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"Jedes Land verfolgt eigene Interessen"

UN-Klimakonferenz in Warschau: Es gibt keine Alternative zu einem Abkommen. Ein Gespräch mit Eva Bulling-Schröter *


Eva Bulling-Schröter ist Mitglied der Linksfraktion im Bundestag und leitet dessen Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.


In Warschau tagt zur Zeit die diesjährige UN-Klimakonferenz. Was erwarten Sie von dem Treffen?

Es ist quasi eine Vorbereitungskonferenz, um 2015 in Paris tatsächlich ein neues internationales Abkommen zur Treibhausgas-Reduktion unterschreiben zu können. In Warschau soll eine vernünftige Struktur für die Verhandlungen und den Vertrag gefunden und Vertrauen aufgebaut werden, um ein Desaster wie 2009 in Kopenhagen zu verhindern.

Was müßte aus Ihrer Sicht in dem Abkommen stehen?

Als erstes müßten sich die Staaten konkret dazu verpflichten, Maßnahmen zu ergreifen um die globale Erwärmung auf höchstens zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu beschränken. Dann muß es verbindliche Finanzzusagen der Industriestaaten an die ärmeren Länder geben. Die brauchen rund 100 Milliarden US-Dollar jährlich – zum einen für die Anpassung an den Teil des Klimawandels, der nicht mehr zu verhindern ist, zum anderen als Unterstützung bei der Einführung erneuerbarer Energieträger sowie für Energieeffizienz und Waldschutz. In Warschau wird zudem erstmals verhandelt, ob auch Entschädigung für die angerichteten Schäden gezahlt wird.

Welche Erfolgsaussichten sehen Sie?

Es gibt keine Alternative zu einem solchen Abkommen. Aber eine Einigung ist nicht einfach. Jedes Land verfolgt eigene Interessen. Da geht es einerseits um Profite und die Angst vor Arbeitsplatzverlusten. Andererseits können sich die kleineren Länder nur schwer durchsetzen. Den Ton geben vor allem die großen Staaten wie die USA und China an.

Die Bundesregierung stellt sich gerne als Vorkämpferin des internationalen Klimaschutzes dar. Ein realistisches Bild?

Nein. Die Regierung hat einiges vergeigt. Sie hätte zum Beispiel helfen können, in der EU das Ziel durchzusetzen, die CO2-Emissionen bis 2020 um 30 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren. Dagegen gab es in der schwarz-gelben Regierung Blockaden.

Außerdem hat die alte Regierung, insbesondere die FDP-Minister, die Reform des EU-Emissionshandels blockiert. Es müßten zwei Milliarden überschüssiger CO2-Zertifikate vom Markt genommen werden. So würde ihr Preis wieder steigen und heiße Luft aus dem System genommen, die einen zusätzlichen Treibhausgas-Ausstoß erlaubt. Nun hat Deutschland während der Koalitionsverhandlungen dem »Backloading« zugestimmt. Allerdings unter der Bedingung, daß die 900 Millionen zeitweilig stillgelegten Zertifikate später wieder in den Markt kommen.

Das reicht Ihnen nicht?

Alle überschüssigen CO2-Zertifikate müßten dauerhaft stillgelegt werden. Nur so würde der CO2-Preis spürbar steigen, würden sich Klimaschutzinvestitionen wieder lohnen. Eine Tonne CO2 müßte mindestens 30 Euro kosten, zur Zeit sind es jedoch nur etwa fünf Euro. Erst ab etwa 80 Euro pro Tonne CO2 würden Braunkohlekraftwerke unrentabel. Was für das Klima super wäre, wäre allerdings extrem teuer für die Stromkunden. Daher sollten Kohlekraftwerke besser auf ordnungsrechtlichem Weg abgeschaltet werden.

Rund die Hälfte der deutschen Emissionen kommen aus Kraftwerken. Dennoch setzt die sich abzeichnende große Koalition weiter auf Strom aus der Kohle.

