms einschätzen und neue Aufgaben für die Zukunft formulieren.

Bei Kleinwaffen handelt es sich um eine bestimmte Kategorie von Kampfmitteln, die von einer oder zwei Personen getragen, transportiert und ausgelöst werden. Dazu gehören zum einen Kleinwaffen für den Gebrauch durch Einzelpersonen wie Revolver und Selbstladepistolen, Gewehre, Karabiner, Maschinenpistolen, Sturmgewehre und leichte Maschinengewehre sowie Munition und Patronen für diese Waffen. Weiterhin zählen dazu leichte Rüstungen, die durch mehrere Personen bedient werden, wie schwere Maschinengewehre, Granatwerfer, tragbare Luftabwehr- und Panzerabwehrkanonen, Flugabwehrraketenwerfer, Munition sowie Granaten und Projektile für leichte Rüstungen, Antipersonen- und Panzerabwehrhandgranaten wie auch Landminen und Sprengstoffe. Nichtregierungsorganisationen weisen darauf hin, dass jede Minute ein Mensch auf der Welt durch Waffengewalt stirbt. Mehr als 70 Prozent dieser Opfer werden durch Kleinwaffen getötet. Deren jährlicher weltweiter Umsatz wird auf 8,5 Mrd. Dollar geschätzt. Deutschland spielt beim Export von Kleinwaffen leider eine äußerst unrühmliche Rolle. Die deutsche Rüstungsindustrie verkaufte davon für mehr als 82 Millionen Dollar. Im Jahr zuvor waren es noch 76 Millionen Fachleute schätzen, dass alleine durch Gewehre und Pistolen der Waffenschmiede Heckler & Koch nach dem Zweiten Weltkrieg weit mehr als eine Million Menschen ihr Leben verloren haben. Weitere ungezählte Kriegsopfer sind durch die vielen anderen waffenexportierenden deutschen Unternehmen zu beklagen.

Aktionsprogramm wird umgesetzt

In dem im Jahre 2001 beschlossenen Aktionsprogramms gegen Kleinwaffen gehen die UNO-Mitgliedstaaten zwar keine rechtlich bindenden aber doch politische Verpflichtungen ein, um die unkontrollierte Verbreitung von Kleinwaffen zu begrenzen. Auf nationaler Ebene sind Gesetze und Richtlinien zu erlassen, um die Herstellung und den Transfer dieser Waffen so zu regulieren, dass illegale Produktionen und Verkäufe verhindert werden. Außerdem sollen Gesetze definieren, wann die Herstellung, der Besitz und die Weitergabe von Kleinwaffen illegal sind, und diese Handlungen unter Strafe stellen. Es werden nationale Koordinierungsstellen eingerichtet, die die Umsetzung in die Politik überwachen und die verschiedenen Ministerien und Behörden koordinieren. Staatliche Waffenbestände, etwa aus Polizei und Armee, sollen registriert und überwacht werden. Ein nationales Export- und Importkontrollsystem für Kleinwaffen und die entsprechende Gesetzgebung sind dort einzurichten, wo sie noch nicht oder unzureichend vorhanden sind. Konfiszierte Waffenbestände oder solche, die aus Abrüstungsaktionen nach Beendigung von Kriegshandlungen stammen, müssen zerstört werden. Auf sub-regionaler und regionaler Ebene soll die Zusammenarbeit zur Bekämpfung der unkontrollierten Kleinwaffenverbreitung intensiviert werden. Moratorien, die die Produktion und den Transfer von Kleinwaffen in Sub-Regionen ganz verbieten, werden begrüßt. Schließlich sind alle Staaten auf globaler Ebene aufgefordert, die Länder mit hohem, unkontrolliertem Kleinwaffenaufkommen technisch wie finanziell bei der Bekämpfung dieses Problems zu unterstützen. Auf der letzten Überprüfungskonferenz im September 2012 haben die Teilnehmerstaaten sich erneut zum Aktionsprogramm bekannt, ihre Absicht bekundet, weiterhin an seiner Umsetzung zu arbeiten und spezifische Maßnahmen für den Zeitraum bis zum Jahre 2018 vereinbart.

