Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kopenhagener Klimagipfel: Enttäuschung auf der ganzen Linie

Fauler Kompromiss statt Klimaabkommen / Willenserklärung statt konkreter Verpflichtungen zum Emissionsabbau / Finanzhilfen nicht ausreichend

Die "Kopenhagener Übereinkunft" (Copenhagen Accord), die das Plenum der UN-Klimakonferenz am 19. Dezember nach mühsamen Verhandlungen durch Kenntnisnahme anerkannte, soll ein neues Klimaschutzabkommen vorbereiten. Die zwischen rund 25 Staaten auf Ebene der Staats- und Regierungschefs ausgehandelte Einigung ist eine politisch bindende Erklärung, die den bestehenden UN-Texten vorangestellt werden soll. Heftige Kritik gibt es an diesem Minimalkonsens aber, weil konkrete Vorgaben zur Verringerung des Treibhausgasausstoßes fehlen und der Text lediglich im kleinen Kreis vereinbart wurde.

Das Wichtigste der "Kopenhagener Übereinkunft" im Überblick

Grundsätze
Das Ziel wird anerkannt, die weltweite Erwärmung gemäß den Empfehlungen der Wissenschaftler auf maximal zwei Grad Celsius zu begrenzen. Deutschland hatte dies bereits im Vorfeld als Bedingung für ein Abkommen genannt.

Emissionen der Industrieländer
Die Konferenz bekennt sich zu dem Ziel, die weltweiten Emissionen erheblich zu verringern, macht dafür aber keine konkret bezifferten Vorgaben. Allerdings sollen die Industrieländer bis Ende Januar 2010 eigene, freiwillige Minderungsziele angeben und sich damit international dazu verpflichten.

Beiträge der Entwicklungs- und Schwellenländer
Mit Blick auf die Entwicklungs- und Schwellenländer heißt es in dem Text, diese sollten ebenfalls Anstrengungen zur Reduzierung ihrer Emissionen unternehmen. Allerdings soll dies im Rahmen nationaler Entscheidungen geschehen. Solche Maßnahmen sollen auch national überwacht, die Ergebnisse aber einer internationalen Auswertung unterzogen werden. Zudem wird die Bedeutung des Waldschutzes beim Klimaschutz anerkannt, den die Industrieländer finanziell unterstützen sollen.

Finanzhilfen
Entwicklungsländer sollen angemessene finanzielle und technologische Hilfen für den Klimaschutz und die Bewältigung von Klimafolgen wie Überschwemmungen und Dürren erhalten. Dafür sollen die Industriestaaten zusätzliche Mittel von insgesamt 30 Milliarden Dollar (21 Milliarden Euro) für die Jahre 2010 bis 2012 bereitstellen. Langfristig wird das Ziel unterstützt, ab 2020 einen Betrag von 100 Milliarden Dollar pro Jahr bereitzustellen. Für die Verteilung der Gelder soll eine neue Institution im Rahmen eines Kopenhagen-Klimafonds zuständig sein.

Verfahren
Der Inhalt der Übereinkunft soll in den nächsten Monaten in die bestehenden UN-Texte zur Klimarahmenkonvention und zur Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls eingearbeitet werden. Eine bindende Frist dafür wird aber nicht genannt. Die Umsetzung der Übereinkunft soll im Jahr 2015 überprüft werden.

Ausblick
Die nächste UN-Klimakonferenz soll im Dezember kommenden Jahres in Mexiko stattfinden. Zudem soll es im Juni 2010 eine zusätzliche Konferenz der Umweltminister am Sitz des UN-Klimasekretariats in Bonn geben.


Stimmen zu Kopenhagen

Auf dem Weg zur Klimagerechtigkeit

Umweltbewegung muss sich weiter organisieren und vernetzen, um künftig mehr zu erreichen

Von Alexis Passadakis, Kopenhagen *


Hunderttausend bei der Großdemo im eiskalten Kopenhagen und eine Aktionswoche inklusive zivilem Ungehorsam. Der UN-Klimagipfel stieß aus der Perspektive des Protestes in neue Dimensionen vor. Zwar entstanden auf Seiten der sozialen Bewegungen neue Koalitionen, von der Geburt einer neuen Bewegung zu sprechen wäre allerdings noch verfrüht.

