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Dem Gipfel rennt die Zeit davon

Zwischenbericht zum Verhandlungsstand

Susanne Götze *

Noch fünf Tage für Kopenhagen: Der Mini-Inselstaat Tuvalu blockiert weiterhin die UN-Klimaverhandlungen. Derweil sind rund 50 Minister in Kopenhagen angereist und führen informelle Gespräche.

Im Bella Center geht seit letztem Donnerstag (10. Dez.) gar nichts. Es wird nicht verhandelt, obwohl die Zeit knapp ist. Der durch die Erderwärmung vom Untergang bedrohte Inselstaat Tuvalu blockiert die Verhandlungen und fordert, dass die Kopenhagener Konferenz ein Klimaziel von 1,5 – statt 2 – Grad Celsius in ihr Protokoll schreibt. Eine um zwei Grad ansteigende Globaltemperatur würde weite Teile der Staatsflächen Tuvalus und zahlreicher anderer Inselstaaten unbewohnbar machen. Ohne eine erfolgreiche Vermittlung darf nicht weiterverhandelt werden. Doch die Forderung Tuvalus hat kaum eine Chance. Schon am Mittwoch (9. Dez.) hatte die Mehrheit der Staaten einen entsprechenden Antrag des Inselstaates abgelehnt.

Die AOSIS-Staaten – die Allianz der kleinen Inselländer – unterstützten am Freitag mit einem eignen Verhandlungstext das 1,5-Grad-Ziel. »Das Reglement lässt den Vorstoß von Tuvalu zu. Wir brauchen jetzt etwas, um angemessen darauf zu reagieren«, kommentierte am Samstag José Romero, stellvertretender Chefunterhändler der Schweiz.

Wenn sich die Anträge durchsetzen würden, müssten die Industriestaaten ihre Reduktions-Anstrengungen nahezu verdoppeln. Nun wird alles versucht, um die Inselstaaten umzustimmen und die Blockade zu lösen. In der Nacht zu Samstag (12. dez.) hatte eine COP-Verhandlungsgruppe – Staaten, die nicht unter dem Kyotoprotokoll, sondern unter der Klimarahmenkonvention verhandeln – den Inselstaaten einen Deal angeboten: Sie heben ihre Anträge auf und bekommen stattdessen ein eigenes Podium, um ihr Ansinnen zu beraten. Wie aus Verhandlungskreisen verlautete, solle dieses Podium zwar nicht in der Lage sein, Beschlüsse zu fassen. Allerdings hätten die Inselstaaten dann die Chance, auszuloten, wie groß die Unterstützung für ihren Vorschlag ist.

Trotz aller Hindernisse wird es nun ernst in Kopenhagen. Am Samstag sind 50 Umweltminister angereist, um im sogenannten »Greenland-Dialoge« informell über die bereits eingebrachten Papiere zu beraten. Die ersten Staatschefs werden für Mittwoch (16. Dez.) erwartet.

Am Freitag (11. Dez.) waren von den beiden Verhandlungsführern – John Ashe für die Kyoto-Protokoll-Mitglieder und Michael Zammit Cutajar für die COP-Konferenz – erstmals Vertragstexte vorgelegt worden. Für die COP, also die Staaten, für die das Kyoto-Protokoll nicht gilt, wird darin vorgeschlagen, die Emissionen bis 2020 um 25 bis 40 Prozent zu senken. Bis 2050 soll der weltweite Treibhausgas-Ausstoß dann entweder um 50, 85 oder 95 Prozent sinken – das alles muss erst noch verhandelt werden.

Dabei sollen die Industrieländer ihre Emissionen stärker senken müssen als Entwicklungsländer. Diese Ziele gelten auch für die Annex I Staaten wie Deutschland. Trotzdem soll es ein Post-Kyoto-Protokoll und einen Extra-Vertrag für alle anderen Staaten geben. Im Wesentlichen wird eine neue Verlängerung des bestehenden Kyoto-Protokolls von 1997 vorgeschlagen.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Dezember 2009


Eine neue Agenda statt nur Kosmetik

Die nach Kopenhagen gereisten Aktivisten fordern einen Wirtschaftswandel fürs Klima

Mit der Demonstration am Samstag (12. Dez.) haben die Klimaaktivisten den Startschuss für weitere Proteste gesetzt, die die Verhandlungen in Kopenhagen in dieser Woche begleiten sollen.