Kleinwaffen seit langem auf der internationalen Agenda

Bereits viele Jahre widmet sich die UNO dem Problem Kleinwaffen. Seit das Thema nach dem Ende des Ost-West-Konflikts auf die Tagesordnung der multilateralen Diplomatie gelangte, wird in vielfältiger Weise um Lösungen gerungen. So fanden beispielsweise in mehreren Ländern Waffeneinsammelaktionen unter dem Motto „Waffentausch für Entwicklung“ sowie symbolische Waffenverbrennungen statt. Die UN-Vollversammlung verabschiedete zahllose Resolutionen, und auch der Weltsicherheitsrat befasste sich mehrfach mit dem Thema. Die New Yorker UN-Zentrale bietet darüber hinaus einen weltweiten Beratungsdienst zur Unterstützung und Koordinierung der Maßnahmen an. Expertengruppen erarbeiteten in den vergangenen Jahren zahlreiche Empfehlungen zum weiteren Vorgehen. Zu ihnen gehört beispielsweise eine Vereinbarung zur Kennzeichnungspflicht von Kleinwaffen. Damit verbindet sich die Hoffnung, dass zumindest der illegale Handel eingedämmt werden könnte, wenn verborgene Waffenströme sichtbar gemacht werden. Mit dem Internationalen Rückverfolgungsinstrument wurde eine entsprechende Übereinkunft im Jahr 2005 erzielt. Ob sie in der Realität effektiv ist, steht ebenso auf der Tagesordnung der heute beginnenden Sitzung wie wirksame Schutzmaßnahmen zur Sicherung von Waffenbeständen und Depots. Außerdem sollen Prioritäten für das weitere Vorgehen im Kampf gegen den illegalen Waffenhandel festgelegt werden.

Globaler Waffenhandelsvertrag – Erfolg mit Schwachstellen

Im vergangenen Jahr gelang es nach jahrelangen Bemühungen endlich, einen grundsätzlichen Weltvertrag zur Begrenzung der internationalen Waffentransfers zu vereinbaren. Das Abkommen setzt erstmals in der Geschichte globale Normen für den weltweiten Handel mit konventionellen Waffen. Es verbietet Waffenlieferungen, wenn diese zu Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen beitragen. Der Vertrag regelt den Handel vor allem mit Großwaffensystemen aber berücksichtigt in bestimmtem Maße auch Kleinwaffen wie etwa Mörser und Minen, Sturmgewehre und Maschinenpistolen, Revolver und Handgranaten. Von den Mitgliedstaaten werden ebenfalls nationale Bestimmungen für den Handel mit Munition und Ersatzteilen verlangt.

Das Abkommen wird weithin als Erfolg und einen ersten Schritt in die richtige Richtung begrüßt. Doch es krankt an zahlreichen Defiziten, Ausnahmeregeln und rechtlich unverbindlichen Kann-Bestimmungen. Als grundsätzliches Problem sehen die Kritiker den breiten Interpretationsspielraum, weil er den Nationalstaaten ermöglicht, selbst auszulegen, wann eine Kriegswaffe potenziell für die Verletzung von Menschenrechten missbraucht werden könnte. Das jedoch schafft Schlupflöcher und öffnet einem möglichen Missbrauch Tür und Tor.

Es bleibt also noch viel zu tun, um die Überschwemmung der Welt mit Waffen einzudämmen. In den nächsten Tagen werden die Konferenzteilnehmer versuchen, diesem Ziel ein Stück näher zu kommen.


Deutsches Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen (DAKS)

Das Deutsche Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen ist ein Zusammenschluss verschiedener Friedens-, Menschenrechts- und entwicklungspolitischer Gruppen und Organisationen. Ziel der Kampagnen und Aktionen ist es, auf die weltweite Problematik der Kleinwaffen aufmerksam zu machen und die politisch Verantwortlichen aufzufordern, effektive gesetzliche Grundlagen und Kontrollverfahren durchzusetzen, um deutsche Rüstungsexporte zu verhindern.

Ein erster Schwerpunkt ist dabei die Öffentlichkeitsarbeit zur Verschrottung von Altbeständen in der Bundesrepublik und die Aufklärung über die Gefahr von neuen Lizenzvergaben für die Gewehre G36 und HK416 oder die Maschinenpistole MP7 der Firma Heckler & Koch. Das Deutsche Aktionsnetz Kleinwaffen Stoppen gibt regelmäßig einen Newsletter heraus. Damit werden die Öffentlichkeit und Fachleute aus diesem Bereich monatlich per Mail über Aktionen, Publikationen und Hintergründe zur Kleinwaffenthematik informiert.

Quelle: DAKS, http://www.rib-ev.de/page_id197/



Privater Waffenbesitz im internationalen Vergleich

LandWaffenanzahl
(je Hundert Einwohner)
USA 88,8
Jemen 54,8
Schweiz 45,7
Finnland 45,3
Serbien 37,8
Zypern 36,4
Saudi-Arabien 35,0
Irak 34,2
Uruguay 31,8
Schweden 31,6
Norwegen 31,3
Frankreich 31,2
Kanada 30,8
Österreich 30,4
Island 30,3
Deutschland 30,3

Angaben geschätzt nach Small Arms Survey

* Dieser Beitrag erschien gekürzt in: neues deutschland, Montag, 16. Juni 2014


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