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"Systemwechsel" als einzig gangbarer Weg

Klimakonferenz in Cochabamba geißelte Ausbeutung der Natur durch den globalen Kapitalismus

Von Andreas Behn, Cochabamba *

Ein für Gipfeltreffen ungewöhnlicher Dialog von Regierungen und Zivilgesellschaft leitete den Abschluss der Klimakonferenz in Cochabamba ein.

Der gastgebende Präsident Bolivien, Evo Morales, sein venezolanischer Amtskollege Hugo Chávez, der Vizepräsident Kubas und der Außenminister Ecuadors hörten und kommentierten die Zusammenfassungen der 17 Arbeitsgruppen, verlesen von Vertretern aus vier Kontinenten. Kein wahrer Meinungsaustausch, doch es bleibt die Tatsache, dass diesmal die sozialen und indigenen Bewegungen nicht ausgeschlossen blieben.

Noch sind die Ergebnisse eine lange Liste von Feststellungen und Forderungen. Es geht um die Rechte der heutigen und zukünftigen Klimamigranten, die Notwendigkeit eines Technologietransfers von Nord nach Süd, die Benennung einer Klimaschuld der Industriestaaten, die Infragestellung des Wirtschaftssystems und der industriellen Landwirtschaft bis hin zur Erarbeitung gemeinschaftlicher Lebensformen.

Morales fand die treffendsten Worte, um das mühsame Ringen um Prioritäten, Konsens und politische Sichtweisen zusammenzufassen: »Auf diesem Klimagipfel wurden, im Gegensatz zu den jährlichen UN-Konferenzen, die Ursachen und nicht nur die Folgen der Klimakrise thematisiert.« Es sei deutlich geworden, dass die Rettung des menschlichen Lebens auf dem Planeten Erde nur durch die Verteidigung der Natur erreicht werden könne. Da der globale Kapitalismus auf der Ausbeutung der Naturressourcen beruhe, sei »ein Systemwechsel« der einzig gangbare Weg. Chávez kritisierte ein weiteres Mal die Beschlüsse der UN-Klimakonferenz von Kopenhagen als »unverbindlich und unzureichend« und regte an, dass die in der Bolivarianischen Allianz ALBA zusammengeschlossenen Staaten die Deklaration von Cochabamba vor der UNO vertreten.

Der originellste Beitrag kam zweifellos von Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño. Dieser erinnerte daran, dass die USA einigen Staaten aufgrund ihrer Weigerung, den Kompromiss von Kopenhagen zu unterzeichnen, Teile der Entwicklungshilfe gestrichen haben - im Falle Ecuadors 2,5 Millionen Dollar. »Ich verkünde hier offiziell den Vorschlag meines Präsidenten Rafael Correa, den USA 2,5 Millionen US-Dollar zu zahlen, sollten sie endlich bereit sein, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen«, erklärte Patiño.

In Zahlen war der Gipfel von Cochabamba fraglos ein Erfolg. Laut Außenminister David Choquehuanca hatten sich statt der erwarteten 12 000 schließlich über 35 000 Teilnehmer aus 142 Staaten eingeschrieben, davon knapp 10 000 aus dem Ausland. 47 Staaten entsandten offizielle Delegationen, zumeist aus Asien, Afrika und Lateinamerika. Auch organisatorisch verlief die Mammutveranstaltung ohne größere Probleme. Es war zu spüren, dass die Regierung viel Geld in den reibungslosen Verlauf investiert hatte. Allerdings setzte sie auch auf eine Kontrolle der Inhalte, in einigen Arbeitsgruppen gab es Klagen über fehlende Freiräume und zu viele Vorgaben der Organisatoren.

* Aus: Neues Deutschland, 24. April 2010


"Planeta o Muerte!"

