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Kaiser ohne Kleider

In Bonn wird mal wieder über globalen Klimaschutz geredet. BRD spielt den Musterschüler, gehört aber eher zu den Klassenletzten

Von Wolfgang Pomrehn *

In Bonn tagt seit Anfang letzter Woche eine Vorbereitungskonferenz für den nächsten Weltklimagipfel. Noch bis Ende der Woche werden Diplomaten und Fachleute aus aller Welt über diverse Details der internationalen Klimaschutzabkommen verhandeln. Im Mittelpunkt steht nunmehr seit vier Jahren die Frage, wie es weitergehen soll, wenn zum Ende des Jahres das Kyoto-Protokoll ausläuft. Dabei handelt es sich sozusagen um die Ausführungsbestimmungen der Klimaschutzrahmenkonvention, die vor 20 Jahren auf dem großen Erdgipfel im brasilianischen Rio de Janeiro verabschiedet wurde.

Die Konvention ist zunächst nur eine allgemeine Verabredung, daß die Staaten die »Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf einem Niveau [erreichen wollen], das die gefährliche menschliche Beeinträchtigung des Klimasystems vermeidet«. Das haben inzwischen immerhin 194 Staaten – das heißt fast alle – unterschrieben und ratifiziert. Im Kyoto-Protokoll wurden hingegen 1997 konkrete erste Schritte festgelegt, wie die Emissionen der klimaverändernden Gase gesenkt werden sollen. Im wesentlichen geht es um Kohlendioxid, im geringeren Maße auch um Methan, Stickoxide und Lachgas.

Insbesondere hatten sich die meisten Industriestaaten dazu verpflichtet, ihren Ausstoß bis 2012 im Durchschnitt um fünf Prozent gegenüber 1990 zu senken. Das Protokoll hat allerdings drei große Haken: Erstens wurde es von den USA, den mit Abstand größten Klimasündern unter den Industriestaaten, nicht ratifiziert. Zweitens sind die festgelegten Kürzungen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie halten den Klimawandel nicht auf und sind ungeeignet, die Frage nach der Verantwortung für die Misere zu beantworten. Und drittens läuft das Kyoto-Protokoll zum Ende des Jahres aus, ohne daß ein Nachfolgevertrag in Sicht wäre.

Bereits in den ersten Tagen der Bonner Gespräche kam es zu einem ungewöhnlich scharfen Schlagabtausch zwischen den Industriestaaten und den sogenannten BASIC-Staaten Brasilien, Südafrika, Indien und China. Während die einen einen völlig neuen Vertrag anstreben, wollen letztere eine Erneuerung des Kyoto-Protokolls, damit die besondere Verpflichtung der reichen Länder festgeschrieben bleibt.

Der Hintergrund ist folgender: Bis Anfang 2010 hatte die Menschheit 1,28 Billionen Tonnen Kohlendioxid emittiert, wie sich aus den bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Statistiken für den Kohle-, Gas- und Mineralölverbrauch sowie die Zementproduk­tion ergibt. (Deutschlands Anteil: rund sechs Prozent.) Diese Emissionen sind die Ursache für die bisherige Erwärmung der globalen Mitteltemperatur um rund 0,8 Grad Celsius seit Beginn des 20. Jahrhunderts, und sie werden aller Voraussicht nach zu weiteren etwa 0,4 Grad Celsius Anstieg führen. Soll die globale Erwärmung auf maximal zwei Grad Celsius beschränkt werden, dann bleiben für den Zeitraum 2010 bis 2050 anhand einer Modellrechnung noch 780 Milliarden Tonnen Kohlendioxid. Mit einer 67-Prozent-Chance würde das 2-Grad-Ziel so erreicht. Soll die Chance auf 75 Prozent erhöht werden, müßten die Emissionen auf 600 Milliarden Tonnen begrenzt werden.

Die Frage ist nun, wie diese noch zulässigen Emissionen aufgeteilt werden. So wie bisher kann es eigentlich nicht weitergehen. In der Vergangenheit haben nämlich die Industriestaaten 72 Prozent der Emissionen verursacht, obwohl sie nur 25 Prozent der Weltbevölkerung haben. Viele Politiker, Umweltschützer und Intellektuelle aus den Ländern des Südens leiten aus diesem Ungleichgewicht die Forderung ab, daß die Industriestaaten dann zumindest für die verursachten Schäden aufkommen müssen. Übersetzt in die Sprache der Klimaverhandlungen hieße das, daß die reichen Länder, zu denen in diesem Fall auch Rußland und die Staaten Mittelosteuropas gehören, für jene rund 100 Milliarden US-Dollar jährlich aufkommen müßten, die für den Anpassungstopf benötigt werden. Aus dem sollen in den Entwicklungsländern Küstenschutz und andere Maßnahmen finanziert werden.

Eine andere Frage ist, wie der Topf von 600 oder 780 Milliarden Tonnen Emissionen aufgeteilt wird. Indien hat, von China unterstützt, seit 1995 immer wieder versucht, einen Ansatz in die Verhandlungen einzubringen, nach dem die Emissionsrechte der Staaten von der Größe der jeweiligen Bevölkerung abhängig gemacht werden müssen. Gleiches Recht für alle sozusagen. Die diversen Bundesregierungen und ihre Verbündeten in den anderen reichen Ländern haben sich gegen diesen Ansatz immer wieder gesperrt.

Der Grund ist einfach: Auch der selbsternannte Musterschüler Deutschland stünde dann nämlich als Kaiser ohne Kleider da. Bei 1,17 Prozent Anteil an der Weltbevölkerung wäre Deutschlands Scheibe vom 780-Milliarden-Kuchen 9,12 Milliarden Tonnen groß. Tatsächlich hat Deutschland aber 2010 und 2011 bereits knapp 1,9 Milliarden Tonnen seines Anteils an zulässigen Treibhausgasen in die Atmosphäre geblasen. Geht es in diesem Tempo weiter, werden wir in acht Jahren unseren Anteil bereits aufgebraucht haben.

* Aus: junge Welt, Montag, 21. Mai 2012


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