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Der Ausstoß von Treibhausgasen steigt und steigt und ...

Kyoto II oder Klimaschutzabkommen für alle Länder - die Positionen der wichtigsten Gipfelteilnehmer liegen weit auseinander

Von Nick Reimer, Doha *

Auf dem Klimagipfel in Doha geht es unter anderem um die Zukunft des Kyoto-Protokolls. Das einzige Abkommen mit verbindlichen Vorgaben für die Reduktion der Treibhausgasemissionen läuft Ende des Jahres aus.

»Burden Sharing« nennt sich ein Prinzip, welches die EU-Mitglieder beim Klimaschutz glänzend aussehen lässt. Dank dieses »Lastenausgleichs« wird Europa seine im Kyoto-Protokoll vereinbarten Verpflichtungen einhalten. Nach den Daten der EU-Umweltagentur EEA waren die Treibhausgasemissionen im Jahr 2010 um 15 Prozent niedriger als im Referenzjahr 1990. In der japanischen Kaiserstadt Kyoto hatte sich Europa 1997 auf der dritten UN-Klimakonferenz per Unterschrift verpflichtet, die Treibhausgasproduktion bis Ende 2012 um acht Prozent zu senken. Politisch ähnelt das Zusatzprotokoll zur UN-Klimarahmenkonvention dem deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG): Weil dessen Väter und Mütter nicht wussten, wie schnell der technische Fortschritt die Solar- und Windenergiekraftwerke verbilligen würde, sollten die Tarife im Gesetz alle vier Jahre neu festgelegt werden. Genau so ist es beim Kyoto-Protokoll: Weil dessen Macher 1997 nicht wussten, ob die verabredeten Reduktionspflichten ausreichen, um das Weltklima zu stabilisieren, sollten nach der ersten Verpflichtungsperiode von 2008 bis 2012 weitere Reduktionstarife ins Tableau der nächsten Periode eingetragen werden - falls notwendig. Heute wissen wir, dass dies dringend notwendig ist: Mittlerweile liegt der Ausstoß von Treibhausgasen weltweit gut 40 Prozent über dem Niveau von 1990 - trotz des Erfolgs der EU. Anders als beim EEG sind beim Kyoto-Protokoll aber weniger die neuen Tarife umstritten als der Vertrag selbst. Die großen Industriestaaten jenseits der EU - Kanada, Japan und die USA - werden ihre Reduktionsvorgaben verfehlen und wollen wie der große Player Russland gleich ganz aus dem Kyoto-System aussteigen. Ein komplett neues Abkommen soll her.

Daher kritisiert Ottmar Edenhofer, Chef-Ökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, die Verhandlungsstrategie der EU: »Europa setzt auf den Kyoto-Pfad aus einer gewissen Perspektivlosigkeit«, sagt das derzeit ranghöchste deutsche Mitglied im Weltklimarat IPCC gegenüber »nd«. Neben der EU wollen sich unter den Industriestaaten nur noch Australien, die Schweiz, Island und Norwegen ein zweites Mal verpflichten. Diese Staaten vereinen gerade einmal 17 Prozent der globalen Emissionen. Würden diese in einer zweiten Verpflichtungsperiode von 2013 bis 2018 - dieser Zeithorizont steht in Doha im Raum - um weitere zehn Prozent gesenkt, entspräche dies etwa dem Betrag, um den Chinas Emissionen in zwei, drei Jahren wachsen. Dem Klima wird so also nicht geholfen. »Wenn man nach vielen Jahren merkt, dass man auf dem einen Weg nicht vorankommt«, meint Edenhofer, »muss man prüfen, welche zusätzlichen Wege gangbar sind.«

Yvo de Boer, lange Jahre Chef des UN-Klimasekretariats, verteidigt dagegen die Verhandlungsposition der EU. »Das Kyoto-Protokoll ist das beste Instrument, das wir haben. Warum sollten wir es aufgeben, solange nichts Besseres auf dem Tisch liegt?« Tatsächlich enthält das Protokoll wichtige Elemente für den Klimaschutz. Es definiert einerseits, wie der Treibhausgasausstoß in den einzelnen Ländern gemessen wird, und macht die Daten so vergleichbar. Andererseits enthält es sich zum Teil selbst finanzierende Instrumente. So sorgt eine zweiprozentige Abgabe auf den »Grünen Entwicklungsmechanismus« (CDM) dafür, dass sich der Fonds füllt, der arme Länder in die Lage versetzen soll, sich an die Folgen der Erderwärmung anzupassen.

Schwellen- und Entwicklungsländer haben ebenfalls ein Interesse am Fortleben des Kyoto-Protokolls: Nach diesem haben sie selbst nämlich keine Reduktionspflichten. Die Industriestaaten hatten damit ihre »historische Schuld« eingestanden: 80 Prozent des menschgemachten CO2 in der Atmosphäre stammen von ihnen.