Die Mobilisierung von Kopenhagen ist das Ergebnis einer veränderten Wahrnehmung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse: Die Klimakrise spitzt sich weiter zu und der Höhepunkt der Ölförderung (Peak Oil) ist bald erreicht. Deshalb verschiebt sich das politische Terrain. Mit dem UN-Klimagipfel in Kopenhagen ist daher die internationale Klimapolitik endgültig vom »weichen« zu einem »harten« Politikfeld avanciert. Die Anreise von 120 Staatschefs und 30 000 akkreditierten Vertretern von Nichtregierungsorganisationen und Lobbyisten, darunter allein 440 von der Internationalen Assoziation von Emissionshandelsunternehmen (IETA), machte klar, dass es nun nicht mehr »nur« um Umweltpolitik geht, sondern um Kernfragen von Ökonomie und Geopolitik.

Die ökologische Frage wird deshalb (wieder) als soziale verstanden. Zu den etablierten Umweltorganisationen stießen das erste Mal bei einer Klimakonferenz auch soziale Bewegungen wie Via Campesina, der weltweit größte Kleinbauernverband, globalisierungskritische Organisationen sowie linke und antikapitalistische Gruppen hinzu. Trotz der insgesamt großen Zahl von Aktiven und unzählbaren Aktionen war Kopenhagen aber keine fulminante Premiere einer neuen Bewegung für Klimagerechtigkeit. Anders als die Proteste 1999 in Seattle gegen die Welthandelsorganisation (WTO) für die globalisierungskritische Bewegung. Was diesen geopolitischen Moment in Seattle ausmachte, war die demonstrative Einigung unterschiedlichster sozialer Bewegungen auf einen minimalen und pluralistischen aber wirkungsvollen anti-neoliberalen Grundkonsens. Verbunden war all dies mit der Identifizierung von Gegnern, wie der WTO, dem Internationalen Währungsfonds und der transnationalen Konzerne.

Diese Voraussetzungen fehlten jedoch in Kopenhagen. Für viele der Demonstrierenden gab es überhaupt keinen Gegner, sondern die Hoffnung, dass die Staatschefs ein ambitioniertes Klimaschutzabkommen aushandeln mögen. Viel Bekenntnis, wenig Politik. Ein anderer Teil identifizierte die weiterhin auf Wirtschaftswachstum orientierten Regierungen und eine auf Marktmechanismen basierende Politik, wie den Emissionshandel, und damit den UN-Prozess als Teil des Problems. Die geplanten, aber nur teilweise erfolgreichen Aktionen zivilen Ungehorsams waren darauf gerichtet, genau diesen Antagonismus sichtbar zu machen und das Feld Klimaschutz als Frage von Klassen-, Geschlechter und anderen Machtverhältnissen zu politisieren.

Ohne Zweifel haben das Konzept von Klimagerechtigkeit und die damit verbundenen Proteste Akzente setzen können. Für mehr fehlt einer neuen Bewegung jedoch noch die strategische Tiefe. Dazu würden eine größere Dichte von aktivistischen Gruppen, mehr Strukturen, die als Bewegungs-Think-Tanks dienen und engere Netzwerke mit kritischen Gewerkschaftlern gehören. Ein Pendant zum Weltsozialforum als Ausweis unabhängiger Kontinuität der altermondialistischen Bewegung ist ebenfalls nicht in Sicht.

Allerdings könnte das offensichtliche Scheitern des Gipfels die Entwicklung einer solchen neuen Bewegung für Klimagerechtigkeit befördern und die Saat aufgehen lassen. Dazu müssen jedoch noch mehr Menschen tatsächlich in Bewegung kommen und Kampagnen auf den nationalen Ebenen die Frage einer sozial gerechten und damit effektiven Klimapolitik aufwerfen.

* Unser Autor ist attac-Mitglied und engagiert sich beim globalen Netzwerk Climate Justice Action.

Aus: Neues Deutschland, 21. Dezember 2009



Ein grandioser Flop

Politische Erklärung statt rechtsgültiges Abkommen: UN-Klimagipfel in Kopenhagen geht ohne greifbares Ergebnis zu Ende

Von Wolfgang Pomrehn **


Nichts. Keine verbindliche Zahlen für die Reduktion der Treibhausgasemissionen, keine klare Regelung, wie den Entwicklungsländern bei der Anpassung an den Klimawandel geholfen wird, kein irgendwie rechtsgültiges Abkommen. Lediglich eine politische Erklärung ist nach den zähen, zweiwöchigen Verhandlungen beim UN-Klimagipfel herausgekommen. Dieser endete am Samstag nachmittag in Kopenhagen nach zwei schlaflosen Nächten mit fast einem Tag Verspätung.

