Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Steigt der Meeresspiegel schneller?

In der Erdgeschichte waren die heutigen CO2-Werte mit deutlich höheren Wasserpegeln verbunden

Von Wolfgang Pomrehn *

Zwei britische Wissenschaftler haben einen Blick in die Vergangenheit der Erde getan, um den Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und dem Meeresspiegel zu verstehen. Und dabei gesehen, dass die derzeitigen Prognosen wohl zu optimistisch sind.

Schon bei der jetzigen atmosphärischen Konzentration von Kohlendioxid (CO2) wird das Meer im globalen Mittel innerhalb der nächsten Jahrhunderte um mindestens zehn Meter steigen. Das schließen Gavin L. Foster und Eelco J. Rohling vom britischen National Oceanography Center in Southampton aus erdgeschichtlichen Daten. Bei einem solchen Anstieg müssten Metropolen wie New York, Alexandria, Schanghai, Ho-Chi-Minh-Stadt oder auch Amsterdam aufgegeben werden.

Der Zusammenhang zwischen Meeresspiegel und Treibhausgaskonzentration ist im Grundsatz gut verstanden: Je mehr CO2 in der Atmosphäre, desto höher die mittlere Lufttemperatur. Wird es wärmer, so schrumpfen die großen Eismassen auf Grönland sowie in der Antarktis und das Schmelzwasser fließt in die dadurch steigenden Weltmeere. Der Teufel steckt jedoch im Detail. Die Gletscher reagieren nur sehr träge auf die Temperaturänderungen, es dauert viele Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende, bis sich ein neues Gleichgewicht zwischen verändertem Klima und Gletschervolumen einstellt.

Das viel diskutierte Ziel, die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius zu beschränken, entspräche einer CO2-Konzentration von rund 450 Millionstel Volumenanteilen (ppm). Doch welche Folgen hat diese Erwärmung nicht nur in 90 Jahren, sondern in 400 oder 500 Jahren? Foster und Rohling haben sich genau diese Frage gestellt und dafür das Verhältnis zwischen Meeresspiegel und CO2-Konzentration in den letzten 40 Millionen Jahren untersucht. Die Ergebnisse veröffentlichten sie im US-Fachblatt »Proceedings of the National Academy of Sciences«.

Die CO2-Konzentration lässt sich für die letzten 550 000 Jahre aus Gaseinschlüssen im arktischen und antarktischen Eis bestimmen. Über frühere Zeiträume geben abgestorbene Organismen in den Sedimenten am Meeresgrund Aufschluss. Dabei fanden die beiden Briten heraus, dass das Verhältnis zwischen CO2-Konzentration und Meeresspiegel nicht linear ist. Für CO2-Niveaus zwischen dem derzeitigen von etwa 400 und 650 ppm unterscheidet sich der Meeresspiegel langfristig nicht merklich. Doch es gibt ein großes Aber: Das Gleichgewichtsniveau für diese CO2-Konzentration lag in der Erdgeschichte rund 22 Meter (Unsicherheit +13 Meter / -12 Meter) höher als heute. Mit anderen Worten: Soll in den nächsten Jahrhunderten der Verlust großer Küstenregionen verhindert werden, müssen die Treibhausgasemissionen nicht nur drastisch reduziert, sondern auch Teile des bereits emittierten CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernt werden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 14. Januar 2013


Zurück zur Klima-Seite

Zurück zur Homepage