Allerdings wusste 1997 noch niemand, dass China schon bald zum größten und Indien zum fünftgrößten Emittenten der Welt aufsteigen und sich auch Länder wie Brasilien oder Indonesien anschicken würden, Japan oder Deutschland von den vorderen Plätzen zu vertreiben. Zwar sind die CO2-Pro-Kopf-Raten hier immer noch winzig im Vergleich etwa zum EU-Durchschnitt. Aber ohne China, Indien und Co. mache Klimaschutz keinen Sinn, argumentieren die Unterhändler der USA, Japans und Russlands. Und fordern auch Verpflichtungen dieser Länder zur Emissionsminderung.

Deshalb werden vor allem die Schwellenländer in Doha alles daran setzen, ihren privilegierten Status zu erhalten. Gute Chancen für eine Rettung des Kyoto-Protokolls. Die Lösung des Klimaproblems aber bleibt in weiter Ferne.

* Aus: neues deutschland, Montag, 26. November 2012


Zwei-Grad-Ziel kaum noch zu schaffen

Der Kieler Klimaforscher Mojib Latif warnt vor einer für die Menschheit einmaligen Klimaveränderung **

Der weltweite CO2-Ausstoß nimmt weiter zu. Dabei müsste er nach Ansicht von Mojib Latif, Professor am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR), im Jahr 2020 zu sinken beginnen, damit die Klimakatastrophe noch verhindert werden kann. Mit dem 58-Jährigen, der auch für den Weltklimarat IPCC schreibt, sprach Steffen Schmidt.


nd: Die Wissenschaft ist in Doha nicht mit am Verhandlungstisch vertreten. Ist da schon alles gesagt, fehlt nur noch eine politische Lösung?

Latif: Wissenschaftlich sind die Dinge ziemlich eindeutig. Wenn wir nicht bald handeln, werden wir eine für die Menschheit einmalige Klimaänderung bekommen, in Ausmaß und Geschwindigkeit. Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.

Ihre Kollegen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) warnen in einem Bericht für die Weltbank davor, dass beim derzeitigen Wachstum der Treibhausgasemissionen die globale Temperatur bis zum Jahr 2100 um vier Grad Celsius steigen werde. Bleibt uns also nur noch, uns so gut es geht in einer völlig neuen Klima-Welt einzurichten?

Das Zwei-Grad-Ziel ist kaum noch zu schaffen. Das Klima ist träge und reagiert langsam. Insofern sollten wir die Anpassung nicht aus den Augen verlieren. Denn selbst eine Erwärmung um »nur« zwei Grad Celsius bis 2100 gegenüber der vorindustriellen Zeit wäre einmalig für uns Menschen, d.h. einmalig für die letzten mindestens eine Million Jahre.

Ein kürzlich im Fachblatt »Science« veröffentlichter Vergleich von Klimamodellen zeigte, dass jene, die die größten Erwärmungseffekte der Treibhausgase zeigen, am genauesten die bisherigen Veränderungen der Luftfeuchtigkeit in den Tropen und Subtropen widerspiegeln. Sind die bisherigen Prognosen womöglich noch zu zurückhaltend?

Der Klimaforscher Roger Revelle hat in einem Interview mit der »New York Times« im Jahr 1957 gesagt, dass »die Menschen ein großangelegtes geophysikalisches Experiment durchführen«. Das möchte ich unterstreichen. Die Treibhausgase haben schon heute einen Wert erreicht, den es seit vielen hunderttausend Jahren nicht gegeben hat. Letztlich wissen wir nicht genau, wie das Experiment ausgehen wird. Es gibt keine absolute Wahrheit in der Wissenschaft. Die überwiegende Anzahl der wissenschaftlichen Studien zeigt jedoch, dass wir dabei sind, das Klima zu unserem Nachteil zu verändern.

Wenn das in Kopenhagen proklamierte Zwei-Grad-Ziel doch noch erreicht werden soll, müsste in naher Zukunft mehr CO2 gebunden als freigesetzt werden. Welche Möglichkeiten sehen Sie dafür?

Der weltweite CO2-Ausstoß müsste 2020, spätestens 2030, zu sinken beginnen. Wir haben drei Sektoren, die kurzfristige Per-spektiven beim Klimaschutz bieten: Erstens, den Stopp der Waldzerstörung, insbesondere der Brandrodungen der tropischen Regenwälder. Zweitens, die Energieeffizienz. Wir verschwenden einfach zu viel Energie. Und drittens, die anderen Treibhausgase. Eine bessere Luftqualität schützt nicht nur die Gesundheit, sondern auch das Klima.

Eine andere Studie verweist darauf, dass ein Anstieg der CO2-Konzentrationen in den oberen Atmosphärenschichten dort zur Abkühlung führt. Eine unerwartete Bremse für den Treibhauseffekt?

Nein! Denn CO2 wärmt die unteren Luftschichten und kühlt die oberen. Und genau das messen wir während der letzten Jahrzehnte. Das ist der Fingerabdruck des CO2. Veränderungen der Sonneneinstrahlung würden diesen Unterschied nicht hervorrufen.

** Aus: neues deutschland, Montag, 26. November 2012


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