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Grönlands Eis ist nicht zu retten

Experten machen Erderwärmung, Wetterschwankungen und wechselnde Luftströme verantwortlich

Von André Anwar, Stockholm *

Das Eis Grönlands ist weiter massiv geschmolzen. In diesem Sommer flossen 430 Milliarden Tonnen Schmelzwasser ins Meer. Das Eis der größten Insel der Welt ist mittelfristig nicht zu retten.

»Sehen sie die Eisberge dort drüben?«, sagt ein grauhaariger grönländischer Fischer an der Küste von Ilulissat und zeigt von seinem kleinen Kutter auf die in der Sonne majestätisch glitzernden, blauweißen Gebilde. »Diese Eisberge waren vor 40 Jahren doppelt so hoch«, behauptet er. Die Erderwärmung auf Grönland mit bloßem Augenmaß nachzuvollziehen ist nicht wissenschaftlich und doch scheinen die Alten Recht zu haben, mit ihren Beobachtungen.

Eine satellitengestützte Studie alarmiert. Laut Berechnungen vom dänischen Metrologischen Institut, dem Weltraumtechnologieinstitut DTU Space, der Arktikklimaorganisation Polar Portal und dem geologischen Forschungsinstitut Dänemarks Geus sind in der diesjährigen sommerlichen Schmelzsaison 430 Milliarden Tonnen Wasser ins Meer geschmolzen. An einem Tag, dem 25. Juli, waren es 12 Milliarden Tonnen.

Um zu berechnen, wie viel Eis im Jahr verschwindet, mussten die Forscher auch berechnen, wie viel Eis in der Wintersaison auf Grönland wieder hinzukommt. Dazu gehören mehrere Faktoren: Schnee und Eis, das sich auf dem Boden bildet, etwa durch Niederschlag und teils wieder sofort abschmilzt. Eis, das durch die Nähe des wärmenden Meeres abschmilzt. Und Eis, das in sehr großen Stücken abbricht, ins Meer schwimmt und dort schmilzt. Laut DTU Space sind in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich 200 Milliarden Tonnen Inlandeis netto pro Jahr ins Meer geschmolzen, das nicht durch neues Eis in der kälteren Periode ersetzt wird.

Der Nettoeisverlust habe sich fast jedes Jahr im Vergleich zu den Vorjahren erhöht, heißt es. Bis auf wenige Ausnahmen gab es in den vergangenen sieben Jahren einen anhaltenden Beschleunigungseffekt beim Eisverlust. Auch für die kommenden Jahre wird ein weiter ansteigender Eisverlust erwartet.

Dabei spiele die Erderwärmung eine wichtige aber nicht die einzige Rolle, so die Forscher. Auch Wetterschwankungen und wechselnde Luftströme in der Atmosphäre gelten als wichtige Einflussfaktoren. In einigen der zehn Messjahre ging beispielsweise deutlich weniger Eis verloren, weil kältere Luftströme zu deutlich mehr Schneefall geführt haben.

Allerdings befürchten die dänischen Forscher anhand der Eisentwicklung der vergangenen Jahre, dass ein Wendepunkt bald erreicht sein könnte, an dem günstige Luftströmungen das wärmer werdende Klima nicht mehr ausgleichen können. Nach einem solchen Wendepunkt könnte sich der Eisverlust pro Jahr noch um ein Vielfaches verstärken. Schon 2013 war eines der wärmsten Jahre überhaupt. Trotz günstiger Luftströme ging viel Eis im grönländischen Sommer verloren, heißt es im Bericht.

Sollte Grönland, die größte Insel der Welt, komplett schmelzen, ohne dass das Wasser andernorts wieder gebunden wird, wird mit einem globalen Meeresspiegelanstieg von sechs bis sieben Metern gerechnet. Das wäre für viele tief liegende Länder, wie Bangladesch, der Untergang.

Schon 2011 hatten dänische Forscher des metrologischen Institutes resigniert vorausgesagt, dass die Eismassen des teilautonom zu Dänemark gehörenden Grönlands schon heute nicht mehr zu retten seien, selbst bei sofortiger radikaler CO2-Ausstoßreduzierung weltweit. »Anhand unseres Modells muss ich konstatieren, dass der Zeitpunkt, an dem man diese besorgniserregende Entwicklung noch aufhalten konnte, wahrscheinlich bereits vorüber ist«, sagte Forscher Jens Hesselbjerg Christensen der Zeitung Berlingske.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 29. November 2013


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