Bewaffnete Konflikte künftig wahrscheinlicher? Die möglichen Folgen des Klimawandels für die internationale Sicherheit
Von Jerry Sommer. Beitrag aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien" *
Andreas Flocken (Moderator):
Klima-Gipfel in Kopenhagen - es geht darum, die weitere Erwärmung der
Erde zu begrenzen. Die Folgen wären nämlich verheerend. Der
Meeresspiegel würde steigen, die Zahl der Dürren zunehmen. Drohen aber
auch mehr Kriege und bewaffnete Auseinandersetzungen? Jerry Sommer über
mögliche Zusammenhänge:
Manuskript Jerry Sommer
In den USA wird der Klimawandel schon seit längerem auch als ein
Sicher-heitsproblem angesehen. Hochrangige ehemalige Militärs hatten
schon 2007 in einer Studie den Klimawandel zu einer Bedrohung der
Nationalen Sicherheit der USA erklärt. Die globale Erderwärmung würde
Armut, Ressourcenkonflikte, Staatszerfall und massenhafte Migration
fördern. Auch der Terrorismus würde gestärkt werden. Diese Befürchtungen
werden inzwischen von einflussreichen US-Politikern geteilt. Der
Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des US-Senates und
Obama-Vertraute, John Kerry:
O-Ton John Kerry (overvoice)
"Nirgends ist der Zusammenhang zwischen den heutigen Bedrohungen und dem
Klimawandel deutlicher als in Südostasien - der Heimat von Al Qaida und
der terroristischen Bedrohung."
Denn dort, so Kerry, würde der drohende Wassermangel ohnehin schwache
Staaten wie Pakistan destabilisieren und damit den Nährboden für
Terroristen vergrößern.
Das US-Militär beschäftigt sich mit dem Klimawandel nicht nur vor dem
Hintergrund möglicher neuer Einsatz-Szenarien. Durch die zahlreichen
ausländischen Militärstützpunkte könnte die Einsatzfähigkeit der
US-Streitkräfte auch direkt beeinträchtigt sein, zum Beispiel durch den
ansteigenden Meeresspiegel. Senator John Kerry:
O-Ton John Kerry (overvoice)
"Diego Garcia, die Insel im Indischen Ozean und ein unerlässliches
Drehkreuz für unsere militärischen Operationen im Mittleren Osten, liegt
nur wenige Fuß über dem Meeresspiegel."
Zweifellos wird der Klimawandel tiefgreifende Auswirkungen auf alle
Seiten des menschlichen Lebens in der ganzen Welt haben - diese werden
umso stärker sein, je weniger es gelingt, sich international auf
weitreichende Ziele zur Reduzierung der CO ² -Emissionen zu einigen.
Denn unstrittig ist, dass der Klimawandel zur Erderwärmung und einem
Anstieg des Meeresspiegels führen wird, zum Rückgang von Gletschern und
Eisgebieten, zur Ausbreitung von Dürrezonen und zur Zunahme von Stürmen
und Unwettern. Diese Entwicklung wird erhebliche Auswirkungen auf die
Lebensbedingungen der Menschen haben. Es drohen Risiken für
Landwirtschaft und Ökonomie, zunehmende Verteilungskonflikte,
umweltbedingte Migration und Zerfall beziehungsweise Destabilisierung
von Staaten.
Doch macht das den Klimawandel zum Sicherheitsproblem, zu einer
Bedro-hung für die internationale Sicherheit und den internationalen
Frieden?
Manche behaupten dies, weil sie damit die Notwendigkeit tiefgreifender
Klimaschutzmaßnahmen unterstreichen wollen, sozusagen in guter Absicht.
Trotzdem hält Michael Brzoska, der Direktor des Hamburger "Instituts für
Friedensforschung und Sicherheitspolitik" diese Argumentation für
be-denklich. Denn ob der Klimawandel überhaupt zu einer Bedrohung des
internationalen Friedens und der nationalen Sicherheit der USA oder auch
Europas werde, sei seriös noch nicht vorauszusagen. Denn alternative
Handlungsmöglichkeiten sind vorhanden. Die Prognosen über den
Klimawandel und seine Auswirkungen auch auf die besonders betroffenen
Regionen Afrikas, Südasiens und Lateinamerikas sind bekannt. Michael
Brzoska:
O-Ton Brzoska
"Deswegen ist meine Ansicht, dass man den Schwerpunkt momentan darauf
richten sollte, erstens natürlich den Klimawandel in Grenzen zu halten,
und zweitens die Adaptionsfähigkeit von Gesellschaften, die durch den
Klimawan-del besonders bedroht sind zu stärken, auch die
Konfliktbearbeitungsmecha-nismen zu stärken. Dann werden wir, glaube
ich, kein großes Sicherheitsproblem bekommen."
Die Prognosen über die Veränderungen der Temperaturen, Regenmengen, des
Meeresspiegels und über Eisschmelzen sind verhältnismäßig exakt. Weniger
eindeutig sind Vorhersagen über soziale Folgen. Denn diese sozialen
Auswirkungen werden durch die Anpassungsfähigkeit sowie die
Anpassungswilligkeit der Individuen und Gesellschaften mit ihren
jeweiligen Machtstrukturen entscheidend beeinflusst.
Zum Beispiel ist empirisch festzustellen, dass bei Konflikten um Wasser
aus Flüssen, die mehreren Staaten als Reservoir dienen, in der
überwiegenden Anzahl der Fälle die Kooperation überwiegt und nicht die
Konfrontation.