Von Benjamin Beutler **

Die mehr als 35000 Teilnehmer der ersten »Weltkonferenz der Völker über den Klimawandel und die Rechte der Mutter Erde« im bolivianischen Cochabamba schlagen Alarm. »Die Zukunft der Menschheit ist in Gefahr«, wird in der von 27 Arbeitsgruppen formulierten Abschlußerklärung vor den Auswirkungen des Klimawandels gewarnt. Zur Verteidigung der Menschenrechte und der »Harmonie mit der Natur« sei es notwendig, die »Rechte der Mutter Erde« bindend festzuschreiben. Dazu gehörten das Recht auf Leben, die Sauberkeit von Luft und Wasser sowie der Schutz vor Verschmutzung und Genmanipulationen. Über die Einhaltung dieser Rechte soll ein internationales Klimagericht wachen. Mit einem weltweiten Referendum soll außerdem festgestellt werden, ob die Menschheit tatsächlich einen »zerstörerischen Kapitalismus« wolle, für den die Menschen »nur Konsumenten und Arbeitskräfte« sind.

Ganz in diesem Sinne gab Boliviens Präsident Evo Morales bei seiner Rede auf der Abschlußveranstaltung des Treffens am Donnerstag (Ortszeit) als Ziel einen »Sozialismus in Harmonie mit der Mutter Natur« aus, und antwortete so auf Kritiker, die in dem an Gas, Eisenerz und Lithium reichen Land eine rücksichtslose Industrialisierung befürchten. In Anlehnung an den alten Kampfruf »Patria o Muerte!« (Heimatland oder Tod!) rief Boliviens erster indigener Präsident ein »Planeta o Muerte!« in die Menge.

Nach den Erfahrungen der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen, bei der sich die G-8-Staaten mit ihrer »Kopenhagener Vereinbarung« über die übrige Staatengemeinschaft hinweggesetzt hatten, müsse die Diskussion über Gründe und Folgen des Klimawandels endlich demokratischer werden, war der vorherrschende Tenor des Treffens. Dieses Thema dürfe nicht einer kleinen Gruppe von »Regierungen und Unternehmen der sogenannten entwickelten Länder in Komplizenschaft mit einem Teil der Wissenschaftsgemeinde« überlassen werden, heißt es in der Abschlußerklärung. Der Klimawandel könne nicht allein auf das »Problem des Temperaturanstiegs« reduziert werden, vielmehr müsse das kapitalistische System als seine eigentliche Ursache in Frage gestellt werden. »Einzig und allein die Völker, wir alle«, dürften entscheiden, wie es mit dem blauen Planeten weitergeht.

»Damit unsere Forderungen respektiert werden, müssen wir uns zusammentun«, rief Morales die angereisten Vertreter aus sozialen Bewegungen, Umweltaktivisten und Akademiker zur entscheidenden »Schlacht« bei der nächsten UN-Klimakonferenz auf, die im Dezember in dem mexikanischen Badeort Cancún stattfindet.

Auch Venezuelas Präsident Hugo Chávez begrüßte in seiner Rede diesen Aufruf und kündigte an, Ressourcen bereitzustellen, um diejenigen zu unterstützen, die sich die Flugreise nach Mexiko und die dortige Unterkunft nicht leisten können. »Wir müssen erreichen, daß das Dokument, das Obama und eine Gruppe von Ländern in Kopenhagen durchgesetzt haben, nur als ein Vorschlag von vielen behandelt wird. Es ist keinen Deut wichtiger als der Vorschlag von Cochabamba«, sagte der venezolanische Staatschef.

Auch Boliviens Botschafter in Deutschland, Walter Prudencio Magne Veliz, sieht in der alternativen Klimakonferenz einen wichtigen Erfolg. Im Gespräch mit junge Welt hob er am Freitag vor allem die große Zahl der angereisten Vertreter sozialer Bewegungen hervor: »Wenn die Präsidenten sich nicht einigen können, wie in Kopenhagen, dann müssen uns eben die Menschen den Weg zeigen«.

** Aus: junge Welt, 24. April 2010


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