Nicht einmal verabschiedet konnte die Erklärung werden. Die Versammlung nahm sie lediglich zur Kenntnis. In der Nacht von Freitag zu Samstag war sie in kleiner Runde von 28 Staaten ausgehandelt worden. Gegen das Verfahren und den wachsweichen Inhalt gab es unter den anwesenden Vertretern von 192 Ländern soviel Widerstand, daß der dänische Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen das Handtuch warf und den Konferenzvorsitz abgeben mußte. Schließlich einigte man sich doch noch auf die Formel der Kenntnisnahme.

Auch die Anwesenheit von fast 120 Staats- und Regierungschefs hatte nicht den Durchbruch gebracht. Mit viel Spannung war am Freitag die Rede von US-Präsident Barack Obama erwartet worden, allerdings wurden alle Hoffnungen enttäuscht. Obama war mit leeren Händen nach Kopenhagen gekommen und wiederholte nur, was seine Vertreter schon vorher gesagt haben: Die USA wollen nicht das Kyoto-Protokoll ratifizieren, sie wollen ein gänzlich neues Abkommen, sie wollen das Prinzip, das zuerst die Industriestaaten ihre Emissionen absenken müssen, nicht akzeptieren, und sie wollen im nächsten Jahrzehnt ihren Treibhausgasausstoß nur um einen lächerlich geringen Betrag reduzieren.

Auch die Vertreter Deutschlands und der EU waren in den Verhandlungen nicht gerade vorantreibend. Zum einen haben auch sie versucht, den Schwellenländern den schwarzen Peter zuzuschieben. Zum anderen haben sie mit eigenen Angeboten gegeizt. Hätte die EU mehr Finanzhilfen und vor allem eine stärkere Reduktion der Treibhausgase - zum Beispiel 30 oder gar 35 Prozent statt der bereits beschlossenen 20 Prozent bis 2020 - zugesagt, dann wäre der Druck auf die USA größer gewesen.

Polizeistaat

Die Konferenz war also ein grandioser Fehlschlag, während sich auf den Straßen Kopenhagens ein großer Erfolg entwickelte, wie es Tadzio Müller, einer der Sprecher des Climate-Justice-Action-Netzwerks (CJA) formulierte. 100000 Menschen waren aus aller Welt zur bisher größten Demonstration für effektiven und gerechten Klimaschutz zusammengekommen. Nicht einmal vollkommen überzogene Polizeieinsätze, bei denen selbst einige Teilnehmer der offiziellen Konferenz Knüppel zu spüren bekamen, konnten die Umweltschützer davon abhalten, ihren Protest auf die Straße zu tragen.

Rund 1800 Personen waren während der zwei Wochen - oft unter entwürdigenden Bedingungen - vorbeugend festgenommen worden. In Käfigen wurden sie gehalten, zwischen denen Hunde patrouillierten und in die die Beamten mitunter Pfeffergas sprühten. 21 Menschen waren am Wochenende noch in Haft. Auch Müller war unter dem Vorwurf verhaftet worden, gewaltsame Proteste organisieren zu wollen. Man hatte unter anderem seine Handy-Gespräche abgehört. Tatsächlich war er einer der Pressesprecher des Bündnisses, der Vorgang also auch ein Angriff auf die Pressefreiheit. Außerdem hatte das Climate-Justice-Action-Netzwerk in der Öffentlichkeit und in Vorfeldgesprächen mit der dänischen Polizei immer wieder klargestellt, daß es ihm um gewaltfreien zivilen Ungehorsam ging.

Wie weiter?

Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel. Die Klimakonferenz hat technisch aus zwei Tagungen bestanden. Dem Treffen der 192 Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention, zu denen auch die USA gehören, und die Versammlung der 189 Mitglieder des Kyoto-Protokolls, zu denen die USA nicht zählen. Letztere Versammlung hat schon vor vier Jahren eine Arbeitsgruppe eingerichtet, in der zwischen den Konferenzen über weitere Verpflichtungen der Industriestaaten zur Reduktion ihrer Emissionen verhandelt wird. Diese Arbeitsgruppe hatte wesentliche Vorarbeit für die Kopenhagener Konferenz geleistet, krankt jedoch daran, daß die USA nicht mit an Bord sind, weil sie sich als einer der ganz wenigen Staaten weigern, das Kyoto-Protokoll zu ratifizieren. Das Mandat dieser Arbeitsgruppe wurde jedenfalls von der Konferenz für ein Jahr verlängert. Auf der nächsten UN-Klimakonferenz in einem Jahr in Mexiko soll sie ihre Ergebnisse vorlegen.