Es war die größte Klimademo aller Zeiten an einem Ort. Aus ganz Europa waren die Klimaschützer zu dem Ereignis angereist, um gegen die diplomatischen Tippelschritte der UN-Klimaverhandlungen zu demonstrieren. Rund 500 Organisationen hatten dazu aufgerufen. Die Polizei griff trotz friedlicher Stimmung hart durch.

Der Großteil der Demo-Teilnehmer zog friedlich in Tierkostümen, mit Rettungsringen, Fackeln und Kerzen ausgerüstet vom Kopenhagener Schlossplatz zum Bella-Center. Trotzdem griff die Polizei hart durch. Während einige Demonstranten sich neben zahlreichen Musikwagen warm tanzten, forderten andere in Sprechchören nach Klimagerechtigkeit, wieder andere trommelten wütend für sofortiges Handeln oder verteilten Flugblätter. Unter dem Motto »Genug über das Klima geredet – jetzt müssen Taten folgen« – oder wie es auf Plakaten kurz hieß »Bla Bla Bla – Act now«, forderten die Demonstranten ein ehrgeiziges Abkommen, in dem sich vor allem die Industrieländer zu verbindlichen und ambitionierten Zielen verpflichten sollen.

Nicht nur Ökos

Auf der Abschlusskundgebung am Bella Center forderten Vertreter von Klimabündnissen wie Avaaz, 350.org und Umweltschutzorganisationen von den Delegierten der UN-Verhandlungen ein schnelles und entschlossenes Handeln gegen die Erderwärmung.

Mitdemonstriert haben dieses Mal eben nicht nur klassische »Ökos«, sondern auch viele Aktivisten aus dem linken und globalisierungskritischen Spektrum. Von den offiziellen UN-Verhandlungen wird bei den Demo-Teilnehmern generell nicht viel gehalten. Viele machen vor allem die kapitalistische Wirtschaftsweise, den Wachstumszwang sowie die Ressourcen verschwendende Lebensweise für das Klimadesaster verantwortlich. »Wir wollen eine neue Agenda gegen das setzen, was im Bella Center derzeit verhandelt wird«, erklärte Alexis Passadakis von Climate Justice Action am Rande der Demonstration. »Das CO2 ist nicht das Problem, sondern die Strukturen, die dazu führen, dass so gewirtschaftet wird.«

Auch, dass sich im Bella Center in der kommenden Woche noch auf ein verbindliches Abkommen geeinigt wird, halten die meisten Protestler für unwahrscheinlich. »Ich bin schon froh, wenn wenigstens ein paar Ziele festgelegt werden, die als verbindlich gelten, alles andere wird in den nächsten Monaten weiter verhandelt werden müssen«, meint ein Greenpeace-Aktivist, der mit vier Mitstreitern in den letzten drei Monaten vom Bodensee bis nach Kopenhagen gelaufen ist. »Ich glaube nicht, dass die in einer Woche noch irgendwas hinbekommen«, meint ein anderer Aktivist, der sich einen Rettungsring um den Hals gehangen hat und ein Schild mit dem Slogan »Act now« unter den Arm geklemmt hat.

Volksversammlung

Die Großdemonstration sollte der Auftakt für die Proteste in der kommenden Woche sein. Geplant sind neben einem Aktionstag für Landwirtschaft und Migration noch ein »Reclaim Power«-Tag, bei dem unter anderem das Verhandlungszentrum »gestürmt« werden soll. Die Aktivisten von Climate Justice Action wollen eine Art »Volksversammlung« auf dem Gelände des Bella-Centers organisieren.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Dezember 2009


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