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Neues Hegemonieprojekt

Zwei Autoren legen eine Studie gegen den grünen Kapitalismus vor

Von Hendrik Sander *

Am 15. Dezember 2009 wird der Klima-Aktivist Tadzio Müller während des UN-Klimagipfels auf offener Straße in Kopenhagen verhaftet, weil er die Aktionen zivilen Ungehorsams gegen den fragwürdigen Verhandlungszirkus wesentlich mitorganisierte. (Inzwischen ist Müller glücklicherweise wieder auf freiem Fuß, er und andere Klima-AktivistInnen müssen jedoch mit Prozessen rechnen). Mittelfristig könnte den herrschenden Eliten aber noch mehr zu schaffen machen, wozu Müller gemeinsam mit Stephan Kaufmann, Wirtschaftsredakteur bei der Berliner Zeitung, in ihrem jüngst von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegebenem Buch »Grüner Kapitalismus« auffordert: die schonungslose Kritik eines möglichen, ökologisch erneuerten Kapitalismus

Harte Konkurrenz

Die beiden Autoren argumentieren, daß der gegenwärtige Kapitalismus gleich von mehreren Krisen geplagt wird: einer Legitimationskrise der Herrschenden, einer tiefen Krise des Neoliberalismus sowie der Energie- und Klimakrise. Letztere ist Teil einer umfassenden »Biokrise«, die aus dem unüberwindbaren Antagonismus eines zu endlosem Wachstum verdammten Kapitalismus und unseren natürlichen Lebensgrundlagen erwächst. Gerade diesen Widerspruch könnte sich das Kapital jedoch zu nutze machen, indem es diesen zur Triebfeder eines neuen, eines »grünen« Wachstumszyklus macht.

Kaufmann analysiert zunächst, unter welchen Bedingungen der kapitalistische Staat zu Klimaschutz bereit ist. Denn die Politik wägt bei ihren Entscheidungen zwischen den verschiedenen Faktoren der »Nachhaltigkeit« ab: ob Klimaschutzmaßnahmen billiger sind als die Folgekosten des Klimawandels, ob diese Schritte die Versorgungssicherheit mit preiswerter Energie erhöhen, und nicht zuletzt, ob sich mit den Ökotechnologien ein Geschäft machen läßt. Denn politisches Entscheidungskriterium für Maßnahmen des Klimaschutzes sind nicht Mensch und Natur, noch die technische Machbarkeit, sondern die Frage der Rentabilität für den nationalen Standort. So führt das angebliche »Menschheitsproblem Klimawandel« zu harten Auseinandersetzungen der konkurrierenden Nationalstaaten um die künftige Verteilung von Kosten und Nutzen der globalen Erwärmung.

Antagonismen

Müller erläutert im weiteren, daß der besondere Reiz für die herrschende Klasse an dem grünen Ansatz in dessen Potential liegt, zu einem neuen hegemonialen Projekt zu werden: Auf diese Weise könnten Teile des Blocks an der Macht ihre Interessen verallgemeinern, die erweiterte Kapitalakkumulation wiederherstellen und die Widersprüche des Kapitalismus zumindest zeitweise bearbeiten. Mit einem solchen Projekt würden diese Antagonismen aber nur scheinbar gelöst. Denn der grüne Kapitalismus wird durch eine Fortsetzung des umweltzerstörenden Wachstums, die zunehmende Verarmung breiter Teile der Arbeiterklasse und einen autoritären Staat geprägt sein.

Deshalb wendet sich der langjährige Klimacamp-Aktivist Müller klar gegen jene Stimmen in der Linken, die für eine Einmischung in die Green New Deal-Debatte werben. Gerade wegen der Schwäche der emanzipatorischen Kräfte und der Wucht der Krisen, sei etwas ganz anderes nötig: die Artikulation antagonistischer Positionen, ein Bruch und ein Neuanfang. Denn erst dadurch sei die Formierung einer weltweiten Klimagerechtigkeitsbewegung möglich, deren Konturen in Kopenhagen erstmals auf einer globalen Ebene sichtbar wurden. Sie könnte perspektivisch die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nachhaltig verändern. Müller skizziert aber auch Gegenentwürfe zum grünen Kapitalismus im Sinne einer »sozialökologischen Transformation«: Das Konzept der Klimagerechtigkeit, Vorstellungen einer »Schrumpfungsökonomie« und die Notwendigkeit, auch Gewerkschaften und Beschäftigte in einem Transformationsprozess mitzunehmen (Stichwort »just transition – gerechter Übergang«).

Die beiden Autoren haben mit »Grüner Kapitalismus« ein Buch geschrieben, das zu einem Standardwerk der kritischen Auseinandersetzung mit dem Ökokapitalismus werden könnte. Allerdings ist kritisch zu fragen, ob es strategisch nicht sinnvoller ist, sich als Linke in die Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung eines Green New Deals einzumischen, aber die Kämpfe darin so zu führen, daß sie mögliche progressive Reformprojekte über ihre kapitalistische Verfaßtheit hinaustreiben. In diese Richtung argumentiert auch Dieter Klein in seiner »Nachbemerkung« zu dem Buch. Gerade wegen dieser Kontroverse ist die Studie eine empfehlenswerte Lektüre, weil es wichtig ist, schon heute zu diskutieren, wie sich die Linke zu einem grünen Kapitalismus verhalten sollte, der erst am Horizont erkennbar wird.

Stephan Kaufmann/Tadzio Müller: Grüner Kapitalismus - Krise, Klimawandel und kein Ende des Wachstums. Karl Dietz Verlag, Berlin 2009, 269 Seiten, 19,90 Euro

* Aus: junge Welt, 15. März 2010


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