Allerdings waren in Kopenhagen und schon im Vorfeld des Gipfels verschiedene Gruppen der Entwicklungs- und Schwellenländer so aktiv wie nie zuvor. Es ist nicht auszuschließen, daß aus ihrem Kreis in den nächsten Monaten soviel diplomatischer Druck erzeugt wird, daß schon vor Mexiko Bewegung in die Verhandlungen kommt.

** Aus: junge Welt, 21. Dezember 2009


"...und am Ende hat sich keiner bewegt"

Umweltschützerin Ilka Petersen über den enttäuschenden Abschlusskompromiss von Kopenhagen ***

Ilka Petersen ist Sprecherin für Klimaschutz/Energiepolitik beim WWF.

ND: Als Sie vor zwei Wochen nach Kopenhagen gereist sind: Haben Sie da an einen Erfolg der Konferenz geglaubt?

Ich bin mit der festen Überzeugung nach Kopenhagen gefahren, dass wir die Welt zumindest ein bisschen retten.

Seit der Klimakonferenz in Bali 2007 verhandeln die 193 Staaten - herausgekommen ist ein unverbindlicher Minimalkonsens. Wie kam es dazu?

Die Ergebnisse der Klimakonferenz sind mehr als enttäuschend. Es wurde bis zur letzten Minute gepokert. Aber die Hauptakteure waren nicht bereit, Kompromisse einzugehen. Es hat einfach keiner gesagt: »Ich geh mal voran, ich mach den ersten Schritt«. Das ist schlicht nicht passiert.

Aber immerhin wollen die 25 Staaten, die den Minimalkonsens ausgearbeitet haben, diesen auch unterschreiben.

Aber selbst wenn: Es bleibt eine politische Willenserklärung. Und das ist auch nicht die Idee der UN-Klimakonferenz. Die Gelegenheit war in Kopenhagen so gut wie nie: Immerhin hatten wir über 100 Staatschefs vor Ort, die über ein Abkommen verhandelt haben. Das Ergebnis spiegelt in keinster Weise die Erwartungen an diese Konferenz wieder.

Was wäre denn erreichbar gewesen?

Es hätte auf jeden Fall ein rechtsverbindliches Abkommen geben müssen. Nun haben wir eine politische Absichtserklärung, die niemanden zu irgendetwas verpflichtet. Wir haben gehofft, dass die Industrieländer bereit sind, sich Reduktionsziele vorzugeben, und auch dass die Schwellenländer sagen, was sie machen können. Das Ganze hätte dann in ein rechtsverbindliches Abkommen gegossen werden müssen. Nicht einmal die Europäer haben sich bereit erklärt, auf 30 statt 20 Prozent Emissionsminderungen bis 2020 zu erhöhen. Das wäre für die EU ohne Weiteres möglich gewesen - sogar 40 Prozent. Das hätte dann ein Signal für andere Staaten sein können.

Die Europäer haben vor allem China Vorwürfe gemacht. Was waren die größten Hindernisse?

Ja, das haben sie die ganze Zeit getan. Aber China hat sich zeitweise sogar etwas bewegt: Es hat sich bereit erklärt, mehr Transparenz und internationale Kontrollen zuzulassen. Im Gegensatz dazu haben sich die USA nicht groß bewegt. Die Amerikaner haben zwar angekündigt, sich an einem Finanzierungsfonds zu beteiligen - leider aber nicht gesagt, wie viel sie einzahlen würden. Das war bei den meisten Ländern so: Alle haben gewartet, dass die anderen einen Schritt nach vorn machen, am Ende hat sich keiner bewegt.

War es ein Fehler, dass die EU den Minimalkonsens am Ende mitgetragen hat?

Vielleicht wäre es konsequenter gewesen, das Papier abzulehnen, aber viel geändert hätte das auch nicht mehr. Ohne die politische Absichtserklärung hätte man gar nichts gehabt - mit dem Papier hat man aber auch fast nichts. Es muss jetzt einfach weiter gemacht werden - so bitter das auch klingen mag.

Was hätte Deutschland noch tun müssen, um die Klimakonferenz zu retten?

Wir hätten uns gewünscht, dass Deutschland mehr Druck gemacht hätte, damit die EU weiter nach vorne geht. Große Hoffnungen lagen auch auf Merkel, dass sie das Ruder noch rumreißen könnte. Umsonst, wie man jetzt weiß.

Wie geht es jetzt weiter?

Bis jetzt ist noch nicht klar, wann und wo das nächste Treffen sein wird. Entweder trifft man sich erst mal in Bonn oder fährt gleich nach Mexiko. Die Beteiligten müssen sich jetzt erst mal sortieren und überlegen, wie sie nach dieser Niederlage weiter machen.

