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Völker des Südens kritisieren "Ökozid"

Russell-Tribunal gegen Vietnam-Krieg als Vorbild für Tribunal zur Klimagerechtigkeit

Von Gerhard Klas *

Während in Cancún der Weltklimagipfel tagt, treffen sich auch wieder die Vertreter der sozialen Bewegungen, der Bauern- und Umweltorganisationen, der Indigenen Völker und viele andere, die kein Gehör finden auf dem offiziellen Gipfel. Einige von ihnen wollen ein Tribunal für Klimagerechtigkeit auf die Beine stellen.

Schon die Sprache ist eine völlig andere: Während auf dem offiziellen Gipfel über Emissionshandel, Marktmechanismen und Geotechnik geredet wird, ist bei den Kritikern der offiziellen Klimaverhandlungen die Rede vom Ökozid, von Klimagerechtigkeit, von »Gutem Leben« und den »Rechten der Mutter Erde«. Unter den Kritikern sind viele Hirten, Fischer, Kleinbauern und Sammler. Also diejenigen, die unmittelbar mit der Natur leben und deshalb vom Klimawandel direkt betroffen sind. In den klimatisierten Räumen des Kongresszentrums reden hingegen fast ausschließlich Büromenschen über mehr oder weniger abstrakte Daten. Doch es gibt eine Schnittmenge zwischen den beiden so unterschiedlichen Welten: Weder hier noch dort wird ein vorzeigbares Ergebnis des Gipfels erwartet.

»Diese Unfähigkeit auf dem offiziellen Gipfel ist schon kriminell, sie kostet Leben und Land«, so die Bolivianerin Elizabeth Peredo. »Sie hat gewaltige Auswirkungen auf die Menschheit und die Umwelt.« Man brauche einen Mechanismus, der nicht nur in der Lage sei, die Verantwortlichen zu bestrafen, sondern auch die Belastung der Atmosphäre zu stoppen. Die Bolivianerin ist auch offizielle Delegierte für ihre Regierung bei den UN-Klimaverhandlungen.

Mit ihrem Engagement für ein Tribunal steht sie nicht allein. Sie hat nicht nur die Rückendeckung ihrer Regierung, Mitstreiter sind auch US-Klimawissenschaftler wie James Hansen und die kanadische Schriftstellerin Naomi Klein. Das Tribunal, das sich am Russel-Tribunal von 1967 gegen die Kriegsverbrechen in Vietnam orientiert, soll nicht nur an die Weltöffentlichkeit appellieren. Die schottische Anwältin für internationales Umweltrecht, Polly Higgins, will ein sanktionsfähiges UN-Gericht etablieren und die für die Klimaerwärmung verantwortlichen Regierungen und Unternehmen auf die Anklagebank bringen. Auf dem Klimaforum in Cancún unterbreitete die Juristin ihr Konzept: Der Ökozid soll dem Genozid rechtlich gleichgestellt werden.

»Einige Experten haben vorgeschlagen, man solle doch die schon vorhandenen juristischen Mittel der UN und die auf nationaler Ebene nutzen, um gegen Klimasünder vorzugehen«, erläutert Peredo die Pläne. »Wir wollen außerdem untersuchen, inwiefern der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eine Rolle spielen könnte.« Bei dem Versuch, ein juristisches System der Klimagerechtigkeit zu entwickeln, fahre man zweigleisig: eigene Strukturen aufbauen und schon bestehende nutzen, um gegen Fälle der Klimakriminalität vorzugehen.

Bei den bisher durchgeführten regionalen Anhörungen im Vorfeld des für den Klimagipfel 2011 in Südafrika geplanten Tribunals stand etwa die Regierung von Kolumbien wegen ihrer Förderung der Agrarethanolproduktion am Pranger und das Aufforstungsprogramm REDD wurde als eine Art Ablassbrief für die Industrienationen kritisiert. Auf dem Klimaforum wurde u. a. die Rolle der Weltbank diskutiert. Die will trotz ihrer bis heute andauernden Finanzierung von Industrieprojekten auf fossiler Brennstoffbasis die Vergabe der Klimagelder kontrollieren – im Interesse der Industrienationen.

»Sie verletzen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte«, urteilt Peredo. Das sei der große Widerspruch unserer Zeit: Die Prinzipien der Menschenrechtserklärung hätten de facto wenig Bedeutung, während sich die Prinzipien der Welthandelsorganisation und der Weltbank durchsetzten, »nur weil sie über die nötigen finanziellen Druckmittel verfügen«. »Diese Ungerechtigkeit«, so Peredo, »müssen wir unbedingt stoppen.«

Mit der Erfolglosigkeit der UN-Klimaverhandlungen wird der Druck wachsen, einen juristisch gangbaren Weg zu finden. Bleibt die Frage, wie lange die Gründung eines Gremiums dauern mag, das sich wenigstens bei einigen der angeklagten Staaten Respekt verschaffen kann. Ein internationales Tribunal gegen Kriegsverbrechen wurde bereits 1919 in Paris diskutiert. Doch bis zur Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag dauerte es 79 Jahre. Für die Bewahrung des Weltklimas hat die Menschheit nicht so viel Zeit.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Dezember 2010


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