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"Landkarte" mit Wegen zum Klimaschutz

UN-Sonderbericht zu erneuerbaren Energiequellen sieht Potenzial von 77 Prozent des Bedarfs

Von Steffen Schmidt *

Der vor einer Woche in Abu Dhabi von Vertretern von 100 Ländern verabschiedete Sonderbericht des UN-Klimarates IPCC kommt zu dem Ergebnis, dass bei günstigen Randbedingungen in 40 Jahren 77 Prozent des Weltenergiebedarfs aus erneuerbaren Quellen kommen könnten. Der Bericht wurde am Montag (16. Mai) in Berlin vorgestellt.

Anders als vor 40 Jahren mancher vermutete, ist es nicht der Mangel an fossilen Brennstoffen, der uns heute zwingt, uns schnellstens auf andere Energiequellen umzustellen. Begrenzt ist dagegen die Aufnahmefähigkeit von Atmosphäre und Ozeanen für die bei der Verbrennung entstehenden Treibhausgase. Darauf verwies bei der Vorstellung des IPCC-Sonderberichts »Renewable Energy Sources and Climate Change Mitigation« (Erneuerbare Energiequellen und Minderung des Klimawandels) einer der drei Hauptautoren, der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Ottmar Edenhofer.

Edenhofer sagte bei der Vorstellung des Berichts im Beisein von Bundesumweltminister Norbert Röttgen und Bundesforschungsministerin Annette Schavan (beide CDU), dass bis zum Jahre 2050 zwar 77 Prozent des weltweiten Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen kommen könnten, dass dazu aber mehrere »Wenns« erfüllt sein müssten. Der Bericht sei – so erläuterte er vor Journalisten – eine Art Landkarte, die alle möglichen Wege zu einer massiven Senkung der Treibhausgasemissionen zeigt. Welcher Weg dann beschritten werde, das müsse die Politik entscheiden. Der Sonderbericht wurde nach Edenhofers Angaben über drei Jahre unter Mitwirkung von etwa 120 Wissenschaftlern erarbeitet.

Zu den Erfolgsbedingungen der Erneuerbaren gehöre, dass die Kosten für diese Energiequellen weiter gesenkt würden, Strom und Wärme aus regenerativen Quellen in das Energiesystem integriert und eine ambitionierte Klimapolitik betrieben werde. Darüber hinaus seien auch neue Energiespeichertechnologien und intelligente Netze nötig. Die Kosten dieses Umbaus seien zwar beträchtlich, aber mit etwa einem Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts durchaus tragbar. Derzeit allerdings werde nicht einmal die Hälfte dessen ausgegeben, und im Bereich der Energieforschung sinken die Budgets sogar seit Jahren, kritisierte Edenhofer. Zur Zeit liefern die erneuerbaren Energiequellen dem IPCC-Bericht zufolge ganze 12,9 Prozent des weltweiten Bedarfs. Allein 10 Prozent des Energiebedarfs deckt Biomasse, überwiegend in Feuerstellen der armen Länder. Wasserkraft (2,3 Prozent), Windenergie (0,2 Prozent) und Solarenergie (0,1) steuern bisher wenig bei. Die Erneuerbaren hätten das Potenzial, 1,4 Milliarden Menschen, die bislang ohne Elektrizität leben müssen, mit Strom zu versorgen.

Umweltminister Röttgen verwies in seiner Rede bei der Vorstellung des Reports darauf, dass jede Kostenrechnung zur Energiewende auch die langfristigen Folgen mit einrechnen müsse. Wenn der Klimawandel aus dem Ruder laufe, dann gebe es auch in Europa kein »Weiter so« mehr. Wohlstandskriterium der Zukunft sei: »Wer kann mit weniger Energie mehr produzieren?« Und Forschungsministerin Schavan forderte, Wohlstand und die Bewahrung der Schöpfung »auf eine neue und bessere Weise« zu verbinden. Die Katastrophe von Fukushima habe gezeigt, dass die Risiken der Nukleartechnik ihre Chancen überwiegen.

Abbau-Probleme

Ein stillgelegtes Atomkraftwerk kann man nicht einfach mit der Abrissbirne plattmachen – die Demontage des Meilers kostet viel Zeit und Geld. Beispiel Obrigheim (Neckar-Odenwald-Kreis): 2005 abgeschaltet, sind seit rund zwei Jahren Fachleute mit dem Abbau beschäftigt. Mehr als zehn Jahre werden die Arbeiten dauern und rund 500 Millionen Euro kosten. 275 000 Tonnen Material müssen abgebaut werden, darunter 2300 Tonnen radioaktiver Abfall.

Nach Demontage der nicht-nuklearen Teile kommen die leicht kontaminierten Anlagenteile des Kontrollbereichs an die Reihe. Von dort an geht es unter anderem mit Hilfe ferngesteuerter Maschinen oder auch unter Wasser an Teile wie das Druckgefäß, das dem Neutronenbeschuss ausgesetzt war. Auch nach Abbau des Meilers können die 342 abgebrannten Brennelemente noch 40 Jahre lang in einem Zwischenlager auf dem Gelände verbleiben. dpa/ND



* Aus: Neues Deutschland, 18. Mai 2011


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