Fragen: Susanne Götze

*** Aus: Neues Deutschland, 21. Dezember 2009

Pressestimmen

Der österreichische STANDARD titelt "Die Welt blamiert sich" und führt aus:
"Fast scheint es, als würde Ban Ki Moon unter akutem Realitätsverlust leiden. Ein Deal sei besiegelt, freute sich der UNO-Generalsekretär nach dem Abschluss des Klimagipfels in Kopenhagen. Einen 'wichtigen Ausgangspunkt' nannte er das Dokument. Doch beschlossen ist gar nichts. Die schwierigen Entscheidungen sind aufgeschoben. Der einzige Punkt, der in das Gipfelergebnis Eingang gefunden hat, sind maximal zwei Grad Erderwärmung. Die Führer dieser Welt haben in Kopenhagen schlicht ihre Verantwortung ignoriert und dafür ihre Wirtschaftsinteressen vertreten - allen voran China und die USA", urteilt DER STANDARD aus Wien.

"Dieses Gipfeltreffen ist eine Farce gewesen", lautet auch das Fazit der russischen Zeitung NOWYE ISWESTIJA.
"Viel Lärm um nichts und ein klimatisches Fiasko. Nicht umsonst wird diese Veranstaltung von den Medien weltweit regelrecht zerrissen, denn zwei Wochen Verhandlungen unter Teilnahme der Delegierten aus 193 Ländern führte zur Annahme eines Dokumentes, das vom schwedischen Premierminister nur verächtlich 'diese Papiere' genannt wurde. Die Hoffnungen der EU auf den Abschluss eines globalen juristisch verbindlichen Abkommens sind damit zunichtegemacht", befürchtet NOWYE ISWESTIJA aus Moskau.

Die Pariser Zeitung LIBÉRATION sieht die Europäische Union in der Pflicht:
"Die großen Nationen haben in einem Festival diplomatischer Machtlosigkeit und nationalstaatlicher Verblendung eine weltweite verpflichtende Vereinbarung torpediert, die man - vielleicht mit allzu großer Naivität - von Kopenhagen erwartet hatte. Nach diesem Versagen einer Weltregierung dürfen die umweltbewussten Staaten, in erster Linie die Europäer, nicht mehr ein unwahrscheinliches globales Abkommen abwarten, sondern müssen mit gutem Beispiel vorangehen und einseitig die erforderlichen Entwicklungen einleiten. So stünde die EU an der Spitze der Bewegung, und so könnte das Fiasko von Kopenhagen langsam, aber sicher überwunden werden", glaubt die französische LIBÉRATION.

"Dass Kopenhagen ohne konkrete Ergebnisse zu Ende ging, ist nicht nur aus idealistischen Erwägungen heraus zu bedauern, sondern auch aus handfesten wirtschaftlichen Gründen", ist in der estnischen Zeitung EESTI PÄEVALEHT zu lesen.
"Ein Umsteuern bei den Emissionen hätte dem Energiesektor weltweit Milliardeninvestitionen gebracht. Die Erde braucht eine Energierevolution, und zwar aus dem simplen Grund, dass die fossilen Brennstoffe nicht unendlich vorhanden sind. Je knapper die Ressourcen werden, desto mehr steigt der Preis - und dadurch wächst der Bedarf an neuen Energiequellen", legt EESTI PÄEVALEHT aus Tallinn dar.

Die NEW YORK TIMES lässt den Gipfel aus US-Perspektive Revue passieren:
"Die globalen Klimaverhandlungen waren weder ein großer Erfolg noch ein vollständiger Fehlschlag. Die harte Arbeit hat gerade erst begonnen, in Washington und anderswo. Aber in Kopenhagen wurde gar nicht einmal so wenig erreicht, wenn man die Komplexität des Themas und die Unterschiede zwischen armen und reichen Ländern betrachtet. Und das ist zum großen Teil das Verdienst von Präsident Obama. Er traf ein, als die Gespräche vor dem Scheitern standen, verhandelte 13 Stunden nonstop und nahm sich die Chinesen vor. Kurz vor Toresschluss - und mit Hilfe von China, Indien, Brasilien und Südafrika - schmiedete er eine Vereinbarung, die fast alle der 193 Nationen akzeptierten", hat die NEW YORK TIMES beobachtet.