Wir halten das für den falschen Weg, darum haben wir in der letzten Legislaturperiode ein Kohle-Ausstiegs-Gesetz eingebracht. Analog zum Atomausstieg braucht Deutschland einen Plan für die schrittweise Stillegung dieser Kraftwerke. Bis 2040 könnte das vollzogen sein. Zudem sollte das Gesetz den Neubau von Kohlekraftwerken und den Neuaufschluß von Braunkohletagebauen verbieten.

Doch auch damit wären die deutschen Treibhausgas-Emissionen noch nicht ausreichend reduziert.

Sicher. Es gibt viele Bereiche mit Handlungsbedarf. Zum Beispiel die energetische Gebäudesanierung. Wir wollen hier einen Sanierungsfahrplan. Ferner soll die Sanierungsförderung von einer auf fünf Milliarden Euro jährlich aufgestockt werden. Das Geld wird für einen sozialen Ausgleich benötigt, damit durch die Klima-Sanierung die Mieten nicht stärker steigen, als Heizkosten eingespart werden. Oder der Verkehrssektor: Bahn und öffentlicher Nahverkehr müßten ausgebaut werden, um den Energieverbrauch durch Autos zu reduzieren.

Interview: Wolfgang Pomrehn

* Aus: junge welt, Samstag, 16. November 2013


Japanischer Rückzieher

Tokio reduziert nach Fukushima-Katastrophe seine CO2-Emissionsziele. Atomkraft weiter im Programm **

Japan rückt deutlich von seinen Zielen zur Verringerung des Ausstoßes klimaschädlicher Treibhausgase ab. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima müsse das Land wieder verstärkt auf fossile Energieträger setzen, sagte Regierungssprecher Yoshihide Suga am Freitag in der Hauptstadt Tokio.

Das im Jahr 2009 unter dem damaligen Regierungschef Yukio Hatoyama ausgegebene Ziel, den Kohlendioxidausstoß bis zum Jahr 2020 um 25 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken, sei vor dem Hintergrund der veränderten energiepolitischen Lage »nicht realisierbar« und »völlig gegenstandslos«, sagte Suga vor Journalisten. Angestrebt werde nun eine Reduktion um 3,8 Prozent bezogen auf das Jahr 2005. Faktisch bedeutet dies eine Zunahme des CO2-Ausstoßes um drei Prozent im Vergleich zu 1990, dem Bezugsjahr des Kyoto-Klimaschutzprotokolls.

Mit dem Kyoto-Protokoll verpflichteten sich die Teilnehmerstaaten, ihre Emissionen von Treibhausgasen bis 2012 um durchschnittlich fünf Prozent zu verringern. Es wurde im Jahr 1997 unterzeichnet und trat 2005 in Kraft. Ein Vertreter des japanischen Außenministeriums sagte, die neuen Zahlen sollten kommende Woche beim UN-Klimagipfel in der polnischen Hauptstadt Warschau bekannt gegeben werden. Sie seien Japans »neue internationale Verpflichtung«, die Tokio bei den Vereinten Nationen registrieren lasse. Es handle sich um »befristete« Vorgaben, weil es das Ziel sei, zur Atomkraft zurückzukehren. Allerdings wächst in Japan seit der Katastrophe von Fukushima der gesellschaftliche Widerstand gegen Atomenergie. Die Umweltschutzorganisation WWF kritisierte die Ankündigung Japans. Es sei zu befürchten, daß Tokios Kurswechsel »verheerende Auswirkungen« auf die Diskussionen bei der UN-Klimakonferenz haben werde, erklärte der WWF. Greenpeace bezeichnete die Ankündigung Japans als »völlig inakzeptabel«. In Warschau hatte am Montag die 19. UN-Klimakonferenz begonnen.

** Aus: junge welt, Samstag, 16. November 2013


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