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Verhaltene Erwartungen

Beim UN-Klimagipfel in Cancún ist der Protest bisher überschaubar

Von Andreas Knobloch, Cancún *

Zu den Klimaverhandlungen im mexikanischen Cancún sind auch diesmal wieder Aktivisten angereist, die dort Druck auf die Verhandlungen der Mächtigen machen wollen. Doch die Erwartungen an den Gipfel sind verhalten, Cancún ist alles andere als ein zweites Kopenhagen.

Am Freitagmorgen (3. Dez.) gab es die erste, wenn auch kleine Demonstration in Cancún gegen den UN-Weltklimagipfel. Rund 50 Aktivisten der Nichtregierungsorganisation (NRO) »Jubileo Sur Américas« protestierten mit Schildern und Sprechchören gegen die Finanzierung von Klimapolitik durch multinationale Unternehmen und die Weltbank. Diese würden letztlich ihre Bedingungen implementieren – mit verheerenden Folgen für zum Beispiel indigene Rechte und die Umwelt. »Wir sind gegen die Kommerzialisierung des Lebens und der Natur durch die Finanzierung falscher Lösungen wie REDD, CDM, Emissionshandel und andere Programme«, erklärte Pablo Herrero, Koordinator von Jubileo Sur. REDD ist ein UN-Programm zur Reduktion von Emissionen aus Entwaldung und Schädigung von Wäldern; CDM ist ein im Kyoto-Protokoll vorgesehener flexibler Mechanismus zum Erreichen der Reduktionsziele. Beide sind heiß diskutierter Gegenstand der Klimaverhandlungen in Cancún.

Bisher ist es zu ruhig

In den nächsten Tagen wird mit weiteren Demonstrationen gerechnet, wenn die von »Via Campesina« und anderen Gruppen organisierten Karawanen am Wochenende in den verschiedenen Camps eintreffen. Bisher allerdings ist es sehr ruhig – zu ruhig. Auf dem für bis zu 2500 Teilnehmer ausgerichteten Gelände des Klimaforums 10 in Puerto Morelos tummeln sich gerade einmal 100 bis 200 Leute. Das ist enttäuschend. Nach dem Desaster von Kopenhagen und angesichts der geringen Erwartungen an die Verhandlungen in Cancún haben sich gerade viele Europäer die Reise wohl »gespart«. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn immerhin ist so ein Atlantikflug ja auch eine ökonomische Frage. Aber auch die Beteiligung von Gruppen aus den USA, Kanada oder Mexiko hält sich bisher in Grenzen. Die Veranstalter hoffen, dass, wenn der Gipfel in den nächsten Tagen Fahrt aufnimmt, noch ein paar Leute eintreffen.

Zehn, zwanzig Leute nehmen jeweils nur an den einzelnen – dabei sehr interessanten – Seminaren, Workshops oder Diskussionen teil. Bei einem Runden Tisch zum Thema »Wissenschaft und Verantwortung« stellen Wissenschaftler des Netzwerks INES (International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility) etwa die Neutralität der Wissenschaft zur Debatte – und damit auch die Antworten, die diese auf die drängenden ökologischen Probleme zu produzieren versucht. Wissenschaftler seien an ökonomischem Wachstum und an der Herstellung von Herrschaftswissen interessiert, heißt es.

Ein »grüner Kapitalismus«, wie er von den Industriestaaten propagiert und auch in Cancún wieder debattiert wird, wird hier keinesfalls als Perspektive zur Lösung der drängenden ökologischen Probleme angesehen. Im Gegenteil wird das kapitalistische Gesellschaftsmodell selbst in Frage gestellt. Die Debatten hier haben einen weitaus radikaleren Anstrich als die »offiziellen« in den Tagungssälen.

Ein anderer Workshop untersucht die geschlechterrelevanten (gender) Aspekte des Klimawandels. Frauen aus Pakistan, Bangladesh und Fidschi zeigen dabei am Beispiel von Klimakatastrophen, der Flut in Pakistan oder den Wirbelstürmen in Bangladesh etwa, wie insbesondere die Ärmsten und unter ihnen besonders Frauen betroffen sind. Forderungen nach Gendergerechtigkeit müssen aus Sicht der Workshopveranstalterinnen daher auch Klimagerechtigkeit beinhalten.

Geteilte Bewegung

In Cancún wird deutlich, dass die Umweltbewegung geteilt ist. Auf der einen Seite stehen die etablierten NROs wie Greenpeace oder Oxfam, die als Teil des offiziellen Gipfels, ähnlich wie Wirtschaftslobbyisten, um Einfluss bei den Regierungen buhlen. Auf der anderen Seite sind die alternativen Camps wie das Klimaforum 10 – die Fortsetzung des alternativen Klimaforums von Kopenhagen –, die sich als Teil des Antiestablishments verstehen.

Jedoch auch in den Tagungshotels existieren zwei Welten. Während es weiterhin bei den Schlüsselfragen kaum Fortschritte gibt und die Diskussion um eine Verlängerung des Kyoto-Protokolls über 2012 hinaus nach der Weigerung Japans in einem Eklat zu enden droht, offenbaren die Verhandlungen eine Klassengesellschaft. »Reiche« Nationen haben zum Teil riesige Delegationen entsandt, viele kleine Staaten können dagegen mit ihren wenigen Mitarbeitern die Fülle der Veranstaltungen gar nicht bewältigen. Dazu verhindern Sprachbarrieren, den komplexen rechtlichen und wissenschaftlichen Argumentationen zu folgen. Auch dies ist eine Form des Ausschlusses von Entscheidungsprozessen und verdeutlicht einmal mehr die Verbindung von Wissen und Macht. So bemächtigen sich die »großen« Staaten nicht zuletzt über Sprache des Diskurses.

* Aus: Neues Deutschland, 6. Dezember 2010


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