Die japanische Zeitung ASAHI SHINBUN bemerkt dagegen:
"Wirtschaftswachstum ist für China unverzichtbar. Deswegen will das Land eine Verpflichtung zur Reduzierung der Treibhausgase vermeiden. Dass Peking die Verhandlungen in Kopenhagen entscheidend beeinflussen konnte, liegt auch daran, dass die Führungsfähigkeit der USA nicht ausgereicht hat. Die Amerikaner kündigten nur Ziele an, die unter dem Niveau von Japan und Europa liegen. Präsident Obama hat sich zwar um das Abkommen bemüht, allerdings war seine Position zu schwach, um als Anführer der Industrienationen Überzeugungsarbeit gegenüber China zu leisten", heißt es in ASAHI SHINBUN aus Tokio.

Die Zeitung DE VOLKSKRANT aus Amsterdam erkennt einen "Lichtblick":
"Alle Teilnehmer des Klimagipfels wissen, dass die Verhandlungen weitergehen. Und vermutlich werden sie noch stärker als vor Kopenhagen dem kritischen Blick der Öffentlichkeit sowie von Aktionsgruppen und Nichtregierungsorganisationen ausgesetzt sein. Denn eines wurde auf alle Fälle erreicht: Das Klima verschwindet nicht mehr von der Tagesordnung", ist die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT überzeugt.

Die britische Zeitung THE GUARDIAN richtet den Blick ebenfalls auf das Positive:
"Auch wenn das Ergebnis genau die Farce ist, als die es von den Kritikern hingestellt wird, hat der Kopenhagener Gipfel wichtige Vorarbeit geleistet. Am wichtigsten war - obwohl sich der Streit als fruchtlos erwies -, die schlichte Tatsache, dass er überhaupt stattfand, und das auf so hoher politischer Ebene, was deshalb wohl auch künftig der Fall sein wird. Vor Kopenhagen wurden in weiten Teilen der Welt die hohen und komlexen Risiken durch den Klimawandel kaum unter so dramatischen Vorzeichen diskutiert. Jetzt, da die Staatenlenker von Peking bis Brasilia deutlich gemacht haben, dass sie die Bedrohung für so offensichtlich und ernsthaft halten, dass sie persönlich bei einer Konferenz erscheinen, werden sie es beim nächsten Mal schwer haben zu erklären, warum sie sich nicht darum kümmern. Der Silberstreif am dunklen Horizont des Kopenhagener Misserfolgs ist zudem die Erkenntnis des Westens, dass die Welt nicht per Diktat gerettet wird, sondern nur durch einen wirklichen Dialog", resümiert der GUARDIAN aus London.

"Die Macht liegt nicht mehr nur im Westen, auch Länder wie China, Indien und Brasilien haben an Stärke gewonnen und werden sich bei künftigen Klimaverhandlungen nicht mehr kommandieren lassen", meint die norwegische Zeitung DAGSAVISEN.
"Man mag sich fragen, ob die Regierungschefs den Ernst der Lage begriffen haben. Das schwerfällige UNO-System ermöglicht es vielen Staaten, nationale Interessen vor die Bedürfnisse der Welt zu setzen. Und schließlich ist in Kopenhagen deutlich geworden, dass sich die Länder am meisten einsetzen, in denen die öffentliche Meinung den größten Druck ausübt. Ein breites Engagement für eine gute Klimapolitik ist vermutlich der wichtigste Faktor, um die politischen Prozesse in Gang zu bringen, die die Welt in den nächsten Jahren braucht", hält DAGSAVISEN aus Oslo fest.

Die Schweizer Zeitung DER BUND setzt auf die Eigeninitiative einzelner Staaten und der Wirtschaft:
"Zahlreiche Unternehmen zeigen sich wenig beeindruckt von der politischen Trägheit. Sie werden ihren Weg weitergehen. Auch wenn die internationale Politik nicht erfüllt, was gemeinhin erwartet wird, so ist sie doch ein guter Gradmesser dafür, wohin es künftig im Klimaschutz gehen wird. Die nationalen Aktionsprogramme einzelner Industriestaaten und Schwellenländer geben immerhin einen Hinweis darauf, dass sie in naher Zukunft auf Umwelttechnologie setzen und sich die Nachfrage danach erhöht. Den größten Effekt im Klimaschutz werden wohl jene Länder und Industrien spüren, die sich jetzt danach richten. Sie werden zu den Gewinnern gehören", vermutet DER BUND aus Bern, und damit endet die internationale Presseschau.