Auch führen Umwelteinflüsse wie Trockenheit nicht automatisch zu Krieg
und Gewalt. Dafür ist der Darfur-Konflikt mit seinen inzwischen über
zweihunderttausend Todesopfern und über zwei Millionen Flüchtlingen ein
Beispiel. Zweifellos hat dort die Dürre zu Wassermangel,
Nahrungsmittelknappheit und Hunger geführt und damit auch Spannungen
zwischen Nomaden und Bauern verstärkt. Doch entscheidend für den
Bürgerkrieg war und sind die politische und wirtschaftliche Ausgrenzung
einer ganzen Region und Bevölkerungsgruppe durch die sudanesische Elite
sowie die Brutalität, mit der die herrschende Clique ihre Privilegien zu
verteidigen versucht. Unter ähnlichen Umwelteinflüssen haben viele
andere Regionen des südlichen Afrikas zu leiden, ohne dass es dort zu
gewalttätigen Konflikten kommt. Annahmen, dass der Klimawandel
notwendigerweise zu mehr bewaffneten Konflikten führen müsse, sind
empirisch nicht haltbar.
Ähnliches gilt auch für Szenarien, nach denen der Klimawandel zu
Millionen von Umweltflüchtlingen führen wird. Die Zahl der in den
nächsten vier Jahr-zehnten zu erwartenden Umweltflüchtlinge schwankt je
nach Studie erheblich - zwischen 200 Millionen und einer Milliarde
Menschen. Doch ein Zusammenhang zwischen Migration und bewaffneten
Konflikten lässt sich nicht belegen. Natürlich ist festzustellen, dass
es in der Vergangenheit in Folge von Migration auf lokaler oder
regionaler Ebene zu gewalttätigen und zum Teil bewaffneten
Auseinandersetzungen gekommen ist. Ein Beispiel erläutert die
Konfliktforscherin Andrea Warnecke vom Internationalen
Konversionszentrum in Bonn:
O-Ton Warnecke
"Klassisches Beispiel ist ja Ruanda, wo ehemalige Kämpfer oder die Täter
des Genozid nach Burundi und in andere Flüchtlingslager migriert sind
oder sich da mit den Flüchtlingen vermischt haben. Und es ist dann in
den Flüchtlingslagern zu weiteren Konflikten und zu weiteren Massakern
gekommen."
In diesem speziellen Fall war zudem nicht die Migration an sich Ursache
für die Gewalttätigkeiten, sondern die ethnischen Spannungen, die die
Flüchtlinge ins Nachbarland importiert haben.
Es gibt weitere Beispiele, die zeigen, dass Migration nicht
notwendigerweise zu einem bewaffneten Konflikt führen muss. So hat 2004
der Tsunami - eine geologisch, nicht meteorologisch verursachte
Naturkatastrophe - vorübergehend 20 Millionen Menschen in Asien zu
Flüchtlingen gemacht. Auch dank der schnellen und umfassenden
internationalen Hilfe, kam es jedoch zu keinen Gewaltausbrüchen.
Eine Bedrohung des internationalen Friedens durch umweltbedingte
Migrati-onsströme vermag Konfliktforscherin Andrea Warnecke deshalb
nicht zu er-kennen. Migranten vorrangig als Gefahr anzusehen, die auch
Terrorismus und soziale Spannungen in die Industrieländer importieren
könnten, hält sie für falsch:
O-Ton Warnecke
"Dabei steht nach meinem Dafürhalten in erster Linie die Sicherheit der
Migranten, der Flüchtlingsgemeinschaften im Vordergrund. Das heißt, es
wäre zu überlegen, inwieweit können staatliche, können lokale oder eben
auch andere Akteure Mechanismen schaffen, um mit den befürchteten
Problemen und Auswirkungen besser umzugehen."
Dabei ist zu beachten, dass Migration wegen Verwüstung oder Erhöhung des
Meeresspiegels nicht auf einmal stattfindet, sondern sich in vielen
kleinen Etappen vollziehen wird. Das ermöglicht, sich langfristig auf
solche Wande-rungsbewegungen einzustellen. Vorliegende Analysen solcher
Entwicklungen zeigen zudem, dass die meisten Migranten im eigenen Land
bleiben oder höchstens in die Nachbarländer fliehen. Eine gerade
veröffentlichte Studie der "Internationalen Migrationsorganisation"
widerspricht deshalb auch der manchmal geäußerten Befürchtung, dass
Millionen armer Menschen als Folge des Klimawandels in die reichen
Länder kommen würden.
Den Klimawandel zum harten Sicherheitsproblem zu erklären und sich
eventuell sogar mit möglichen militärischen Antworten zu beschäftigen,
ist für Michael Brzoska vom Hamburger Institut für Friedensforschung und
Sicherheitspolitik auch insgesamt gefährlich:
O-Ton Brzoska
"Ich halte es für kontraproduktiv, weil man damit dann möglicherweise
Ressourcen, die man sonst eher für Klimavermeidung und Anpassung an
Klima-wandel ausgeben sollte, für militärische Maßnahmen ausgibt.
Insofern ist es meiner Meinung nach momentan falsch, schon über
militärische Konsequen-zen aus den Klimawandel nachzudenken."
Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Sicherheit gibt es zweifellos,
auch wenn manche Einschätzungen einseitig und übertrieben sind. Aber die
Lösungsansätze liegen nicht im militärischen Bereich.
* Aus: NDR Forum "Streitkräfte und Strategien"; Sendetermin 12.
Dezember 2009
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