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Meeresspiegel steigt schneller an

Neuer Sachstandsbericht des Weltklimarates bringt keine Entwarnung

Von André Anwar, Stockholm *

Vier Tage haben Wissenschaftler und Diplomaten in einer ehemaligen Bierbrauerei in Stockholm um die letzten Formulierungen gerungen. Am Freitag hat der Weltklimarat (IPCC) die 30 Seiten zählende Zusammenfassung des ersten Teils des fünften Sachstandsberichts zum Weltklima vorgelegt. »Der Klimawandel geht unvermindert weiter«, stellte der chinesische IPCC-Verhandlungsleiter Qin Dahe fest.

Die letzten Zweifel an der Rolle der Menschen schwinden. Der Ausstoß von Treibhausgasen gehöre mit »95-prozentiger Sicherheit« zu den Ursachen der Erderwärmung. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die drei letzten Jahrzehnte die wärmsten seit 1850 waren. Zwar sei die Erwärmung in den letzten 15 Jahren mit 0,05 Grad pro Jahrzehnt deutlich langsamer vorangeschritten, doch ist es laut IPCC wahrscheinlich, dass die Ozeane einen großen Teil der zusätzlichen Wärmeenergie gespeichert haben. Veränderte Strömungen im Pazifik und eine Schwächeperiode der Sonne könnten ebenfalls gebremst haben.

Die Erwärmung hat sich damit in die Meere verlagert, die auch schon in der Vergangenheit rund 90 Prozent der Sonnenwärme abgespeichert haben. Das trägt zum Anstieg des Meeresspiegels bei. Im ungünstigsten Fall könne dieser bis Ende des Jahrhunderts um 81 Zentimeter steigen, ein gutes Drittel mehr als zuvor prognostiziert. Selbst mit einem weltweit radikalen Klimaschutz seien noch 26 Zentimeter Anstieg zu erwarten. »Während sich die Ozeane erwärmen und Gletscher und Eisdecken schmelzen, wird der globale Meeresspiegel weiter steigen, aber schneller, als wir es in den letzten 40 Jahren erlebt haben«, warnte Qin Dahe.

Das Treibhausgas CO2 bedroht die Meere auch direkt, da es sich im Wasser als Kohlensäure löst, so der Klimabericht. Der pH-Wert sei durch die Säure bereits leicht gefallen. Das Wachstum von Meeresorganismen, die die Grundlage der Nahrungskette im Meer bilden, sei dadurch gefährdet.

Auch die Lufttemperaturen dürften bald wieder steigen, und zwar je nach Modell um über 2 bis 3,7 Grad. Dadurch könnten sich die Klimazonen verschieben. In den Subtropen und angrenzenden Regionen wie am Mittelmeer dürfte es mehr Dürren geben, während sich in den Tropen und in mittleren Breiten Starkregenereignisse häufen. Das betrifft auch Mitteleuropa. »Die Folgen des Klimawandels könnten die Umwelt in einer Weise verändern, wie seit Hunderten oder Tausenden Jahren nicht geschehen«, hieß es im Bericht.

Der Weltklimarat hält sich mit politischen Ratschlägen zurück. Entscheidungen müssten die Politiker auf den jährlichen Klimagipfeln treffen, wurde betont. Der nächste Gipfel findet im November in Polen statt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon lobte den IPCC-Bericht als wesentliche Grundlage für eine ehrgeizige Vereinbarung zum globalen Klimaschutz.

Zeitweise galt es als fraglich, ob es in Stockholm überhaupt zu einer Einigung über die politisch brisante Zusammenfassung des 1000 Seiten langen Grundlagenberichts kommen würde. An dem Bericht hatten rund 800 weltweit anerkannte Umweltwissenschaftler mitgewirkt. Länder wie Brasilien und die Ölförderländer der arabischen Welt sollen eine Einigung zeitweise aufgrund von nationalen Interessen blockiert haben. Insgesamt waren 195 Regierungsdelegationen nach Stockholm gereist.

Der Bericht trägt wiederum die Handschrift des indischen IPCC-Vorsitzenden. Der Ökonom Rachendra Pachauri war 2002 vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush durchgedrückt worden. Gerade Umweltschützern gilt er als zu zurückhaltend. Pachauri will bis 2015 im Amt bleiben, kandidiert aber nicht für eine neue Amtsperiode .

Umweltschützer begrüßten den Bericht. Er spreche eine klare Sprache, so der WWF. »Er enthält nur wenige Überraschungen«, sagte Samantha Smith, Leiterin der WWF Globale Climate & Energy Initiative. Nun müssten die Gesellschaft und die Regierungen handeln.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 28. September 2013


Wissenschaft und Politik

Der IPCC beeinflusst die Klimadiplomatie

Eigentlich gibt es den »Weltklimarat« gar nicht. Sein etwas sperriger offizieller Name lautet nämlich: Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC; Zwischenstaatlicher Ausschuss zum Klimawandel). Er wurde 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen und der Weltorganisation für Meteorologie ins Leben gerufen und ist der UN-Klimarahmenkonvention beigeordnet. Vorsitzender ist seit 2002 der indische Ökonom Rajendra Pachauri.