Quelle: Deutschlandfunk, 21. Dezember 2009; www.dradio.de/presseschau/

Weitere Pressestimmen aus Deutschland

Christoph von Marschall zieht im Berliner "Tagesspiegel" eine etwas zwiespältige Bilanz: China, USA und die Entwicklungsländer sind am dem Desaster schuld - und die Macher der Industriestaaten werden es schon richten:
Kopenhagen hat einen Trümmerhaufen hinterlassen. Schuld daran sind viele: voran China, das heute mehr Treibhausgase in die Atmosphäre pustet als jedes andere Land, aber eine überprüfbare Verringerung verweigert, weil es ein Entwicklungsland sei. Dann die USA, die pro Kopf die mit Abstand meisten Emissionen produzieren, aber ihren Lebens- und Wirtschaftsstil nicht ändern wollen, jedenfalls nicht so schnell und schon gar nicht mitten in der größten Wirtschaftskrise und höchsten Arbeitslosigkeit seit 70 Jahren.
Auch die Entwicklungsländer haben verantwortungslos gehandelt und Agitatoren aus Schwellenländern, die so tun, als verteidigten sie die Armen. Schlimm genug, dass das letzte Angebot der Industrieländer so mager ausfiel. Doch was ist gut daran, dieses Minimum zu torpedieren? Sie spielen die moralischen Sieger, die sich dem "Diktat" der Mächtigen widersetzen. In Wahrheit ist es eine Schmierenkomödie, wenn Diktatoren über den autoritären Stil demokratischer Partner klagen. (...)
Der Krach von Kopenhagen war überfällig - und mag am Ende Gutes bewirken. (...)
Die Klimaschützer haben die Gefahr mit ihrem Alarmismus und Idealismus ins weltweite Bewusstsein gehoben. Auch hier übernehmen nun die Macher. Der Krach in Kopenhagen war nicht das Ende. Es ist der Beginn eines Prozesses, der zu Ergebnissen führen wird - weil er die Welt nimmt, wie sie ist.

Etwas anders sieht das Cerstin Gammelin, die in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung (20. Dez.) vom "Desaster" Kopenhagen spricht und eine Lanze für Tuvalu bricht:
Das muss man sich erst mal vorstellen: US-Präsident Barack Obama nimmt sich zwölf Stunden Zeit, um an den Kopenhagener Klimaverhandlungen teilzunehmen. Die Regierungschefs der großen europäischen Staaten Großbritannien, Frankreich und Deutschland sitzen fast 24 Stunden persönlich am Verhandlungstisch. Und dann kommt der Delegierte aus dem kleinen Land Tuvalu und erklärt unverblümt, er wolle nicht die mächtigen Länder über sein Schicksal entscheiden lassen.
Das Plenum schließt sich diesem Statement an. Es erklärt die von den Mächtigen der Welt verfasste vage Abschlusserklärung zur Fußnote der Kopenhagener Vereinbarung. Basta.
Es bedurfte des Votums eines kleinen Landes, um die Welt der Kopenhagener Verhandlungen vom Kopf auf die Füße zu stellen. Tuvalu ist direkt vom Klimawandel betroffen. Die Insel, die den eigenen Untergang fürchten muss, kann es sich gar nicht leisten, diplomatischen Wortblasen zuzustimmen. Viele andere kleine Staaten teilen dieses Schicksal.
Dieser Dramatik war sich der US-Präsident offensichtlich nicht bewusst, als er in Washington in den Flieger nach Europa stieg - auch auf Bitten der Europäer. Er ist nach Kopenhagen gekommen, hat eine seiner schönen Reden gehalten - aber nichts für die armen und bereits von Flutwellen oder Dürren heimgesuchten Länder mitgebracht. Dass diese ihn nun zur Fußnote erklärt haben, ist nur logisch.
Der amerikanische Präsident hat einen großen Fehler gemacht. Er hätte sich seine Reise sparen sollen, bis er wirklich helfen kann. Setzt er zuhause im Kongress sein Klimagesetz durch, könnte es schon im Sommer, beim nächsten Treffen, so weit sein.

