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Systemwandel gefordert

Bonn: Verhandlungen zum internationalen Klimaschutz stagnieren. Hoher UN-Vertreter warnt vor künftigen Katastrophen. Aktivisten demonstrieren

Von Wolfgang Pomrehn *

In Bonn neigt sich die jährliche Sommerrunde in den Klimaverhandlungen ihrem Ende zu. Noch bis Freitag (11. Juni) treffen sich in der ehemaligen Bundeshauptstadt Vertreter aus fast allen Ländern der Erde zu Detailgesprächen und zur Vorbereitung des jährlichen Klimagipfels, der wie üblich Ende des Jahres und diesmal im mexikanischen Cancún stattfinden wird. Die Erwartungen an Cancún sind allerdings gering, nachdem vor einem halben Jahr die letzte Klimakonferenz in Kopenhagen scheiterte.

Streitpunkt in Bonn ist unter anderem die Finanzierung von Anpassungs- und Vermeidungsmaßnahmen in den Entwicklungsländern. Die Industriestaaten hatten in Kopenhagen zwar Milliardenbeträge zugesagt, doch bisher mangelt es an Konkretisierung. Auch in Bonn gab es in dieser Sache bisher wenig Bewegung. Ein anderer Punkt auf der Tagesordnung ist ein System aus Berichten und Verantwortlichkeiten in der Überwachung der Treibhausgasemissionen. Hier werden zum Ende der Woche noch einige Fortschritte erwartet. Vielleicht wird es dann in einigen Jahren zumindest ein von allen anerkanntes Verfahren geben, mit dem festgestellt werden kann, welche Industriestaaten ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen sind.

Am Samstag (5. Juni) hatten in Bonn diverse Umweltschutzorganisationen und auch die Globalisierungskritiker von ATTAC für konsequenten Klimaschutz und einen »Systemwandel« demonstriert. 1600 Menschen kamen nach Angaben der Veranstalter zusammen. Junge Aktivisten aus diesem Spektrum entdecken derzeit eine Diskussion wieder, wie sie in den 1980er Jahren in Westdeutschland, bevor sich dort in Umweltschutzbewegung und Grüner Partei der Pragmatismus durchsetzte, schon einmal breit geführt wurde. Sie fordern nicht nur eine Abkehr von Kohle, Öl und Uran, sondern auch ein Ende des Wirtschaftswachstums. Dem liegt die Einsicht zugrunde, daß auf einem begrenzten Planeten der Stoffumsatz der Menschheit nicht endlos wachsen kann. Entsprechende Thesen spielten am Donnerstag und Freitag auf einem alternativen Klimaforum von ATTAC und dem Bund für Umwelt- und Naturschutz BUND eine Rolle.

Unterdessen hat am Wochenende der UN-Beauftragte für Humanitäre Angelegenheiten John Holmes gewarnt, daß durch den Klimawandel die Wahrscheinlichkeit des Eintretens großer Katastrophen zunehme. Es gebe einen aufwärts gerichteten Trend bei den schweren Unwettern, und dies sei mit dem Klimawandel verbunden. Das gelte zum Beispiel für Überschwemmungen, Dürren und Wirbelstürme. Sowohl die Zahl als auch die Intensität nehme zu. Vor zehn Jahren noch habe niemand unter den professionellen Katastrophenhelfern den Klimawandel auf dem Radar gehabt. Heute sei das ganz anders: »Der Klimawandel ist für uns keine zukünftige, unbestimmte Bedrohung; er passiert heute, vor unseren Augen.«

Dem UN-Sekretär machen besonders Regionen Sorgen, in denen mehrere Risikofaktoren zusammenkommen, zum Beispiel große Bevölkerungsdichte, Gefährdung durch einen steigenden Meeresspiegel und durch Erdbeben. »Eines der Dinge, die uns Kopfschmerzen bereiten, ist, daß Megastädte auch irgendwann Mega-Katastrophen nach sich ziehen könnten.« Kathmandu, die Hauptstadt Nepals, sei zum Beispiel auf gleich zwei »Störungen« errichtet. Das sind Bruchlinien in der Erdkruste, entlang derer es zu Erdbeben kommen kann. Anders als Unwetter stehen diese jedoch nicht im Zusammenhang mit der globalen Erwärmung. Dennoch gibt es für die internationalen Hilfsmaßnahmen einige Zusammenhänge. In Haiti zum Beispiel leben nach dem schweren Erdbeben im Januar, das 250000 Menschen tötete, nun 1,5 Millionen in Notunterkünften. Angesichts der beginnenden Hurrikan-Saison, die voraussichtlich überdurchschnittlich heftig sein wird, ist eine humanitäre Krise nicht unwahrscheinlich.

* Aus: junge Welt, 8. Juni 2010


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