Hauptaufgabe der Institution mit Sitz in Genf ist es, für politische Entscheidungsträger den Stand der Forschung zum Thema globale Erwärmung zusammenzufassen sowie mögliche Vermeidungs- und Anpassungsstrategien aufzuzeigen. Der IPCC ist damit einerseits ein Wissenschaftsgremium, gibt aber andererseits politische Handlungsempfehlungen. Bislang hat er vier umfangreiche Sachstandsberichte veröffentlicht, an denen hunderte Wissenschaftler aus der ganzen Welt als Autoren und Gutachter mitwirkten – der letzte erschien 2007. Im selben Jahr erhielt der Weltklimarat den Friedensnobelpreis.

Dem IPCC ist es vor allem zu verdanken, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Prognosen über den menschgemachten Klimawandel sowie dessen dramatische Folgen einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurden, was die internationale Politik unter starken Verhandlungsdruck gesetzt hat. In den vergangenen Jahren wurde aber auch Kritik laut, wonach konträre Meinungen in den Berichten verschwiegen würden. Allerdings sieht dies eher nach einer Kampagne von »klimaskeptischen« Lobbygruppen aus, die von der Ölindustrie finanziert wird.

Kurt Stenger

(nd, 28.09.2013)




Konsens zum Klima

Präsentation des Weltklimareports in Berlin: Experten prophezeien extreme Wetterlagen, steigende Meeresspiegel und hohe Temperaturen

Von Michael Merz **


In ihrer Schlichtheit sind die Aussagen bestechend, seit Freitag sind beide endgültig wissenschaftlich belegt: Der Klimawandel findet statt, und er ist maßgeblich vom Menschen gemacht. Der fünfte Bericht des Weltklimarates soll die letzten Zweifler zum Schweigen bringen. Diese simplen Tatsachen des UN-Weltklimareports kamen zustande in einer vier Jahre dauernden Arbeit von 259 Hauptautoren aus 39 Ländern (40 davon aus Deutschland). Auf 2500 Seiten haben sie ihre Erkenntnisse formuliert, in der letzten Woche auf 30 Seiten zusammengefaßt. »Am Freitag morgen zwischen vier und fünf Uhr wurde die letzte Zeile abgestimmt«, sagte ein erleichtert klingender Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamtes, am Freitag mittag in Berlin. Während der Klimawandel und seine Ursache vor dem Report von nur zwei Dritteln der Experten anerkannt gewesen wäre, herrsche mittlerweile »Konsens bei 95 bis 100 Prozent« darüber. Denn gegenüber dem letzten Klimabericht von 2007 seien die Aussagen »sicherer und fundierter« geworden.

Erleichternd ist allerdings nicht, was im Bericht des Weltklimarates Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) geschrieben steht. Selbst Experten hatten vor der Präsentation des Berichts gehofft, daß die Klimaerwärmung weniger drastisch ausfällt. Denn seit 15 Jahren stockt der globale Temperaturanstieg. Doch das ist maßgeblich auf den Beginn der Aufzeichnung im heißen Jahr 1998 zurückzuführen – dieser Wert hatte den Trend verfälscht. 15 Jahre seien nicht aussagekräftig, ein »kurzfristiger Trend«, sagte Peter Lemke vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven, der am Report mitarbeitete. Die Klimaerwärmung werde sich extremer auf die Meere auswirken als bisher gedacht. »90 Prozent der Energie durch den Treibhauseffekt werden in den Ozeanen gespeichert«, so Flasbarth. Mit gravierenden Folgen für beispielsweise kalkbildende Organismen. Hinzu kommt, daß der Meeresspiegel seit 1901 um etwa 19 Zentimeter gestiegen ist – seit den letzten 20 Jahren sogar beschleunigt. Im schlimmsten Fall steigt er bis Ende des 21. Jahrhunderts um über 80 Zentimeter. »Für viele Küstenregionen ist das ein Desaster«, prophezeit Flasbarth. Im besten Fall seien mindestens 26 Zentimeter zu erwarten. Im letzten Jahrzehnt sei bereits sechsmal so viel Grönlandeis geschmolzen wie in den zehn Jahren davor. Effekte des Klimawandels: häufigere Hitzewellen und Starkniederschläge, da sich mehr Wasserdampf in der Luft befindet. Extremwetterlagen sind auch in Mitteleuropa zu erwarten.

Was den Temperaturanstieg der Luft betrifft, kann keinesfalls entwarnt werden. Jedes der drei vergangenen Jahrzehnte war wärmer als alle vorhergehenden seit 1850. Bis Ende des Jahrhunderts könnte die Temperatur sogar um bis zu 4,8 Grad steigen. Die Verwirklichung der Klimaziele bezeichnet Peter Lemke als anstrengend: »Das wird nicht einfach – ich bin skeptisch«.

Sehr viel optimistischer ist Umweltminister Peter Altmaier. Er fühle sich durch die neue Führung in China und die Entschlossenheit Barack Obamas in dessen zweiter Amtszeit »ermutigt«. Außerdem habe die »Jahrhundertflut« dieses Jahres das Bewußtsein für den Klimawandel verstärkt. Er glaube, daß Klimaschutz »wieder einen höheren Stellenwert bekommt«. Im Koalitionsvertrag möchte er die Klimapolitik stärker verankern, den Emissionshandel stärken und Gaskraftwerken mehr Bedeutung beimessen. Altmaier setzt darauf, daß auf dem Klimagipfel im Jahr 2015 in Paris ein verbindliches internationales Abkommen zustande kommt.

** Aus: junge Welt, Samstag, 28. September 2013


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