Wenig Hoffnung auf eine Umkehr der Politik macht sich Kurt Stenger im "Neuen Deutschland":
»Es ist ein Anfang.« UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon versuchte das Scheitern der Klimakonferenz schönzureden. Vermutlich wollte er übertünchen, dass die Weltorganisation der Regierungen nicht in der Lage ist, trotz der bevorstehenden Klimakatastrophe notwendige Gegenmaßnahmen einzuleiten. Die Mächtigen in den USA, der EU und China waren - wohl auch wegen massiver Widerstände aus der Wirtschaft - nicht gewillt, ihre Blockaden aufzugeben.
In Kopenhagen stand nicht ein Anfang, sondern der Abschluss eines internationalen Abkommens an. Nach dem Auslaufen des wenig erfolgreichen Kyoto-Protokolls 2012 droht nun eine zeitliche Lücke beim Klimaschutz. Der erzielte Minimalkonsens - ein Bekenntnis zum Ziel, die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten - ist eine Zumutung. Klimaforscher halten das für nicht ausreichend.
Kopenhagen hat aber auch deutlich gemacht, dass bisherige Politikstrukturen - die großen Industrie- und einige Schwellenländer mauscheln hinter verschlossenen Türen etwas aus, das die anderen abnicken sollen - nicht zukunftstauglich sind. Gerade kleine Entwicklungsländer können sich nicht mehr mit Almosen abspeisen lassen, da ihre Existenz bedroht ist. Wenn sie im Bunde mit einer erstarkenden Klimabewegung den Druck auf die Mächtigen verstärken, kann es mit dem Klimaabkommen noch etwas werden, wenn in einem halben Jahr weiterverhandelt wird. Aus heutiger Sicht ist diese Hoffnung freilich gering.

Kopenhagen war eine "Katastrophe", meint Jörg Michel von der "Berliner Zeitung". Es habe eigentlich nur Verlierer gegeben. Ob daraus Zuversicht erwachsen kann, bleibt die Frage, solange die Gefahren des Klimawandels noch nicht von allen wahrgenommen werden:
Bei einem globalen Problem wie dem Klimawandel ist es immer schwierig, alle Interessen zusammenzuführen. Ein Schaulaufen von Regierungschefs, die sich eifersüchtig beäugen, ist aber nicht nötig. Es reichen auch Minister oder Fachbeamte. Unnötig sind auch wochenlange Treffen mit ausschweifendem Rahmenprogramm. Ein gut vorbereitetes Arbeitstreffen tut es auch. Schließlich braucht es Politiker, die sich ihrer globalen Verantwortung stellen und nicht nur ihren lokalen Interessen. Das betrifft vor allem die Führer der Industrieländer, aber zunehmend auch die der Schwellenländer wie China. Viel zu häufig fehlt es noch an dem Bewusstsein, dass der Klimawandel irgendwann alle bedroht. Und nicht nur Tuvalu, Grönland oder die Halligen.

Trotz der miesen Ergebnisse von Kopenhagen sollte keine "Endzeitstimmung" aufkommen, meint Wolfgang Pomrehn von der "jungen Welt":
Die Verhandlungen werden weitergehen, und es ließen sich sogar mit einigem guten Willen Gründe anführen, die zeigen, daß das Glas halbvoll und keineswegs halbleer ist: Immerhin ist erstmals in einem UN-Dokument, wenn auch nicht bindend, davon die Rede, daß die globale Erwärmung unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau gehalten werden soll. Das 1,5-Grad-Ziel, auf dem die kleinen Inselstaaten beharren, findet darüber hinaus zumindest eine vage Erwähnung. Andererseits ist das Kyoto-Protokoll und damit die Arbeit von zehn Jahren erheblich beschädigt. (...)
Was all das für den Klimaschutz und den Fortgang der Verhandlungen bedeutet, ist offen und hängt vor allen von zwei Dingen ab: Zum einen haben die Schwellenländer eigentlich ein ökonomisches Interesse daran, ihre Industrialisierung von vornherein auf erneuerbaren Energieträgern aufzubauen. Nicht nur der Klimawandel, sondern auch die in den nächsten Jahrzehnten zu erwartende Verknappung von zunächst Erdöl und Uran und später auch Kohle machen Windkraftanlagen, Solarzellen, thermische Sonnenkraftwerke und ähnliches zur Technologie der Zukunft. China und Indien haben keine übermächtigen Öl-, Auto- und Energiekonzerne, die die nationale Politik dominieren. Sie könnten also radikal umsteuern und schon in wenigen Jahren die Industriestaaten auf dem Weltmarkt und auf dem diplomatischen Parkett der Klimaverhandlungen vor sich her treiben. (...)
Zum anderen hängt viel von der politischen Entwicklung in den Industriestaaten ab. (...) Mehr Druck ist nötig, um die Erschließung neuer Braunkohlegruben und den Bau weiterer Kraftwerke zu verhindern. Richtungsweisend war in diesem Zusammenhang am Sonntag die Antwort, die eine Gruppe australischer Umweltschützer auf die Kopenhagener Ergebnisse fand: Sie brachten einen Kohlenzug, der auf dem Weg zum Exporthafen Newcastle in der Nähe von Sydney war, auf offener Strecke zum Stehen und ketteten sich an ihn an. Zur Nachahmung empfohlen.


Zurück zur "Klima"-Seite

Zurück zur Homepage